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PRINCETON, N. J
BT 610 . L46 1886
Lehner, F. A. von.
Die Marienverehrung in den
ersten Jahrhunderten
DIE
MARIENVEREHRUNG
IN DEN
ERSTEN JAHRHUNDERTEN.
Digitized by the Internet Archive
in 2019 with funding from
Princeton Theological Seminary Library
https://archive.org/details/diemarienverehru00lehn_1
DIE
IN DEN
ERSTEN JAHRHUNDERTEN.
VON
Hofrath Dr. F. A. von LEHNER,
DIRECTOR DES FÜRSTLICH HOHENZOLLERN ’SCHEN MUSEUMS IN SIGMARINGEN.
Mit 8 Doppeltafeln in Steindruck.
ZWEITE VERBESSERTE AUFLAGE.
STUTTGART.
VERLAG DER J. G. COTTA’SCHEN BUCHHANDLUNG.
188G.
Alle Rechte Vorbehalten.
Druck von Gebrüder Ivröner in Stuttgart.
SEINER KÖNIGLICHEN HOHEIT
DEM FÜRSTEN
KARL ANTON VON HOHENZOLLERN
EHRFÜRGHTSVOLLST GEWIDMET.
Vorwort zur ersten Auflage.
Als sich der Verfasser vor Jahren mit der christlichen Kunst
zu beschäftigen anfing, hielt ihn besonders die Darstellung der
heiligen Jungfrau fest, und es gewährte ihm einen eigenthtimlichen
Genuss, den Madonnenbildern von den neuern Zeiten aus bis tief
ins Mittelalter zurück nachzugehen. Es drängte sich der Zusammen¬
hang der Kunstdarstellungen mit dem — kirchlichen sowohl als
volkstümlichen — Marienkultus auf, die ersteren erschienen als
Reflex des letzteren, und endlich concentrirte sich das Interesse auf
die Erforschung dieses Kultus. Die zunächst zu Rathe gezogenen
Werke ergaben die Ueberzeugung, dass sich die Entwickelung des
Marienkultus vom fünften Jahrhundert, namentlich von dem Ephesiner
Goncil (431) abwärts geschichtlich nicht schwer verfolgen lasse ;
für die frühere Zeit fanden sich nur vereinzelte Notizen. Die Neu¬
gier, wie es vor dieser Epoche damit gewesen sei, führte durch
manche Marienbücher hindurch, deren einerseits confessionell-pole-
mische, andererseits religiös -praktische Tendenz wenig Belehrung
bot, zum Studium der Quellen, der schriftlichen und monumentalen.
Das gewonnene Resultat, dass aus der früheren Entwickelung das
ganz naturgemäss gewachsene Marienideal gewissermassen schon
fertig an das fünfte Jahrhundert abgegeben wird, schien nicht un-
werth, denjenigen vorgelegt zu werden, welche sich für das Werden
VIII
und Wachsen bestimmter kunstgeschichllicher Ideale interessiren, —
und so entstand dieses Buch. Dasselbe hat also keinen theologischen
Zweck, wenn es auch vielfach mit theologischen Mitteln arbeitet,
sondern einen archäologischen, und bittet, hauptsächlich von diesem
Gesichtspunkte aus angesehen zu werden. Es ist ein Vortheil der
christlichen Kunstideale, dass ihr Ursprung und ihre Ausbildung
in der religiösen Phantasie, der Mutter der künstlerischen,
Schritt für Schritt historisch nachgewiesen werden kann. Dass der
Versuch, diesen Vortheil bei dem behandelten Gegenstände auszu¬
nützen, in der vorliegenden Weise zum ersten Mal gemacht wird,
braucht den Kennern der Kunst-, sowie der Kirchengeschichte nicht
gesagt zu werden.
Sigmaringen, im Februar 1881.
Vorrede zur zweiten Auflage.
Die Kritik hat dieses Buch gut aufgenommen. Es sind mir
über fünfzig Anzeigen zugegangen, ausser deutschen auch fremd¬
sprachige, welche dieses belegen. Namentlich auf archäologischer
Seite zeigte man sich zufrieden. Von den Theologen hingegen, welche
das Buch mit einer Besprechung beehrten, nahmen einige katholische
an einzelnen Wendungen und Ausdrücken Anstoss oder fanden die
Methode für den Gegenstand nicht ausreichend, einige protestantische
vermissten insbesondere den Nachweis des Zusammenhangs des
Marienkultus mit dem antiken Polytheismus. Zu den ersteren ge¬
hört Herr Stephan Beissel S. J., an dessen Anzeige ich darum meine
Gegenbemerkungen anknüpfe, weil dieselbe in der verbreitetsten
IX
katholischen Zeitschrift erschienen ist, zu den letzteren Herr Dr. Hasen¬
clever, Pastor in Braunschweig, früher in Badenweiler.
Herr B. (»Stimmen aus Maria Laach«, Jahrg. 1882, H. 1)
spricht zwar zuerst auch mit grosser Anerkennung von der Arbeit.
»Wer sollte nicht,« sagt er, »der Meisterhand Lehners danken, der
das Bild der allerseligsten Jungfrau aus dem dunkeln Grunde der
ersten christlichen Jahrhunderte in solchem Glanze hervortreten lässt?
Darum war es vollkommen gerechtfertigt, dass man sein Buch mit
solchem Beifalle aufnahm. Mit vollem Herzen stimmen wir in das
Lob ein und freuen uns, dass der erste Versuch, den Ursprung und
die Ausbildung des Marienideals vom archäologischen Standpunkte
aus nachzuweisen, ihm im vollsten Masse gelungen ist.«
Ich muss gestehen, mehr als das hier Ausgesprochene habe ich
nicht ambitionirt.
Herr B. fährt jedoch fort: »Leider hat das Bestreben, den archäo¬
logischen Standpunkt zu wahren, als Geschichtsforscher und nicht
als Theologe aufzutreten, den geehrten Verfasser zu Aeusserungen
und in einzelnen Punkten zu einer Art der Behandlung geführt, die
seinem ausgezeichneten Werke nicht zum Vortheil dient. Wir wollen
nicht zu viel Gewicht darauf legen, dass der Verfasser (S. 220) sagt,
,dass es jedenfalls im Anfang des fünften Jahrhunderts eine Kathe¬
drale gab, die ihr (der heiligen Jungfrau) geweiht war'. Der Recensent
in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 18. Oktober 1881, bemerkt
mit Recht: wir hätten diese Partie mit Rücksicht auf die römischen
und konstantinopolitanischen (und andern) Marienkirchen gern weiter
ausgeführt gesehen.«
Hierauf habe ich zu erwidern, dass ich diese Bemerkung des —
allem Anschein nach durchaus mit der Sache vertrauten — Re-
censenten der Allgemeinen Zeitung nicht so verstehe, als habe er
dem Verfasser wohl indirekt den Vorwurf machen wollen, eine ältere
Marienkirche etwa ignorirt zu haben, sondern der Recensent wünschte
wohl nur bei diesem nicht unpassenden Anlass eine neue zusammen¬
fassende kritische Beleuchtung der verschiedenen spätem Notizen
X
über die ältesten Marienkirchen ausser der ephesinischen, um diese
an sich höchst interessante Frage vielleicht durch den Verfasser
einen Schritt vorwärts gebracht zu sehen. Ich für meine Person
kann Herrn B. versichern, dass ich mir alle Mühe gegeben habe,
die Nachrichten über die ältesten Marienkirchen zu Rom u. s. w.
zu sammeln und zu prüfen , dass es mir aber nicht gelungen ist,
den Beweis für das höhere Alter einer derselben gegenüber der
ephesinischen Kirche zu erbringen. Mein Zweck war überhaupt bei
diesem Paragraphen nur, denjenigen Faktor der Heiligenverehrung,
welcher in der Weihung von Kirchen auf den Namen eines Heiligen
besteht, auch für die von mir behandelte Periode der Marienverehrung
beizubringen, und hierzu genügte der Nachweis einer Kirche, natür¬
lich der ersten sicher beglaubigten. Im Vertrauen will ich übrigens
noch bekennen, dass ich nicht ohne Kampf der Versuchung wider¬
stand, das mühevoll gesammelte Material hier dennoch zu verwerthen,
eine Versuchung indessen, welche begreiflicherweise öfter als einmal
im Verlauf der Arbeit überwunden werden musste, um nicht un-
nöthig breit zu werden.
Zweitens bemerkt Herr B. : »Oft scheint es, als ob der Verfasser
die Apokryphen als einzige Quelle der späteren Nachrichten über das
Leben und Sterben Marias ansähe.«
i
Die Apokryphen sind in der That oft die ältesten, uns er¬
haltenen, Quellen über mehrere Partien des »Marienlebens«. Dass
sie nicht als Urquellen von mir betrachtet werden, ist S. 221 aus¬
drücklich gesagt. Ich nehme sie als Dichtungen, worin sich ein
künstlerisch geformter Niederschlag sowohl der biographischen For¬
schung als der Sagenbildung findet. Jedoch es ist ja hier vollkommen
gleichgiltig , welchen historischen Werth man den Apokryphen bei¬
legt. Sie sind ein Ausdruck des Zeitbewusstseins, in ihnen spiegelt
sich der Glaube wieder, und das genügt dem Archäologen und Kunst¬
forscher, welcher nur darauf ausgeht, die Geschichte eines Kunst¬
ideals zu ergründen. Dass der Standpunkt des Dogmatikers ein
anderer ist, versteht sich von selbst.
XI
Wichtiger (als die beiden obigen Ausstellungen) ist es (dem
Herrn B.), wenn S. 7 gesagt wird: »die conservativeren Kritiker halten
zwar an der alten Ansicht fest, dass alle Evangelien aus dem ersten
Jahrhundert stammen, während andere dieses bloss für Matthäus,
Markus und Lukas zugeben und den Ursprung des Johannes-Evan¬
geliums in das erste Viertel oder in die erste Hälfte des zweiten
Jahrhunderts setzen.«
Was an diesem Satze unrichtig sein oder was er Aergerliches
enthalten soll, kann ich nicht einsehen, wenn nicht etwa die blosse
Erwähnung der Thatsache verübelt wird, dass die Evangelien Gegen¬
stand der historischen Kritik geworden sind. Warum ich aber diesen
Satz geschrieben habe, konnte Herr B. doch dem unmittelbar nach¬
folgenden Sätzchen entnehmen, welches lautet: »Die Kindheitsgeschichte
Christi und damit die Erzählung der Wunder, welche an Maria ge¬
schehen, fällt also noch ins erste Jahrhundert.« Oder ist da nicht
ersichtlich, dass ich nur das auch von der negativen Kritik nicht
mehr angefochtene Alter der Elemente des Marienkultus con-
statiren wollte?
Ebensowenig ist mir die Bemängelung des Satzes, der S. 185
unten bis S. 186 oben zu lesen war: »Man mag nun die Evange¬
listen fassen, wie man will, als inspirirte Organe des heiligen Geistes
oder als Schriftsteller, die mit dem für alle andern geltenden Mass-
stabe zu messen sind, oder wie immer«, verständlich ; denn ich fuhr
fort: »Unter allen Umständen dürfen wir sagen: in dieser Weise ge¬
dachte man der heiligen Jungfrau ein paar Decennien nach ihrem Tode,
d. h. es bestand schon in dieser Zeit (erstes Jahrhundert) eine Verehrung
u. s. w.« Warum hat Herr B. diese Fortsetzung übersehen? Konnte
ihm entgehen, dass ich hier nichts Anderes sagen wollte, als: auch für
die negative Kritik ist das Resultat dasselbe, auch von ihr muss eine
Verehrung im allgemeinen Sinne u. s. w. (S. 186) schon im ersten Jahr¬
hundert angenommen werden? — Jedoch die von Herrn B. missverstan¬
dene Wendung konnte ganz gut wegbleiben, ohne den Context zu al-
teriren und ist daher in dieser zweiten Auflage des Buches weggeblieben.
XII
»Zweideutig lautet« für Herrn B. ferner der Absatz, welcher
S. 6 unten mit den Worten beginnt: »Dies ist das gesammte biblische
Material« und S. 7 mit den Worten schliesst: »die sich von ihr im
Geiste der Christen gebildet hat«. Worin die Zweideutigkeit bestehe,
sagt Herr B. aber nicht. Ist ihm etwa das anstössig, dass ich auch
hier die beiden Hauptarten der Behandlung der Evangelien, die kirch¬
liche und die kritische, einfach constatire?
Doch der letzte Satz des Abschnitts »die historische Existenz
der Persönlichkeit Mariens liegt hinter unsern Untersuchungen, wir
haben es nur mit der Vorstellung zu thun , die sich von ihr im
Geiste der Christen gebildet hat« wird als besonders zweideutig her¬
vorgehoben. »Was sollen wir denken,« sagt Herr B., »von der Vor¬
stellung, die sich im Geiste der Christen gebildet hat?«
Ich glaubte mit diesem Satz nicht undeutlich zu sein. Deut¬
licher wäre es vielleicht gewesen, wenn ich anstatt des Wortes »Geist«
das Wort »Phantasie« gewählt hätte. Sei dem nun, wie ihm wolle,
weil ich von Herrn B. nicht verstanden worden bin, will ich meine
Meinung hier mit andern Worten wiedergeben. Ich will also sagen:
meine Absicht ist nicht, eine Biographie der heiligen Jungfrau zu
schreiben, sondern eine Geschichte des Madonnenideals (das ist näm¬
lich die »Vorstellung, die sich von Maria im Geiste der Christen ge¬
bildet hat«), wenigstens die Urgeschichte, zu versuchen.
Tadelnswerth erscheint dem Herrn B. weiterhin ein Satz S. 10,
der in der ersten Auflage folgende Fassung hatte: »Es darf ange¬
nommen werden, dass bei einem Theile der frühesten Christen¬
gemeinden von jenem Wunder (nämlich dem Empfängnisswunder)
anfänglich nicht die Rede war.«
Nun, diese Annahme kann nicht fallen gelassen werden; der
Leser wird ihr beistimmen, wenn er in dem Buche von christlichen
Sekten der ältesten Zeit hört, welche das Empfängnisswunder leug¬
neten, wenn er S. 91 erfährt, dass die Kirchenväter nicht weniger
als vier Gründe aufführen, warum das Empfängnisswunder anfäng¬
lich verborgen bleiben musste u. s. w., und wenn er schliesslich
XIII
dasjenige beherzigt, was ich in dieser zweiten Auflage S. 10 über
das Markus - Evangelium sage. Zu dieser Betrachtung über das
Markus-Evangelium kam ich erst nach Erscheinen der ersten Auf¬
lage meines Buches durch fortgesetztes Studium und wiederholtes
Nachdenken. Der Satz der ersten Auflage: »Es lässt sich denken,
dass diejenigen, welche aus dem Markus-Evangelium ihr Wissen von
den Thaten und Lehren Jesu schöpften, zunächst einfach annahmen,
derselbe sei Josephs Sohn gewesen, denn dieses Evangelium hat die
Kindheitsgeschichte nicht« findet hierdurch seine Gorrectur.
Dass ich S. 7 »ausführe, die einzelnen Christengemeinden, die
im Anfang nur ein einzelnes Evangelium kannten, hätten neben dem
einzelnen Evangelium keine mündliche Belehrung erhalten«, ist un¬
richtig. Ich halte dort im Gegentheil für möglich, dass es neben
den schon mit einem Evangelium beglückten Kreisen andere christ¬
liche Kreise gab, die noch gar kein Evangelium besassen, sondern
mit dem lebendigen Wort des Missionärs sich begnügen mussten.
Ebensowenig spreche ich S. 8 von »wesentlichen Veränderungen«
der Dogmen. Ich gebrauche das Adjektiv »wesentlich« nicht, ich
rede auch gar nicht von »Dogmen«. Wohl aber von Vorstellungen,
von einem Bilde, von den Zügen eines Bildes, von einer Zeichnung,
einem Gemälde und dergleichen Begriffen, womit die archäologische
und Kunstwissenschaft operirt und operiren muss, auch wenn sie
ein heiliges Kultobjekt behandelt.
Herrn B. »klingt« ferner meine gedrängte Wiederholung und
Zusammenfassung der Einzelzüge des Marienbildes zu einem Gesammt-
bilde auf S. 182 »hart«. Merkwürdig! Prof. Dr. theol. Nirschl
(Münsterischer Literar. Handweiser, Nr. 294) findet dagegen in dem
gleichen Abschnitte »schöne und tiefsinnige Worte« und lässt die
ganze Partie als »Probe der eleganten Darstellung« wörtlich ab-
drucken. Ist es denn so schwer, hinter dem Tropus »Maria ist . . .
geworden« die eigentliche nüchterne Prosa zu erspähen?
Ist es ferner unrichtig, dass »der Christ des fünften Jahr¬
hunderts dasselbe Bild ,die Gottesgebärerin‘ hiess, welches von dem
XIV
Christen des zweiten Jahrhunderts einfach , Mutter Jesu‘ genannt
wurde?« Oder ist der Ausdruck -ö-eoToxoc etwa schon im zweiten
Jahrhundert allgemein gebräuchlich, oder vielmehr kommt er da über¬
haupt nur einmal ganz sicher vor?
Herr B. jedoch findet »in diesen Sätzen die Ausdrucksweise
neu ; sie verflacht das kirchliche Dogma zu sehr und bringt auf ge¬
fährliche Bahnen«. Herr B. ist hier offenbar zu ängstlich. Er kann
sich religiöse Vorstellungen wohl nur in der dogmatischen Schul¬
sprache verkörpert denken, freiere Wendungen, die im Garten anderer
Disciplinen gewachsen oder selbständig gestaltet sind, befremden und
erschrecken ihn. Und in diesem Schrecken hat er plötzlich vergessen,
was er im Anfang seiner Besprechung ganz objektiv gewürdigt hatte,
nämlich dass ich gar nicht beabsichtigte, die Geschichte der kirch¬
lichen Dogmen über die heilige Jungfrau darzustellen, sondern dass
ich die nach und nach auftauchenden Züge des Bildes sammeln und
ordnen wollte, unter welchem Maria in der künstlerischen Phantasie
der Christenheit ein von Tag zu Tag glorreicheres Leben zu leben
begann. Ich kann es daher nur als eine gelegentliche Digression
betrachten, wenn Herr B. sich über Dogmen und ihre richtige Be¬
handlung verbreitet, da mein Buch sich gar nicht erlauben will, in
die Dogmatik hineinzureden.
Die allgemeinen Sätze, mit denen Herr B. seine Bemängelungen
abschliesst, geben mir Gelegenheit, die principielle Verschiedenheit
meines Standpunktes geltend zu machen, darum lasse ich diese drei
Sätze auch abdrucken, obwohl sie sich nicht gegen irgend eine Partie
meines Buches kehren.
»Es liegt nicht bloss in der Aufgabe des theologischen, sondern
auch des archäologischen Standpunkts, das Christenthum als das
hinzunehmen, was es in Wahrheit und Wirklichkeit ist: als eine
göttliche Thatsache [wer wollte da widersprechen? bis hieher unter¬
schreibe ich jedes Wort], und man muss seine Lehrentwickelung
anders besprechen, als die Ausgestaltung eines philosophischen
Systems. Das muss heute um so mehr betont werden, je mehr
XV
Stimmen laut werden, welche die christlichen Alterthümer behandeln,
wie man mexikanische und indische Alterthümer und Phantastereien
vom sogenannten Standpunkt einer wissenschaftlichen Philosophie
der Geschichte aus bespricht. Der christliche Glaube ist eine zarte
Pflanze, die in solcher Luft nicht gedeiht, und ist ein so hohes
Gut, dass man nicht ohne Gefahr seine , Ausbildung4 in einer
Weise besprechen kann, welche für Gläubige und Ungläubige zu¬
gleich passen soll.«
Hat Herr B. hier ein bestimmtes philosophisches System oder
bestimmte philosophische Systeme im Auge, so hat er Recht; spricht
er aber im Allgemeinen, so hat er nicht Recht. Nach meiner Ueber-
zeugung vertragen die christlichen Alterthümer ganz dieselbe Behand¬
lung, wie andere Alterthümer, sogar wie »mexikanische und indische«,
vorausgesetzt, dass diese Behandlung eine wissenschaftlich ehrliche
und ernste ist; ja sie müssen diese Behandlung vertragen. »Der
christliche Glaube ist« allerdings von einem gewissen Gesichtspunkte
aus betrachtet eine »zarte Pflanze«, von einem andern Gesichtspunkte
aus angesehen ist er aber ein starker Baum, der schon manchen
Sturm der Kritik bestanden hat und der jeden Sturm der Kritik
bestehen muss. Eben die Göttlichkeit seiner Herkunft muss ihn vor
allen Anfechtungen zu schützen wissen. Man hat entschieden Un¬
recht, in ernsten, strengen wissenschaftlichen Untersuchungen, auch
wenn sie die rein philologisch-historische Methode befolgen, eine Ge¬
fahr für den Glauben zu erblicken; die Geschichte lehrt bekanntlich
in vielen Beispielen das Gegentheil. Allerdings wird durch die Wissen¬
schaft der Glaube nicht erworben, aber der vorhandene Glaube wird
durch die Wissenschaft allein nie verloren. »Scientia obiter libata
a Deo abducit sed profundius hausta ad eum reducit.« Mancher
Christ, der z. B. etwas mit Evangelienkritik zu spielen anfängt, wird
sich beunruhigt finden; da bleibt ihm denn nichts übrig, als solche
Studien mit allem Ernst und erschöpfend zu betreiben, um wieder
ins Gleichgewicht zu kommen. Kurz, ernste, strenge Wissenschaft,
welche allerdings »für Gläubige und Ungläubige zugleich passt«, kann
XVI
dem Gläubigen nicht schaden, sondern — wenn das subjektive Be¬
dürfnis einmal erwacht ist — nur nützen.
Diese principielle Verschiedenheit meines Standpunktes tiefer zu
begründen, ist hier freilich nicht der Ort; ich muss mich damit be¬
gnügen, sie constatirt zu haben.
Am Schlüsse der Recension kehrt Herr B. wieder zum anfäng¬
lichen Lobe zurück. »Wir sind weit entfernt, glauben zu machen,
dass einige bedenkliche Wendungen dem Buche Lehners seinen Werth
nehmen . . . Allen, welche sich für die Geschichte der Marienver-
ehrung interessiren, wird das treffliche Werk die besten Dienste leisten.
Sie werden mit uns dem Verfasser danken u. s. w.«
Der Verfasser kann darum dem Recensenten schliesslich eben¬
falls nur für seine Anzeige danken, und zwar auch für die Aus¬
stellungen , weil letztere die Gelegenheit zu den obigen Rückäusse¬
rungen vermittelten, durch welche hoffentlich manches Missverständnis
gehoben ist.
Und nun zu dem Vorwurf Herrn Hasenclevers (Protestantische
Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland 1882, Nr. 3): ich
hätte »über die Gründe, die innern treibenden Motive, welche im
geistigen und religiösen Leben der Christenheit zu der Ausbildung
des Marienkultus führten«, nur »gelegentlich« etwas mitgetheilt, und
»in dem Wenigen, was ich darüber anführe, einen Hauptpunkt über¬
sehen, nämlich die Einwirkung des Ethnicismus«.
Da muss ich denn zunächst bemerken, dass ich mir nicht denken
kann , was Herr H. unter diesen fehlenden »Gründen und innern
treibenden Motiven« versteht oder verstanden wissen will, nachdem
ich überzeugt war und bin, all dieses in meinem Buche ausführlich
dargelegt zu haben. Wenigstens habe ich von weitern Gründen und
Motiven keine Spur entdeckt. Dann aber kann ich nicht glauben,
dass ich den von Herrn H. so genannten Hauptpunkt bei meinen
Studien übersehen haben sollte. Bevor ich nämlich an die alten
Quellen kam , hatte ich eine ziemliche Anzahl von Schriften über
Maria durchgenommen, unter andern z. B. »Zur Geschichte der
XVII
Marienverehrung u. s. w. von K. F. Klöden, Direktor u. s. w.«
(Berlin 1840), einem Gonfessionsgenossen , sodann »Versuch einer
Geschichte des Marien- und Annenkultus von Gl. Frantz, Pastor zu
Rüdigershagen und Zaunröden« (Halberstadt 1854), einem Amts¬
bruder des Herrn Recensenten u. s. w. Diese beiden Verfasser —
sowie manche andere — behaupten, dass Grund und Ursprung
des Marienkultus bei den antiken Göttinnen »Astarte«, »Venus Ana-
dyomene«, »Venus Urania« (Klöden S. 5 ff.), »Isis und Gybele«
»Demeter und Juno, Melecheth und Astarte, Freyja und Nerthus«
(Frantz S. 6) zu suchen sei. Ich hatte mir dieses scharf gemerkt,
als ich die Quellen zu durchforschen begann , denn es kam mir
nicht so unwahrscheinlich vor, dass mancher Zug von einem oder
dem andern antiken Kunstideal auf das christliche übertragen wor¬
den sei. Allein ich konnte nichts finden ausser dem , was ich
auf S. 340 meines Buches angegeben habe — ein paar Analogien.
Namentlich von einem Einfluss des antiken Heidenthums auf Ent¬
stehung und Ausbildung des innern Bildes, der religiösen Vorstellung,
überhaupt von einer Befruchtung der christlich-religiösen Phantasie
durch ein antikes Phantasiegebilde konnte ich für meinen Gegenstand
nichts auftreiben; und ich darf mir das Zeugniss geben, bei meinen
Quellenstudien nicht oberflächlich verfahren zu sein. Ich muss daher
die Ansicht des Herrn H. insolange als Hypothese betrachten, bis
der Beweis dafür beigebracht ist.
»Es ist doch klar,« fährt Herr H. fort, »dass bei der kirchlichen
Ausgestaltung der ganzen Heiligen- und Marienverehrung der unwill¬
kürliche Drang eines gewissen polytheistischen Bedürfnisses eine
Hauptrolle spielte.«
Klar ist dies erst dann, wenn es erwiesen ist. Was Herr II.
nach Hase (Polemik, 4. Auf!., S. 310) ein »polytheistisches Bedürf¬
nis« nennt, das nenne z. B. ich ein allgemein menschliches
Bedürfniss und finde dasselbe bei den alten Christen befriedigt in
dem specifischen Andenken, das sie ihren Todten widmeten, worüber
S. 183 ff. meines Buches nachzusehen ist. Herr H. hat Hase’s
1
XVIII
Polemik, auf die er sich eingangs seiner Recension beruft, offenbar
nicht ganz gelesen , sonst müsste er gefunden haben , dass dieser
Gelehrte, von dem er sagt, dass er unter den Protestanten das Beste
über den Marienkultus geschrieben habe, den Ursprung der Heiligen¬
verehrung in ganz ähnlicher Weise ableitet wie ich. Hase beginnt
nämlich (Polemik, 4. Aufl., S. 296) seinen Abschnitt »C. Heilige«
mit den Worten: »Ein langer Zug von Heiligen ist aus dem Kloster
hervorgegangen, doch sind sie älteren Datums, die Heroen der Kirche.
Ihre Verehrung ist volksthümlich entstanden, indem das Andenken
eines geliebten Menschen, der als ein Blutzeuge Christi gestorben
war, in seiner Gemeinde heilig gehalten wurde u. s. w.« — Ganz
meine Ueberzeugung.
Im Weiteren entwickelt Herr Hasenclever sodann seine Theorie
der Entstehung des Heiligenkultus in der katholischen Kirche und
polemisirt gegen diesen Kultus. Ich kann ihm hierin zwar nicht
beistimmen, denn meine Studien führten mich zu andern Resultaten,
aber ich habe ihm nicht auf dieses Feld zu folgen, da seine Aus¬
lassungen sich nicht mit meinem Buche beschäftigen, welches ja
keine Apologie des Marien- und Heiligenkultus ist. Nur im Vorbei¬
gehen möchte ich ihn aufmerksam darauf machen, dass Hase in dem
antiken Heroenkultus, sowie in dem modernen »Kultus des Genius«
analoge Erscheinungen zu der katholischen Heiligenverehrung findet
(S. 310 u. 312). Diese Analoga sind zwar mit allen Gebrechen der
»Analogie« behaftet, aber entschieden näherliegend, als die Hypo¬
thesen Hasenclevers. Auch von »Uebertreibungen« unseres modernsten
Kultus bringen ja die Zeitungen jeden Tag Berichte. Ich empfehle
Herrn H. zu seiner Erheiterung die Lektüre des hübschen Aufsatzes
»Ein Knopf von Goethe« in den »Grenzboten« 1885, Nr. 35. Viel¬
leicht gibt ihm eine ruhige Betrachtung der modernsten Auswüchse
einer an sich berechtigten Empfindung den Schlüssel für so manche
ihm anstössige Erscheinungen auf dem Gebiete des volksthümlichen
Heiligenkultes. Homines sumus !
Nach dieser Abschweifung will Herr II. wenigstens einen Be-
<
r
XIX
weis bringen, dass mir der Einfluss des Heiden thums auf den Marien¬
kultus entgangen sei.
»Einen solchen Einfluss,« sagt er, »hat — um einiges (einiges?)
Einzelne zu erwähnen — der Verfasser sogar bei der Sekte der
Kollyridianerinnen übersehen, bei welcher es doch ganz unzweifelhaft
ist, dass die bei den Thesmophorien der Ceres üblichen Brotkuchen
in solche der Jungfrau Maria umgewandelt wurden.«
Ich sage S. 200 meines Buches über diese Ketzerinnen: »Man
hat verschiedene Vermuthungen über Ursprung und Wesen der Sekte
geäussert, man meint, die Frauen seien neubekehrte Heidinnen ge¬
wesen und hätten vielleicht den Dienst der , grossen Göttin der
Syrer4 oder einer ähnlichen weiblichen Gottheit auf Maria
übertragen, oder u. s. w.«
Will Herr H. das Fehlen des Namens der Demeter an dieser
Stelle wirklich im Ernste als »Uebersehen« im obigen Sinne aufrecht¬
halten? — — Zudem ist ja durchaus nicht »ganz unzweifelhaft«,
dass die Brotkuchen der Demeter hier zu suchen sind; Confessions-
genossen und Amtsbrüder des Herrn H. ziehen die Kuchen der Me-
lecheth des Himmels, der Magna Dea, der Cybele vor, wie z. B.
Augusti und der obengenannte Frantz. — Allein was hat überhaupt
die ganze Sekte der Kollyridianerinnen mit der Entwickelung des
Marienkultus zu thun? Ueber nichts, was ich vor den Quellenstudien
für einigermassen bedeutsam hielt, wurde ich so enttäuscht als über
diese Frauen. Im ganzen Alterthum lässt sich nichts über sie finden,
als was Epiphanius mittheilt. Und was hieraus zu gewinnen ist,
kann in meinem Buch S. 199 ff. nachgelesen werden. Der Amts¬
bruder des Herrn H., Herr Frantz, meint sogar, »die guten Frauen
hätten sich nur einen geselligen Spass gemacht, bei welchem mehr
geschwatzt und gelacht als gedacht und gebetet« wurde (S. 26),
und der »Kirchenvater Epiphanius habe wahrscheinlich die Sache zu
ernst genommen«. Nun, das negative Verdienst wenigstens lässt sich
ihnen nicht absprechen, dass sie dem Epiphanius Gelegenheit gaben, die
kirchliche Marienverehrung ihnen gegenüber scharf zu charakterisiren.
XX
Ausser diesem Hauptvorwurf, ich hätte den Einfluss des Heiden¬
thums übersehen, macht Herr H. noch einige kleinere Ausstellungen.
So sagt er, ich »verfechte« die Ansicht, die Trapö-svo«] 7cav7]Yoptc (das
Jungfrauenfest) des Proklus sei das Verkündigungsfest gewesen. Das
ist zu viel gesagt, ich verfechte dieses nicht, sondern halte es bloss
für wahrscheinlich, wie manche protestantische Gelehrte vor mir,
z. B. Augusti. Schliesslich aber sage ich: »die Frage muss offen
gelassen werden« (S. 214).
Gleich nachher findet Herr H. meine »Uebersetzung der calices
des Tertullian mit Messkelchen (S. 284) nur dadurch begreiflich,
dass ich mein katholisches Gemüth doch nicht ganz verleugnen könne,
was bei einem solchen Gegenstand billigerweise auch niemand ver¬
langen werde. Im Ganzen habe ich mich ja unzweifelhaft einer an¬
erkenn enswerthen confessionellen Vorurtheilslosigkeit befleissigt«.
Da muss ich nun zugeben, dass mir mit der Gorrectur ganz
recht geschieht, obwohl ich eigentlich nicht »übersetzen« wollte, sonst
hätte ich wahrhaftig »Kelche« gesagt. Aber warum nahm ich den
modernen Ausdruck! In ähnlicherWeise habe ich mich von einem
andern Kritiker belehren lassen müssen, dass es im fünften Jahr¬
hundert noch keine »Pfarrer« gegeben habe (S. 75). Dass aber der
Herr Recensent meine confessionelle Vorurtheilslosigkeit lobt, das
habe ich nicht verdient. Ich hatte mich der Illusion hingegeben, so
recht kugelfest auf dem Boden der archäologischen Wissenschaft zu
stehen, ich dachte meine Arbeit allen confessionellen Gesichtswinkeln
durch meine Methode entzogen zu haben, und nun muss ich mich
dennoch ob meiner confessionellen Vorurtheilslosigkeit loben lassen.
Das wäre bitter, wenn es nicht von einem Kritiker ausginge, der
offenbar nicht auf dem Standpunkt confessioneller Vorurtheilslosig¬
keit steht. Beinahe verletzend aber ist es, dass Herr H. anzunehmen
scheint, ich hätte mein »katholisches Gemüth« eigentlich verleugnen
wollen, es sei mir aber nur nicht ganz gelungen. Nein, mein »katho¬
lisches Gemüth« zu verleugnen war nicht meine Absicht, sondern —
nicht ohne Unterstützung durch mein »katholisches Gemüth« — die
XXI
geschichtliche Wahrheit darzustellen. Was ich hierbei schlecht ge¬
macht haben sollte, ist höchstens meinem Mangel an Wissen oder
meiner Ungeschicklichkeit, nicht aber meinem »katholischen Gemüthe«
aufs Kerbholz zu setzen. Doch die beinahe verletzende Bemerkung
verliert ihren Stachel durch die höchst gemüthliche Enthüllung der
Erwartungen, die der Herr Recensent von einem »katholischen Ge¬
müthe« eigentlich hegt. Wenn er nämlich die Verleugnung des
»katholischen Gemüths« bei einem »solchen Gegenstand« nicht
verlangt, so verlangt er sie offenbar bei andern Gegenständen. Kurz,
das »katholische Gemüth« hat für den Herrn Recensenten eigentlich
kein Existenzrecht, nur in Ausnahmefällen kann ihm ein Lebens¬
zeichen nachgesehen werden. — Und nun noch einmal zu den be¬
sagten »calices« zurück! Warum »übersetzt« denn Herr H. in
seinem Buche »Der altchristliche Gräberschmuck« (Braunschweig
1886.) auf S. 118 ebendieselbigen »calices« des Tertullian mit »Abend¬
mahlskelche«? Thut er da etwas Anderes, als dass er einen ihm
geläufigen modernen Ausdruck nimmt, der ganz mit demselben Fehler
wie meine »Messkelche« behaftet ist, dass er nämlich nicht bloss
übersetzt, sondern paraphrasirt ? — Ist das mit gleichem Masse
gemessen ?
In summa: man sieht, Herr Hasenclever »befleissigt sich«, wie
schon oben bemerkt, nicht »einer anerkennenswerthen confessionellen
Vorurtheilslosigkeit«.
Schliesslich will ich nur noch kurz erwähnen, dass das von dem
Herrn Recensenten mit Anführungszeichen versehene, also ihm auf¬
fällige, Adjektiv »strittig« von Goethe gebraucht wird, um von andern
zu schweigen (Sanders II, 1240); dass die Gemälde Nr. 3, 18, 19
auf meinen Tafeln für mich immer noch eher Marienbilder sind als
nicht; und dass seine Erklärung einiger Katakombendarstellungen
am Schlüsse seiner Recension allerdings dem confessionellen Stand¬
punkt entspricht, welchen er einnimmt.
Es mögen nun in dieser Vorrede noch einige von den Notizen
Platz finden, die ich mir seit dem Erscheinen des Buches im Interesse
XXII
desselben gemacht habe. Anderes, Wichtigeres ist in den Context
selbst aufgenommen.
S. 5, Anm. 4. Schanz, Gommentar über das Evangelium des
Lukas, Tübingen 1883; S. 173 sagt: »Heliakim« könne nicht in
»,Heli« abgekürzt werden, Heliakim sei = □W7X, Heli (Eli)
I • t • •:
aber = >7^.
S. 7, Z. 13 v. o. ist zwischen »wollen« und »so« zu setzen:
wobei wir vorderhand von Allem absehen, was verschiedene Deu¬
tungen erfahren hat.
S. 15. Von der Anm. 2 ist die dritte Zeile zu streichen.
S. 35, Z. 5 v. o. ist statt »Jahr 320« zu lesen: ersten Viertel
des vierten Jahrhunderts.
S. 39 unten. Ueber die Disputation des Archelaus mit Manes
\
s. Harnack, Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchrist¬
lichen Literatur, Leipzig 1883, Bd. I, H. 3, S. 137, bes. Anm. 1 u. 3.
S. 62, Anm. 5. Es muss hier vom zweiten Satz an so heissen:
Wäre der Gebrauch dieses Wortes das einzige Bedenken gegen seine
Aechtheit, so hätten wir gar keines dagegen, denn wie Paul von Samo-
sata den Ausdruck von den Orthodoxen herausforderte, kann nie¬
manden entgehen. Zudem findet sich das Wort vereinzelt auch sonst,
wie bei Origenes (nach Sokrates VII, 32), bei Hippolytus (Routh,
Reliq. s. II, 332, ed. II.), ja vielleicht schon bei dem christlichen
Philosophen Aristides zu Hadrians Zeiten (Arist. serm. duo, Venet.
Mechit. 1878, S. 9). Vgl. Nirschl, Patrologie I, S. 345, Anm. 5.
S. 75, Z. 20 v. o. muss es statt »der vielleicht aus dem vorigen
Jahrhundert stammt« heissen: der zwar schon früher vereinzelt sich
vorfindet.
S. 109, Z. 3 v. u. ist statt Jakobus zu lesen Petrus.
S. 112, Z. 6 v. o. Schegg (Jakobus, der Bruder des Herrn,
München 1883) bestreitet die Identität von Alphäus und Kleophas;
jenes sei semitisch, dieses griechisch (KXsÖ7caTpo? verkürzt KXcoTrä?).
Er führt aus, dass Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Jakobus,
der Bruder des Herrn, zwei verschiedene Personen seien.
XXIII
S. 129, Anm. 3. Anstatt »spätestens aus dem Ende« muss es
heissen: aus dem Anfang.
S. 200, Z. 12 v. o. ist Herrn Hasenclever zuliebe (s. oben) nach
»Göttin der Syrer« einzurücken: oder der Demeter.
S. 265, S. 8 v. u.; S. 283, Z. 1 v. o.; S. 336 Z. 9 v. u. An
diesen drei Stellen ist von dem Dittochäon des Prudentius die Rede.
Dr. Th. Hach (Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft u. s. w. von
Dr. Luthardt 1885, H. VII) bestreitet, dass die Vierzeilen des
Buches Dittochäon »poetische Bildererklärungen« seien, er hält die¬
selben »für eine Zusammenfassung der gewöhnlich in Verehrung be¬
suchten Stätten, und zwar in chronologischer, nicht in topographischer
Reihenfolge, um denen , wTelche das heilige Land besuchen wollten,
eine Uebersicht dessen zu geben, was sie zu erwarten hätten«. (?)
S. 297. Die Ueberschrift von Nr. 18 muss heissen: Fresko¬
gemälde in dem Coemeterium Ostrianum und hiernach ist auch S. 341,
Z. 6 v. u. zu verbessern.
S. 331. Bei Nr. 87 ist nach »den Pyxen von Werden und
Hannover« zu setzen : sowie den Buchdeckel der Handschrift 65. f.
auf der Würzburger Universitätsbibliothek mit der Hochzeit zu Cana.
S. Stamminger, Literar. Rundschau, Freiburg i. B. 1884, Nr. 2.
Von ausländischen Sammlungen wäre auf das Elfenbein im
Museum zu Nevers aufmerksam zu machen, welches Barbier de Mon-
tault im »Bulletin monumental« bekannt gemacht hat. Es zeigt die
Nativitas und die Epiphanie und wird dem vierten bis fünften Jahr¬
hundert zugeschrieben. S. Repertor. für Kunstwissenschaft von Jani-
tschek, Bd. IX, H. 2, S. 218 (Kraus).
Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch auf einige unedirte
Sarkophagreliefs aus dem vierten und fünften Jahrhundert mit Dar¬
stellungen der heiligen Jungfrau, die mir seither bekannt geworden sind,
kurz hin weisen. Es sind dies die Nummern 80 (Maria, auf einem
Bette liegend, mit dem Kinde in den Armen, empfängt die Magier),
95, 111, 156, 165, 189 (immer der Magierbesuch) bei R. Grousset,
Etüde sur l’histoire des sarcophages chretiens, Paris 1885. Sehr
XXIV
interessant ist das in Karthago gefundene, etwa dem vierten Jahr¬
hundert angehörende Relieffragment: Maria mit dem Kinde auf dem
Schoss auf einem Throne sitzend, vor ihr ein geflügelter Engel, hinter
dem Thron eine andere Figur, bei Rossi, Bulletino, serie IV, anno 3,
Nr. I, S. 49 und Tav. I u. II, Roma 1884 — 85.
Sonst habe ich bis jetzt an meinem Inventarium der Marien¬
darstellungen nichts Wesentliches zu ändern gefunden. Auch Viktor
Schultze’s Bemerkungen (»Die Katakomben«, Leipzig 1882, S. 156)
brachten nichts Neues. Meine Nummer 69 erklärt er hier für früh¬
mittelalterlich, während er dieselbe in seinen »Archäologischen Stu¬
dien« unter Nr. 28 für altchristlich hält. Sein Inventar mit 41 Num¬
mern, das er für richtiger als das meinige mit 87 Nummern ausgibt,
muss er noch um eine Nummer verringern, denn seine Nummern 14
und 32 beziehen sich auf ein und dasselbe Monument, was ich bei
meiner Nummer 59 schon in der ersten Auflage unauffällig corrigirt
habe. Dass Schultze zur Erklärung des spätestens aus dem zweiten
Jahrhundert stammenden Bildes in St.Priscilla (Nr. 1 des Verzeichnisses)
einen Hymnus des heiligen Ephräm aus dem vierten Jahrhundert herbei¬
zieht (»Katakomben«, S. 151 und 152), finde ich nicht consequent.
Denn in seiner Recension meines Buchs (Theol. Literaturzeitung von
Harnack und Schürer 1882, Nr. 15) verübelt er es dem Prof. Springer,
dass er zur Erklärung des Wandbildes im Goemeterium Ostrianum
(Nr. 18 des Verzeichnisses) »frühmittelalterliche Bilder gleicher Aus¬
gestaltung«, die zwei Jahrhunderte später entstanden seien, herbei¬
gezogen habe.
Was Dr. Hach über »die Darstellungen der Verkündigung Mariä
im christlichen Alterthum« in Luthardts Zeitschrift 1. 1. ausführt,
hat mich noch nicht überzeugt, dass Nr. 4 meines Inventars kein
Verkündigungsbild ist. Ebensowenig ist meine Vermuthung erschüttert,
dass das Verkündigungsfest das älteste Marienfest sein dürfte; denn
die »Dekrete« des Concils von Nicäa (anno 325), worin »der dies
Cereorum sive purificationis, also Lichtmess, bereits als ein dies
festus, als kirchlicher Feiertag, aufgeführt erscheint, womit zugleich
XXV
die öfter aufgestellte Behauptung, das Verkündigungsfest sei das
älteste Marienfest, widerlegt ist« (Mansi, Conc. Coli., t. II, col. 1034
wird von Herrn H. citirt), — diese »Dekrete« sind entschieden nach-
nicänischen Ursprungs. Die Stelle, welche Herr H. anzieht, stammt aus
den unächten arabischen Constitutionen der Synode von Nicäa, von
denen Hefele (Conc.-Gesch., 2. Aufl., I, 366 ff.) handelt.
S. 338. In der Anmerkung ist anstatt »letzten Bänden« zu
lesen: Band XXI ff.
In den »Theologischen Studien und Kritiken« von Köstlin und
Riehm (1886, 1. u. 2. Heft) findet sich eine längere Abhandlung von
Prof. Karl Benrath »Zur Geschichte der Marienverehrung«. S. 21,
Anm. 1, 2, 3 wird mein Buch, das anfänglich im Context beim
Ueberblick über die Literatur gänzlich ignorirt wird, während der
Verfasser sich die Mühe nimmt, gegen Autoren des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts zu polemisiren, doch noch im Vorbeigehen
citirt: »nach v. Lehner, Marienverehrung, dessen fleissige Zusammen¬
stellung ich mehrfach benützt habe«. Ich muss dem Herrn Verfasser
das Zeugniss geben, dass diese »Benützung« für den Zeitraum, welchen
mein Buch umfasst, in der That eine »mehrfache« gewesen ist. Dass
ihm aber aus demselben Material andere Resultate erwachsen, als
mir, ist selbstverständlich.
Sigmaringen, Mariä Himmelfahrt 1886.
Der Verfasser.
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I
Einleitung.
Die Elemente des Marienkultus finden sich in den Erzählungen
des Neuen Testamentes, in welchen Maria aktiv oder passiv eine
Rolle spielt. Von diesen Erzählungen ist nicht bloss der Inhalt,
sondern auch die Form bedeutungsvoll. Zugleich besteht das, was
sich aus den ersten Jahrhunderten von andern Schriften, die zur
Beleuchtung unserer Frage beitragen, erhalten hat, zu einem guten
Theil aus verschiedenartigen Erläuterungen und Erweiterungen der
betreffenden biblischen Stellen. Darum empfiehlt es sich, diese Stellen,
wenn auch allgemeine Bekanntschaft mit ihnen vorausgesetzt wird,
wörtlich auszuheben.
Matthäus zunächst berichtet I, 18 — 25: »Mit der Geburt Jesu
Christi ging es also zu: Als seine Mutter Maria dem Joseph verlobt
war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war
von dem heiligen Geiste. Joseph aber, ihr Mann, weil er gerecht war
und sie nicht der Schande preisgeben wollte, gedachte sie heimlich
zn entlassen. Indem er aber mit diesem Gedanken umging, siehe,
da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traume und sprach: Joseph,
Sohn Davids, scheue dich nicht, Maria, dein Weib zu dir zu nehmen,
denn was in ihr gezeugt ist, das ist vom heiligen Geiste. Sie wird
aber einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus heissen ;
denn er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden. Diess Alles
aber ist geschehen, auf dass erfüllet würde, was von dem Herrn
gesagt worden durch den Propheten, der da spricht: Siehe, die
Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie
werden seinen Namen Emmanuel heissen, welches verdolmetschet ist:
Lehn er, Die Marienverehrung. 1
2
Gott mit uns 1). Als nun Joseph vom Schlafe erwacht war, that
er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte und nahm sein Weib
zu sich. Und er erkannte sie nicht, bis sie ihren erstgeborenen
Sohn gebar2), und er nannte seinen Namen Jesus.«
Im zweiten Kapitel des Matthäus ist ebenfalls noch etliche Mal
von Maria die Rede. Die Magier, von ihrem Stern geleitet, »gingen
in das Haus und sahen das Kind mit Maria seiner Mutter«, v. 11.
Nach der Abreise der Magier befiehlt der Engel dem Joseph: »Steh auf,
nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Aegypten«, v. 13.
Joseph vollzieht den Befehl, »nahm das Kind und seine Mutter bei
Nacht und zog fort nach Aegypten«, v. 14, das er später auf Engels
Befehl wieder verlässt, indem er »das Kind und seine Mutter« nimmt,
in das Land Israel zurückkehrt und zu Nazareth sich niederlässt.
Ausserdem erwähnt Matthäus nur noch zweimal der Mutter des
Herrn. Einmal XII, 46 — 50. »Als er noch zu dem Volke redete,
siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draussen und suchten
mit ihm zu reden. Da sprach Einer zu ihm: Siehe, deine Mutter
und deine Brüder stehen draussen und suchen dich. Er aber ant¬
wortete und sprach zu dem, der es ihm sagte: Wer ist meine Mutter,
und welche sind meine Brüder? Und er streckte die Hand aus über
seine Jünger und sprach: Siehe da meine Mutter und meine Brüder.
Denn wer immer den Willen meines Vaters thut, der im Himmel
ist, derselbe ist mir Bruder, Schwester und Mutter.« Das andere
Mal XIII, 55, 56. »Ist nicht dieser des Zimmermanns Sohn? Heisst
nicht seine Mutter Maria, und seine Brüder Jakob, Joseph, Simon
und Judas? Und sind nicht seine Schwestern alle bei uns?«
Die beiden zuletzt angeführten Stellen finden sich nahezu gleich¬
lautend auch bei Markus III, 31 — 35 und VI, 3, der sonst nichts
über die Mutter Jesu beibringt. Worin sich in der erstem Stelle
der zweite Evangelist vom ersten unterscheidet, ist für unsere Frage
nicht von Belang, mit Ausnahme des Anfangs: »Nun kamen seine
Mutter und seine Brüder und blieben draussen stehen und schickten
zu ihm hinein und Hessen ihn rufen . . . .« Interessanter ist der
kleine Unterschied des Anfangs der zweiten Stelle: »Ist das nicht der
Zimmermann, der Sohn der Maria und Bruder des Jakobus u. s. w.«
Lukas, der »Allem genau von seinem Ursprünge an nachge-
0 Is. VII, 14.
2) »bis sie einen Sohn gebar« nach dem Cod. Sinait.
3
forscht« *) hat, tritt ergänzend auf. Nachdem er die Verkündigung
Johannes des Täufers und was damit zusammenhängt, erzählt hat,
fährt er I, 20—56 also fort: »Im sechsten Monat (der Schwanger¬
schaft Elisabeths) wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine
Stadt in Galiläa, mit Namen Nazareth, zu einer Jungfrau, die einem
Manne vom Hause Davids verlobt war, welcher Joseph hiess; und
der Name der Jungfrau war Maria. Und der Engel kam zu ihr
hinein und sprach: Gegrüsst seist du Gnadenvolle, der Herr ist mit
dir, Gebenedeite unter den Weibern! Da sie diess hörte, erschrack
sie über seine Rede und dachte nach, was das für ein Gruss sei.
Und der Engel sprach zu ihr: fürchte dich nicht, Maria; denn du
hast Gnade gefunden bei Gott. Siehe, du wirst empfangen in deinem
Leibe und einen Sohn gebären, und du wirst seinen Namen Jesus
heissen. Dieser wird gross sein und Sohn des Höchsten genannt
werden, und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David
geben, und er wird herrschen über das Haus Jakobs ewiglich, und
seines Reiches wird kein Ende sein. Maria aber sprach zu dem
Engel: wie wird dieses geschehen, da ich keinen Mann erkenne?
Der Engel antwortete und sprach zu ihr: der heilige Geist wird über
dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten;
darum wird auch das Heilige, welches geboren wird, Sohn Gottes
genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, auch diese
hat einen Sohn in ihrem Alter empfangen, und sie, die unfruchtbar
heisst, geht nun schon im sechsten Monate; denn bei Gott ist kein
Ding unmöglich. Maria aber sprach: siehe, ich bin eine Magd des
Herrn; mir geschehe nach deinem Worte. Und der Engel schied
von ihr. Maria aber machte sich auf in jenen Tagen und ging
eilends auf das Gebirge in eine Stadt Juda. Und sie kam in das Haus
des Zacharias und grüsste Elisabeth. Und es begab sich, als Elisa¬
beth den Gruss Mariens hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe auf.
Und Elisabeth ward erfüllet von dem heiligen Geiste, und sie rief
mit lauter Stimme und sprach: gebenedeit bist du unter den Weibern
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Und woher geschieht
mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe,
als die Stimme deines Grusses zu meinen Ohren kam , hüpfte das
Kind vor Freuden in meinem Leibe. Und selig bist du, dass du
geglaubt hast, denn was dir von dem Herrn gesagt worden ist, wird
’) Luc. 1, 3.
4
in Erfüllung gehen. Und Maria sprach : Hoch preiset meine Seele
den Herrn, und mein Geist frohlocket in Gott, meinem Heilande,
denn er hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd. Denn -siehe,
von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter, denn Grosses
hat an mir gethan der Mächtige. Und heilig ist sein Name, und
seine Barmherzigkeit währet von Geschlechte zu Geschlecht für die,
so ihn fürchten. Er übet Gewalt mit seinem Arm, zerstreut, die
da hoffärtig sind in ihres Herzens Sinne; die Gewaltigen stürzt er
von den Thronen und erhöhet die Niedrigen, die Hungrigen erfüllt
er mit Gütern , die Reichen lässt er leer ausgehen. Er nimmt sich
Israels an, seines Knechtes, eingedenk seiner Barmherzigkeit, wie er
zu unsern Vätern gesprochen hat, zu Abraham und seinem Samen
auf ewig. — Maria blieb bei ihr ungefähr drei Monate, und kehrte
dann zurück in ihr Haus.«
Diesem Berichte von der »Verkündigung« und »Heimsuchung«
folgt II, 1 — 7 die Erzählung von der Geburt Jesu. »Es geschah in
jenen Tagen, dass vom Kaiser Augustus ein Befehl ausging, die
ganze Welt aufzuzeichnen. Diese erste Aufzeichnung geschah unter
Cyrinus, dem Statthalter von Syrien. Und alle gingen hin, um sich
aufschreiben zu lassen, ein jeder in seine Stadt. Und es ging auch
Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die
Stadt Davids, welche Bethlehem heisst, weil er aus dem Hause und Ge¬
schlechte Davids war, um mit Maria, seiner Verlobten, welche schwanger
war, sich aufschreiben zu lassen. Es begab sich aber, als sie da¬
selbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte, und sie gebar
ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in
eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.« Das
frohe Ereigniss wird durch Engels Mund benachbarten Hirten ver¬
kündigt, diese kommen herbei und »fanden Maria und Joseph und
das Kind, das in der Krippe lag«, v. 16. Sie erzählen, was sie
hergetrieben, »alle, die es hörten, verwunderten sich«, v. 18. »Maria
aber behielt alle diese Worte und überlegte sie in ihrem Herzen«,
v. 19. »Und da die Tage ihrer x) Reinigung nach dem Gesetze
Mosis erfüllt waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem
Herrn darzustellen, wie geschrieben steht im Gesetze des Herrn: alles
Männliche, welches den Mutterschooss öffnet, soll dem Herrn geheiligt
9 »ihrer« kann Genit. sing, oder plur. sein. Das Griechische hat aüxtüv
(andere Handschriften a5rrj<;), die Vulg. hat eius.
werden *), und um ein Opfer darzubringen , wie es im Gesetze des
Herrn geboten ist, ein paar Turteltauben oder zwei junge Tauben« * 2),
v. 22 — 24. Auf Antrieb des Geistes war Simeon in den Tempel
gekommen, und nachdem er den »Trost Israels« auf den Armen
getragen und Gott gepriesen, wendet er sich auch zu Maria, die wie
Joseph über all das sich verwundert : »Siehe, dieser ist gesetzt zum
Falle und zur Auferstehung Vieler in Israel, und als Zeichen, dem
man widersprechen wird. Und ein Schwert wird deine eigene Seele
durchdringen, damit die Gedanken vieler Herzen offenbar werden«,
v. 34. 35. »Und da sie Alles nach dem Gesetze des Herrn vollendet
hatten, kehrten sie nach Galiläa zurück in ihre Stadt Nazareth. Das
Kind aber wuchs, ward stark, war voll Weisheit, und die Gnade
Gottes war in ihm. Und es gingen seine Eltern alle Jahre nach
Jerusalem auf das Osterfest«, v. 39 — 41, verlieren bei einer solchen
Gelegenheit den zwölfjährigen Jesus und »wundern« sich, ihn lehrend
im Tempel zu finden, »und seine Mutter sprach zu ihm: Kind, warum
hast du uns das gethan? Siehe, dein Vater und ich haben dich
mit Schmerzen gesucht«, v. 48. — Seine Antwort »verstanden sie nicht«,
v. 50. »Und er zog mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und
war ihnen unterthan. Und seine Mutter bewahrte alle diese Worte
in ihrem Herzen«, v. 51.
Das Geschlechtsregister im dritten Kapitel des Lukas wird von
einer Reihe Erklärer als Stammbaum Mariä gedeutet, indem sie
folgendem! assen übersetzen: »Und Jesus war anfangend zu predigen
gegen clreissig Jahre alt, seiend Sohn (wie man meinte: Josephs)
des Heli, des Matthat, des Levi .... des Nathan, des David
des Adam, Gottes.« So verstanden zählt diese Stammtafel (ausser
dem himmlischen) alle irdischen »Väter« Jesu bis auf Adam zurück
auf und der dem Heiland zunächststehende ist sein Grossvater, der
Vater seiner Mutter, Heli. Zu Gunsten dieser Interpretation lässt
sich anführen , dass allerdings auch im Thalmud von Jerusalem 3)
Marias Vater Heli genannt wird und dass sein traditioneller Name
Joachim oder Joakim gleichbedeutend mit Heliakim 4), abgekürzt
Heli, ist.
0 II. Mos. XIII, 1. 2.
2) III. Mos. XII, 8.
3) C.hagig fol. 77, n. 4.
4) Vgl. Buch Judith IV, 11 und XV, 9. Beides bedeutet: »Gotthelf«.
6
Luk. YTIII, 19 — 21 führt dieselbe Scene vor, wie Matth. XII,
46 — 50 und Mark. III, 31 — 35. Siehe oben.
Auf Maria bezieht sich auch noch XI, 27. »Es geschah aber,
als er dieses redete, erhob ein Weib aus dem Volke ihre Stimme
und sprach zu ihm: selig ist der Leib, der dich getragen hat, und
die Brüste, die du gesogen hast.«
Der vierte Evangelist, Johannes, führt die heilige Jungfrau zwei¬
mal ein. Zuerst II, 1 — 5. »Am dritten Tage ward eine Hochzeit
gehalten zu Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war dabei. Auch
Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit geladen. Und da es am
Wein gebrach, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen
Wein. Jesus aber sprach zu ihr: Weib, was habe ich mit dir zu
schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Da sagte seine
Mutter zu den Dienern: Was er euch sagt, das thuet.« Nach der
Erzählung des Wunders fährt Johannes fort : Darnach ging er hinab
nach Kapharnaum, er, seine Mutter, seine Brüder und seine Jünger,
und sie blieben daselbst nur wenige Tage«, v. 12.
Die andere Stelle ist XIX, 25 — 27. »Es standen bei dem Kreuze
Jesu seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau
des Kleophas, und Maria Magdalena. Da nun Jesus seine Mutter
und den Jünger, den er liebte, stehen sah, sprach er zu seiner Mutter:
Weib, siehe, dein Sohn! Hierauf sprach er zu dem Jünger: siehe, deine
Mutter! Und von derselben Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.«
Die Apostelgeschichte gedenkt nur einmal der Mutter des Herrn.
Es werden die Personen aufgezählt, die nach der Himmelfahrt Christi
in einem Hause zu Jerusalem beisammenblieben und dann wird I, 14
fortgefahren: »diese alle beharrten einmüthig im Gebete sammt den
Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und sammt seinen Brüdern.«
Aus dem Galaterbrief ist die Stelle IV, 4 anzumerken: »Gott
sandte seinen Sohn, geworden aus einem Weibe.«
Das apokalyptische Weib *) endlich wird dann erst zur Sprache
kommen, wenn es auf Maria bezogen wird.
Diess ist das gesammte biblische Material. Die Kirche nimmt
dasselbe als Geschichte und legt sich die Abweichungen der ver¬
schiedenen Berichterstatter, sowie die scheinbaren oder wirklichen
Widersprüche gläubig zurecht. Die Kritik betrachtet namentlich die
Kindheitsgeschichte Jesu als Sage und erkennt in den Varianten
9 Apoc. XII, 1 ff.
7
verschiedene Ausgestaltungen der Phantasie, ßaronius l), Natalis
Alexander 2), Tillemont 3) (die beiden letzteren mit grosser Vorsicht),
haben auf Grundlage dieses Materials in Verbindung mit andern
mehr oder minder verdächtigen Quellen den Versuch gemacht, gewisse
biographische Daten in Betreff Mariens zu fixiren. Viele andere, vor
und nach ihnen, haben dasselbe gethan. Auch die neuere Kritik
hat aus dem »sagenhaften« Stoff den geschichtlichen Kern heraus¬
zuschälen unternommen. Beide Bestrebungen berühren unsere Auf¬
gabe nicht. Die historische Existenz der Persönlichkeit Mariens liegt
hinter unsern Untersuchungen, wir haben es nur mit der Vorstellung
zu thun, die sich von ihr im Geiste der Christen gebildet hat.
Wenn wir nun an der Hand der biblischen Erzählungen die
Grundzüge dieser Vorstellung uns vergegenwärtigen wollen, so werden
es etwa die folgenden sein:
Maria ist Jungfrau, Mutter des Messias, Josephs Weib.
Sie ist gläubig und tugendhaft und geniesst der Gnade
Gottes. Sie wird selig gepriesen.
Obige Abstraktion kann selbstverständlich nur für die Zeit gelten,
in welcher die kanonischen Evangelien schon allgemeinere Verbreitung
und Anerkennung unter den Christen gefunden hatten. Die conser-
vativeren Kritiker halten nun zwar an der alten Ansicht fest, dass
alle Evangelien aus dem ersten Jahrhundert stammen, während
andere dieses bloss für Matthäus, Markus und Lukas zugeben und
den Ursprung des Johannesevangeliums in das erste Viertel oder in
die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts setzen. Die Kindheits¬
geschichte Christi und damit die Erzählung der Wunder, welche an
Maria geschehen, fällt also allerdings noch ins erste Jahrhundert.
Damit aber noch nicht nothwendig ihre allgemeinere Verbreitung und
Anerkennung. Die einzelnen Evangelien nämlich galten natürlich
zunächst nur in den engeren oder weiteren Kreisen, aus denen sie
stammten und für die sie ursprünglich bestimmt waren, während
andere christliche Kreise vielleicht noch von dem lebendigen Wort
des Missionärs allein zehrten oder anderweitige schriftliche Aufzeich¬
nungen hatten. Der Evangelist Lukas weist mit seinen ersten Worten
h Appar. ad ann. eccl. c. 39, 41, 42, 47, 49; Annal. ad ann. I. c. 39; ad
ann. 48, c. 4 etc.
2) Hist. eccl. sec. I. Art. III. VI.
3) Mem, I. La s. vierge.
8
hierauf hin. Nur allmälig griff die Autorität derselben so um sich,
dass sie in den Augen der überwiegenden Mehrheit der Christen
als einander ergänzende Quellen der heiligen Geschichte zusammen¬
gefasst und im Gegensatz zu andern Schriften als die ächten Quellen
betrachtet wurden. Dieses war etwa um die Mitte des zweiten Jahr¬
hunderts eingetreten, und für diese Zeit also kann angenommen
werden, dass das Bild, unter welchem Maria im Geiste der Gläubigen
lebte, ungefähr die oben dargelegten Züge trug. Dieses Bild ist unser
Ausgangspunkt und es ist nun zunächst an der Hand der Kirchen¬
geschichte nachzusehen, wie sich die einzelnen Züge gestaltet, ent¬
wickelt, verändert, vermehrt und nach und nach immer voller und
reicher ausgeprägt haben, bis die magere Zeichnung zu jenem farben¬
satten Gemälde wird, welches als Kultobjekt eine so hervorragende
Stellung gewinnt.
Die Kirchengeschichte lehrt uns, dass die Ausgestaltung christ¬
licher Religionsvorstellungen hauptsächlich durch drei Faktoren sowohl
Anstoss als Förderung erhielt:
1. durch die jüdische und heidnische Opposition;
2. durch den immer neuen Gegensatz der Häresie;
3. durch die eigene Triebkraft des christlichen Geistes, der den
Glaubensinhalt theils mit dem Wissen zu bemeistern versuchte und
in Lehrsätzen ausprägte, theils vermittelst der Phantasie in plastische
Gestalten, zunächst für den innern Sinn, ausbildete, und sich Objekte
der Verehrung schuf.
Diesen Prozess haben wir nun auch bei unserem Marienbilde
zu verfolgen und werden hiebei die Erfahrung machen, dass bald
der eine, bald der andere Faktor vorwiegt und zwar bald der Zeit,
bald dem Gewichte nach. Indem wir daher jeden einzelnen Zug
des Bildes durch seine hiedurch bedingten Phasen bis zu seiner
relativen Vollendung zu begleiten und dann auch nachzusehen haben,
ob und welche neuen Züge sich an die obigen anschliessen , um
zuletzt alle wieder zu einem Gesammtbilde zusammenzufassen , be¬
ginnen wir sachgemäss mit dem Zug der Jungfräulichkeit. Wir
verstehen darunter das Wunder, dass Maria ihren Sohn als Jungfrau
empfangen habe.
Jungfrau.
Das Empfängnisswunder muss zunächst in denjenigen Gemeinden
geglaubt worden sein, welche das Matthäus- oder Lukasevangelium
besassen, und muss mit der Ausbreitung dieser Evangelien sich ver¬
breitet haben. Dass es aber auch vor Abfassung dieser beiden
Evangelien schon ziemlich bekannt war, ist sicher anzunehmen, denn
wir haben in den Evangelien nicht bloss die Einzelstimmen ihrer
Verfasser oder Redaktoren, sondern die Stimmen von Gemeinschaften
zu vernehmen, aus denen heraus sie entstanden sind. Dann sagt
Lukas ja unmittelbar, bevor er seine »Vorgeschichte« beginnt, er
habe »Allem genau von seinem Ursprünge an nachgeforscht«, woraus
geschlossen werden darf, dass er dieses Wunder als alten Bestandtheil
des Christenglaubens vorgefunden habe. Ferner ist zu vermuthen,
dass in den Gemeinden, welche der Apostel Paulus gegründet hatte,
der Glaube an das Empfängnisswunder zu Hause war. Paulus lehrte
die Präexistenz des Erlösers, nennt ihn den »Erstgeborenen jeglicher
Kreatur«1), »durch welchen alle Dinge sind«2), nennt ihn einen
»himmlischen Menschen«3) und sagt an der einzigen Stelle, wo er
die Mutter Christi berührt, ohne sie zu nennen: »Da die Zeit erfüllet
war, sandte Gott seinen Sohn, geworden aus einem Weibe«4).
Fasst man diess ganz unbefangen ins Auge, so lässt es sich offenbar
ohne Zwang so verstehen, dass es zur Menschwerdung des von
Ewigkeit her existirenden Sohnes Gottes bloss eines Weibes bedurfte,
keines Mannes. Diese Auffassung gewinnt um so mehr Wahr¬
scheinlichkeit, als die Opposition gegen den Zug der Jungfräulichkeit
Mariens nicht von heidenchristlicheri Gemeinden ausging, sondern
von judenchristlichen, wie wir gleich sehen werden.
Andererseits lassen die beiden Evangelien selbst, die das
Empfängnisswunder erzählen, dasselbe nur einem ganz kleinen, aus¬
erwählten Kreise bekannt sein; die nächsten Landsleute des in die
Oeffentlichkeit getretenen Messias wissen nichts davon, sondern halten
ihn für den Sohn Josephs, ohne Widerspruch zu erfahren. Sogar
D Coloss. I, 15.
2) I. Cor. VIII, 6.
3) I. Cor. XV, 47, 48.
4) Gal. IV, 4.
10
bei Johannes wird Jesus nicht nur von den ungläubigen Juden »Sohn
Josephs« genannt, sondern selbst von dem (allerdings kaum erst be¬
rufenen) Apostel Philippus1). Das Markusevangelium hat die Kind¬
heitsgeschichte gar nicht. Es bringt indessen auch den Namen des
Joseph nirgends vor und unterlässt die Erwähnung seiner Persönlich¬
keit auch da, wo Matthäus und Lukas von dem Nährvater Jesu reden,
ohne ihn zu nennen. »Ist das nicht der Zimmermann?« fragen die
Einwohner von Nazareth bei Markus VI, 3, anstatt »des Zimmer¬
manns Sohn« bei den beiden andern Evangelisten, und unmittelbar
anschliessend nennen sie Jesum bloss »den Sohn der Maria«, ohne eines
Vaters überhaupt zu gedenken. Wenn daher hieraus geschlossen
werden darf, dass der zweite Evangelist das Empfängnisswunder
wohl gekannt habe, so drängt sich doch zugleich der Gedanke auf,
dass er es noch nicht für opportun gehalten habe, den Kreisen, für
die er schrieb, dasselbe schriftlich fixirt zu überliefern. — Aus allen
diesen Gründen darf wohl angenommen werden, dass anfänglich nicht
bei allen Christengemeinden von diesem Wunder die Rede war.
Es eröffnen also schon unsere biblischen Quellen einen Ausblick
auf verschiedene Vorstellungen.
Die Kirchengeschichte weiss denn auch, dass ein Theil der juden¬
christlichen Gemeinden, welche bereits der Apostel Paulus zu be¬
kämpfen hatte, die jungfräuliche Geburt nicht anerkannte und Joseph
als den Vater Jesu betrachtete. Es ist diess eine Fraktion der von
Irenäus so genannten Ebioniten 2) , welche die Gesetzesstrenge des
Judenthums in das Christenthum mit herübernahmen und insbeson¬
dere in Palästina sich lange erhielten. Sie trennten sich mehr und
mehr von der Majorität der christlichen Gemeinden und wurden bald
als häretische Sekte angesehen.
Derselben Ansicht von der Geburt Christi huldigte ein Theil der
unter dem Gesammtnamen Gnostiker zusammengefassten Religions¬
philosophen, von denen die ältesten noch aus dem ersten Jahrhundert
stammen. Einer von ihnen, Karpokrates, der zu Hadrians Zeiten lebte
(117 — 138), hielt Christus für nichts weiter als einen weisen, gerechten
und gottesfürchtigen Menschen und stellte ihn mit Pythagoras und
Plato auf eine Linie3). Einer höheren Ansicht huldigten Kerinth
b Jo. VI, 42 und I, 46.
2) Haer. V, 1, 3.
3) Iren. haer. I, 25.
11
(nach Tertullian *) ein Zeitgenosse des Ivarpokrates, nach Irenaus 2)
noch bei des Apostels Johannes Lebzeiten thätig) und Basilides 3),
der schon um 125 in Aegypten wirkte. Sie lehrten zwar, dass
Christus Sohn Josephs und Mariä 4) sei, aber bei der Taufe im Jordan
hätte sich mit ihm der Aeon 5) Logos (Xoyog) oder Christos (/piarog)
nach Kerinth — oder Nus (vov g) nach Basilides vereinigt 6). Auch
diese Systeme wurden bald als Häresieen erklärt.
Wurde nun das Empfängnisswunder schon von solchen geläugnet,
die immer noch den Anspruch erheben konnten, mehr oder weniger
auf christlichem Boden zu stehen , so geschah diess begreiflich um
so mehr von solchen, welche ganz ausserhalb des Christen tliums
standen und dagegen polemisirten, von den Juden und Heiden. Die
Angriffsweise der ersteren ist gut charakterisirt in dem Dialog Justins
des Martyrs mit dem Juden Tryphon. Dieser behauptet7): »Die
Schrift hat nicht: Siehe die Jungfrau (nap^erog) wird empfangen
und einen Sohn gebären, sondern: Siehe, die Junge (vecmg) wird
empfangen und einen Sohn gebären .... Die ganze Prophezeiung
geht übrigens auf Ezechias 8), bei dem dieselbe auch in Erfüllung
ging .... In den Mythen der Hellenen wird erzählt, dass Perseus
von der Danae, als sie noch Jungfrau war, geboren worden sei,
indem der bei denselben so genannte Zeus in Goldes Gestalt auf
sie niedergeflossen sei; da solltet ihr euch schämen, dasselbe zu be¬
haupten und lieber sagen, dass dieser Jesus als Mensch von Menschen
erzeugt worden sei. Und wenn ihr aus der Schrift beweiset, dass
dieser der Christus ist, so zeiget, dass er wegen seines gesetzmäs-
sigen und vollkommenen Lebens gewürdigt wurde, zum Christus
auserwählet zu werden, unterfanget euch aber nicht, Märchen zu
erzählen, damit ihr nicht des gleichen Wahnes, wie die Hellenen
überführt werdet.«
Auch die Pilatusakten, eine apokryphe Schrift, die aus den
b De praescr. c. 48.
2) Haer. III, 3, 4.
3) Iren. haer. I, 24.
4) Ihid. I, 26, 1.
5) In den gnostischen Systemen ein relativ untergeordnetes göttliches Wesen,
das aus einem hohem emanirt, bis zur höchsten Gottheit hinauf und umgekehrt.
6) Cfr. Hippolyt. Philos. VII, 33.
7) G. 67.
8) Sohn des Achaz, an welchen die Prophetenworte gerichtet sind.
12
ersten Jahrzehnten des zweiten Jahrhunderts stammt, geben Zeug-
niss für die Ansicht der Juden. Die wohlwollenderen unter den
Zeugen erklären dort Jesus für einen ehelichen Sohn Josephs und
Marias, während andere behaupten, er sei ein uneheliches Kind ge¬
wesen 1). In dem »wahren Wort« (Xöyog äX?]#?jg) des eklektischen
Platonikers Celsus, einer polemischen Hauptschrift des Heidenthums
gegen das Christenthum, die um 178 geschrieben wurde, tritt der
darin aufgeführte Jude gar mit folgender Verleumdung auf: »Seine
Entstehung aus einer Jungfrau hat Jesus erdichtet. In Wahrheit
stammt er aus einem jüdischen Dorf und von einem bäurischen,
armen, um Lohn spinnenden Weibe. Von ihrem Gatten, einem
Zimmermann seiner Kunst nach, wurde sie ausgetrieben, nachdem
sie als Ehebrecherin überwiesen worden. Vom Manne verstossen
und ehrlos herumirrend, gebar sie dann in der Dunkelheit von einem
gewissen Soldaten Panthera her Jesus .... Die Jungfraugeschichte selbst
erinnert lebhaft an die hellenischen Mythen von Danae, Melanippe,
Auge, Antiope. War wohl die Mutter Jesu schön und vermischte
sich mit ihr als einer Schönen Gott, der die Natur nicht hat, einen
sterblichen Körper zu lieben ? Fürwahr, dass es nicht einmal schick¬
lich war, wenn Gott sich in sie verliebte, da sie weder in glück¬
licher Lage noch königlich war; kannte sie doch Niemand, nicht
einmal von den Nachbarn ! Unter allen Umständen , als der Zim¬
mermann sie hasste und hinauswarf, rettete sie nicht göttliche
Macht noch überzeugende Rede2).« Dass eine solche Geschichte
von dem Spott der Heiden als die natürlichste Erklärung der »über¬
natürlichen Geburt« gern aufgenommen wurde, lässt sich leicht
denken.
So sehen wir denn schon von den apostolischen Zeiten an den
Zug der Jungfräulichkeit angefochten. Theilweise vielleicht war es
Unkenntniss der betreffenden Erzählungen und diess zwar wohl bei
einem Theil der Judenchristen, theilweise aber Unglaube. Die Juden
und Heiden hielten das Empfängnisswunder für eine Lüge oder ein
Märchen, erstere namentlich für falsche Auslegung einer Propheten¬
stelle; den Philosophen passte es nicht in das System.
Hiegegen treten nun die christlichen Schriftsteller mit der her¬
gebrachten Auffassung in die Schranken. Der älteste ist der schon
b Gesta Pilati A. C. II. Tischendorf, Ev. Apocr. ed. II. Lips. 1876. p. 224 ff.
2) Keim, Celsus’ wahres Wort, S. 11 ff.
13
genannte Justinus Martyr (f 166), der um das Jahr 130 vielleicht
noch von Apostelschülern bekehrt worden war. In seiner ersten
Apologie, die er vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts *) dem
Kaiser und Senat zu Rom übergab, hält er den Heiden entgegen,
dass eine Jungfrauengeburt für sie nichts so Auffallendes haben
könne, denn, »wenn wir, sagt er, erzählen, dass er (Christus) von
einer Jungfrau geboren worden sei, so ist ja dieses auch euch in Betreff
des Perseus gemeinschaftlich* 2).« Im weiteren Verlaufe belehrt er
die Heiden, dass der Christ nicht so blindlings glaube, sondern gute
Gründe habe. Das seien unter Anderem die alttestamentlichen
Prophezeiungen3). »Hört nun, sagt er, wie Jesaias Wort für Wort
prophezeit, dass er von einer Jungfrau werde geboren werden.«
Folgt die bekannte Stelle. »Denn was unglaublich und unmöglich
schien bei den Menschen, das hat Gott durch den prophetischen
Geist vorher angezeigt, damit es, wenn es geschehe, nicht auf Un¬
glauben stosse, sondern in Folge der Vorhersagung geglaubt werde.
Damit aber nicht Einige4), die die besagte Prophezeiung erwägen,
uns vorwerfen , was wir den Dichtern vorwarfen , welche den Zeus
zu Weibern kommen lassen, um der Liebe zu pflegen, so wollen
wir die Worte (des Propheten) zu erklären versuchen. Die Worte:
siehe die Jungfrau wird empfangen, beweisen, dass die Jungfrau
ohne eheliche Beiwohnung empfangen habe; denn wenn ihr jemand
beigewohnt hätte, so wäre sie nicht mehr Jungfrau. Sondern die
Kraft Gottes kam über die Jungfrau und überschattete sie und
bewirkte, dass sie als Jungfrau schwanger ging. Und der Engel
Gottes, der zu jener Zeit zu der Jungfrau selbst geschickt wurde,
verkündete ihr: siehe du wirst empfangen in deinem Leibe von
dem heiligen Geiste und einen Sohn gebären und er wird ein Sohn
des Höchsten genannt werden .... Und dieser (heilige Geist),
der auf die Jungfrau kam und sie überschattete, hat sie schwanger
gemacht nicht durch Beiwohnung, sondern durch (die göttliche)
Kraft 5)«.
Der verschiedene Standpunkt der Juden erforderte eine theil-
*) Nitzsch, Dogmengesch. S. 118.
2) Apol. I, 22.
3) Ibid. 81, 32.
4) Nach der Leseart des Thirlbius: p.-*] t tvsc.
5) Apolog. I, 33.
14
weise andere Beweisführung. Darum lässt er sich in seinem »Dialog
mit dem Juden Tryphon«, welcher vielleicht erst wenige Jahre vor
seinem Tode verfasst ist *), mit diesem auf exegetische Gontroversen
ein und weist ihm nach, dass die jüdische Erklärung der Stelle des
Jesaias falsch sei. Die Septuaginta, welche an mehreren Stellen
von den Juden verfälscht oder verstümmelt worden sei, hätte nicht:
siehe die Junge (veä tag), sondern: siehe, die Jungfrau (na^d-evog)
wird empfangen u. s. w.* 2). Der Prophet nenne ja eben die jung¬
fräuliche Empfängniss ein besonderes Zeichen, indem er sage: Der
Herr selbst wird euch ein Zeichen geben, siehe die Jungfrau u. s. w.
Wenn nun der verheissene Sohn auf gewöhnlichem Wege entstanden
wäre, wie hätte Gott das ein Zeichen nennen können. Dass eine
junge Frau durch Beiwohnung empfange, sei ja nichts Ausserordent¬
liches, das thun ja alle jüngeren Weiber mit Ausnahme der un¬
fruchtbaren, obwohl es auch bei diesen geschehen könne, wenn Gott
es wolle3). Die Deutung auf Ezechias widerlegt er durch den Nach¬
weis, dass die Worte des Propheten: »Bevor er Vater und Mutter
rufen kann, wird er dahinnehmen die Kraft von Damaskus und die
Beute Samarias vor dem Könige der Assyrer4)« nicht auf jenen sich
beziehen könne, sondern deutlich auf die Anbetung und die Ge¬
schenke der Weisen aus Morgenland hinweisen 5). Die Stelle müsse
also auf Maria gehen. Denn in der ganzen Nachkommenschaft
Abrahams lasse sich nirgends und niemals Einer finden, der von
einer Jungfrau geboren sei oder geboren sein solle ausser Christus6).
Uebrigens sei die Sache ja nicht ohne Analogie. Eva sei aus der
Rippe Adams entstanden, alle Wesen seien aus Nichts erschaffen,
manche früher unfruchtbare Frau habe durch den Willen Gottes
geboren, wie Samuels Mutter, Abrahams Frau und Elisabeth, die
Mutter des Johannes 7). Ja der Vergleich mit Danae ziehe die Ge¬
burt Christi nicht zum Märchen herab, denn die heidnischen Mythen
seien als dämonische Karrikaturen der göttlichen Offenbarungen zu
’) Nitzscli, Dogmeng. S. 118.
2) Dial. c. Tryph. 67.
3) Ibid. 84.
4) Iesai. VIII, 4.
5) Dial. c. Tr. 67.
6) Ibid. 43.
7) Ibid. 84.
15 —
fassen *) und hätten daher eine Art Beweiskraft. Schliesslich sei
der evangelische Bericht so überzeugend : »Dem Joseph, dem Bräutigam
Mariä, der früher seine Braut verstossen wollte, weil er glaubte,
dass sie durch Beiwohnung eines Mannes, d. h. durch Buhlerei
schwanger sei, wurde durch eine Erscheinung befohlen, sein Weib
nicht zu verstossen, indem ihm der Engel sagte, dass das, was sie
im Leibe habe, vom heiligen Geiste sei 2).
Der zweite uns erhaltene Schriftsteller, der das Empfängniss-
wunder verficht, ist der Bischof Irenäus von Lyon (geb. um 140
f 202), ein Schüler des h. Polykarp von Smyrna, welch letzterer
noch zu den Füssen des Apostels Johannes gesessen war. In seinem
Hauptwerke »Gegen die Häresieen« (wie man es gewöhnlich citirt),
das er etwa 180 vollendete, und wodurch er namentlich den
Gnosticismus in den Augen seiner christlichen Zeitgenossen bis zur
Vernichtung bekämpfte, tritt er natürlich auch der Meinung, dass
Jesus ein Sohn Josephs sei, mit aller Macht entgegen. »Diejenigen,
sagt er, welche erklären, er (Christus) sei ein blosser Mensch, von
Joseph gezeugt, welche den nicht kennen, der aus der Jungfrau ist
Gottmituns, sterben in der Knechtschaft des alten Ungehorsams und
berauben sich des ewigen Lebens« 3). In der Stelle des Johannes¬
evangeliums I, 13 substituirt er dem Plural den Singular und sagt
von Christus: er sei nicht aus dem Willen des Fleisches, noch aus
dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren 4). Dann erklärt
er ausführlich die Prophetie des Jesaias und kommt zu demselben
Resultate, wie Justin, ja er bedient sich theil weise fast derselben
Worte: »Was wäre es denn Grosses, sagt er z. B., oder welches
Zeichen geschähe dadurch, dass eine junge Frau von einem Manne
empfangen und gebären würde? Diess begegnet ja allen Weibern,
welche gebären. Sondern weil unverhofft das Heil der Menschen
zu erscheinen begann durch Gottes Hilfe, so geschah auch unverhofft
die Geburt der Jungfrau, indem Gott dieses Zeichen gab, nicht ein
Mensch jenes bewirkte.5)« Auch noch in vielen andern Stellen der
3 Ibid. 67.
2) Ibid. 78. Weitere Stellen bei Justin, die den Zug der Jungfräulichkeit
betonen, sind Dial. c. Tryph. 33, 85, 100, 101, 112. Apol. I. 31, 32 u. s. w.
S. auch Ttepi t piäZoq, Sex., xscp. Sex. bei Angelo Mai, Script, vet. n. coli. VII, S. 29.
3) Haer. III, 19.. 1. Die Stelle ist zusammengezogen.
4) Ibid. 2, dann III, 16 u. s. w.
5) Haer. III, 21, 6.
16
Bibel sieht er prophetische Hinweise auf die jungfräuliche Empfäng¬
nis. So in Psalm 131 (132), 11: Aus deines Leibes Frucht will
ich dir auf den Thron setzen. Weil es hier heisse »Frucht des
Leibes« und nicht etwa »Frucht der Lenden oder Nieren«, sei in
diesem Hinweis auf die Messiaszeugung die Mitwirkung des Mannes
ausgeschlossen1). Dieselbe Bedeutung habe der »ohne Menschen¬
hände« (vom Berge) losgerissene Stein hei Daniel II, 34, sowie der
von Gott dem Herrn selbst in die Fundamente von Sion gelegte
Stein, der köstliche, auserlesene, erhabene Eckstein bei Jesaias XXVIII,
16, ebenso die von Moses auf die Erde geworfene (durch ein Wunder
belebte) Ruthe2). Wenn er Josephs Sohn wäre, wie könnte er mehr
sein, als Salomo, oder mehr als Jonas, oder mehr als David3)
u. s. w. Derselbe Geist Gottes, der in den Propheten gesprochen,
habe auch in den Aposteln gesprochen, welche bezeugen, dass der
Emmanuel aus einer Jungfrau geboren sei, denn es heisse: »Bevor
Joseph mit Maria zusammenkam, indem sie also in der Jungfrau¬
schaft verblieb, wurde sie als vom heiligen Geiste schwanger er¬
funden 4)«. Es sei daher nichtig und grundlos, wenn die Ebioniten
diess nicht einsehen wollen 5) u. s. w.
An Irenäus schliesst sich sein etwas jüngerer Zeitgenosse Ter-
tullian (geb. nicht lange nach 150, f ums Jahr 220) als Apologet
gegen die »Ebioniten« an. »Es ziemte sich nicht, sagt dieser, dass
Gottes Sohn aus menschlichem Samen geboren wurde, damit er,
während er auf diese Weise ganz Menschensohn wäre, nicht auch
Gottes Sohn wäre, und somit nichts vor Salomon voraus hätte, und
nach Ebions 6) Ansicht aufgefasst werden müsste. Da er also schon
Gottes Sohn aus Gott Vaters Samen, d. h. vom Geiste war, so
brauchte er, um auch des Menschen Sohn zu sein, nur allein Fleisch
vom Fleisch des Menschen zu nehmen , ohne Samen des Mannes.
Es war des Mannes Samen unnöthig bei dem, der Gottes Samen
hatte. Wie er daher vor seiner Geburt aus der Jungfrau Gott zum
Vater haben konnte, ohne menschliche Mutter, ebenso konnte er, als
er von der Jungfrau geboren ward, eine menschliche Mutter ohne
') Ibid. III, 21 und 16.
2) Exod. VII, 9 seq.
3) Matth. XII, 41, 42; XXII, 43 ff.
4) Ihid. 21, 5.
5) Ibid. V, 1.
6) Tertullian hält eine Person dieses Namens für den Stifter der Sekte.
17
menschlichen Vater haben 1).« Dass seine jungfräuliche Mutter im
Galaterbrief Weib genannt werde, habe dieselbe Bedeutung, als wenn
Eva in der Genesis Weib heisse , oder wenn der Engel Gabriel bei
Lukas Maria mit den Worten begrüsse: Gesegnete du unter den
Weibern. Das Wort Weib bedeute hier eben das Geschlecht, »denn
dass sie (Maria) Jungfrau gewesen ist, ist bekannt, wenn auch Ebion
dagegen ist 2).« Gegen Juden und Gnostiker wird die Jesaiasstelle
wiederholt ins Feld geführt und ausführlich im Sinn des Empfängniss-
wunders gedeutet, namentlich wird wieder hervorgehoben, dass nur
eine »übernatürliche Neuheit« das von Gott zugesagte »würdige
Zeichen« hätte sein können. »Auch die Juden, wenn sie, um uns
niederzuwerfen , zu lügen wagen , als ob die Schrift nicht von einer
Jungfrau, sondern von einer Jungen rede, werden dadurch widerlegt,
dass eine alltägliche Sache, die Schwangerschaft einer jungen Frau,
als keinerlei Zeichen hätte erscheinen können. Dass uns also die
Jungfrau-Mutter zum Zeichen gesetzt sei, wird mit Recht geglaubt.«
Tertullian sieht ebenfalls in den Worten: Er wird dahinnehmen die
Kraft von Damaskus u. s. w. einen Hinweis auf die Anbetung und
die Geschenke der Magier. Er verknüpft sodann hiemit die Psalmen¬
stelle LXKI, 10: »Die Könige von Arabien und Saba werden Ge¬
schenke bringen« und erklärt weiter: »Denn auch Magier hatte der
Orient zu Königen« u. s. w. Diess dürfte, beiläufig gesagt, eine der
frühesten Spuren der späteren Tradition sein, welche aus den be¬
suchenden Magiern Könige machte 3). Wie Irenäus sieht auch Ter¬
tullian in der Psalmenstelle CXXXI, 11 einen prophetischen Beweis
für die Jungfräulichkeit Mariens. »Aus deines Leibes Frucht will
ich setzen auf deinen Thron.« »Was ist das für ein Leib? Davids
selbst? Gewiss nicht; denn David konnte nicht gebären. Aber auch
nicht seiner Frau; denn Gott hätte nicht gesagt: aus der Frucht
deines Leibes, sondern vielmehr: aus der Frucht des Leibes deiner
Frau. Da er also Davids Leib nannte, so bleibt nur übrig, dass er
auf jemand von dessen Geschlecht hingezeigt habe, dessen Leibes¬
frucht das Fleisch Christi sein würde, welches aus dem Mutterleibe
Mariens erblühte. Desswegen nannte er ihn nur des Leibes Frucht,
') De carne Christi 17.
2) De virgin. vel. c. 6.
3) Lib. III. adv. Marc. c. 13 und adv. Jud. c. 9. etc. S. auch De carne
Chr. 17, 22 u. s. vv.
Lehner, Die Marien Verehrung.
2
18
in eigenem Sinne: des Mutterleibes, gleichsam des Mutterleibes allein,
nicht auch des Mannes 1).« Endlich hat er auch für die Jungfräulich¬
keit seinen Präscriptionsbeweis: »Ueber den Menschensohn ist unsere
Voreinrede doppelt: Weder konnte Christus lügen, so dass er sich
für den Menschensohn ausgab, wenn er es nicht wahrhaft war ; noch
konnte der als Menschensohn hingestellt werden, welcher nicht von
einem Menschen stammte, entweder von väterlicher oder von mütter¬
licher Seite. Und so muss untersucht werden, als welches Menschen
Sohn er angenommen werden müsse, eines Vaters oder einer Mutter.
Wenn er Gott zum Vater hat, so hat er gewiss keinen Menschen
zum Vater; wenn er keinen Menschen zum Vater hat, so bleibt nur
übrig, dass er einen Menschen zur Mutter hat; wenn er einen Menschen
zur Mutter hat, so ist offenbar, dass diess eine Jungfrau sein muss.
Denn wer keinen Menschen zum Vater hat, dessen Mutter hat auch
keinen Mann, und welche keinen Mann hat, ist Jungfrau 2).«
Unter den Apologeten ist auch noch der im Jahre 185 geborene,
im Jahre 254 gestorbene Alexandriner Origen es aufzuführen.
Nach langer schriftstellerischer und praktischer Wirksamkeit liess er
sich noch als Greis durch einen Freund bestimmen , seine Abwehr
»Gegen Celsus« zu verfassen (a. 247), obwohl dessen »Wahres Wort«
schon etwa 70 Jahre früher erschienen wrar, »weil es doch sein
könnte, dass unter der grossen Menge derer, die Christen heissen,
sich Schwache im Glauben finden, die durch Celsus und seiner Ge¬
sellen Worte wankend gemacht werden könnten.« Was nun die
oben aus Celsus Schrift citirte Stelle betrifft, so verschmäht Origenes
auf »die Possenreisserei« des Vergleichs mit Danae u. s. w. einzu¬
gehen, ebenso wie auf die »spöttische« Frage: war denn Jesu Mutter
schön u. s. w.3). Der Verleumdung des von Celsus redend einge¬
führten Juden tritt er mit der die Angriffswaffe umkehrenden Be¬
merkung entgegen, »dass wohl diejenigen, welche den Ehebruch der
Jungfrau mit Panthera und ihre Austreibung durch den Zimmer¬
mann erdichtet haben, dieses Alles erfunden haben zur Beseitigung
der wunderbaren Empfängniss vom heiligen Geiste.« Mit dieser Er¬
findung hätten sie wider ihren Willen der Annahme zugestimmt,
dass Jesus nicht aus einem gewöhnlichen Ehebündnisse hätte hervor-
0 Lib. III, adv. Marc. c. 20.
2) Lib. IV, adv. Marc. c. 10.
3) Contra Cels. I, 39.
19
gehen können. Origenes gibt dann dem »Platoniker« zu bedenken,
ob es mit den Sätzen der hellenischen Philosophen stimme, dass eine
Intelligenz und ein Charakter wie Jesus einen solchen anrüchigen
Ursprung haben könne, nachdem jene gelehrt hätten, dass jede Seele
einen ihr entsprechenden Körper bewohne? x) Dann wirft er dem
Celsus vor, dass er absichtlich die bei Matthäus angezogene Prophe¬
zeiung des Jesaias ignorirt habe, da er doch sonst seine Kenntniss
des Matthäusevangeliums verrathe. Diese Prophezeiung beweise, dass
Jesus von einer Jungfrau habe geboren werden müssen. Wenn aber
der Jude (des Celsus) über das Wort streiten und behaupten wollte,
es heisse nicht »die Jungfrau«, sondern »die Junge«, so halte er
entgegen, dass das Wort ha-alma, welches die Septuaginta mit
»Jungfrau«, andere mit »die Junge« übersetzen, im Deuteronomium
XXII, 23, 24 und XXV, 26 eine Jungfrau bedeute * 2). Doch komme
es nicht so fast auf das hebräische Wort an. Der Prophet sage
offenbar, das die Jungfraugeburt das dem Achaz angebotene Zeichen
sein werde. »Was wäre es denn für ein Zeichen, wenn eine junge
Frau gebären würde und nicht eine Jungfrau? Und welchem Weibe
kommt es mehr zu, den Emmanuel oder Gottmituns zu gebären,
einer solchen, welche durch Beiwohnung nach Frauenart empfangen
oder einer noch reinen und unbefleckten Jungfrau?« Dass die Prophe¬
zeiung nicht auf Achaz und seine Zeit ziele, gehe daraus hervor,
dass damals keiner geboren worden sei, den man Emmanuel, Gott¬
mituns, genannt habe. Die Prophezeiung gehe daher auf Davids
Haus, aus welchem der Messias dem Fleische nach habe kommen
müssen (Joh. VII, 42) 3). Dann wiederum gegen das Heidenthum
sich kehrend, bemerkt er: »Ferner ist gegen die Hellenen Zusagen,
welche die jungfräuliche Geburt Jesu nicht glauben, dass der Schöpfer
bei der Erschaffung der verschiedenen Thiere gezeigt habe, dass ihm
möglich gewesen wäre, das, was er bei einem Thiere gethan habe,
auch bei andern und auch selbst bei den Menschen zu thun. Nun
finden sich bei den Thieren gewisse Weibchen, welche keine Ge¬
meinschaft mit den Männchen haben , wie diejenigen , welche über
die Thiere geschrieben haben, von den Geiern sagen; dieses Thier
9 Ibid. I, 32, 33.
2) Ibid. 34. Origenes irrt sich; in den angezogenen Stellen des Deut, steht
nicht haalma nö?yn, sondern bethula
3) Ibid. 35. Vgl. auch homil. in Isai. II, 1.
20
nemlich erhält (traget.) ohne Vermischung die Geschlechtsfolge.« Was
sei nun Unglaubliches daran, wenn Gott, da er dem Menschengeschlecht
einen göttlichen Lehrer schicken wollte, diesen auf andere Weise, als
durch Vermischung von Mann und Frau entstehen liess? Auch bei
den Hellenen selbst entstehen nicht alle Menschen aus Mann und
Weib, z. B. die ersten Menschen, welche aus der Erde, aus den
in derselben enthaltenen Bildungsstoffen entstehen. Das sei noch
wunderbarer als die Geburt Christi, der wenigstens zur Hälfte wie
die andern Menschen entstanden sei. Dann, um von den Heroen
zu schweigen, hätten ja einige Hellenen geschrieben, dass Plato von
Apollo erzeugt worden und dass seinem Vater verboten gewesen sei,
seine Frau zu berühren, bis sie ihren von Apollo empfangenen Sohn
geboren habe. Doch das seien Fabeln, aus dem Grunde erfunden,
weil man glaubte, dass ein vor den andern durch Weisheit und
Tugend hervorragender Mann auch von höheren und göttlicheren
Keimen seinen Ursprung haben müsse x). — Origenes kommt auch
in seinen übrigen Schriften , namentlich in seinen Homilien und
Commentaren zur Bibel, öfters auf unsern Gegenstand zurück. So
bei der Stelle Genes. XLIX, 9: »das Junge eines Löwen ist Juda,
aus dem Keim (Schoss) desselben ist er aufgestiegen« * 2) sagt er:
Unter dem Jungen des Löwen sei (mystisch) Christus zu verstehen.
»Dieser junge Löwe also stieg auf aus dem Keime; aus einer Jungfrau
nemlich ist er geboren. Nicht aus Samen, sondern aus einer Jungfrau
ohne Bei wohnung des Mannes und ohne natürlichen Samen wird Christus
geboren« 3). Bei der Stelle Levit. XII, 2: »Jedes Weib, welches Samen
empfangen und ein männliches Kind geboren hat, wird sieben Tage
unrein sein«, meint er, die Worte »welches Samen empfangen
hat« könnten überflüssig scheinen, da ja kein Weib anders ge¬
bären könne, als nach empfangenem Samen. Aber sie seien nicht
überflüssig, der Gesetzgeber habe dieselben zur Unterscheidung der¬
jenigen, welche ohne Samenempfängniss geboren habe, für die übrigen
Weiber beigefügt .... Das Gesetz über die Unreinheit beziehe sich auf
die Weiber, von Maria aber werde gesagt, dass sie als Jungfrau em¬
pfangen und geboren habe .... Wenn aber einer spitzfindig ent-
9 Ibid. 37.
2) Rufins Uebersetzung hält sich nicht streng an den Text der LXX ; diese
haben : ex ßXaaxoö ule jxou &veßf]<;.
3) In Genes, homil. XVII, Bd. II. ed. de la Rue p. 108.
21
gegne, auch Maria werde in der Schrift »Weib« genannt, wie im
Galaterbrief, so antworte er, dass der Apostel hiemit erstlich nur
das Geschlecht bezeichnet habe und dass zweitens dieser Ausdruck
ebensogut, als man einen reifen Jüngling »Mann« nenne, für eine
reife Jungfrau gebraucht werden könne. Uebrigens werde dieser
Ausdruck auch sonst in der Bibel für eine Jungfrau gebraucht, z. B.
Genes. XXIV, 5, wo Isaaks Braut auch »Weib« genannt werde
Jene obigen scheinbar überflüssigen Worte bezeichnen daher »eine
mystische Ausnahme, welche Maria allein von den übrigen Weibern
trenne, da ihre Geburt nicht aus Samenempfängniss, sondern aus
der Gegenwart des heiligen Geistes und der Kraft des Höchsten
stattgefunden habe«1). In seiner 14. Homilie zu Lukas heisst es:
In dem Grusse des Engels »der Geist Gottes wird über dich kommen
u. s. w.« sei der Anfang des Samens und der Empfängniss gewesen
und ohne (durch Beiwohnung geschehenen) Aufschluss der Gebär¬
mutter sei die neue Frucht im Mutterleibe gewachsen. »Daher spricht
auch der Erlöser: Ich bin ein Wurm und nicht ein Mensch2) . . . .
Er sah im Leibe der Mutter die Unreinheit des Körperlichen, von
den Eingeweiden ringsum eingeschlossen duldete er die Enge irdischen
Schmutzes, daher vergleicht er sich dem (Eingeweide-) Wurm und
sagt: Ich bin ein Wurm und nicht ein Mensch. Denn aus Mann
und Frau pflegt der Mensch zu entstehen, ich aber bin nicht aus
Mann und Frau nach menschlicher Art und Natur entstanden, sondern
wie ein (Eingeweide-) Wurm, dessen Samen nicht anderswoher
stammt, sondern dessen Ursprung in und aus den Körpern selbst
ist, in welchen er wächst«3). — Diesen Aussprüchen des Origenes
liessen sich noch mehrere beifügen, die dasselbe besagen 4), doch wir
begnügen uns, nur noch einen charakteristischen und gewissermassen
abschliessenden aufzuführen. »Wenn Jemand glaubt,« sagt er in
seinem Johannescommentar , »dass Jesus unter Pontius Pilatus ge¬
kreuzigt worden sei und der Welt Heil und Segen gebracht habe,
aber nicht aus der Jungfrau Maria und dem heiligen Geiste, sondern
x) Hom. in Levit. VIII, n. 2. Dem Origenes folgt hier wörtlich Cyrill von
Alexandrien im fünften Jahrhundert.
l) Ps. XXI (XXII), 7.
3) Bd. III, pag. 948.
4) Z. B. Hom. in Lev. XII, 4; Bd. II, p. 251; Comm. in ep. ad. Rom. Bd. IV,
p. 519; in ep. ad Gal., ibid. p. 697 u. s. w.
22
aus Joseph und Maria geboren sei, dem fehlen höchst nothwendige
Stücke zum vollen Glauben« 1).
Trotz dieser Erklärung, die den Glauben an das Empfängniss-
wunder, also an die Jungfräulichkeit Mariens, als einen wesentlichen
Glaubensartikel bezeichnet, tritt die apologetische Behandlung dieses
Zuges immer noch hervor, und zwar theils mit, theils ohne ausdrück¬
liche Nennung von Gegnern. Das Beweisverfahren bleibt übrigens im
Ganzen dasselbe, wir werden daher Wiederholungen bei den Auszügen
aus den folgenden Quellen möglichst zu vermeiden suchen und nur
wesentlich neue Wendungen wörtlich aufführen. Indessen liegt ja
in der öfteren Wiederholung des Nemlichen ein gewaltiges Mittel,
um eine Vorstellung populär zu machen. Wenn sich nun die Geschichte
selbst dieses Mittels bediente, so darf dieses auch um den Preis
einiger Ermüdung in der Darstellung nicht ganz übergangen werden.
Die dem Origenes chronologisch zunächst stehende Quelle ist
der sogenannte »erste Brief des Clemens von Rom an die Jung¬
fräulichen« , der dem Anfang des dritten Jahrhunderts angehört.
Darin heisst es: »Ein Leib von heiliger Jungfräulichkeit hat unsern
Herrn Jesum Christum, den Sohn Gottes, getragen, und den Körper,
den unser Herr trug und in welchem er den Kampf auf dieser Welt
bestand, hat er aus einer heiligen Jungfrau angenommen« 2). Dann
wird in dem Theil der »apostolischen Constitutionen«, welcher
aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts stammt (die sechs
ersten Bücher), die Jesaiasstelle VII, 14 wieder auf die jungfräuliche
Empfängniss gedeutet3). Ferner weist der Bischof Petrus von Alexan¬
drien (f 311) in seinem »Buch über die Gottheit« die »Mitwirkung
des Mannes« ab4). Hieran schliesst sich Lactantius, der in seinen
zwischen 316 und 322 geschriebenen »Göttlichen Unterweisungen«
mehrmals die »Beihilfe des Mannes« verwirft. Als Beweis führt er
ausser der Jesaiasstelle auch eine nirgends zu findende, also apokryphe
Comm. in Joann. Bd. IV, S. 429. Vgl. auch ibid. S. 347. Interessant
ist, dass der Martyr Pamphilus (f 309) in seiner Apologie des Origenes besonders
auch auf mehrere der angeführten Stellen Bezug nimmt. S. S. Pamph. Mart.
Apol. pro Orig. Cap. I, V, VII, bei Gallandi, Tom. IV, p.- 7 — 40,
2) Ad virg. Ep. I, 6.
3) Const. apost. V, 16. Vgl. auch II. 55 : lyavilpcoTrfjaeux; ty]? by ^apttsvoo
■fsvopivY]^ und V, 7 : 6 yap sv. rcapitsvoo eauxö) v. ataaxeodcoac awp. a.
4) Die Fragmente des Buches rcepl 9,e6xv)'coc sind in den Akten des Ephesiner
Concils aufbewahrt und bei Gallandi, Tom. IV.
23
Prophetie Salomons an: »Es ward geschwächt der Leib der Jung¬
frau und sie empfing ein Kind und in vieler Erbarmung (in multa
miseratione) wurde die Jungfrau Mutter.« Dann bringt er auch, wie
Origenes, eine naturgeschichtliche Analogie: »Wenn es allen bekannt
ist, dass gewisse Thiere von dem Wind und dem Lufthauch zu
empfangen pflegen, warum sollte es Jemand für wunderbar erachten,
wenn wir sagen, dass die heilige Jungfrau von dem Spiritus (= Hauch
und Geist) Gottes schwanger geworden sei? *)«
Eine weitere Schrift ist der dem heiligen Basilius (f 379) fälsch¬
lich zugeschriebene, aber wohl zu seiner Zeit entstandene Commentar
zum Jesaias, in welchem manche Stellen aus den Erläuterungsschriften
des Eusebius und Origenes zu diesem Propheten wörtlich überge¬
gangen sind. Die jüdische und christliche Leseart von VII, 14 werden
als gleichbedeutend dargestellt, da mit der jüdischen Leseart auch
im Deuteronom. XXII, 25 — 27 und im dritten (ersten) Buch der
Könige I, 3. 4 eine Jungfrau bezeichnet werde. Es wird wieder der
Nachdruck auf das beabsichtigte »Zeichen« gelegt und gefragt: »Wie
hätte auch das, was aus dem Willen des Fleisches geboren wäre,
Emmanuel (Gott mit uns) genannt werden können?« die Jungfräu¬
lichkeit Mariens gehe aus dem Gespräch mit dem Engel hervor Luk. I,
34, 35. Schliesslich kommt noch die Analogie von den Geiern * 2 3).
Gregor von Nazianz (f um 391) nennt Maria »die keusche Mutter, die
jungfräuliche, die nicht gebundene, gottähnliche, unbefleckte, denn
ohne Heirath und Vater musste er (Christus) geboren werden 5).«
Dass die »Jungfrau« Maria »ohne Mannes Samen« geboren, be¬
tont ferner der blinde Didymus , der Katechet von Alexandrien
(f 395 oder 399) in seinem »Buch über den heiligen Geist« 4) und
sein abendländischer Zeitgenosse, Bischof Zeno von Verona (f ca. 380)
ruft aus: »Wunderbar! es empfängt Maria von dem, den sie gebiert;
es schwillt der Leib von Majestät, nicht von Samen und es fasst die
Jungfrau den, welchen die Welt und die Fülle der Welt nicht fasst 5).«
Cyrillus, Bischof von Jerusalem (f 386), in dessen Sprengel noch
immer nicht unbedeutende Trümmer judaisirender Sekten vorhanden
waren, nennt Christus in einer seiner Katechesen »den aus der Jungfrau
9 Divin. instit. 1. IV, c. 12.
2) Gomm. in Isai, c. VII, n. 201.
3) Carm. lib. I, sect. II. Carm. moral. I. üap&Eviac ena ivo?, 197 — 199.
4) Bei Gallandi Tom. VI, p. 275.
5) Lib. II, Tract. 9.
24
gewordenen Gott, der nicht aus dem Willen des Mannes und Weibes,
wie die Häretiker sagen, sondern aus der Jungfrau und dem
heiligen Geiste nach dem Evangelium Mensch geworden sei *).« Auf
diesen »Irrthum der Häretiker« weist er noch mehrmals hin * 2).
Dann wendet er sich auch gegen die Juden und Heiden (Hel¬
lenen). Die jüdische Erklärung der Jesaiasstelle widerlegt er durch
den Sprachgebrauch 3). Die Juden sollen an Sara denken, an Moses’
aussätzige und wieder reine Hand, an Moses’ Stab, an Aarons Ruthe 4) ;
schon die Stammmutter Eva sei für sie ein beherzigenswerthes Bei¬
spiel. Sie ist mutterlos geboren, warum könne dann nicht ein
Knabe vaterlos geboren werden? 5) Dasselbe gehe aus der Psalmen¬
stelle XXI, 10 hervor: Du bist es, der mich herausgezogen hat aus
dem Mutterleib. »Gib wohl Acht auf das , Herausgezogen4, welches
beweist, dass er ohne Mann aus dem Leib und Fleisch der Jungfrau
herausgewachsen und geboren sei6).« Den Hellenen wirft er ihre
Inconsequenz vor. Sie lassen aus Steinen Menschen werden, lassen
Minerva aus Jupiters Haupt, Bacchus aus Jupiters Schenkel hervor¬
gehen und glauben nicht an Christi übernatürliche Zeugung 7). Indem
er dann seine Gläubigen ebenso wie die Juden auf die Wunder des
alten Testaments verweist, ruft er ihnen zu: »Daran lasst uns denken,
Brüder, diess lasst uns gleichsam als Vertheidigungsmittel gebrauchen.
Lassen wir nicht die Häretiker gelten, die .... behaupten, aus
Mann und Weib sei der Erlöser gezeugt, welche die Behauptung
wagen, dass er aus Joseph und Maria sei, weil geschrieben steht:
,und er nahm sein Weib zu sich.4« Er setzt hierauf auseinander, dieses
-»Weib« (Matth. I, 24) sei in dem Sinne gebraucht, wie Genes.
XXIX, 21, wo Jakob, ehe er die Rachel erhalten hatte, zu Laban
sage: gib mir mein Weib. Jakob habe sie so genannt, weil sie ihm
versprochen war, und so heisse Maria »Weib«, weil sie verlobt
war. Lukas (I, 26 u. II, 4) hebe ihren Stand als einer Verlobten klar
hervor. Auch aus Galat. IV, 4 sei dasselbe zu entnehmen, denn es
0 Catecb. XII, 1.
2) Ibid. 3. S. auch unten.
3) Ibid. 21.
4) Ibid. 28.
5) Ibid. 29. Aehnlich Ephraem Syrus, De nativ. Dom. S. I. »Evam geni-
tricem genuit ingenitus vir, quanto credibilius videatur, filiam Evae citra viri
operam gravidari potuisse.« Op. Tom. II, syr. et lat. pag. 397. Ed. Rom. 1740.
6) Ibid. 25.
7) Ibid. 27.
25
heisse dort nicht: geworden aus dem Manne und Weibe, sondern
nur: geworden aus dem Weibe, d. h. aus der Jungfrau .... »Aus
einer Jungfrau wurde also geboren er, der die Seelen zu Jungfrauen
macht (6 nccpdsvonoiög rcöv ipv%cov) J).«
Chrysostomus, Patriarch von Konstantinopel, sagt in seinen etwa
a. 388 geschriebenen Homilien »über die Veränderung der Namen«:
Das Wort Eden bedeute »jungfräuliches« Land. »Diese Jungfrau
(Eden) ist ein Typus jener Jungfrau (Maria). Denn wie dieses Land,
welches keinen Samen aufgenommen hatte, uns das Paradies hervor¬
brachte, so hat auch jene, ohne Mannes Samen aufzunehmen , uns
Christum hervorgebracht* 2).« In einer andern Homilie bezieht er wie
Origenes den »Keim« (Genes. XLIX,9) auf »die Jungfrau, und den
unbefleckten Stand Marias« 3).
Bei Ambrosius, Epiphanius, Hieronymus, Augustinus und den
übrigen Zeitgenossen, obwohl sie für andere Züge einzutreten hatten,
welchen das Empfängnisswunder schon zur Voraussetzung dient,
finden sich doch immer noch gelegentliche Bemerkungen, die hieher ge¬
hören. Epiphanius namentlich unterlässt natürlich nicht, in seinem
vor 380 vollendeten Panarion oder Buch gegen die Häresieen bei Be¬
sprechung der Ebioniten den Zug der Jungfräulichkeit zu vertheidigen.
Dazu dient ihm vor Allem wieder die bekannte Jesaiasstelle 4), die
weitere bei Jes. LXVI, 7: »ehe denn ihr wehe ward, hat sie ge¬
boren; ehe ihre Wehen kamen, gebar sie ein Knäblein5)«, die Stelle
Num. XIX, 2, von der rothen Kuh, »auf deren Nacken noch kein
Joch gelegt ist«, dann Jesai. VIII, 1: »nimm dir einen Abschnitt
eines neuen grossen Papierblattes.« Das Papierblatt bedeute Maria,
das Beiwort »neu« die unverletzte Jungfräulichkeit, gross heisse es,
weil »Maria, die heilige Jungfrau , wahrhaft gross vor Gott und
Menschen sei. Denn wie sollten wir diese nicht gross nennen,
welche den Unerfasslichen fasste, den Himmel und Erde nicht fassen
kann«. Der »Abschnitt« endlich bedeute das Abgeschnittensein von
männlicher Vermischung u. sf f. 6). Zu weiterer Vertheidigung zieht
’) Ibid. 31.
2) Edit. Montfaucon Tom. III, p. 113.
3) Tom. III, p. 161.
4) Adv. haer. XXX, 20 und 30.
5) Ibid. 20.
6) Ibid. 31. Das »neue Papier« wird auch von Gregor von Nyssa in den
testim. adv. Jud., Galland. Tom. VI, p. 584 als Typus für die »Jungfrau« ge-
26
er aus dem Neuen Testament ausser der Verkündigungsscene selbst
noch den Anfang der Genealogie bei Lukas herbei, wo es heisst:
Jesus .... war, wie man meinte, Josephs Sohn und fügt hinzu:
»Mit dem Ausdruck »wie man meinte« zeigte der Evangelist eben,
dass er nicht Josephs Sohn sei1)«. In seiner Schrift gegen die
Antidikomarianiten setzt er in der beigezogenen Stelle Jesai. VIII, 3
die erste Person in die dritte um: »er trat hinein zu der Prophetin
und sie empfing in ihrem Leibe« und deutet diess auf die Verkündi¬
gung Gabriels an Maria, dass sie »ohne alle männliche Zeugung«
Gottes Sohn empfangen werde 2) und wiederholt diess in der Schrift
gegen die Kollyridianerinnen, wo er auch wieder auf die Jesaias-
stelle VII, 14 zurückkommt 3). Letztere dient auch dem Johannes
Cassianus in seinem um 430 geschriebenen Buch »über die Fleisch¬
werdung« als Beweis für dieselbe Sache4).
Ambrosius, der in seinem Buch über die »Unterweisung einer
Jungfrau« ebenfalls noch die Empfängniss »ohne alle Beimischung
männlichen Samens« betont 5), bringt in seiner aus dem Jahr 389
stammenden Erklärung der Schöpfungsgeschichte wieder das natur¬
geschichtliche Beispiel der Geier und fährt fort: »Was sagen nun
diejenigen, welche unsere Mysterien zu verlachen pflegen, wenn sie
von der Zeugung aus einer Jungfrau hören und die Geburt einer
Unvermählten, deren Keuschheit kein männlicher Umgang befleckt
hatte, für unmöglich halten? Für unmöglich wird dasjenige bei der
Mutter Gottes gehalten, dessen Möglichkeit bei den Geiern nicht ge¬
leugnet wird! Ein Vogel pflanzt sich ohne Männchen fort und Nie¬
mand hat etwas dagegen; weil aber Maria als Verlobte geboren hat,
stellt man ihre Keuschheit in Frage! Bemerkt man nicht, dass der
Herr aus der Natur selbst sehr viele Beispiele vorausgeschickt hat,
wodurch er die Herrlichkeit der Menschwerdung erwies und ihre
Wahrheit stützte?6)«
braucht. „Töp.ov ouv xatvöv vooöjasv ty]v Tiapi Isvov, warcsp yäp b yäßirfi xaivo? Ion
xaHapo?, aypatpo? u>v, outok v.al Y| uaptHvcii; äyta &fj.i>YjToq avbpbc,.“
0 lbid. 29.
2) lbid. LXXVIII, 16, s. auch 19: „obv. uk'o aoCoyta? avop bq,“ und Anaceph.
Pag. 1135 (Petav.) „obv. c/.ko CTtspjxato? öcvBpo?.“
3) lbid. LXXIX, 6.
4) De incarn. 1. II, c. 3.
5) De instit. virg. 98; auch in Expos, ad Evang. Luc. I, 35.
6J Hexaem. lib. V, c. 20.
27
Bischof Gaudentius von Brescia x) (f ca. 410) und ebenso
Hieronymus* 2) und Augustinus3) benützen bei Besprechung des im
Neuen Testament mehrmals vorkommenden Ausdrucks »Weib« auch
noch die Gelegenheit zu erläutern, dass diess eben das Geschlecht
bedeute, ohne der Jungfräulichkeit zu präjudiciren , oder Sprach¬
gebrauch im Ebräischen sei, wie Genes. II, 21 — 23, Num. XXXI, 13
u. s. w. Augustinus insbesondere gewinnt durch den Vergleich der
Verkündigung des Johannes mit der Verkündigung Christi einen Be¬
weis für die jungfräuliche Empfängniss. Gabriel kam zu Zacharias,
nicht zu Elisabeth, »weil Johannes durch Zacharias in Elisabeth
entstehen sollte. Hinwiederum aber kam Gabriel zu Maria, nicht
zu Joseph; dahin, woher das Fleisch entstehen, woher es seinen Ur¬
sprung haben sollte, zu ihr selbst kam der Engel4).«
Rufinus von Aquileja (f 410) sieht sich in seinem Commentar
zum Apostolischen Glaubensbekenntniss durch den Spott der Heiden,
wie oben Ambrosius, zu folgender Ausführung veranlasst: »Die
Heiden pflegen uns zu verlachen, wenn sie hören, dass von uns die
Geburt der Jungfrau gepredigt werde, wesswegen ihren Verkleine¬
rungen kurz zu antworten ist.« Zu jeder Geburt gehören drei
Faktoren, weibliche Reife, männlicher Umgang, Fruchtbarkeit. Bei
der Geburt, die wir predigen, fehlt eins, der Mann, welchen wir,
da der Geborene kein irdischer, sondern ein himmlischer Mensch
war, durch den himmlischen Geist ersetzen, ohne Schwächung der
Jungfrau' Was scheine denn bei der Empfängniss der Jungfrau
wunderbar, wenn der orientalische Vogel Phönix ohne Männchen
aus sich selbst wiedergeboren werde? Allen sei bekannt, dass die
Bienen ohne geschlechtliche Verbindung sich fortpflanzen und so
gebe es noch mehrere naturgeschichtliche Beispiele. Die Heiden
glauben, dass Minerva aus Jupiters Haupt, Bacchus aus seinem
Schenkel geboren sei (bemerkt er wie Cyrill von Jerusalem), sie
lassen Venus aus dem Schaum des Meeres 5) entstehen, Kastor und
0 Serm. 9.
2) Comm. in epist. ad. Gal. 1. II, c. 4: »denn es war nicht nothwendig, immer
gleichsam vorsichtig und furchtsam Jungfrau zu sagen.«
3) Serm. 29 ad Luc. I, 28.
4) Sermo 291 in natal. Jo. ßapt. 3. Auch sonst wird häufig die Beiwohnung
des Mannes abgewiesen. Z. B. Contra Faust. 1. 23, c. 8 und öfters; dann de
cons. evang. II, 1 ; sermo 343 de Susanna et Joseph 3 u. s. w.
5) »Venerem .... de spuma maris, sicut et omnis ejus compositio ostendit,
credunt esse progenitam.«
28
Pollux aus einem Ei, die Myrmidonen aus Ameisen, die Menschen
alle aus den von Deukalion und Pyrrha geworfenen Steinen. Und
obwohl sie diese und so viele andere Erdichtungen geglaubt haben,
scheint ihnen eines unmöglich, dass ein reifes Mädchen den göttlichen
Keim nicht durch männliche Schuld, sondern durch Gottes Geist
empfangen habe. Wenn sie so schwergläubig sind, so durften sie
jenen schändlichen Ungeheuerlichkeiten keinen Glauben schenken;
wenn sie aber zum Glauben geneigt sind, so mussten sie viel bereit¬
williger diese unsere so ehrbaren und heiligen Dinge glauben, als
jene so unwürdigen und abscheulichen *)• In seinem Buch über die
Segnungen der Patriarchen endlich entnimmt er zu der Stelle
Genes. XLIX, 9: »Ein junger Löwe ist Juda, aus dem Keime (de
germine) bist du aufgestiegen, mein Sohn,« dem Origenes wörtlich
die Erklärung, die wir oben mitgetheilt haben* 2).
Schliesslich ist noch die eigenthtimliche Deutung des Wortes
ha-alma bei Isai. VII , 14 durch Hieronymus zu erwähnen. »Ich
weiss, sagt er in seinem Buch gegen Jovinian3), dass die Juden
entgegenzuhalten pflegen, im Hebräischen bedeute das Wort alma
nicht eine Jungfrau, sondern eine Junge. Und wirklich heisst Jung¬
frau eigentlich bethula, eine Junge aber oder ein Mädchen heisst
nicht alma, sondern naara. Was heisst nun alma? Antwort: eine
verborgene Jungfrau, eine Jungfrau mit nachdrücklicher Betonung
. . . . eine abgesonderte, von ihren Eltern sorgfältig behütete Jung¬
frau,« wie die keusche Rebekka, welche desshalb auch alma heisse,
Genes. XXIV, 42 ff.
Man sieht, die Kirchenväter gaben sich alle Mühe, die Möglich¬
keit und Wirklichkeit des Empfängnisswunders zu beweisen — zu¬
nächst den Ungläubigen gegenüber. Für die Gläubigen bedurfte es
ja eines solchen Beweises, obwohl sie auch hiedurch in ihrem Glauben
nur gekräftigt werden konnten, eigentlich nicht. Die Masse nahm
die jungfräuliche Empfängniss einfach als Wunder, wie jedes andere,
welches die Bibel erzählte, die philosophisch geschulten Schriftsteller
aber begnügten sich nicht damit, bloss die Möglichkeit und Wirk¬
lichkeit dieses Wunders darzulegen, sondern sie bewiesen in ihrer
Weise die Nothwendigkeit desselben, indem sie es als eine der
9 Comm, in symb. apost. ; Artikel: qui natus est de sp. s. etc.
2) De bened. patr. üb. I, 2.
3) I, 33, vgl. auch Adv. Helvid. 4.
20
Grundbedingungen der Erlösung auffassten. Die Erlösung wird nem-
lich als eine Art Neuschöpfung betrachtet, die Sendung des Messias
als eine Art Wiederholung der Erschaffung des Adam, der Messias
selbst heisst der zweite Adam. Um Regenerator der gefallenen
Menschheit werden zu können, muss er selbst Mensch werden und
zwar ungefähr auf dieselbe Art wie der erste Mensch , und doch
zugleich von diesem ersten Menschen abstammen. Diess ist nur
dadurch möglich, dass er einen ebenso reinen, sündenlosen Ursprung
hat wie Adam; darum muss er nicht durch sündhafte Vermischung
von Mann und Weib, sondern aus einer reinen Jungfrau Fleisch an¬
nehmen. Eine andere Wendung, welche sich bei den Kirchenvätern
in verschiedenen Variationen findet, ist diese: Weil durch eine
Jungfrau (Eva) die Sünde in die Welt kam, musste durch eine
Jungfrau (Maria) das Heil auf die Welt kommen. Letztere Wendung
ist die ältere, sie findet sich bereits bei Justin.
Der vor allen Geschöpfen von dem Vater ausgegangene Sohn,
sagt dieser in seinem Gespräch mit dem Juden Tryphon1), »sei
durch die Jungfrau Mensch geworden, damit der Ungehorsam, der
von der Schlange stammt, durch eben denselben Weg, durch den er
seinen Anfang genommen hatte, auch sein Ende nehme. Denn Eva
nahm, als sie noch Jungfrau und unverdorben war, das Wort der
Schlange in sich auf und gebar den Ungehorsam und den Tod;
Maria aber, die Jungfrau, antwortete mit Glauben und Freude auf
die Botschaft des Engels Gabriel .... mir geschehe nach deinem
Worte.«
Irenäus bringt diese Gegenüberstellung von Eva und Maria
zweimal in seinem Buch gegen die Häresieen. Die eine Stelle lautet
folgendermassen : »Die Jungfrau Maria wird gehorsam erfunden, in¬
dem sie sagt: Siehe, ich bin deine Magd, o Herr . . . .; Eva aber
ungehorsam, denn sie hat nicht gehorcht, als sie noch Jungfrau
war. Wie die letztere, die zwar einen Mann — Adam — hatte,
aber doch noch Jungfrau war, .... durch ihren Ungehorsam für
sich und für das ganze Menschengeschlecht zur Ursache des Todes
geworden ist; so ist Maria, die auch einen ihr vorausbestimmten
Mann hatte und dennoch Jungfrau war, durch ihren Gehorsam für
sich und für das ganze Menschengeschlecht zur Ursache des Heiles
geworden. Und desswegen nennt das Gesetz die, welche einem
*) c. 100.
30
Manne verlobt war, Frau des Verlobten, obwohl sie noch Jungfrau
ist, indem es den Rückkreislauf (recirculatio) x) von Maria zu Eva
andeutet; weil etwas Gebundenes nicht anders aufgelöst werden
kann, als wenn die Bindungsknoten selbst rückwärts aufgemacht
werden, so dass die ersten Knoten durch die zweiten gelöst werden,
die zweiten die ersten wieder befreien. Und so geschieht es, dass
zwar der erste Knoten von dem zweiten gelöst wird, beim zweiten
Knoten aber die erste Lösung stattfmdet. Und darum sagte der
Herr, die Ersten werden die Letzten, und die Letzten die Ersten
werden. Und der Prophet bezeichnet dasselbe mit den Worten:
Für die Väter sind die Söhne geboren * 2). Denn als Erstgeborener
unter den Todten 3) ist der Herr geboren, und indem er die früheren
Väter in seinen Schooss zurücknahm, hat er sie zum Leben Gottes
wiedergeboren, da er selber der Anfang der Lebenden ward, weil
Adam der Anfang der Sterbenden geworden ist. Desswegen fängt
auch Lukas in seinem Geschlechtsregister vom Herrn an und führt
es auf Adam zurück, um zu bezeichnen, dass nicht jene (die Väter)
diesen (Christus), sondern dieser jene zum Evangelium des Lebens
wiedergeboren habe. So aber hat der Knoten des Ungehorsams
der Eva seine Lösung erhalten durch den Gehorsam Mariä. Denn
was die Jungfrau Eva durch ihren Unglauben gebunden hat, das
hat die Jungfrau Maria durch ihren Glauben gelöst4).
Die andere Stelle bei Irenäus heisst so:
»Wie das Menschengeschlecht durch eine Jungfrau an den Tod
gefesselt wurde, so wird es durch eine Jungfrau erlöst; indem die
Wagschalen gleichgestellt sind, nemlich jungfräulicher Ungehorsam
durch jungfräulichen Gehorsam. Denn jetzt ist die Sünde des Zu¬
erstgebildeten (protoplasti) durch die Bestrafung des Erstgeborenen
wieder gutgemacht, und die Klugheit der Schlange durch die Einfalt
der Taube besiegt, und jene Bande gelöst, durch die wir an den
Tod gekettet waren 5).«
Diese beiden Stellen enthalten offenbar mehr, als was sie hier
sagen sollen. Allein sie lassen sich schwer zerreissen; darum blieb
nur übrig, sie an dem Ort, wo sie zuerst aufzuführen waren, ganz
') Hatte der Urtext vielleicht „&vaxüxXY]ai?“ '?
2) Ps. XLIV, 17.
3) Goloss. I, 18.
4) Iren. haer. III. 22, 4.
5) Haer. Y, 19, 1, 2.
31
zu geben und die Blosslegung der nicht hieher gehörigen Beziehungen
auf die späteren Ausführungen zu verschieben.
Die von uns oben vorangestellte Antithese der Erschaffung
Adams und der Menschwerdung des Messias mit Beziehung auf
unsern Gegenstand hat ebenfalls in Irenaus ihren frühesten Ver¬
treter. Denn der »Brief der Priester und Diakonen Achajas« über
das Martyrium des Apostels Andreas, worin sich die Stelle findet:
»Weil der erste Mensch aus makelloser Erde erschaffen worden,
war es nothwendig, dass von einer makellosen Jungfrau der voll¬
kommene Mensch geboren werde u. s. w. x)« — dieser Brief lässt
sich nicht genau datiren. Während ihn einige dem ersten Jahr¬
hundert vindiciren , halten ihn andere für die Umarbeitung einer
Schrift des Manichäers Leucius Gharinus * 2). Irenäus aber schreibt:
»Wie jener zuerstgebildete Adam von unbearbeiteter und noch
jungfräulicher Erde (denn Gott hatte noch nicht regnen lassen und
der Mensch hatte die Erde noch nicht bebaut) 3) die Substanz hatte
und gebildet worden ist durch die Hand Gottes, d. h. durch das
Wort Gottes (denn Alles ist durch dasselbe gemacht worden) 4), und
der Herr Lehm nahm von der Erde und den Menschen bildete5):
so nahm, den Adam in sich wiederholend, er selbst, das in die Er¬
scheinung tretende Wort, aus Maria, welche noch Jungfrau war,
ordnungsmässig die Zeugung der Wiederholung des Adam an. Wenn
also der erste Adam einen Menschen zum Vater gehabt hätte und
aus dem Samen des Mannes geboren wäre, so würde man mit
Recht sagen, auch der zweite Adam sei aus Joseph gezeugt. Wenn
aber jener von der Erde genommen, und durch das Wort Gottes
gebildet ist, so musste dieses Wort selbst, die Wiederholung des
Adam in sich selbst machend, eine Aehnlichkeit ebenderselben Zeugung
haben. Warum also hat Gott nicht wiederum Lehm genommen,
sondern aus Maria die Bildung gewirkt? Damit keine andere Bil¬
dung werde und keine andere Bildung wäre, welche erlöst würde,
sondern ebendieselbe selbst wiederholt würde, mit Aufrechthaltung
der Aehnlichkeit 6). «
b Presb. et Diac. Ach. ep. 5.
2) S. Tischendorf, Act. apost. apocr. Proleg. pag. XL ff. und XLVIT.
3) Gen. II, 5.
4) Joh. I, 3.
B) Gen. II, 7.
6) Contra haer. lib. III, c. 21.
32
Tertullian verbindet beide Vergleichungen an einer und der¬
selben Stelle seines Buches »über das Fleisch Christi« mit einander.
»Auf neue Weise musste der Urheber der neuen Geburt geboren
werden, von welcher, wie Jesaias vorherverkündigte, der Herr ein
Zeichen geben wollte. Welches ist nun dieses Zeichen? , Siehe,
eine Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären.4 Es hat
also die Jungfrau empfangen und den Emmanuel , Gott mit uns,
geboren. Diess ist eine neue Geburt, indem ein Mensch in Gott
geboren wird. In diesem Menschen ist Gott geboren, indem er
das Fleisch des alten Samens angenommen hat ohne den alten
Samen, um es durch neuen Samen, d. h. geistig umzugestalten,
entsiindigt und gereinigt vom alten Schmutze. Aber diese ganze
Neuheit ist auch, wie diess bei Allem der Fall ist, von Alters her
vorgebildet, indem der Herr nach planmässiger Anordnung durch
die Jungfrau geboren wurde. Jungfrau war noch die Erde *), noch
nicht durch Beackerung entweiht, noch nicht für Aussaat aufgelockert,
als aus ihr, wie wir vernommen haben, von Gott der Mensch gemacht
wurde zur lebenden Seele. Wenn also der erste Adam von der
Erde stammt, so ist mit Recht der folgende, oder der jüngste Adam,
wie der Apostel sagt, gleichfalls von der Erde, d. i. von dem noch
nicht für Zeugung entsiegelten Fleische zum belebenden Geiste von Gott
hervorgebracht worden . Jungfrau war noch Eva, als das
todbringende Wort bei ihr sich einschlich; in eine Jungfrau musste
darum gleicherweise das lebenbringende Wort Gottes eingeführt werden,
damit, was durch dasselbe Geschlecht verloren gegangen war, durch
das nemliche Geschlecht gerettet würde * 2).«
Diese Antithesen finden sich nun mehrfach bei den folgenden
Kirchenvätern und Kirchenschriftstellern fast immer zum Zwecke,
um die Nothwendigkeit der jungfräulichen Empfängniss darzuthun.
So die Gegenüberstellung der jungfräulichen Erde und der Maria bei
Methodius, Bischof von Tyrus (f 311), bei J. Firmicus Maternus, bei
Ephräm dem Syrer und Ambrosius. Der erste schreibt in seinem
»Gastmahl der zehn Jungfrauen« .... »neubildend aus der Jung¬
frau und dem Geiste bildete er ihn. Denn auch im Anfänge, als
die Erde noch jungfräulich und ungepflügt war, nahm er Erde
:) Aehnlich adv. Judaeos XIII:
rigata etc.
2) De carne Christi 17.
utique illa terra virgo nondum pluviis
33
und bildete das vernünftigste Wesen aus derselben ohne Zeugung *).
Der zweite sagt in seiner um 340 geschriebenen Abhandlung ȟber
den Irrthum der heidnischen Religionen«: »Der (erste) Mensch ist
aus dem Lehm jungfräulicher Erde gemacht worden .... Dieser
hat durch Verachtung der Verhaltungsbefehle Gottes das menschliche
Geschlecht in die Fesseln der Sterblichkeit geschlagen. Das musste
nun wieder gut gemacht werden .... Der aus dem Lehm jung¬
fräulicher Erde gemachte Adam hat durch eigene Pflichtverletzung
das verheissene Leben verloren; der durch die Jungfrau Maria und
den heiligen Geist geborene Christus hat sowohl die Unsterblichkeit
als auch das Reich erlangt ....« * 2 )
Ephräm hat die Wendung: »Die Erde als Jungfrau gebar den
ersten Adam, das Haupt der Erde, eine Jungfrau wiederum gebar
heute den neuen Adam, das Haupt des Himmels 3).« Ambrosius
endlich äussert sich so: »Der erste Mensch war von der Erde und
dem Himmel, der zweite von dem Himmel und der Erde; dieser
aus Gott und Maria, welche von der Erde, jener aus der Erde und
dem Geiste, welcher vom Himmel ist. Eeide jedoch sind aus einer
Jungfrau und ohne geschlechtliche Vermischung , dieser aus einer
unverletzten, jener aus einer unberührten, weil sie noch nicht durch
Samen, durch die Pflugschar, durch den Regen verwundet war4).
Die Gegenüberstellung von Eva und Maria kommt häufiger vor.
Der KirchenhislorikSr Eusebius 5), der syrische Bischof Aphraates 6),
Cyrill von Jerusalem, Ephraem der Syrer7), Zeno von Verona,
Epiphanius, Ambrosius, Chrysostonms, Augustinus bringen dieselbe
theils kürzer, theils ausführlicher. Cyrill z. B. sagt in seiner zwölften
Katechese: »Durch die Jungfrau Eva kam der Tod. Es musste
darum durch eine Jungfrau oder vielmehr aus einer Jungfrau das
Leben erscheinen , damit , wie jene die Schlange betrog , so dieser
Gabriel die frohe Botschaft brachte 8).«
Etwas weiter unten gewinnt er derselben Vergleichung eine ganz
b Or. III, Thalia c. 4.
2) De errore prof. rel. c. 26.
3) Op. syr. et lat. Tom. II, p. 397, a. Edit. Rom. 1740.
4) Sermo 45, 1.
5) Lib. 1 de fide adv. Sabell.
e) Sermo de devotis c. 6.
7) Opera, Tom, II, syr. et lat. p. 318, 327, 328.
8) Catech. XII, 15.
Lehner, Die Marienverehrung.
3
34
eigene Seite ab: »Das weibliche Geschlecht war den Männern Dank
schuldig; denn Eva war aus Adam geboren, nicht von einer Mutter
empfangen, sondern nur von einem Manne gleichsam geboren. Maria
stattete den Dank ab, da sie nicht aus einem Manne, sondern aus
sich allein unbefleckt aus dem heiligen Geiste durch die Kraft Gottes
gebar 1).«
Bei Zeno (f ca. 380) erscheint die Vergleichung mit eigenthüm-
licher Nüance: »Von dem Weib, welches zuerst gesündigt hatte,
fängt die Sorge der Beschneidung an. Und weil der Teufel , mit
seinem Rathe durch das Ohr sich einschleichend, die Eva verwundet
und dem Tod geweiht hatte, reinigt Christus, indem er durch das
Ohr2) in Maria eingeht, alle Fehler des Herzens und heilt die
Wunde des Weibes, da er von der Jungfrau geboren wird. Ver¬
nehmet das Zeichen des Heiles! Auf die Verführung folgt die Un¬
versehrtheit, auf das Gebären die Jungfräulichkeit 3 4).«
Epiphanias führt, wie Irenäus, die Antithese gründlicher und viel¬
seitiger durch; wir werden später ebenfalls noch darauf zurückkommen
müssen. Hieher gehört nur Folgendes: »Eva ist für die Menschen
der Grund des Todes geworden, denn durch sie kam der Tod in die
Welt; Maria der Grund des Lebens, denn durch sie wurde uns das
Leben geboren .... Und da Eva noch Jungfrau war dort beim
Sündenfall durch Ungehorsam, so kam wiederum durch die Jungfrau
der Gehorsam der Gnade i).«
Ambrosius schreibt in seinem Briefe an die Kirche von Vercelli
a. 396: »Eine Jungfrau gebar das Heil der Welt, eine Jungfrau
gebar das Leben für alle .... Durch Mann und Weib ist das
Fleisch aus dem Paradiese hinausgeworfen worden, durch eine Jung¬
frau ist es mit Gott verbunden 5).«
Augustinus endlich sagt: »Weil durch das weibliche Geschlecht
der Mensch gefallen ist, ist durch das weibliche Geschlecht der Mensch
9 Ibid. 29.
2) Dasselbe sagt der oben citirte Gaudentius: »per maternas illapsus aures«
Sermo 13, und manche andere, s. unten.
3) Lib. II, Tract. 13, n. 10. Vgl. auch Lib. I, Tract. 2, n. 9. »0 caritas,
quam pia et quam opulenta! ... Tu Deum in hominem demutare voluisti. , . .
Tu virginali carceri novem mensibus religasti. TuEvam in Maria redintegrasti,
Tu Adam in Christo renovasti.«
4) Haer. 78, 18.
5) Epist. 63, n. 33. Vgl. auch De instit. virg. c. 5.
35
wieder hergestellt worden, da eine J u n g f r a u Christum geboren _
Durch das Weib der Tod, durch das Weib das Leben 1).«
Einen neuen, der obigen Antithesen sich nicht bedienenden
Beweis für die Noth Wendigkeit der jungfräulichen Empfängniss haben
wir von Lactantius aus dem Jahr 320 nachzuholen: Christus musste
in Allem dem Vater ähnlich sein. »Weil Gott der Vater, der Ur¬
sprung und Anfang aller Dinge, der Eltern entbehrt, wird er vom
Trismegistus ganz richtig vaterlos und mutterlos genannt, weil er
aus Niemand hervorgebracht ist. Desswegen musste auch der Sohn
zweimal geboren werden, damit er ebenfalls vaterlos und mutterlos
würde. Bei seiner ersten geistigen Geburt war er mutterlos, weil
er ohne mütterliche Verrichtung von Gott dem Vater allein gezeugt
ist. Bei der zweiten, fleischlichen Geburt aber war er vaterlos, weil
er ohne väterliche Verrichtung aus jungfräulicher Gebärmutter hervor¬
gebracht worden ist2).« Wenige Kapitel weiter unten in demselben
Buch »Göttlicher Unterweisungen«, dem obige Stelle entnommen ist,
schreibt er: »Damit es gewiss wäre, dass er von Gott geschickt sei,
durfte jener nicht so geboren werden, wie der Mensch geboren wird,
aus zwei sterblichen Eltern gebildet ; sondern damit es klar erschiene,
dass jener auch im Menschen ein himmlischer sei, ist er ohne Mit¬
wirkung eines Erzeugers erschaffen worden. Denn er hatte zum
geistigen Vater Gott, und wie der Vater seines Geistes Gott ohne
Mutter ist, so ist die Mutter seines Körpers die Jungfrau ohne Vater 3).«
In dem »Auszug« aus dem genannten Werke wiederholt sich dann
ungefähr dieselbe Beweisführung. »Wiedergeboren ist er also aus der
Jungfrau ohne Vater als Mensch, damit er, wie er bei seiner ersten,
geistigen Geburt geschaffen und aus Gott allein heiliger Geist ge¬
worden ist, so bei seiner zweiten, fleischlichen Geburt aus der Mutter
allein erzeugt, heiliges Fleisch werde, auf dass durch ihn das Fleisch,
welches der Sünde unterworfen gewesen war, vom Untergang er¬
rettet würde4).«
Cyrillus von Jerusalem , den wir oben schon herbeigezogen
haben, bringt schliesslich noch folgenden Beweis: »Es geziemte sich
für den Reinsten und Lehrer der Reinheit, aus reinem Brautgemach
') Sermo 232, c. 2.
2) Div. inst. 1. IV, c. 13.
3) Ibid. c. 25.
4) Epit. d. i. c. 43.
her vorzugelien. Denn wenn schon ein würdiger Priester Jesu sich
des Weibes enthält, wie konnte Jesus selbst vom Manne und Weibe
stammen?« !)
Werfen wir nun einen Blick auf das Voranstehende zurück, so
gewinnen wir den Eindruck, dass die jungfräuliche Empfängniss von
dem Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens an bei den Christen nicht nur
immer allgemeineren Glauben gefunden hat, sondern durch die Be¬
mühungen der christlichen Wissenschaft zur allgemeinen Ueberzeugung
geworden ist. Um das wissenschaftliche Verfahren kurz zu rekapi-
tuliren, so wird die Möglichkeit dieses Wunders bewiesen:
1. durch Beispiele von andern Wundern aus der heiligen
Geschichte ;
2. durch Beispiele aus der Naturgeschichte;
3. durch Beispiele aus der Mythologie;
die Wirklichkeit
1. durch den evangelischen Bericht;
2. durch die alttestamentlichen Prophezeiungen;
3. durch Exegese von Bibeltexten;
die Noth wendigkeit, weil nach dem göttlichen Erlösungsplan
1. durch eine Jungfrau das Heil kommen musste, wie durch
eine Jungfrau das Verderben gekommen war;
2. der Messias als zweiter Adam einen eben so reinen Ursprung
haben musste, wie der erste Adam;
3. weil die zweite Person der Trinität der ersten in Allem
ähnlich, also bei ihrer Menschwerdung vaterlos sein musste;
4. weil der Reinste keinen unreinen Ursprung haben durfte.
Es kann daher nicht ' überraschen, wenn Epiphanius in seiner
Schrift gegen die Antidikomarianiten ausruft: »Wer hat jemals, oder
in welchem Zeitalter hat einer es gewagt, den Namen der heiligen
Maria zu nennen, ohne, wenn man ihn fragte, sogleich beizusetzen,
die Jungfrau?« * 2) Diess liesse sich denn auch durch hundert Bei¬
spiele aus den Kirchenschriftstellern von Ignatius an belegen, welche
wirklich bei auch nur gelegentlicher Erwähnung des Namens Maria
sehr häufig das Prädikat Jungfrau nicht vergessen. Doch ist das
nach dem Bisherigen überflüssig.
*) Catech. XII, 25.
2) Haeres. LXXVII1, 6.
Mutter
Dass Maria die Mutter Jesu war, berichten alle vier Evangelien
nebst der Apostelgeschichte. Doch lassen die biblischen Erzählungen
auch für diesen Zug eine doppelte Auffassung zu. Diejenigen, welche
Jesus für des Zimmermanns Sohn halten, müssen natürlich seine
Mutter wie jede andere Mutter ansehen; wer aber um ihr göttliches
Geheimniss weiss, wie Elisabeth, dem erscheint sie nothwendig in
höherer Würde. »Woher mir das, dass die Mutter meines Herrn
zu mir kommt?«
Ueberhaupt ist es der Zug der Mutterschaft, der aufs engste
mit der Vorstellung von Christus zusammenhängt. Es kann sich
hier nicht darum handeln, eine Geschichte des christologischen Be¬
griffs zu geben; es dürfen nur diejenigen Entwickelungsstufen kurz
berührt werden , mit welchen der Name Mariens ausdrücklich in
Verbindung gebracht wird.
Was nun diejenige Vorstellung betrifft, nach welcher Maria
sich von keiner andern Mutter unterscheidet, so fällt das Hieher-
gehörige mit dem zusammen, was über den vulgären Ebionitismus
und verwandte Richtungen bei dem Zug der Jungfräulichkeit vor¬
gebracht worden ist. Es wäre höchstens noch anzuführen , dass,
da auf die Eltern eines ausgezeichneten Menschen immer ein Strahl
von dem Ruhme des Sohnes zurückfällt, ohne Zweifel auch bei den
Ebioniten u. s. w. Maria in höherer Achtung stehen musste, als
irgend ein anderes Weib eines beliebigen anderen Zimmermanns.
Ebenso ist der Schluss psychologisch gerechtfertigt, dass Juden und
Heiden , welche Christus für einen Betrüger und Staatsverbrecher
hielten, auch seine Mutter darum scheel ansahen. Jedoch haben
wir für das Erstere gar keinen , für das Letztere keinen weiteren
Beleg aus den Schriftstellern aufzuführen, als die im vorigen Kapitel
vorgebrachten.
38
Anders gestaltete sich die Sache für diejenigen, welche in
Christus den Mensch gewordenen Gott sahen, sei es nun im Sinne
des Neuen Testaments oder in irgendwelchem religionsphilosophischen
Sinne.
Wir haben im vorigen Abschnitt gesehen , dass ein Theil der
ältesten Religionsphilosophen, der Gnostiker, in ihrer Ansicht über
die Mutter Christi mit den Ebioniten zusammentraf. Ein anderer
Theil nun, mit dem wir es hier vorzugsweise zu thun haben, leugnete
entweder jedes Verhältniss Christi zu Maria oder fasste es in traum¬
haft phantastischer Weise auf. Es sind diess diejenigen Gnostiker,
welche dem Doketismus eine Stelle in ihrem Systeme eingeräumt
hatten, d. h. derjenigen Auffassung, nach welcher Christus bloss in
einem Scheinkörper auf Erden sich gezeigt habe. Die Anfänge dieser
phantastischen Ansicht greifen noch ins erste Jahrhundert zurück. *
Hatte schon früh in den apostolischen Zeiten der, aus der
Apostelgeschichte *) berüchtigte, samaritanische Gaukler Simon Magus
von sich ausgesagt, dass er selber als Jesus scheinbar gelitten
habe* 2), so behauptete sein Schüler Menander ungefähr dasselbe von
sich 3). Diese beiden standen somit noch ganz ausserhalb des
Christenthums. Saturninus (um 125) aber, der Schüler des letzteren,
stellte den Satz auf: Der höchste Aeon, Christus, vong, sei ungeboren,
unkörperlich, bloss dem Scheine nach Mensch geworden 4). Dasselbe,
nur mit etwas andern Worten, behauptete Cerdo 5) (»Christus sei
nicht aus Maria geboren, noch im Fleische erschienen, sondern
scheinbar gewesen« etc.), der Lehrer des einflussreichen Marcäon
(um 150) 6). Der letztere hat ein »Evangelium« zurechtgemacht,
cl. h. eine Verstümmelung des Lukasevangeliums, in welchem die
ganze Jugendgeschichte Christi fehlt, denn er lehrte, Christus habe
sich zu Kapernaum plötzlich in einem Scheinkörper niedergelassen.
Auch liess er unter Anderem die Stelle Luc. VIII, 19: »Einst kamen
seine Mutter etc.« weg, brachte bloss den folgenden Vers 20: »Man
meldete ihm: Deine Mutter etc.« und schloss aus der Antwort des
0 Acta VIII, 9—24.
2) Iren. haer. I, 23, 1, 3; Epiphan. haer. XXI, 1.
3) »Eadem dicens, quae Simon ipse; quidquid se Simon dixerat, hoc se
Menander esse dicebat.« Tertull. de praesc. c. 46.
4) Iren. haer. I, 24. 1.
5) Epiph. haer. XLI, 1.
G) Iren. haer. I, 27, III, 3, 4. Epiph, haer. XLII.
39
Herrn , er habe eben damit seine Mutter verleugnet 1). Apelles,
Schüler des Mareion, gab zwar den Doketismus seines Lehrers bei¬
nahe vollständig wieder auf, leugnete aber doch den Zusammenhang
Christi mit Maria. Er lehrte: Christus habe nicht von der Jungfrau
Maria, nicht von Mannes Samen, aber doch in Wahrheit Fleisch
angenommen. Als er vom Himmel auf die Erde gekommen sei,
habe er aus den vier Elementen, aus dem Kalten und Warmen,
dem Trockenen und Feuchten sich einen Körper gebildet 2). Der
Aegypter Valentin, der um 160 starb, meinte: »Jesus Christus habe
seinen Körper von oben gebracht, und sei, wie Wasser durch einen
Kanal, durch Maria die Jungfrau hindurchgegangen und habe nichts
von der Gebärmutter der Jungfrau genommen3).« Dass Barde-
sanes, der um 172 zu Edessa wirkte, sich an den Doketismus
Valentins angelehnt hat , geht aus der Apologetik des Epiphanius
gegenüber seinem Systeme hervor4). Die Ophiten endlich, um
das Jahr 150 entstanden, Hessen den himmlischen Christus bei der
Taufe des Johannes mit dem von einer Jungfrau geborenen Menschen
Jesus sich verbinden 5) und verzichteten daher auf den Doketismus
wenigstens insoweit, als Maria dabei ins Spiel kommt.
Die gnostischen Systeme bewegten sich, wie aus den im Obigen
angegebenen Daten erhellt, hauptsächlich innerhalb des zweiten Jahr¬
hunderts und neigten sich im Verlauf des dritten schon stark ihrem
Verfalle zu, wie schon früher bemerkt wurde.
Der Doketismus jedoch bildete auch einen Bestandteil eines
neuen Systems, das in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts
in Persien entsprang und nach seinem Stifter, dem persischen
Charlatan Manes, den Namen Manichäismus erhielt.
Es sind uns sehr interessante Akten einer Disputation, die um
das Jahr 277 zwischen Manes und Archelaus, Bischof von Kaskar
in Mesopotamien, stattgefunden hat, in einer alten lateinischen
Uebersetzung aufbewahrt. Ihre Aechtheit ist zwar nicht über jedes
Bedenken erhaben, wir theilen aber dennoch den bezüglichen Ab¬
schnitt mit , weil darin ein Doket redend eingeführt und das
0 Epiph. haer. XLII, 11.
2j Epipli. haer. XLIV, 2.
3) Epiph. haer. XXXI, 7 ; vgl. Ihid. 4; Iren. haer. I, 7, 2; Hippol. Phil. "VI, 35, 36.
4) Epiph. haer. LVI, 2.
r>) Iren. haer. I, 30, 11, 12.
40
exegetische Verfahren des Doketismus anschaulich geschildert wird.
Manes spricht: »Jesus .... erschien zwar in Gestalt eines Menschen,
war jedoch kein Mensch.« Archelaus fragt darauf: »Also glaubst
du nicht, dass er aus Maria, der Jungfrau sei?« Manes: »Ferne
sei es von mir, zuzugestehen, dass unser Herr durch die natür¬
lichen Organe des Weibes (vom Himmel) herabgekommen sei; denn
er selbst gibt Zeugniss davon , dass er aus dem Schoosse des
Vaters herabgekommen sei ... . So Einer, wie du, sagte einst zu
ihm: Maria, deine Mutter und deine Brüder stehen draussen. Das
hat aber der Herr nicht gut aufgenommen, sondern den, der’s
gesagt hatte, hart angelassen mit den Worten: Wer ist meine
Mutter und wer sind meine Brüder? Und er hat dargethan, dass
diejenigen, welche seinen Willen thun, ihm Mütter und Brüder seien.
Wenn du aber behaupten willst, dass Maria seine Mutter sei, so
kannst du diess nicht ohne Gefahr für dich. Denn ohne Zweifel
wird auch gezeigt, dass er Brüder aus ihr gehabt habe. Nun sage,
ob diese von Joseph gezeugt seien, oder von demselben heiligen
Geiste. Ist das Letztere der Fall, so haben wir auch viele Christus.
Sind sie nicht von demselben heiligen Geiste, behauptest du aber
dennoch, dass er Brüder gehabt habe, so ist diess ohne Zweifel so
zu verstehen, dass nach dem heiligen Geiste, nach Gabriel, die
keuscheste und unbefleckte Jungfrau den Joseph geheirathet habe.
Wenn nun auch das durchaus absurd ist, dass ihr Joseph bei¬
gewohnt habe, so sage, ob er (Christus) Brüder gehabt habe. Oder
bürdest du ihr gar das Verbrechen des Ehebruchs auf? .... Wenn
nun nichts hievon der makellosen Jungfrau zukommt, woher willst
du die Beweise dafür nehmen, dass er Brüder gehabt habe? Wenn
du diess nicht beweisen kannst, wie kann dann Maria seine Mutter
sein, wie jener behauptet, der zu schreiben gewagt hat : Siehe, deine
Mutter und Brüder stehen draussen. Wenn nun auch jener das zu
sagen gewagt hat, so kann doch Niemand mächtiger oder grösser
sein, als derjenige selber, welcher uns seine Mutter und Brüder ge¬
zeigt hat. — Aber auch einen Sohn Davids will er sich nicht nennen
hören. Der Apostel Petrus, der hervorragendste aller seiner Schüler,
konnte ihn doch damals kennen. Als jeder seine Meinung über ihn
äusserte, sprach Petrus: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen
Gottes. Christus pries ihn sofort selig und sprach: Das hat dir
mein himmlischer Vater geoffenbart. Sieh, welch ein Unterschied
in den Antworten Jesu! .Jenem, welcher gesagt hatte: Siehe, deine
41
Mutter und Brüder stehen draussen, antwortete er: Wer ist mir
Mutter und Brüder etc., dem aber, welcher sagte: Du bist Christus etc.,
erwidert er mit Heil und Segen. Lassest du ihn darum von Maria
geboren werden, so lügt er selbst mit Petrus; sagt aber Petrus die
Wahrheit, so hat natürlich jener andere (im Evangelium) gelogen.
Hat dieser gelogen, so ist der Grund beim Schriftsteller (Evangelisten)
zu suchen« . . . . *).
Von diesem Disputationsprotokoll übrigens abgesehen bezeugt auch
der, bei Epiphanius aufbewahrte, Brief des Manes an Marcellus, sowie
die Darlegung und Bekämpfung der ganzen Manichäischen Häresie
durch den genannten Kirchenvater, dass das System den Doketis-
mus in sich aufgenommen habe 2).
Der Manichäismus hatte ein sehr zähes Leben; er zählte bei¬
spielsweise noch den h. Augustin eine Zeit lang zu seinen Anhängern
und überdauerte auch diesen Kirchenvater noch lange. Einige Aus¬
züge aus dem Buche des letzteren gegen seinen Zeitgenossen, den
Manichäer Faustus, charakterisiren auch ihrerseits das Verhalten
dieses Systems zu Maria. Faustus sagt z. B.: mit Unrecht lade
man dem Matthäus den Trug auf, als ob er den Sohn Gottes in
die Gebärmutter eines Weibes eingeschlossen hätte. In seinem
Stammbaum spreche er nur vom Sohne Davids, erst nach der
Taufe werde Jesus als Sohn Gottes erklärt. »Du siehst also, dass
das, was dreissig Jahre vorher, wie dem Lukas scheint, von Maria
geboren ist, nicht der Sohn Gottes selbst sei, sondern das, was
nachher von der Taufe im Jordan geworden ist.« »Wenn euer
Symbolum so beschaffen ist, dass ihr glaubet an Jesum Christum,
den Sohn Gottes, der geboren sei aus der Jungfrau Maria, so
empfanget ihr also den Sohn Gottes von Maria, Matthäus empfängt
ihn vom Jordan, wir (Manichäer) empfangen ihn aus Gott.« »Der¬
jenige, welchen Maria geboren hat, wenn er überhaupt existirte,
wird aber auch mit Unrecht ein Sohn Davids genannt, wenn nicht
feststeht, dass er von Joseph erzeugt sei.« Denn der Stammbaum
bei Matthäus gehe ja von Abraham durch David auf Joseph herab,
nicht auf Maria. Diese sei bekanntlich gar keine Tochter Davids
gewesen, sondern die Tochter eines gewissen Priesters, Namens
')
*)
lehrer
Disp. S. Archel. cum Man. V, 2, c. NLVII. Galland. III.
Epipb. haer. LXVI, 6, wo jener schreibt, dass die gewöhnlichen Christen-
„Xptaxöv Maptag «vog uvawög s'Xe*fov slvai tnov etc.“ S. auch Ibid. 26.
42
Joachim, aus dem Stamme Levi. Um die Davidische Abstammung
ihres vorgeblichen Sohnes zu retten, müsste man sie entweder für
Josephs Frau oder Tochter erklären 1). —
Fassen wir nun das Obige zusammen, so war also Maria nach
den doketischen Lehren gar nicht die Mutter Christi. Entweder hat
letzterer durchaus keine Beziehung zu ihr, sondern ist gleich als
Mann in einem Scheinleib oder wirklichen , aber selbstgeschaffenen,
Leib auf der Welt erschienen; oder aber er ist durch Maria als
Gespenst bloss hindurchgegangen, ohne Fleisch von ihr anzunehmen;
oder endlich drittens: Maria ist jungfräuliche Mutter des Menschen
Jesu , aber nicht Christi. Die erstere Lehre wird theils durch
Streichen einiger Abschnitte, theils durch gewaltsame Exegese einiger
Stellen im Evangelium gestützt lind aus diesem herausgelesen, dass
Christus selbst seine Mutter verleugne. Solche exegetische Eigen-
thümlichkeiten theilt Tertullian noch mehrere mit, wie wir unten
sehen werden.
Hiegegen war nun die biblische Anschauung zu vertheidigen.
Schon die Bibel selbst wehrt sich gegen die cloketische Auffassung,
wenn sie auch den Namen Marias hiebei nicht nennt. Die Stelle
wenigstens im Johannesevangelium: »Das Wort ist Fleisch gewor¬
den« 2) in Verbindung mit der Stelle im ersten Johannesbriefe: »Jeder
Geist, der bekennt Jesus Christus, den im Fleisch gekommenen, ist
aus Gott, und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus
Gott3)«, wird so gedeutet, dass damit gegen schon bestehende
doketische Meinungen angekämpft werde.
Der h. Ignatius dagegen, Bischof von Antiochien, der wahr¬
scheinlich im Jahre 107 zu Rom den Martyrtod erlitt, zieht die
Mutter des Herrn ausdrücklich in seine Abwehr des Doketismus
herein. Er hebt hervor, dass Christus »wahrhaft aus der Jungfrau
geboren« sei4), nennt ihn »einen fleischgewordenen Gott, sowohl
aus Maria, als aus Gott«5) und führt diesen Gedanken auch etwas
weiter aus mit den Worten: »Unser Gott Jesus Christus wurde von
Maria im Schoosse getragen nach dem Rathschluss Gottes, einerseits
') Contra Faustum 1. XXIII, 1—4,
2) Job. I, 14.
3) I. Job. IV, 2, 3.
4) Ep. ad Smyrn. 1.
5) Ep. ad Epbes. 7.
43
aus dem Samen Davids, andererseits aus dem heiligen Geiste1 2).«
Wir bemerken hier beiläufig, dass uns die Ignatiusfrage nicht un¬
bekannt ist; doch es thut hier nichts zur Sache, ob einer der mit-
getheilten Aussprüche, oder auch alle, aus dem ersten Jahrzehend
des zweiten Jahrhunderts stammen oder ein paar Decennien später
fallen.
Wie Ignatius bekämpft auch sein Freund Polykarp, Bischof von
Smyrna, den Doketismus in seinem (zwischen 108 und 150 — so¬
weit gehen die verschiedenen Ansichten aus einander — geschriebenen)
Briefe an die Philipper *). Doch nennt er bei dieser Gelegenheit
Maria nicht.
Desto häufiger thut diess der, uns aus dem vorigen Kapitel
schon bekannte, Schüler Polykarps, der heilige Irenäus, sowohl in
seiner Darlegung, als auch in seiner ausführlichen Bekämpfung der
gnostischen Aufstellungen über die Erscheinung Christi. Seine histo¬
rische und spekulative Begründung der Menschwerdung gehört natür¬
lich nicht hieher, sondern nur die Stellen, in welchen von Maria
die Rede ist und auch von diesen nur die bezeichnendsten. Bei der
Widerlegung der Doketen also gebraucht er Wendungen, wie die
folgenden: ». . . . Der aus Maria Geborene .... ist der Menschen¬
sohn .... Das Evangelium kennt keinen andern Menschensohn
ausser dem, welcher aus Maria ist, welcher auch gelitten hat, und
keinen Christus, welcher vor dem Leiden von Jesus davon geflogen
ist3).« »Es irren diejenigen, welche sagen, er habe nichts aus der
Jungfrau empfangen . . . ., denn wenn er nicht vom Menschen die
Substanz des Fleisches empfing . . . ., wenn er nicht das geworden
ist, was wir waren, so hat er nichts Grosses damit gethan, dass
er gelitten hat . . . ,4)«. »Seine Herabkunft in Maria wäre über¬
flüssig. Denn warum stieg er in dieselbe herab, wenn er nichts
von ihr zu nehmen beabsichtigte? Oder wenn er nichts aus Maria
genommen hätte, so hätte er niemals .... Speisen genossen, nicht
. . . . vierzig Tage gefastet . . . .5)« »Wir haben gezeigt, dass es
dasselbe ist zu sagen, er sei scheinbar erschienen, und er habe nichts
J) Ibid. 18. Vgl. Ep. ad Trall, 9.
2) Gap. 7.
3) Haer. III, 16, 5.
4) Ibid. III, 22, 1.
■') Ibid. III, 22, 2.
44
t
von Maria empfangen1).« Etwas ausführlicher wird schliesslich
bei Maria verweilt in folgender Stelle: »Dieser Sohn Gottes, unser
Herr, das in die Erscheinung tretende Wort des Vaters, der Men¬
schensohn ist Menschen sohn geworden, weil er aus Maria, welche
von Menschen ihr Geschlecht herleitet, welche ebenfalls
Mensch war, nach seiner menschlich en Natur abstammt2).«
Diesen Stellen Hessen sich noch mehrere beifügen, die denselben
Gedanken ausdrücken, nemlich dass Maria die wahre wirkliche
Mutter Christi gewesen sei. Ueberhaupt ist durch das ganze Buch
des Irenaus häufig von Maria die Rede, mehrmals werden Auszüge
aus den Verkünd igungsscenen bei Matthäus und Lukas gegeben
und alttestamentliche Stellen prophetisch gedeutet und zwar zu dem
angegebenen Zwecke3).
Näher auf die Sache geht Tertullian ein, bei welchem, wie
Möhler sagt, »das Faktum der göttlichen Inkarnation recht eigent¬
lich die belebende Mitte für seine gesammte, theoretische und
praktische Darstellung des Christenthums bildet4)«. In seinem, um
210 verfassten, Buche »über das Fleisch Christi« spricht er nicht
nur so nebenher von Maria als der wirklichen Mutter des Herrn,
sondern behandelt den Zug der Mutterschaft ausdrücklich mit
anatomisch -physiologischer Gelehrsamkeit neben den exegetischen
Beweisen, die er dafür vorbringt.
»So oft, sagt er, über die Geburt (Christi) gestritten wird,
behaupten alle, welche- dieselbe, als im voraus für die Wahrheit des
Fleisches in Christo entscheidend, verschmähen, Gott selbst leugne
seine Geburt, weil er gesagt habe: wer ist meine Mutter etc.« Darauf
erwidert er: »Es hätte wohl Niemand ihm angekündigt, dass Mutter
und Brüder draussen stehen , wenn er nicht gewiss gewesen wäre,
dass er Mutter und Brüder habe und dass es eben jene seien , die
er damals anmeldete« 5). Dann mit Bezug auf die Stelle im Galater¬
briefe IV, 4: »Geworden aus dem Weibe« sagt er: »Was ist das für
eine Winkelzügigkeit von euch, dass ihr selbst die Präposition ,ausl
streichen und lieber eine andere gebrauchen wollet, die in diesem
0 Ibid. V, 1, 2.
2) Ibid. III, 19, 3.
3) S. z. B. III, 9, 2 u. 10. 2; 16, 2. 3, 4, 5; 23, 7; IV, 9, 2; 33, 11.
4) Patrologie S. 760.
5) De carne Chr. 7.
45
Fall in* der heiligen Schrift sich nicht findet. Durch die Jungfrau,
sagt ihr, sei er geboren, nicht aus der Jungfrau, und in der Gebär¬
mutter, nicht aus der Gebärmutter, weil auch der Engel zu Joseph
im Traume gesprochen habe: was in ihr geboren ist etc., nicht:
was aus ihr geboren ist. Ich meinte doch, wenn er auch ,aus
ihr‘ gesagt hätte, so hätte er damit ebensogut auch ,in ihr‘
gesagt. Denn in ihr war, was aus ihr war. Somit stimmt also
das ,aus ihr4 und ,in ihr1 zusammen, weil aus ihr war, was in
ihr war. Gut jedoch ist es, dass Matthäus auch diese Präposition
(aus) gebraucht, indem er die Abstammung des Herrn von Abraham
bis auf Maria durchgeht: Jakob, sagt er, zeugte Joseph, den Mann
Mariä, aus welcher geboren ist Christus. Aber auch Paulus legt
diesen Grammatikern Schweigen auf : Es sandte, sagt er, Gott seinen
Sohn, geworden aus dem Weibe. Heisst es also ,durch‘ das
Weib, oder ,in4 dem Weibe? Diess wenigstens eindringlicher, in¬
sofern er vielmehr sagt , geworden4 , als , geboren4, denn einfacher
hätte er den Ausdruck , geboren4 gebraucht. Dadurch aber, dass er
geworden4 sagte, hat er den Ausspruch: ,das Wort ist Fleisch ge¬
worden4 bestätigt und die Wahrheit erhärtet, dass das Fleisch aus
der Jungfrau geworden sei. Uns unterstützen auch in diesem Falle
die Psalmen , nicht aber die des abtrünnigen , häretischen und pla¬
tonischen Valentin, sondern die des heiligen und anerkannten Pro¬
pheten David. Jener verkündet bei uns Christum, durch welchen
sich Christus selbst verkündet hat. Vernimm Christum und höre
den Herrn, wie er sich mit Gott dem Vater bespricht: ,Denn du
bist es, der mich losgerissen aus dem Leibe meiner Mutter4 *). Das
ist eine Stelle. ,Du meine Hoffnung von den Brüsten meiner Mutter
her; dir ward ich zugeworfen aus dem Mutterschoosse.4 Das ist eine
zweite Stelle. ,Und vom Leibe meiner Mutter an bist, du mein Gott.4
Das ist noch eine Stelle. Nun wollen wir den Sinn der Stellen er¬
örtern. ,Du hast mich aus dem Leibe losgerissen,4 sagt er. Was
wird losgerissen, wenn nicht das, was anhängt, was demjenigen ein¬
befestigt und eingefügt ist, von dem es losgerissen wird, um entfernt
zu werden? Haftete er nicht im Mutterleibe fest, wie ist er los¬
gerissen worden? Hing der, welcher losgerissen worden, an, wie
hätte er gehaftet, wenn er nicht, so lange er zum Mutterleib
gehörte, durch jene Nabelschnur, die gleichsam eine Ranke des
Ps. XXI, 10 u. 11 finden sich diese Stellen.
46
Mutterkuchens ist. seinem Ursprung von der Gebärmutter angeknüpft
war? .... Welche Mutterbrüste nennt er übrigens? Ohne Zweifel
jene, die er gesogen. Ueber die Beschaffenheit der Brüste mögen
die Hebammen, Aerzte und Physiologen Aufschluss geben, ob sie
auch aus anderen Ursachen zu fliessen pflegen , indem sie auch
ohne Befruchtung das auszuscheidende Blut durch die Adern auf¬
wärts leiten und eben durch die blosse Ortsveränderung dasselbe in
den edleren Milchstoff verwandeln. Daher geschieht es sogar, dass
zur Zeit des Säugens die Katamenien ausbleiben. Wenn aber das
Wort aus sich Fleisch geworden ist, nicht aus der Vereinigung
mit der Gebärmutter, ohne dass diese etwas mitgewirkt, gethan, ge¬
litten ; auf welche Weise ergoss dann dieselbe ihren Quell in die
Brüste, welche sie ohne jenes nicht ändert? Sie konnte das Blut
zur Zuführung der Milch nicht haben , wenn sie nicht die Ursache
des Blutes selbst hatte, nemlich die Losreissung ihres Fleisches. Was
das Neue in der Geburt Christi aus der Jungfrau gewesen ist, liegt
hiemit zu Tage, nemlich nur allein diess, dass er aus einer Jungfrau
geboren ist, dem Grunde gemäss, den wir angegeben haben, und
dann damit auch unsere Wiedergeburt jungfräulich wäre, geistiger
Weise, von allen Flecken geheiligt durch Christus, der selbst jung¬
fräulich ist, auch dem Fleische nach, weil aus dem Fleische der
Jungfrau. Wenn sie also behaupten, das sei eben das Neue, dass
das Wort Gottes, sowie nicht aus des Mannes Samen, so auch nicht
aus der Jungfrau Fleisch — Fleisch geworden sei : wesshalb soll
nicht das die ganze Neuheit sein, dass sein Fleisch nicht aus Samen
erzeugt, aber dennoch aus Fleisch hervorgegangen ist? Ich will noch
näher auf den Kampf eingehen. , Siehe, heisst es, eine Jungfrau
wird in ihrem Schooss empfangen.1 Was denn? Allerdings Gottes
Wort , nicht des Mannes Samen ; sicherlich , damit sie den Sohn
gebäre; denn es heisst weiter: ,Und sie wird einen Sohn gebären.4
Also wie es ihres Wesens war, zu empfangen, so ist auch ihres
Wesens, was sie geboren, obwohl das, was sie empfangen, nicht
ihres Wesens war. Dagegen, wenn das Wort aus sich Fleisch ge¬
worden ist, so hat es sich schon selbst empfangen und geboren und
die Prophezeiung ist nichtig. Denn nicht hat die Jungfrau empfangen
noch auch geboren, wenn nicht das, was sie aus des Wortes Empfäng¬
nis geboren hat, ihr Fleisch ist. Wird aber nur dieser Ausspruch
des Propheten entkräftet werden? Oder nicht auch der Ausspruch
des, die Empfängnis und Geburt der Jungfrau ankündigenden, Engels?
47
Oder nicht auch die ganze Schrift, soweit sie von der Mutter
Christi spricht? Denn wie ist sie Mutter, wenn nicht, weil er in
ihrem Schoosse gewesen? ,Aber nichts (wenden die Doketen ein)
hat er aus ihrem Schoosse empfangen, was sie, in deren Schooss er
gewesen , zur Mutter machte. Zu diesem Namen berechtigt kein
fremdes Fleisch. Den Schooss der Mutter spricht nur das Kind
desselben, das Fleisch an. Es ist aber nicht das Kind des Schoosses,
wenn es sich selbst geboren hat.4 Es wird also auch Elisabeth
schweigen, die den Propheten trägt, das seines Herrn schon bewusste
Kind, und die überdiess vom heiligen Geiste erfüllt ist. Denn ohne
Grund spricht sie wohl: , woher mir das, dass die Mutter meines
Herrn zu mir kommt.4 Wenn Maria Jesum nicht als Sohn, sondern
als Gast im Leibe trug, wie kann jene sagen: gesegnet sei die Frucht
deines Leibes? Wie ist derjenige Frucht des Leibes, welcher nicht
aus dem Leibe hervorgesprosst, welcher nicht im Leibe Wurzel ge¬
fasst, welcher nicht derjenigen angehört, der der Mutterschooss an¬
gehört. Und wer zumal ist Frucht des Leibes? Christus. Oder wird
er, nachdem er die Blüthe des Reises, hervorgegangen aus der Wurzel
Jesse ist, die Wurzel Jesse aber das Geschlecht Davids, das Reis
aus der Wurzel Maria aus David, die Blüthe aus dem Reis der
Sohn Mariä, welcher genannt wird Christus, — wird er etwa nicht
auch die Frucht sein? Denn die Blüthe ist die Frucht, weil durch
die Blüthe und aus der Blüthe alle Frucht zur Frucht sich ent¬
wickelt. Wie also? Sie sprechen sowohl der Frucht ihre Blüthe
ab, als auch der Blüthe ihr Reis und dem Reis seine Wurzel, damit
nicht die Wurzel durch ihr Reis das Eigenthumsrecht dessen , was
aus dem Reis ist, das Eigenthumsrecht der Blüthe und Frucht bean¬
sprucht. Wenn man nemlich die ganze Stufenleiter des Geschlechts
vom letzten bis zum ersten durchgeht, so mögen sie wissen, dass
das Fleisch Christi nicht nur der Maria, sondern auch durch Maria dem
David und dem Jesse durch David anhänge. Daher schwört ihm
Gott, dass diese Frucht aus Davids Lenden, d. h. aus der Nach¬
kommenschaft seines Fleisches, ihm auf seinem Throne folgen werde.
Wenn aus Davids Lenden, um wie viel mehr aus Marias Lenden,
wegen welcher in Davids Lenden?« x)
Nicht mit der physiologischen Detailmalerei Tertullians, aber
doch immerhin klar genug, verficht Origenes den Zug wirklicher
b De carne Chr. 20 u. 21.
48
Mutterschaft gegen die phantastischen Widersacher. Das geht schon
aus mancher gelegentlichen Bemerkung hervor. So sagt er in der
Vorrede zu seinem Buch »über die Grundlehren« *) : »Er nahm einen
Körper an, der unserem Körper ähnlich ist und sich nur dadurch
von demselben unterscheidet, dass er vom heiligen Geist aus einer
Jungfrau geboren ist.« In seiner achten Homilie zur Genesis heisst
es: »Christus ist das Wort Gottes, aber das Wort ist Fleisch ge¬
worden. Ein Theil also in Christus ist von oben , der andere aus
der menschlichen Natur und dem jungfräulichen Mutterleibe ange¬
nommen« * 2). In seiner 17. Homilie zu demselben Buche macht er
zu der oben beim Zug der Jungfräulichkeit mitgetheilten Deutung
des »jungen Löwen« den Zusatz: »Hierin wird auch auf das Hand¬
greiflichste die Wahrheit der Fleischesannahme aus der Jungfrau
dargelegt« 3). In seiner sechsten Homilie zum Buch Exodus steht:
». . . Jesus Christus, als er Fleisch aus der Jungfrau Maria für unser
Heil annahm« 4). In seinem Commentar zum Römerbrief bespricht
er den unterschiedlichen Gebrauch der Präpositionen »durch« und
»aus« in der heiligen Schrift und kommt hiebei auch auf die Stelle
des Galaterbriefs »geworden aus dem Weibe«. Auf die aufgewor¬
fene Frage: warum der Apostel hier die Präposition »aus« gebraucht
habe und nicht die Präposition »durch«, antwortet er: »Von jedem
Menschen kann man sagen, dass er durch das Weib geworden ist,
weil er, bevor er durch das Weib geboren wurde, aus dem Manne
den Anfang nahm; von Christus aber, welcher nicht aus dem Samen
des Mannes den Ursprung seines Fleisches erhielt , wird mit Recht
gesagt, er sei geworden aus dem Weibe. Denn ihr selbst, d. h.
dem Weibe, wird auch der erste Ursprung des Fleisches
zugeschrieben« 5) .. .. Auch das Fragment des Commentars zum
Galaterbrief, welches uns erhalten ist, und worin ziemlich ausführlich
aus dem Leben Christi nachgewiesen ist, dass er wahrer Mensch
gewesen sei, hat die Notiz: »man muss also nicht auf diejenigen
hören, welche sagen, er sei durch Maria und nicht aus Maria
geboren« 6). Schliesslich findet sich noch im Commentar zum
x) num. 4.
2) hom. VIII, 9.
3) Bd. II, p. 108.
4) hom. VI, 1.
5) Bd. IV, p. 519
6) Ihid. p. 691.
49
Johannesevangelium der Satz: »die Seele Jesu .... nahm den Körper
aus Maria an.«
In ein paar andern Stellen macht Origenes ausdrücklich doketische
Gegner namhaft. In seiner 17. Homilie zu Lukas z. B. knüpft er
an die Stelle Luk. II, 34 an »als Zeichen, dem man widersprechen
wird«. »Allem, sagt er, was die Geschichte von dem Heiland erzählt,
wird widersprochen. Eine Jungfrau ist seine Mutter, — diesem wird
widersprochen. Die Marcioniten widersprechen diesem Zeichen und
sagen, er sei gar nicht vom Weibe geboren 1).« Ebenso kehrt er
sich in dem Gommentar zum Johannesevangelium gegen Marcion:
»Ich aber meine, dass auch Marcion die wahre Lehre von sich stösst,
indem er seinen (Christi) Ursprung aus Maria verwarf und behauptete,
dass er nach seiner göttlichen Natur aus Maria nicht geboren sei,
aus welchem Grunde er auch wagte, diese Stellen aus dem Evan¬
gelium zu vertilgen 2).« Endlich in dem Fragment zum Titusbrief
fasst er die verschiedenen Nüancen des Doketismus zusammen : Häre¬
tiker, sagt er, seien unter andern auch diejenigen, »welche ihn
(Christus) zwar als Gott bekennen, aber nicht zugeben, dass er eine
menschliche Seele und einen irdischen Leib angenommen habe, welche
unter dem Scheine , dem Herrn Jesus gleichsam eine höhere Ehre
anzuthun, behaupten, dass Alles, was er getlian habe, mehr gethan
zu werden schien, als wirklich gethan wurde, und welche behaupten,
dass er nicht von der Jungfrau geboren, sondern als Mann von
dreissig Jahren in Judäa erschienen sei. Andere glauben zwar, dass
er aus der Jungfrau hervorgegangen sei , aber sie behaupten dabei,
dass die Jungfrau mehr gemeint habe zu gebären, als wahrhaft ge¬
boren habe. Sie versichern nemlich, auch der Jungfrau sei das Ge-
heimniss der vermeintlichen Geburt verborgen gewesen.« Er gibt
dann sofort seinem Verdammungsurtheil über solche Ansichten in
dem Ausrufe Ausdruck: »Wie sollen nicht diese fern von der Kirche
zu setzen sein? 3)«
Aus den oben angezogenen Akten der Disputation des Manes
mit Archelaus haben wir hier nur noch auszuheben, dass letzterer
in ruhiger Erwiderung die falsche Exegese des erstem zurückweist.
Er erklärt, jene angebliche Verleugnung der Mutter sei nicht anders
b Bd. III, p. 952.
2) Bd. IV, p. 165.
3) Ibid. pag. 695.
Lehn er. Die Marienverehrung.
4
50
zu verstehen, als dass Christus damit die ungelegene Unterbrechung
seiner Berufsthätigkeit durch Privatangelegenheiten habe bezeichnen
wollen *) , und fasst sich schliesslich in den Ausspruch zusammen :
»Wie alles Gesetz und alle Propheten in zwei Worten bestehen, so
beruht auch alle unsere Hoffnung auf der Geburt der seligen Maria * 2).«
Auch Ambrosius nimmt bei Erklärung der Lukasstelle VIII, 21
»Mutter und Brüder sind mir diejenigen etc.« die Gelegenheit wahr,
die doketische Auslegung abzuweisen. Er sagt, Christus habe mit
diesem Ausspruch nur seine eigene Lehre befolgt, dass man um
Gottes willen Vater und Mutter verlassen müsse, und so seinen Zu¬
hörern ein Beispiel gegeben. »Es wird also hier nicht (wie gewisse
Häretiker damit Fallstricke legen) die Mutter verleugnet, welche
sogar vom Kreuze herab anerkannt wird 3), sondern der körperlichen
Verwandtschaft wird der Vollzug des himmlischen Auftrags voran¬
gestellt 4). «
Von Ephräm dem Syrer (f zwischen 373 und 380) haben wir
rhetorische Polemiken gegen Doketen und Marcioniten u. s. w. Aber
auch in andern Schriften von ihm werden ihre Ansichten bekämpft.
So sagt er z. B. in seiner Rede über die Verklärung Jesu: »Er
(Christus) wohnte im Mutterschoosse der Jungfrau, ohne an dem Miss-
geruche der Natur Eckel zu haben und trat aus ihr als fleisch¬
gewordener Gott hervor 5)« .... »Sie kannten ihn als Maria’s Sohn,
als den Menschen, der mit ihnen in der Welt herumwandelte 6)«
»Ward er nicht Fleisch, wozu wurde Maria ins Mittel gezogen?
War er nicht Fleisch, wen säugte Maria?« 7) . . . .
Dass Epiphanius in seiner Bekämpfung der Häresieen für den
Zug wahrer Muttserschaft kräftig eintritt, lässt sich erwarten. Er
erklärt die Frage Christi: wer ist meine Mutter etc. ungefähr so wie
Archelaus: »Damit verleugnete er seine Mutter nicht, sondern wies
die ungelegene Bemerkung desjenigen ab, der sie ankündigte8).«
0 Disp. 48.
2) Disp. 49.
3) Joann. XIX, 26, 27.
4) Expos. Ev. sec. Luc. VI, 36 — 89.
5) no. 4.
6) no. 5.
7) no. 12. Diese Stellen sind der Uebersetzung Zingerle’s entnommen.
Kempten 1870. Bd. I, S. 237 fl.
8) haer. XLII, pag. 326, ed. Petav.
51
Gegen die Manichäer hebt er hervor, dass Christus einen Körper
hatte, »welcher aus Maria, welcher wahrhaft geboren ist1)«, und
führt diesen Gedanken in mehrfachen Wendungen weiter aus. Z. B.
»Er hat in Wahrheit den Körper von Maria erhalten, indem er sich
das Fleisch aus dem heiligen Mutterleib bildete und die menschliche
Seele annahm, und den Verstand und Alles, was zum Menschen
gehört, ausser der Sünde, mit sich, mit seiner Gottheit vereinigte 2).«
»Wir aber sagen, dass er sowohl als Gott vom Himmel gekommen
sei, als auch im Mutterleib der Jungfrau Maria die gewöhnliche Zeit
der Schwangerschaft zugebracht habe bis zur vollständigen Mensch¬
werdung 3) . . . .« »Christus wurde in Wahrheit geboren von Maria,
der immerwährenden Jungfrau, nahm den Körper in Wahrheit an,
nicht zum Scheine , Fleisch in Wahrheit, einen Körper in Wahrheit
mit Knochen und Nerven und all dem Unsrigen 4).«
Ghrysostomus behandelt den Gegenstand in einer seiner Homilien
zum Matthäusevangelium. »Dass er (Christus) aus dem Fleisch der
Jungfrau hervorgegangen ist, hat er mit den Worten erklärt: »was
in ihr geboren ist« 5) und Paulus sagt: »geworden aus dem Weibe.«
Aus dem Weibe, sagt er, indem er denjenigen den Mund verstopft,
welche behaupteten, Christus sei durch sie wie durch eine Art Canal
hindurchgegangen. Denn wenn diess sich so verhielte, was wäre
da der Mutterleib nöthig gewesen? Wenn es sich so verhielte, hätte
er nichts mit uns gemeinsam, sondern ein anderes wäre jenes Fleisch,
nicht aus unserer Masse. Wie wäre er aus der Wurzel Jesse? wie
wäre er die Ruthe, oder der Menschensohn? wie die Blume? wie
wäre Maria seine Mutter? auf welche Weise wäre er aus dem Samen
Davids? wie hätte er Knechtsgestalt angenommen? .... Dass er
also aus uns, aus unserer Masse und aus dem Mutterleib der Jung¬
frau hervorgegangen ist, das ist offenbar aus dem Gesagten und noch
aus sehr vielem Anderen 6j.«
Die vielbesprochene Stelle des Galaterbriefs ist auch für Hierony¬
mus der Anlass, die Doketen zu korrigiren. »Gebt wohl Acht, sagt
b haer. LXVI, 87.
2) haer. XX, pag. 47, ed. Pet. Wiederholt Anaceph. p. 1118.
3) haer. XXX, 27.
4) haer. expos. fid. 15. Wörtlich wiederholt in Anaceph. pag. 1135, 1136
ed. Pet.
5) Matth. I, 20.
6) Hom. in Matth. 4, 3.
er, (der Apostel) hat nicht gesagt: geworden durch das Weib, wie
Marcion und die übrigen Häresieen wollen, welche das Fleisch Christi
fälschlich als ein vermeintliches bezeichnen, sondern aus dem Weibe,
damit man glaube, nicht er sei durch dasselbe, sondern aus dem¬
selben geboren x).« Hieronymus schliesst sich ferner mit seiner Er¬
klärung der Worte Christi: wer ist meine Mutter u. s. w. ganz an
Ambrosius an. Nur nennt er die »Häretiker« ausdrücklich: »Er
verleugnete also die Mutter nicht nach Marcion und Manichäus,
so dass man glauben müsste, er sei von einem Gespenst geboren,
sondern zog die Apostel seiner Verwandtschaft vor« ....*)
Augustinus endlich, der, wie oben erwähnt, selbst durch den
Manichäismus hindurchgegangen war, bekämpft die doketischen Sätze
desselben mit weitläufiger Gründlichkeit. Wir theilen nur Einiges aus
seinen Ausführungen mit. In seinem Buche gegen Faustus sagt er z. B.:
Durch die ganze heilige Schrift werde bewiesen, dass eben derselbe der
Sohn Gottes genannt werde, welcher auch der Sohn Davids genannt
werde wegen der Knechtsgestalt, die er aus der Jungfrau Maria, dem
Weibe Josephs, angenommen habe. Aus Matthäus selbst erhelle das.
Denn derselbe, welcher im 1. Vers des 1. Kapitels des Matthäus¬
evangeliums Sohn Davids genannt werde, heisse im 23. Vers des nem-
lichen Kapitels Sohn der Jungfrau und »Gottmituns«. Dieser Name
»Gottmituns« sei doch nicht weniger als »Gottes Sohn«. Ebenso ver¬
stehe Paulus unter dem, welcher »göttlicher Natur« war und »Knechts¬
gestalt annahm« * 2 3), welcher »aus dem Weibe geworden« 4) und
»welcher aus dem Samen Davids entsprossen sei« 5) einen und eben¬
denselben 6). Dass es dem Faustus absurd vorkomme, den Sohn
Gottes in eines Weibes Mutterleib einzuschliessen, komme daher, weil
die Manichäer in ihrer Beschränktheit meinen, die Katholiken »schliessen
den Sohn Gottes so in den Mutterleib ein, dass er dann nicht auch
ausserhalb desselben sei, dass er die Regierung Himmels und der
Erde aufgegeben, dass er sich vom Vater getrennt habe« 7). Es sei
eine falsche Auffassung der Natur, wenn die Manichäer meinen, den
') Comm. in epist. ad Galat. II. 4.
2) In Matth, c. XII.
s) Philipp. II, 6, 7.
4) Galat. IV, 4.
5) II. Timoth. II, 8.
6) Contra Faust. XXIII, 7.
7) Ibid. 10.
53
Geburtsgliedern als solchen hänge etwas Unehrbares an. Sie mögen
an I. Gor. XII, 22 — 25 denken, wo die richtige Ansicht von allen
Gliedern des menschlichen Körpers zu lesen sei. »Um wie viel mehr
hatten jene Glieder nichts Schimpfliches bei der heiligen .Jungfrau
Maria, welche Christi Fleisch durch Glauben empfing und bei welcher
diese Glieder nicht einmal erlaubter menschlicher Empfängniss,
sondern nur göttlicher Geburt gedient haben!« *) — Die Manichäer
hatten auch aus der Erwiderung Christi an Maria auf der Hochzeit
zu Kana: »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?« gefolgert, dass
Maria nicht die Mutter Christi sein könne. Augustinus setzt mit
ermüdender Weitschweifigkeit die Nichtigkeit dieser Folgerung aus¬
einander. In dem kleinen Abschnitt kommt der Name Maria gegen *
zwanzigmal, das Wort Mutter noch viel häufiger vor. Er sagt: der¬
selbe Johannes, der jene Erwiderung Christi berichte, nenne ja bei
der nemlichen Gelegenheit Maria zweimal die Mutter Christi: »die
Mutter Jesu war da« und »die Mutter Jesu sagte zu ihm« 2). Man
müsse die Erwiderung Christi nur richtig verstehen. Der Schlüssel
zum Verständnisse liege in dem zweiten Theil der Erwiderung:
»Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Jesus sei im Begriffe
gewesen, ein Wunder zu thun, also seine göttliche Natur zu bethätigen.
»Maria aber war Mutter seines Fleisches, Mutter seiner Menschheit,
Mutter der Schwachheit, welche er unseretwegen angenommen.«
Jesus mache sie daher in dem ersten Theil seiner Erwiderung darauf
aufmerksam, dass sie mit seiner göttlichen Natur nichts zu schaffen
habe, in dem zweiten Theile weise er auf die Zeit hin, in welcher
seine menschliche Natur vorwiegen und dann auch der Mutter ihr
R.eeht von ihm widerfahren werde. Das sei die Zeit seines Leidens.
»Weil also jene nicht Mutter seiner Gottheit war, das Wunder aber,
welches er zu wirken im Begriffe stand, durch seine Gottheit geschah,
antwortete er ihr: was habe ich u. s. w. , aber du darfst nicht
glauben, dass ich dich als Mutter verleugne, meine Stunde u. s. w.,
J) Ibid. XXIX, 4. Gegen diese falsche Anschauung der Natur polemisiren
viele Kirchenväter, so z. B. auch der Bischof Atticus von Konstantinopel in seinem
um 415 geschriebenen Brief an Cyrill von Alexandrien : »Nam si turpe est. Deo in
virgine habitare, turpius etiam virginem facere. Si vero virginem fingere contu-
meliam esse non duxit, nec habitare in ea turpitudinem .judicavit.« Galland.
T. VIII, p. 662. S. auch Zacchaei Christiani et Apollonii philos. Consult. lib. I, c. 10.
Galland. T. IX, p. 208.
2) Joann. II, 1, 3.
54
denn dort werde ich dich anerkennen, wenn die Schwachheit, deren
Mutter du bist, am Kreuze hängt. Erproben wir, ob das wahr ist.
Als der Herr litt, wie derselbe Evangelist sagt, der die Mutter des
Herrn kannte und der auch bei dieser Hochzeit die Mutter des Herrn
uns vorführt, erzählt er: Es war dort beim Kreuze die Mutter Jesu
u. s. w. x) Er empfiehlt die Mutter dem Schüler, er empfiehlt die
Mutter, da er vor der Mutter sterben und vor dem Tode der Mutter
auferstehen sollte, er empfiehlt als Mensch dem Menschen den Menschen.
Das hatte Maria geboren. Jene Stunde war nun gekommen * 2).«
Die letzte Behauptung, die wir oben (S. 41) der Polemik des
Manichäers Faustus entnommen haben , dass nemlich Maria keine
Davididin, sondern eine Levitin sei, veranlasst dann den h. Augustin,
auch hierauf ausführlich zu antworten. Doch bevor wir seine Ansicht
über die Sache mittheilen, müssen wir etwas weiter ausholen.
Es gehörte sowohl nach dem Glauben der Juden, als der Christen
zum Wesen des Messias, von David abzustammen. Diese Davidische
Abstammung wird durch das ganze Neue Testament und zwar auch
schon in seinen ältesten Büchern betont. Bei seiner vaterlosen Geburt
war nur seine Mutter der Beweis für seine irdische Herkunft. Maria
aber wird nirgends ausdrücklich Davids Tochter genannt, wenn man
nicht den Stammbaum bei Lukas so auslegt, wie wir in der Ein¬
leitung (S. 5) gezeigt haben. Diese Auslegung war der alten Kirche
fremd, man betrachtete auch das Geschlechtsregister bei Lukas als
Stammbaum Josephs, wie das bei Matthäus, und suchte die Wider¬
sprüche der beiden Stammbäume auf andere Weise zu heben. Der
erste 3), welcher sich diese Aufgabe stellte, war der christliche
Chronograph Julius Afrikanus im Anfänge des dritten Jahrhunderts.
Sein Auskunftsmittel war die Annahme einer Leviratsehe 4). Nach
ihm sind nemlich Jakob (der Vater Josephs bei Matthäus) und Heb
(nach gewöhnlicher Exegese der Vater Josephs bei Lukas) Brüder
von derselben Mutter, aber von verschiedenen Vätern her. Heb
starb ohne Nachkommenschaft, darum hatte sein Bruder Jakob nach
Ü Joann. XIX, 25 — 27.
2) In evang. Joann. tract. 9, cap. 2.
3) D. 1). so viel wir noch wissen; dass vor ihm schon andere »gewaltsame«
Versuche gemacht worden seien, sagt Euseb. h. e. I. 7.
4) Epist. ad Aristid. bei Euseb. h. e. I, 7. Vgl. Quaest.. Euseb. IV, ad Steph.
bei Ang. Mai sc. vet. n. coli. I, S. 21 ff.
ebräischem Gesetze *) der Witwe desselben Samen zu erwecken. Er
zeugte also mit ihr den Joseph, aber im Namen seines Bruders,
darum heisst Joseph sowohl ein Sohn Jakobs als Helis. Der Kirchen¬
historiker Eusebius im ersten Drittel des vierten Jahrhunderts meint :
Matthäus gebe die wahre Genealogie Josephs, Lukas aber eine andere
Stammsage, um die verbrecherischen Nachkommen Davids zu ver¬
meiden 2) ; u. s. w. u. s. w. Niemand aber sah in den Genealogieen
eine Hindeutung auf Maria.
Trotzdem wurde Maria von Anfang an als Davididin betrachtet.
Aus dem Neuen Testamente liess sich diess wenigstens folgern, da,
wie gesagt, ihr vaterloser Sohn so häutig ein Sohn Davids heisst;
am meisten war es nahe gelegt in der Verkündigung des Gabriel,
welcher Maria versichert, dass Gott ihrem von oben empfangenen
Sohne den Thron seines Vaters David geben werde3). Von den
Kirchenvätern wird die Folgerung ausdrücklich gezogen. Abgesehen
von den gelegentlichen Hinweisungen, die im bisherigen Verlauf
unserer Untersuchung schon vorgekommen sind, nennt Justin Maria
»die Jungfrau, welche aus Davids .... Geschlecht entsprungen war 4),
Irenäus »die Jungfrau, welche aus dem Geschlechte Davids war« 5).
Tertullian sagt: »die Jungfrau, aus welcher Christus geboren werden
musste, musste ihr Geschlecht aus dem Samen Davids herleiten«,
denn die »Ruthe« (virga) aus der Wurzel Jesse 6) bedeute Maria 7).
Origenes meint, »Maria sei nach dem Gesetze ohne Zweifel mit ihrem
Stammgenossen und Verwandten (Joseph) verbunden worden« und
daher gehe aus dem Stammbaum bei Matthäus ihre Davidische Ab¬
stammung hervor. Elisabeth, die aus Aarons Geschlecht sein solle,
war ihre Verwandte als Israelitin 8). Eusebius vertritt dieselbe An¬
sicht. Er sagt: Wenn die Evangelisten den Joseph vom Stamme
') Deuter. XXV, 5.
2) Quaest. Euseb. III, ad Steph. A. Mai. s. v. n. c. I, S. 16 ff.
3J Luc. I, 32—35.
4) Tryph. n. 100; Vgl. 43, 45; aus Apol. 32.
5) Haer. III, 21, 5; Vgl. 16.
6) Jesai. XI, 1.
7) Adv. Jud. 8; adv. Marc. V, 8 und noch mehrmals, z. B. adv. Marc. III, 17, 20.
S. namentlich auch den Schluss der oben aus Car. Chr. 20 u, 21 übersetzten
Stelle: durch Maria dem David anhängend; aus Marias Lenden, wegen
welcher in Davids Lenden. S. 47.
8) Comm, in ep. ad Rom. I, 5.
Davids herleiten , so erweisen sie hiedurch auch die Abstammung
Marias von David .... Denn nach Moses Gesetz war es nicht erlaubt,
von anderswoher die Ehegenossen zu holen , als aus dem eigenen
Geschlechte und dem eigenen Stamme, damit nicht das Erbe eines
Geschlechts aus dem einen in einen andern Stamm überginge x).
(Eusebius denkt hier offenbar, wie ohne Zweifel auch Origenes, an
die Stelle Numeri XXXVI, 7. Diese Stelle gilt für Erbtöchter,
folglich hielten die beiden, nebenbei bemerkt, Maria für eine solche.)
Elisabeth war ihre Verwandte als Israelitin und in geistigem Sinne,
als solche, welche eine ähnliche Mission hatte, da sie zur Mutter des
Vorläufers bestimmt war. Dass die Evangelisten Josephs Stamm¬
baum gaben , geschah nach hergebrachtem Schriftgebrauch , da nie
vorher das Geschlecht eines Menschen durch die Mutter beschrieben
war. Aehnlich äussert sich Ghrysostomus : »Es war bei den Juden
nicht Sitte, die Genealogieen der Frauen zu geben, und dann war
ja auch mit Josephs Genealogie der Zweck erreicht, denn Niemand
durfte aus der Familie hinaus heirathen * 2). Hilarius nimmt in seinem
um 355 geschriebenen Matthäuscommentar auch eine Leviratsehe
an und sagt: es habe nichts zu bedeuten, dass Josephs und nicht
Marias Geschlechtsregister gegeben wurde, denn es sei eine und
dieselbe Verwandtschaft des ganzen Stammes 3). Auch Epiphanius
kommt öfter auf die Sache zurück. Er sagt: »Aus David ist nach
der Geschlechtsfolge Maria,« »Christus ist dem Fleische nach aus
Davids Stamm geboren, d. h. aus der heiligen Jungfrau Maria«. »Er
war aus Davids Samen wegen der Maria (8ia. r?)v Ma^iav) 4).« Nicht
minder versichert Cyrill von Jerusalem: »Aus David also war die
heilige Jungfrau 5).« Augustinus antwortet auf die betreffende Be¬
merkung des Faustus ebenso ausführlich wie auf die übrigen. Die
Grundlage seiner Beweisführung bildet der »katholische und aposto¬
lische Glaube, dass unser Herr und Heiland Jesus Christus sowohl
Sohn Gottes sei nach seiner Gottheit, als auch Sohn Davids nach
dem Fleische«. Dass Matthäus die Geschlechtsfolge auf Joseph her¬
abführe, beweise nichts gegen die Davidische Abstammung Marias,
0 Quaest. ev. ad Steph. 1, 7 und h. e. I. 7.
2) Hom. II, in Matth. T. VII, pag. 25. Edit. Montfaucon. S. auch homil.
in Matth. IV, 3. oben S. 51.
3) Comm. in Matth. Edit. Paris 1652, p. 496, vgl. de trin. lih. X.
4) Haer. XXIX, 1, 2, 4.
5) Cateches. XII, 23, 24.
diese könne dessenungeachtet einer Ader Davidischen Blutes ent¬
sprungen sein. Es sei schicklich gewesen, dass Joseph, der nicht in
fleischlicher, aber in um so innigerer geistiger Ehe mit seinem Weibe
verbunden gewesen sei, als Mann vom Evangelisten durch Mitthei¬
lung seines Stammbaumes geehrt worden sei . . . . »Wir glauben
darum, dass auch Maria zur Verwandtschaft Davids gehört habe,
weil wir denjenigen Schriften glauben, welche beides sagen, sowohl
dass Christus aus dem Samen Davids stamme, als auch dass Maria
seine Mutter gewesen sei, und zwar nicht durch Beiwohnung, son¬
dern als Jungfrau. Wer daher sagt, dass Maria nicht zur Bluts¬
verwandtschaft Davids gehört habe, der kämpft offenbar gegen die
so hervorragende Autorität dieser Schriften an ... . Mich bindet
daher das, was Faustus über die Abstammung Marias aufgestellt
hat, dass sie einen Priester, Namens Joachim, aus dem Stamme Levi
zum Vater gehabt habe, keineswegs, weil es nicht kanonisch ist.
Aber wenn ich auch dieses glaubte, so möchte ich lieber sagen,
dass auch Joachim auf irgend eine Weise zum Blute Davids gehört
habe und auf irgend eine Weise aus dem Stamm Juda in den
Stamm Levi adoptirt worden sei, entweder er selbst oder einer seiner
Vorfahren, oder wenigstens so im Stamme Levi geboren worden sei,
dass er irgendwelche Blutsverwandtschaft von Davids Familie her¬
leite. Dass so etwas geschehen konnte, gestehe Faustus selber zu,
da er sage, Maria sei aus dem Stamme Levi, während sie doch
bekanntlich in die Familie Davids, d. h. in den Stamm Juda ver-
heirathet worden sei und da er ferner sage, Christus könnte als
Davids Sohn angenommen werden, wenn Maria die Tochter Josephs
wäre. Wenn daher die Tochter Josephs in den Stamm Levi gehei-
rathet hätte, so würde doch ein Sohn von ihr, der im Stamme Levi
geboren worden wäre, nicht unpassend auch ein Sohn Davids ge¬
nannt werden. Ebenso, wenn etwa die Mutter jenes Joachim, welchen
Faustus den Vater Mariens nennt, vom Stamme Juda und dem Ge-
schlechte Davids in den Stamm Levi geheirathet hätte, so würde
nicht mit Unrecht Joachim und Maria und der Sohn Marias auch
so in Wahrheit noch dem Samen Davids zugeschrieben werden.
Dieses also, oder etwas dem Aehnliches würde ich lieber annehmen,
wenn ich durch die Autorität jener apokryphen Schrift J), wo Joachim
’) Diess ist die gnostische „fsvva Mapioc S. Tischendorf, Evang. apocr. ed. II.
Proleg. pag. XXIII, Anm. 2.
58
der Vater Mariens heisst, mich bestimmen liesse, als glauben, dass
das Evangelium lüge, in welchem geschrieben steht, dass Jesus
Christus, der Sohn Gottes, unser Heiland, nach dem Fleische aus dem
Samen Davids und durch die Jungfrau Maria geboren sei *). Uebri-
gens sei die Verwandtschaft Marias mit dem priesterlichen Stamm
ebenso gewiss, da ja Elisabeth, eine Tochter Aarons, ihre Verwandte
gewesen sei, und die Verschiedenheit der beiden Genealogieen weise
darauf hin, da die eine von David durch Salomo den König, die
andere durch Nathan den Propheten, also eine priesterliche Person,
die Abstammung Christi herleite. In Maria sei daher das königliche
sowohl, als das priesterliche Blut geflossen, was ganz in der Ord¬
nung sei, da ihrem Sohne sowohl das königliche, als das hohen-
priesterliche Amt zukomme * 2). —
Gegen den Doketismus der Gnostiker und Manichäer also musste
die wirkliche physische Mutterschaft Mariens vertheidigt werden und
wurde, wie wir gesehen haben, warm vertheidigt. Begreiflich. Denn
erstlich gilt, den Kirchenvätern der biblische Bericht in vollem Sinn
als Geschichte, und zwar als göttlich beglaubigte Geschichte, und
dann haben sie auch ihre wissenschaftlichen Gründe für die Ueber-
zeugung von dem genannten Zuge. Der Erlöser musste, wie wir
im vorigen Kapitel gesehen haben, im vollen Sinne Mensch sein,
und konnte das nur, wenn er auf demselben Wege Mensch wurde,
wie jeder andere Mensch, den Ursprungskeim ausgenommen, da er
ebenso, im vollen Sinne Gott sein musste. Er musste von einer
!) Contra Faust. XXIII. 5 — 9.
2) De div. quaest. 9. 61 und De cons. evang. II, 2. Das Verwandtschafts-
verhältniss der Maria und Elisabeth beschäftigte auch andere Kirchenväter.
Epiphanius haer. 78, 13 z. B. meint: Maria war mit Elisabeth doppelt verwandt.
Die beiden Phylen (Juda und Levi) vermischten sich allein mit einander, die
königliche mit der priesterlichen, die priesterliche mit der königlichen. So nahm
zur Zeit des Auszugs aus Aegypten Naasson, der Häuptling des Stammes Juda,
die Elisabeth, die ältere Tochter des Aaron zur Frau, Exod. VI, 23. (Die Sache
ist beinahe umgekehrt; Aaron nahm die Elisabeth, die Schwester des Naasson
zur Frau.) »Daher misskennen viele von den Häresieen die Genealogie Christi
und glauben nicht daran und meinen, sie widerstreite der Wahrheit, indem sie
sagen : Wie kann die von dem Stamme David und Juda Abstammende verwandt
sein mit Elisabeth, der vom Stamme Levi ?« Ja, schon »die Testamente der zwölf
Patriarchen«, eine apokryphe Schrift, die aus dem Ende des ersten, oder Anfang
des zweiten Jahrhunderts stammt, spricht davon (c. VII), dass der Herr aus Levi
stamme als Hohenpriester, und aus Juda als König.
59
Tochter Adams geboren werden, weil er nur so die ganze Mensch¬
heit vor und nach ihm erlösen konnte (um jetzt eine weitere Be¬
ziehung der Irenäusstelle, die wir oben S. 30 mitgetheilt haben, bloss-
zulegen). Maria ist diese Tochter Adams und ist als Mutter des
Erlösers »für sich und das ganze Menschengeschlecht (das vor- wie
nachchristliche) zur Ursache des Heiles geworden« *). Maria ist
daher erstens die physische Vermittlerin zwischen Gottheit und
Menschheit. »Gottes Natur ist in die Natur des Menschen aus der
Geburt der Jungfrau geboren worden * 2).«
Weiter musste der Erlöser nicht bloss Sohn Adams, sondern
auch Sohn Davids sein; das gehörte namentlich auch zu seiner
historischen Beglaubigung, und das konnte er, da er keinen irdischen
Vater hatte, nur durch seine Mutter, die Davididin Maria sein. Maria
ist also zweitens der Beweis für die davidische, die königliche Ab¬
stammung des Erlösers.
Durch ihre Verwandtschaft mit dem priesterlichen Geschlecht
der Elisabeth endlich führt sie ihrem Sohne, den neben der könig¬
lichen die hohenpriesterliche Würde ziert, auch priesterliches Blut zu.
Der Zug der Mutterschaft ist hiemit historisch und philosophisch
begründet und wird von den Häresieen, welche nach Ueberwindung
des Gnosticismus auftauchen, auch nicht mehr in Frage gestellt. Die
weitere Entwickelung zeigt darum keinen Kampf um die Existenz
des Begriffes mehr. Dagegen wächst derselbe nach der Tiefe und
ringt nach einer Formel oder einem Ausdruck, der all das prägnant
in sich fasst, was das gläubige Herz sowohl, als der streitfertige
Verstand unter dem Begriff fühlt oder denkt.
Zunächst nun zeigt der rationalistische Rückschlag, den die
Vorstellung von Christus im dritten Jahrhundert erfuhr, die Erschei¬
nung, dass Maria sowohl von Freund als Feind wenigstens beständig
in den dogmatischen Streit hereingezogen wird, so dass sich unwill¬
kürlich die Bemerkung aufdrängt , wo immer es sich um Christus
handelt, handelt es sich auch um Maria, wenngleich natürlich in
untergeordneter Weise.
Die Häretiker nemlich, die uns jetzt beschäftigen, stellten den
gnostischen Träumereien die abstrakte Einheit des göttlichen Wesens
gegenüber und verwarfen die Lehre von der Dreipersönlichkeit und
9 S. oben S. 29.
2) Hilarius, tract. in psalm. LIV.
(50
damit von der Menschwerdung des Sohnes. Die Consequenz für
unsern Gegenstand war eine Art Herabsetzung oder schiefe Auffassung
des Zugs der Mutterschaft.
Der Name dieser Rationalisten ist: Antitrini tarier oder Monar-
chianer (weil sie die Einheit Gottes, ftorap^ia, so nachdrücklich be¬
tonten). Sie theilten sich hauptsächlich in zwei Richtungen. Die
Einen erklärten Christus für einen zwar wunderbar entstandenen,
aber dennoch blossen Menschen, in welchem, wie bei den Propheten
des alten Bundes und bei gotterleuchteten Sehern des Heiclenthums,
zweitweilig eine göttliche Kraft (öüva/iug, daher ihr Name Dynamiker)
wirksam gewesen sei. Die Andern behaupteten: der Eine (einpersön¬
liche) Gott hätte sich durch Maria gebären lassen und er, der Vater,
hätte für die Menschheit gelitten, wesswegen sie Patripassianer x)
heissen.
Die Vorläufer der erstem Richtung reichen noch in das zweite
Jahrhundert hinein. Schon die von Epiphanius 2) mit dem »amphi-
bolischen Spottnamen« Aloger belegten Bekämpfer des Montanismus
bestritten die Gottheit Christi. Theodotus, der Gerber aus Byzanz,
soll um das Jahr 192 seine Verleugnung Christi mit den Worten
entschuldigt haben : er habe einen Menschen verleugnet. »Jesus sei
ein Mensch, aus der Jungfrau geboren nach dem Rathschluss
des Vaters«, lässt ihn Hippolytus 3) lehren. Natalis, Asklepiades,
Theodotus der Jüngere, der Wechsler 4), Artemon werden nach ein¬
ander als Häupter dieser Schule genannt; der bedeutendste aber
war Paul von Samosata, seit 260 Bischof von Antiochien. Ihm ist
Christus ebenfalls ein blosser Mensch, nicht Gottmensch, jedoch
wunderbar von der Jungfrau geboren 5). »Der göttliche Logos
habe in demselben nicht persönlich , sondern eigenschaftlich , als
Kraft, gewohnt, übrigens durch beständige Durchdringung ihn gehei¬
ligt und des göttlichen Namens würdig gemacht« 6); darum nennt
er Christus auch »Gott aus der Jungfrau« 7).
’) Auch »Modalisten«, weil sie unter den Namen Vater, Sohn und Geist nicht
Personen, sondern blosse Wirkungsarten, modi, verstanden.
2) Haeres. LI, 3.
3) Philosophum. VII, 35.
4) Ibid. VII, 36.
5) Athanas. c. Apoll. II, 3.
6) Hefele, Concilieng. I, S. 116.
7) Athanas. c. Apoll. II, 3.
— 61 —
Die Analogieen dieser Richtung mit dem alten Ebionitismus
springen in die Augen; ebenso augenfällig ist aber auch, dass ihre
Vertreter doch nicht mehr von einer Zeugung auf dem natürlichen
Wege sprechen und die Jungfräulichkeit Mariä nicht anfechten, wenn
sie auch die Gottesmutterschaft leugnen.
Praxeas, Noetus, Epigonus, und vor Allen Sabellius werden als
diejenigen genannt, die ebenfalls theils am Ende des zweiten, be¬
sonders aber in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts gelehrt
haben, der Vater hätte selbst dem Leiden für die Menschheit sich
unterzogen. So behauptet Praxeas: »Der Vater selbst sei in die
Jungfrau herabgestiegen, er selbst sei aus ihr geboren, er
selbst hätte gelitten, kurz er selbst sei Jesus Christus1).« Aehnlich
spricht sich Noetus aus: »Es sei ein und derselbe, welcher Vater
und Sohn genannt werde, ein und derselbe sei jener, welcher sich
geoffenbart und der Geburt aus der Jungfrau sich unterzogen
habe 2)«, »unerzeugt, wenn er nicht geboren werde, erzeugt, wenn
er aus der Jungfrau geboren werde«3).
Augenscheinlich wurden von dieser Richtung, die wiederum mit
dem Doketismus etwas Analoges hat, die wunderbaren Verhältnisse
und die hohe Würde Mariä als Mutter nicht angetastet, aber schief
aufgefasst, indem sie für dieselbe zur Mutter des Vaters ward.
Wie die genannten Häretiker bei der Darlegung ihrer Ansichten
Maria nicht umgingen, so auch die Kirchenväter. Zum Beweise ge¬
nügen ein paar Beispiele. Die Sache weiter zu verfolgen, ist nament¬
lich desswegen überflüssig, weil die Kirchenväter bei der Bekämpfung
der gleich nachher zu besprechenden Häresieen häufig die Anti-
trinitarier mit darunter verstanden und ihre Aeusserungen gegen
die Arianer u. s. w. auch gegen diese gelten.
Als direkte beinahe gleichzeitige Erwiderung gegen die Ansicht
der Dynamiker steht uns ein Ausspruch des Pabstes Felix I. (269
bis 274) zu Gebote. In dem Fragment eines Briefes, den er an
den Bischof Maximus und den Klerus von Alexandrien wegen Paul
von Samosata sandte, findet sich folgende Stelle: »In Betreff der
Fleischwerdung des Logos .... glauben wir an unsern Herrn Jesus
Christus, den aus der Jungfrau Maria geborenen. Wir
fl Tertull. adv. Prax. c. 1.
*) Philos. IX, 10.
3) Ibid. X, 27.
glauben, dass es Gottes ewiger Sohn und Logos und nicht ein von
Gott aufgenommener Mensch ist .... Sondern als vollkommener
Gott wurde er zugleich auch vollkommener Mensch, fleisch ge wor¬
den aus der Jungfrau1)«. Der spätere Epiphanius, der in seinem
Häresieenwerke die Aloger, die Theodotianer, den Paul von Samo-
sata mit eigenen langen Kapiteln bedenkt, bringt hierin sehr viel
von Maria. Gegen die Aloger, »die den von Johannes verkündigten
Logos nicht annehmen«, und desshalb das Johannesevangelium ver¬
warfen, macht er geltend, dass die Evangelisten sich gewissermassen
in den zu erzählenden Stoff getheilt haben und so sich gegenseitig
ergänzen und weist diess namentlich in der Behandlung der Kind¬
heitsgeschichte nach, wobei begreiflich der Mutter des Herrn sehr
häufig und sehr eindringlich Erwähnung geschieht. Wir entnehmen
ihm nur ein paar charakteristische Sätze. (Christus) »existirte nicht
erst seit den Zeiten Marias2)«, sondern »das Wort kam von oben
herab und nahm Fleisch an von der Jungfrau3)«, »in deren
Mutterleib es neun , nach Andern zehn Monate getragen wurde« 4).
Theodotus den Gerber nennt er »einen von der Häresie der Aloger
abgerissenen Lappen5)«. Auch gegen ihn bringt er die breite Aus¬
legung der Verkündigungsscene als Hauptbeweis und sagt z. B. :
der Sohn der Maria, der Emmanuel »ist Gottmensch, vom Vater
gezeugt, anfangs- und zeitlos, Mensch von Maria, wegen der
Ankunft im Fleische6)«, während er gegen Paul von Samosata die
Mutter Christi nicht in die Polemik verwebt.
Wird hier die Jungfrau als Mutter eines von Ursprung an
göttlichen Sohnes7) festgehalten, so war den Patripassianern
gegenüber zu erinnern, dass sie Mutter Gottes des Sohnes, des
Wortes sei.
Ü Felic. I, frag. ep. Galland. III, pag. 542.
2) Haer. LI, 12 u. 18.
3) Ibid. 20.
4) Ibid. 29.
5) Haer. LIV, 1.
fi) Ibid. 3.
') Es existirt ein Brief, angeblich von Dionysius von Alexandrien (f 265) an
Faul von Samosata, in welchem Maria öfters ttsotoxo? genannt wird. Wäre der
Gebrauch dieses Wortes das einzige Bedenken gegen seine Aechtheit, so hätten
wir gar keines dagegen. Einer muss einmal das berühmte Wort zuerst gebraucht
haben, und wie Paul von Samosata es von den Orthodoxen herausforderte, kann
Niemanden entgehen.
(53
Diess thut denn auch der heilige Ilippolytus , Schüler des
Irenaus, Bischof einer schismatischen Partei in Rom unter Pabst
Callixtus, in seiner Schrift gegen »die Häresie des Noetus« (ge¬
schrieben um 230). »Lasst uns also glauben, schreibt er, liebe
Brüder, nach der Ueberlieferung der Apostel: dass Gott, das Wort
(a 6yog) vom Himmel gekommen ist in die heilige Jungfrau
Maria, um aus ihr Fleisch zu wer d e n , die menschliche Seele
(die vernünftige, mein’ ich) anzunehmen, ganz und gar Mensch zu
werden mit Ausnahme der Sünde, und so den Gefallenen zu retten.«
Ein wenig weiter unten drückt er sich so aus: »Wie es also ver¬
kündet ward, also ist er erschienen, ein neuer Mensch, geworden
aus der Jungfrau und dem heiligen Geiste. Das Himmlische
hat er vom Vater, als Wort (Xdyog), das Irdische, von dem alten
Adam, dadurch, dass er aus der Jungfrau Fleisch geworden
ist1).« Derselbe Gedanke begegnet uns auch in seinem Buch »über
Christus und den Antichrist«. »Der Logos Gottes, an sich fleisch¬
los, nahm an das heilige Fleisch aus der heiligen Jung¬
frau2).« Und weiter unten: »Als dieser (Johannes) den Gruss der
Elisabeth hörte, hüpfte er jubelnd auf im Leibe seiner Mutter, weil
er Gott den Logos im Leibe der Jungfrau empfangen sah3).«
Ja, einmal apostrophirt er Maria in einer Rede, von der uns Theo-
doret Fragmente aufbewahrt hat, folgendermassen : »Sage mir, o
selige Maria, was war das, was du in deinem Leibe empfangen,
was war das, was du in deinem jungfräulichen Schoosse getragen
hast? Das Wort, der Erstgeborene Gottes war es, der vom Himmel
in dich herabkam u. s. f. 4).«
In ähnlicher Weise wie Hippolytus sprechen sich auch Tertul-
lian in seinem Buch »gegen Praxeas« 5) und Novatian in seinem
etwa um 260 geschriebenen Werke »über die Dreieinigkeit« G) aus.
Wollen wir aus den obigen Aeusserungen der Kirchenväter eine
Formel für Maria ziehen , so erscheint sie als Mutter des fleisch¬
gewordenen, von Ewigkeit her erzeugten, Sohnes Gottes. Diese oder
eine ähnliche Formel ist aber, wie es scheint, im Kampf mit dem
0 Contra haeresin Noeti 17, vgl. ibid. 4.
2) Demonstratio de Christo et Antichristo 4.
3) Ibid. 45.
4) Ex serm. in Elcanam et Annam, Galland. II, S. 496.
3) Adv. Prax. 17.
6) De trin. 19 (al. 24).
04
Antitrinitarismus allein noch nicht aufgesetzt worden; es bedurfte
dafür einer weiteren Entwickelung der Lehre von Christus, und diese
brachte erst das vierte Jahrhundert im Kampf mit dem meist ge¬
nannten Häretiker der alten Kirche, mit Aldus.
Der Arianismus, soweit er für unsern Gegenstand in Betrach¬
tung kommt, ist eine Fortsetzung der rationalistischen Reaktion
gegen die Trinitätslehre, aber nach einer andern Seite, als bei den
Monarchianern. Arius (f 336), Schüler des Priesters Lucian von
Antiochien , wo von jeher eine rationalistische Richtung in der
Theologie eingebürgert war, konnte den Gedanken einer »ewigen
Zeugung« des Sohnes nicht fassen. Wenn der Logos gezeugt ist,
räsonnirte sein »gesunder Menschenverstand«, so kann er nicht
ebenso ewig sein, wie der Erzeuger. Er ist vielmehr ein Geschöpf
des Vaters, von dem Wesen desselben verschieden, aus dem Nichts
gemacht; freilich das vornehmste Geschöpf, weil hervorgebracht vor
der Weltschöpfung und zu dem Behufe hervorgebracht, dass durch
ihn die Welt geschaffen würde. Er ist ein freies Wesen in dem
Sinne, dass er sich für das Gute oder Böse entscheiden konnte.
Wenn er jenes wählte, so ist dies das Verdienst seines Willens, nicht
seines Wesens. Sein Name »Sohn Gottes« ist darum nur ein Ehren¬
titel, den ihm der Vater in Voraussicht seiner Vollkommenheit gegeben,
und bezeichnet keineswegs die Wesensgleichheit mit dem Vater.
Insoweit bezieht sich, wie man sieht, die Theorie des Arianis¬
mus eigentlich auf das transcendente Verhältniss der beiden ersten
Personen der Trinität zu einander. Im engsten Zusammenhang da¬
mit steht begreiflich seine Vorstellung von der Person des auf Erden
wandelnden Heilandes.
Dieser ist ihm anfänglich nicht mehr, als jeder andere Mensch.
Aber durch seine, alle übrigen Menschen überragende, sittliche Voll¬
kommenheit hat er eine Art göttlicher Würde erreicht und damit
verdient, Gottes Sohn genannt zu werden. Daher nahm auch Arius,
durch die Empörung des christlichen Gefühls zu dieser Metonymie
gedrängt, keinen Anstand, ihm sogar das Prädikat »wahrer Gott«
beizulegen. Athanasius drückt den Gegensatz zur Kirchenlehre bündig
so aus: »Anstatt zu fragen, warum Christus, obschon Gott, Mensch
geworden sei, fragten sie, warum er, da er Mensch wäre, Gott ge¬
worden sei1).« Das Missliche dieser Ansicht — volle zeitweise
!) De decret. Nie. c. 1.
05
Degradation ihres Logos zur blossen Menschenseele — sahen die
Arianer später ein und lehrten daher, der Logos habe sich, als er
auf Erden erschien, nicht mit einem ganzen Menschen, sondern nur
mit einem menschlichen Leibe verbunden 1). Hierin nähert sich
also der Arianismus seinem spätem Gegensatz, dem Apollinarismus
(wovon unten), trennt sich aber wieder dadurch von ihm, dass er
einen wirklichen irdischen Leib festhielt, während letzterer das Fleisch
Christi zu einem himmlischen verflüchtigte.
Diess dürften die Punkte sein, worin der Arianismus unsern
Gegenstand berührt2). Der geschichtsphilosophische Zusammenhang
desselben mit frühem Theorieen ist für unsern Zweck nicht von Be¬
lang, ebenso überflüssig wäre es, den verschiedenen Phasen, die er
das ganze vierte Jahrhundert hindurch durchlief, bis ins Einzelne nach¬
zugehen. Wir nennen bloss die hauptsächlichsten Parteiführer, und die
theilweise nach ihnen benannten Spaltungen in der Häresie selbst.
Nachdem auf der ersten allgemeinen Synode von Nicäa (325)
die »Wesensgleichheit« des Sohnes mit dem Vater ausgesprochen
war, drehte sich der fernere Streit eigentlich nur um dieses Wort.
Wahrscheinlich ist es Eusebius, Bischof von Nikomedien, der schon
bei seiner Unterschrift des Concils von Nicäa anstatt des Wortes
ojuooi'cnoe (wesensgleich) das Wort cnoiovcnog (wesensähnlich) setzte
und durch diesen Trug der Vater des Semiarianismus wurde, als
dessen Parteihaupt später Basilius, Bischof von Ancyra, galt. In
ihren zweideutigen Bekenntnissen nähern sich die Halbarianer der
orthodoxen Ansicht oft auf Haarschärfe, halten aber immer den
Punkt, worauf es eben ankommt, — Gleichheit oder Aehnlichkeit
des Wesens — in einer gewissen Vagheit. Doch lässt sich immer
durchschauen, dass sie den Sohn dem Vater dem Wesen nach mehr
oder weniger subordiniren.
Eine volle Wesensverschiedenheit dagegen behaupteten Aetius,
Diakon von Antiochien und Eunomius, Bischof von Kyzikus (f 395).
Letzterer lehrte: »Christus sei dem Vater unähnlich dem Wesen
nach und in Allem.« Darum wurde die Partei, die diese Ansicht
zu der ihrigen machte, Eunomianer oder Anomöer (von cu’huuog,
:) Athan. adv. Apoll. II, 16; Epipli. haer. 69, n. 49 u. 50; August, de haer. 19;
Theodoret. dial. II. u. III; Hefele, Gone. I, S. 238, A. 4.
2) Vgl. die beiden Briefe des Bisch. Alexander von Alexandrien bei Sokrates,
h. e. I, 6 und Theodoret, li. e. I, 4.
Lehner, Die Marienverelirung.
5
66
unähnlich) genannt. Merkwürdigerweise wurde hiebei dem Erlöser
dennoch das Prädikat der »Göttlichkeit« gelassen, freilich in dem
eigenthümlichen Sinne eines Geschenkes vom Vater. Von dem
alten Arianismus unterscheidet sich daher die anomöische Lehre
besonders dadurch, dass jener den Sohn wegen seiner sittlichen
Grösse sich vergöttlichen lässt, diese aber die göttliche Würde als
etwas ihm Anerschaffenes darstellt.
Ein späteres Haupt der Halbarianer war Macedonius, Bischof
von Konstantinopel, der nicht bloss die Wesensgleichheit des Sohnes
leugnete, sondern auch die Gottheit des heiligen Geistes verwarf.
Uebrigens hiessen schon dem Eusebius von Cäsarea die Worte: »der
heilige Geist geht vom Vater aus« ebensoviel, wie wenn ein Ge¬
sandter von der Umgebung eines Königs ausgeht 1). Die Anhänger
des Macedonius erhielten darum auch den Namen »Pneumatomachen«,
Gegner des heiligen Geistes.
Eine vermittelnde Stellung wollte Photinus, Bischof von Sir-
mium, einnehmen, indem er, wie schon sein Lehrer, Marcellus
von Ancyra2), zwischen Logos und Sohn eine Unterscheidung
machte (341). Mit dem ersteren Ausdruck bezeichnete er die zweite
Person der Trinität als »die im Vater einerseits ruhende, anderer¬
seits aus ihm thätig hervortretende Vernunft« (Bestimmungen, die
von dem alten Alexandriner Philo stammen); den zweiten Ausdruck
»Sohn« wollte er nur für die Einwohnung des Logos in dem Men¬
schen Jesus gebraucht wissen und behauptete darum: »der Sohn
existire erst seit der Geburt Jesu aus Maria.« Christus ist ihm
daher nur ein Mensch, dem die in Thätigkeit hervortretende Ver¬
nunft Gottes ganz besonders innewohnt und in ihm wirksam ist.
Wegen seiner Tugend wird er von Gott verherrlicht und zum Sohn
adoptirt 3), aber er ist nicht Gottmensch.
Eine Zwischenstellung zwischen Anomöern und Halbarianern
nahm endlich Acacius, Bischof von Cäsarea ein, indem er sowohl
die Wesensgleichheit und Wesensähnlichkeit, als auch die Wesens¬
verschiedenheit in seiner auf der Synode von Seleucia (359) abge¬
gebenen Glaubensformel verwarf4) und, wie der heilige Hilarius
') Möhler, Athanas. II, S. 43.
2) Hefele, Conc. I, S. 457.
3) Ibid. S. 612.
4) Ibid. S. 692.
67
bemerkt, sehr unklar behauptete: der Sohn sei zwar dem Vater,
aber nicht Gott ähnlich, vielmehr Gott unähnlich. Gott habe ge¬
wollt, dass eine Kreatur entstehe, die dasselbe wolle, wie er;
darum sei der Logos ein Sohn des Willens, nicht der Gottheit
(an sich) und ähnlich dem Willen, nicht dem Wesen Gottes x).
Seine Partei hiess nach ihm die Acacianer.
Wie schon angedeutet, war beinahe das ganze vierte Jahr¬
hundert von den arianischen Streitigkeiten erfüllt. Synoden über
Synoden wurden gehalten, die Kaiser mischten sich darein, indem
sie bald die orthodoxe, bald die arianische Partei begünstigten, mit
Ausnahme des kurzregierenden Julian , dem natürlich beide gleich¬
gültig waren.
Es fragt sich nun, w i e hängt denn dieser Meinungskampf über
eigentlich transcendente Dinge, da er sich ja beinahe ausschliesslich
um das Verhältniss der Personen der Dreieinigkeit zu einander dreht,
mit unserem Gegenstand zusammen? Offenbar so: Ist der Sohn
dem Vater nicht wesensgleich, sondern untergeordneten Wesens, ist
er in irgend welcher Auffassung ein Geschöpf desselben, so ist con-
sequenter Weise Maria nicht Mutter einer fleischgewordenen Person der
göttlichen Dreieinigkeit, sondern Mutter eines Geschöpfes, wenn auch
des vorzüglichsten, gottähnlichsten, vor aller Welt hervorgebrachten.
Ferner hat der Arianismus ja nicht bloss eine transcendente, son¬
dern auch eine immanente Seite, er befasst sich nicht allein mit der
Spekulation über das vorweltliche Wesen des Logos, sondern hat
auch seine eigene Ansicht über die Art und Weise seiner Erschei¬
nung auf Erden, indem für ihn Christus, der »Gottmensch«, bald nur
die Verbindung des Logos mit einem menschlichen Leibe, bald ein
blosser, von dem Geiste Gottes besonders erleuchteter Mensch ist
(um Photins Ansicht zu popularisiren). Diese Vorstellung greift
also beinahe auf den alten Ebionitismus zurück, wie denn auch nach
einer Nachricht des Marius Mercator, dem wir im Folgenden noch
mehr begegnen werden, Photin den Erlöser geradezu für einen Sohn
Josephs und Mariens gehalten haben soll * 2). Ja lange vor ihm ana-
thematisirte Pabst Damasus (366— 84) den Photmus, »welcher Ebions
Häresie erneuend den Herrn Jesum Christum nur aus Maria
bekennt,« und »diejenigen, welche zwei Söhne annehmen, einen vor
') Hilar. c. Const. irap. n. 14, S. 1249, bei Hefele I, S. 693.
2) Mar. Mercat. Diss. de XII anath. Nest. p. 164.
— 68 -
der Weltschöpfung, den andern nach der Fleischesannahme aus der
Jungfrau *)•
Es ist daher begreiflich, dass in den Schriften und Gegen¬
schriften, in den Diskussionen auf den Synoden, die der Arianismus
veranlasste, der Name Maria unzählige Mal mitgenannt werden musste.
Wollten wir den Nachweis im Einzelnen liefern, so müssten wir
geradezu alle Kirchenschriftsteller des vierten Jahrhunderts, die sich
auf die Frage des Arianismus eingelassen haben, der Reihe nach
aufzählen und durch eine Fluth von Citaten den Leser ersticken.
Da wir ohnehin noch Gelegenheit finden werden, in anderem Zu¬
sammenhänge eine erkleckliche Menge aufzuführen, die wir zum guten
Theile ebenso hier verwenden könnten, beschränken wir uns darauf,
ausser dem bereits Angeführten noch einiges Charakteristische bei¬
zubringen.
Bischof Zeno von Verona (3(30 — 380) z. B. spricht von einer
Sekte (wir brauchen sie nach dem Obigen nicht näher zu bezeich¬
nen) , welche behauptete: »Jesus Christus habe vom Leibe der
Jungfrau Maria seinen Anfang genommen und sei nachher wegen
seiner Gerechtigkeit Gott geworden, nicht (als solcher) geboren * 2).«
Oder die Arianer gebrauchten die Wendung: »Wenn er (der Sohn)
sich in Maria herabgelassen, wenn er der Jungfrau Leib erfüllt
hat, so ist offenbar etwas Anderes aus ihr geboren, als was in sie
gekommen war.« Die orthodoxe Erwiderung hierauf lautet: »Vom
heiligen Geiste hat die Jungfrau empfangen und das, was sie
empfing, hat sie geboren, d. h. den mit seinem Menschen vereinigten
Gott3)«, oder wie der hl. Athanasius sich ausdrückt: »Denn das
Wort, welches von oben aus dem Vater auf unaussprechliche, un¬
erklärliche, unbegreifliche Weise und von Ewigkeit erzeugt ist, dieses
Wort selbst wird hienieden aus der Jungfrau Maria, der
Gottesgebärerin, geboren, damit die früher von unten Geborenen
von oben wiedergeboren würden , d. h. aus Gott. So erhielt er
eine Mutter auf Erden, der seinen Vater im Himmel hat4).« Der
heilige Athanasius, dieser Hauptvorkämpfer der kirchlichen Vorstel¬
lung, ist es besonders, der dem philosophisch -kritischen Verfahren
G Damas. epist. III, ad Pauliin. etc. De capit. fid. c. Maced; et Eunom. et
Apoll, haer. bei Galland. VI, S. 326.
2) Lib. II, Tract. VIII. De nativ. Dom. cap. 1. bei Galland. V.
3) Phoebad. Agin. episc. tract. de fide orth. c. Arian. VIII. Galland. V. S. 262.
4) Athan. de incarn. et c. Arian. 8, Bd. I, S. 875.
69
seiner Gegner immer' die positiven Thatsachen der Offenbarung ent¬
gegenhält (ohne ihnen übrigens an dialektischer Gewandtheit nach¬
zustehen) und daher stets aufs Neue auf den einfachen Inhalt des
evangelischen Berichtes zurückkommend, so oft es sich um die
Menschwerdung des Gottessohnes handelt, beinahe nie versäumt, die
Mutter desselben zu erwähnen. So kommt, um nur Eines anzu¬
führen, in der kleinen Schrift, die den Titel »grössere Rede über den
Glauben« führt, der Name Mariä im obengenannten Zusammenhänge
mindestens zehn Mal vor x). Auch der heilige Hilarius, der Atha¬
nasius des Abendlandes, bedient sich, wenn er den Arianismus be¬
spricht, solcher Wendungen, dass die heilige Jungfrau eine Stelle
darin findet. »Die Arianer, sagt er, verwerfen das öi-toovcnog (wesens¬
gleich), weil sie glauben, es werde damit gelehrt, der Vater und der
Sohn seien eine Person, der Vater habe sich aus seiner Unendlich¬
keit in eine Jungfrau herabgelassen* 2).« Oder einen verdächtigten
Kirchenlehrer vertheidigend schreibt er : Marcellus von Ancyra »gab
dem Gott Logos nicht den Anfang aus der heiligen Jungfrau
Maria, wie jene (die Arianer) lehren« 3). Diese Beispiele mögen
genügen, um darzuthun, wie die Kirchenväter, mochten sie die alba¬
nische Lehre darlegen oder bekämpfen, immer den Namen Maria
hereingezogen haben. Wie eigenthiimlich übrigens von den Arianern
selbst bei der Verbreitung ihrer transcendenten Begriffe über den
Logos auf das Verhältniss Mariens zu Christus angespielt wurde,
sehen wir aus der Frage: »Hattest du einen Sohn, bevor du ge¬
barst?« womit sie sich besonders gerne an die Frauen wandten, um
sie für ihre Ansicht über das Spätersein des Logos zu gewinnen 4).
Es wollte nemlich hiemit gesagt sein, Gott könne gar keinen Sohn
haben im orthodoxen Sinne, sondern derjenige, den man so nenne,
sei ein Geschöpf Gottes, woraus dann natürlich folgte, dass Maria
nicht Mutter eines göttlichen Sohnes sei. Eben dahin zielt auch der
Witz des Arianers Eudoxius : »Wenn der Vater einen Sohn hätte,
so müsste er auch eine Frau haben 5).« Es ist darum begreiflich,
dass die von ihrem Sohne unzertrennliche Persönlichkeit auch von
*) Sermo maj. de iide, Galland. V, S. 161 ff.
2) De trin. IV, 4.
3) Fragm. II, S. 1287. Vgl. auch De trin. I. 22; II, 25.
4) Athan. or. I, c. Arian. bei Hefele I, S. 246.
5) Hilar. c. Const. §. 13.
70
den bald mehr orthodoxen, bald mehr arianischen Synoden in ihre
Glaubensformeln und Anathematismen ausdrücklich aufgenommen
wird. So steht der Artikel »er hat Fleisch angenommen aus der
Jungfrau« oder »er wurde geboren aus der Jungfrau« in dem Sym-
bolum der Synode zu Antiochien vom Jahre 341 (in encaeniis =
bei der Kirchweihe) *). Und unter den, der ersten sirmischen Formel
(a. 351) angehängten, Anathematismen finden sich folgende: »Wenn
Einer sagt, der Unerzeugte (Vater) oder ein Theil von ihm sei aus
Maria geboren; wenn Einer sagt, der Sohn sei zwar vor Maria
gewesen etc.; wenn Einer den Sohn Mariens einen blossen Men¬
schen nennt; wenn Einer glaubt, dass der aus Maria geborene
Gottmensch der Unerzeugte (selbst) sei; wenn Einer behauptet, erst
seit der Geburt aus Maria, erst seit dem werde er Christus und
Sohn genannt und habe Gott zu sein angefangen, — der sei Ana¬
thema * 2). Endlich nahm auch die zweite allgemeine Synode zu
Konstantinopel (381) den Artikel, der schon, wenn auch in etwas
anderer Fassung im alten »apostolischen Symbolum« stand, »welcher
. . . . Fleisch annahm aus dem heiligen Geiste und aus Maria,
der Jungfrau« in ihr Glaubensbekenntniss auf3), während das
nicänische den Namen Mariens nicht enthält.
Wurde nun so durch die arianische Häresie die kirchliche Vor¬
stellung von Maria alterirt, wenn auch die neue Irrlehre ebensowenig
wie die meisten frühem, sich unmittelbar gegen sie kehrte; musste
sich in zweiter Linie durch den ganzen Verlauf der arianischen
Streitigkeiten der unzertrennliche Zusammenhang zwischen Sohn und
Mutter aufs Neue aufdrängen und darum der Name und die Würde
der letzteren überall da im Munde geführt werden, wo es sich um
das Wesen des Sohnes handelte: so gab der falsche Gegensatz des
Arianismus, der apollinaristische Irrthum eigentlich noch näheren
Anlass zu schiefer oder ganz falscher Auffassung des Verhältnisses
der heiligen Jungfrau zum Erlöser und damit ihrer Bedeutung und
Würde, und forderte darum noch dringender zur Berichtigung auf.
Der Apollinarismus nemlich befasst sich nicht mehr so fast
b Hefele I, S. 503. 505, 507, 508.
a) Ibid. S. 619, 620, 263.
3) Ibid. II, S. 11. Derselbe Passus auch in dem Glaubensbekenntnisse, das
ein Brief des Bischofs Marcellus von Ancyra in cap. IV. enthält. Galland. V,
S. 16 u. 17.
71
mit dem vorweltlichen Verhältnisse der Personen der Trinität, sondern
wirft sich schon (und hiedurch wird er zum Vorläufer des Nestoria-
nismus) auf die im engern Sinn christologische Frage: auf welche
Weise die göttliche und menschliche Natur in Christus verbunden seien.
Apollinaris, Bischof von Loodicea (ums Jahr 362) hatte nemlich
als Gegner des Arianismus in dem Bestreben, die Einheit des Gött¬
lichen und Menschlichen in Christus recht hervorzuheben, die Theorie
aufgestellt, dass, wie (nach Plato) jeder Mensch aus Leib, Seele und
Geist, so auch die Persönlichkeit Christi aus drei Faktoren bestehe,
nemlich aus Leib, Seele und — Logos. Dieser, die zweite Person
der göttlichen Dreieinigkeit, habe sich in Christus an die Stelle des
(menschlischen) Geistes gesetzt und mit den beiden andern Faktoren
zu einer eigenthümlichen Einheit, dem Gottmenschen, verbunden.
Würde man eine vollständige, dreitheilige menschliche Natur anneh¬
men, so hätte man zwei Söhne Gottes, zwei Personen und damit
statt einer Dreieinigkeit eine Viereinigkeit.
Es springt in die Augen, dass diesem »Gottmenschen« die volle
Menschheit vorenthalten ist und dass der Apollinarismus einen ana¬
logen Gegensatz zum Arianismus bildet, wie der alte Doketismus
zum Ebionitismus. Noch auffallender wird diese Analogie, wenn
man dazu nimmt, dass Polemius, Schüler des Apollinaris, auch den
Leib und die (animalische) Seele Christi mit dem Logos in eine
physische Einheit Zusammengehen Hess , so dass von den späteren
Apollinaristen auch das Fleisch Christi für ewig erklärt wurde x).
Hiefür bedienten sie sich der Formeln: »wir sagen, der aus Maria
(der ganze Christus) ist gleichen Wesens mit dem Vater« * 2), »Gott
ist von einer Jungfrau geboren, nicht Gott und Mensch« 3). Die
Polemianer wurden darum auch Sarkolaträ (Fleischanbeter) genannt.
Ja ein Theil der Anhänger dieser Richtung huldigte geradezu der
alten doketischen Ansicht, dass »das Wort nur scheinbar Fleisch
angenommen habe« 4).
Die Polemik der Kirchenväter nahm darum ganz consequenter
Weise die Apollinaristen mit den doketischen Marcioniten und
Manichäern zusammen, wie dieses z. B. von dem heiligen Athana-
3 Greg. Nyss. Antirrh. adv. Apoll. XIII, bei Galland. VI, S. 527.
2) Atlian. c. Apoll. I, 10.
3) Ibid. II, 4.
4) Ibid. I, 2 und III, 3, 4.
72
sius in seiner Schrift gegen Apollinaris geschieht. »Durch eure, wie
ihr glaubt, religiöse Erdichtung, sagt er, leugnet ihr entweder das
aus der Jungfrau und Gottesgebärerin angenommene Fleisch oder
ihr lästert die Gottheit x).« Er führt sodann den Marcion und die
Manichäer neben den Apollinaristen namentlich auf und entgegnet:
»Darum ist es Frevel , dass ein frommer Mensch solcher Wortdich¬
tungen sich bediene, es ist vielmehr zu sagen, dass das Wort,
welches von Ewigkeit her dem Vater wesensgleich ist, in der letzten
Zeit aus der heiligen Jungfrau und Gottesgebärerin Adams Bildung
und Erschaffung erneute und sich' zu eigen machte, und dass Chri¬
stus, der von Ewigkeit her Gott ist, so als Mensch erschien * 2).«
Wie hier Athanasius in seiner Polemik gegen den Doketismus
der Apollinaristen im Allgemeinen ausdrücklich der Mutter Jesu
gedenkt, so versäumt er diess auch sonst nicht. Gegen die »Ewig¬
keit des Fleisches Christi« z. B. äussert er sich in derselben Schrift
folgendermassen : »Aber ihr sagt, dass unerschaffen (das Fleisch)
geworden sei, was (weil es) vereinigt sei mit dem Unerschaffenen
(dem Logos). Es wird sich zeigen, dass euer Irrthum sich als
solcher erweist. Denn die Verbindung des Fleisches mit der Gött¬
lichkeit des Wortes leitet sich aus dem Mutterleibe her, denn von
daher hat das Wort, als es vom Himmel kam, demselben (dem
Fleische) den Ursprung gegeben. Es (das Fleisch) war nemlich
nicht, bevor das Wort angekommen war, oder vor der Gottes¬
gebärerin Maria, deren Abstammung von Adam, deren Geschlecht
von Abraham und David sich herschreibt, wie auch das ihres Bräu¬
tigams Joseph. Denn sie waren zwei in einem Fleische, wie es
geschrieben steht 3), nicht durch gegenseitige Vermischung, sondern
weil sie von einem und demselben Stamm ihren Ursprung her¬
leiteten; dass sie nemlich unbefleckt verblieben sind, ist bezeugt. Es
wird also Christus in Bethlehem, der Stadt Juda geboren, und nennt
den Joseph seinen Vater, der denselben Ursprung, wie Maria, aus
David hat« . 4)
Gegen Doketismus und Sarkolatrie zugleich kehrt sich in dem
Briefe an den korinthischen Bischof Epiktet der Ausspruch: »Mensch-
x) Ibid. I, 12.
2) Ibid. I, 13.
3) Genes. II, 24.
4) Athan. c. Apoll. I, 4.
73
lieh also von Natur und wirklich war der Leib des Herrn, welcher
aus Maria hervorging nach den heiligen Schriften; wirklich, sage
ich, da er derselbe war, wie der unserige. Denn Maria ist eine
Schwester von uns, da wir sämmtlich von Adam stammen x).« Und
gegen die Unterstellung der Viereinigkeit verwahrt er sich in der¬
selben Schrift also: »Gar sehr aber werden die erröthen, welche
auch nur einmal gedacht haben , es könne anstatt der Dreieinigkeit
eine Viereinigkeit werden, wenn man sage, dass der Leib (Christi)
aus Maria stamme. Denn wenn wir, sagen sie, den Leib für wesens¬
gleich mit dem Worte erklären, so bleibt die Dreieinigkeit als Drei¬
einigkeit, indem das Wort nichts Aeusserliches in sie hereinbringt;
wenn wir aber einen menschlichen Körper, aus Maria erzeugt, an¬
nehmen, so muss notlnvendig, da der Körper seiner (Substanz)
Wesenheit nach etwas Aeusserliches ist und in ihm das Wort wohnt,
statt der Dreieinigkeit wegen des Hinzutretens des Körpers eine
Viereinigkeit herauskommen * 2).« Schon hiedurch dürfte klar geworden
sein, wie Maria beim Apollinarismus mitbetheiligt war. Noch ein¬
leuchtender wird diess durch einige dem hl. Gregor von Nyssa ent¬
nommene Stellen. Indem dieser die Meinung von der Ewigkeit des
Leibes Christi ad absurdum führen will, bedient, er sich folgender
Demonstrationsweise: »Wenn das Fleisch ewig ist, wenn das aus
Maria Stammende (rö ex A Iagiag) vor Abrahams Geburt war, dann
ist die Jungfrau älter als Nachor; ja auch vor Adam ist Maria.
Doch was sage ich, sie ist älter als die Zusammenordnung des Be¬
stehenden, ja uranfänglicher als die Weltschöpfung. Denn wenn er
(der Sohn) Fleisch annahm in der Jungfrau, das Fleisch aber Jesus
genannt wird, wenn weiter durch den Apostel bezeugt ist, dass jener
vor dem All sei, so beweist offenbar der Treffliche (Apollinaris), dass
auch Maria mit der Ewigkeit des Vaters zusammengedacht werden
muss 3).« Weiter unten fährt er nach Anführung der Beweisgründe
seines Gegners also fort: ». . . . Er sagt, aus dem Himmel sei der
Mensch herabgestiegen, und doch ist auf Erden Maria, auf der Erde
die Höhle, irdisch die Krippe. Und wie übersiedelt jener uns den
Menschen vom Himmel her auf die Erde? Da doch die ganze
Schrift einig ist in Betreff der Jungfrau , der Geburt , des Fleisches,
’) Athan. ad Epictet. ep. 7, Bd. I, S. 906.
2) Ibid. 8.
3) Greg. Nyss. Antirrh. adv. Apoll, XIII. Galland. VI, S. 527.
74
der Windeln, der Mutterbrust, der Krippe, des menschlichen Rüst¬
zeugs, sieht dieser von Allem ab und bildet dem Logos einen andern
wurzellosen und mit unserer Natur nicht zusammenhängenden Men¬
schen an !).« Ein paar Kapitel später stellt er Maria noch mehr in
den Vordergrund: ». . . . Wiederum sage ich, es ist Maria vergessen
worden, welcher Gabriel die frohe Botschaft bringt, auf welche, wie
wir glauben, der heilige Geist herabgekommen ist, welche die Kraft
des Höchsten überschattet , von welcher geboren wird Jesus . . . ;
entweder beweise er nun, dass nicht auf Erden die Jungfrau ist,
oder bilde er uns keinen himmlischen Menschen. Er fürchte nicht,
dass die weniger Gebildeten gegen das Göttliche sich dadurch ver¬
sündigen möchten, dass sie bei der Annahme des Menschlichen das
Göttliche nicht zugestehen würden. Denn die Geburt aus dem Weibe
enthält das Menschliche, die Jungfräulichkeit aber, welche der Geburt
dienstbar war, bewies das Uebermenschliche * 2).«
Mit dem Vorstehenden glauben wir erwiesen zu haben , dass,
wie bei den früheren häretischen Ansichten über Christus, so auch
bei den so eben behandelten Maria nothwendig mittelbar und un¬
mittelbar in den Meinungskampf verflochten wurde. Freilich haben
wir unsere Belege grossentheils nur gelehrten Streitschriften entnehmen
können und es könnte darum scheinen, dass die ganze Angelegenheit
mehr Sache gelehrter Controverse gewesen sei und dass ihr die Masse
der Gläubigen fern gestanden habe. Doch haben wir oben schon an¬
gedeutet, dass die Verbreiter der arianischen Häresie sich alsbald
an das Volk wandten; auch was wir über die Menge der Synoden
und die Theilnahme der Kaiser sagten, wies auf ein allgemeines
Interesse. Nun wissen wir aber ferner, das Arius seine Lehren
unter Anderem auch in »Lieder für Schiffer, Müller und Wanderer«
kleidete3), und der Kirchenhistoriker Sokrates erzählt uns, »dass
in allen Familien ein dialektischer Krieg stattfand« 4), ja Gregor von
Nyssa drückt sich folgendermassen aus: »Alles in der Stadt ist
voll von solchen, welche über die unbegreiflichen Dinge dogmatisiren,
die Strassen, die Märkte, die Kleidertrödler, die an den Wechsel¬
tischen Sitzenden, die mit Esswaaren Handelnden. Wenn du Einen
*) Ibid. XXXIII.
2) Ibid. XXXVII.
3) Neand. Kircheng. II, S. C16.
4) Ibid. S. 627.
75
fragst, wie viele Obolen es beträgt, dogmatisirt er dir etwas vor über
das Gezeugtsein und Ungezeugtsein. Wenn du nach dem Preise des
Brodes fragst, antwortet er dir: ,Der Vater ist grösser als der Sohn
und der Sohn ist dem Vater subordinirtd Wenn du fragst: ,ist
das Bad schon fertig'?1 antwortet er dir: ,Der Sohn Gottes ist aus
Nichts geschaffen 1)h<. Diese anschauliche Schilderung bezieht sich
zwar zunächst nur auf Konstantinopel, allein bei der allgemein ver¬
breiteten Dogmatisirsucht gilt sie gewiss für jede bedeutendere Stadt
wenigstens des Orients. Wir dürfen darum als sicher annehmen,
dass die Kirchenlehrer, vom Patriarchen angefangen bis zum letzten
Pfarrer herunter, übergenug Anlass und Aufforderung hatten, mit
denselben Argumenten, wie in ihren wissenschaftlichen Werken, sich
in Predigt und Homilie an das Volk zu wenden. Und wenn nun
das Volk auch bei diesen Anlässen immer wieder »Maria« hörte, so
konnte diess nur dazu beitragen, das durch die ganze bisherige Ge¬
schichte verherrlichte Bild der Mutter Christi als integrirenden Be-
standtheil seiner Glaubensvorstellungen immer tiefer ihm einzuprägen.
Aber es blieb nicht bloss bei dieser allgemeinen und mehr
sekundären Wirkung. Die Sache machte positiv einen Schritt vor¬
wärts durch einen Ausdruck , der vielleicht aus dem vorigen Jahr¬
hundert stammt, jetzt aber den so eben abgehandelten Häresieen
gegenüber in häufigeren Gebrauch kam. Wir haben ihn oben schon
ein paar Mal von Athanasius vernommen; es ist der Titel »Gottes¬
gebärerin«, der von nun an der heiligen Jungfrau beigelegt wird.
Gleich Alexander, Bischof von Alexandrien, bedient sich desselben
in einem der Briefe, die er über die Häresie seines Priesters Arius
an andere Bischöfe richtete: »Jesus Christus, der wahrhaft und nicht
scheinbar Fleisch angenommen hat aus der Gottesgebärerin Maria2).«
Ausser ihm hat das Wort, wie gesagt, der heilige Athanasius und
zwar an mindestens zehn Stellen, ferner Eusebius, der Geschicht¬
schreiber, die Gregore von Nazianz und von Nyssa, Chrysostomus,
Philo, Bischof von Carpasia, Cyrillus, Bischof von Jerusalem, Epi-
phanius und Theodor von Mopsuestia 3).« Wir sprechen hier nur
p Orat. de deit. fil. et spir. s. Tom. III, f. 466, bei Neand. 1. c. S. 627, A. 7.
2) Alex, episc. Alex. ep. de Arian. liaer. c. XII.
3) Athan. c. Apoll. I, 4, 12, 13; orat. c. Arian. III, 14, 29, 33; IV, 32; de
incarn. et c. Arian. 8, 22. — Euseb. Quaest. ad Marinum, Angelo Mai, Vet. patr.
nova coli. I, S. 69 ff. — Gregor Naz. ad Cledon. presb. epist. I, ed. Morell.
Paris 1630. I, S. 758; orat. XXXV, p. 564. — Philon. episc. Carpas. enarrat. in
76
von Schriftstellern des vierten Jahrhunderts und wagen auch hier
nicht den Anspruch auf Vollständigkeit zu machen, da wir zwar
alle durchgegangen, aber nicht ganz gelesen haben. — Dieses Wort
nun wird bald nur so beiläufig gebraucht, wie bei Athanasius: »der
erscheinende Engel erklärt, dass er von dem Herrn gesandt sei,
wie diess Gabriel dem Zacharias und der Gottesgebärerin Maria
erklärt hat *) ;« .... »welcher Fleisch annahm aus der Jungfrau
Maria, der Gottesgebärerin2);« ....»Johannes sprang noch im
Mutterleibe bei der Stimme der Gottesgebärerin Maria vor Freude
auf 3) ;« .... »das Fleisch entstanden aus der Gottesgebärerin
Maria4):« .... »was vom Erzengel zur Gottesgebärerin selber ge¬
sagt worden ist 5).« Oder wenn Eusebius die vier Marien des
Evangeliums aufzählt und die Gottesgebärerin von den andern dreien
unterscheidet 6). In andern Fällen wird der Ausdruck inniger in die
Polemik gegen die irrigen Meinungen verflochten und in bestimmten
Gegensatz dazu gebracht, wie wir diess oben gesehen haben, und
wie auch noch folgende Stelle zeigt : »Gott also ist der aus der
Jungfrau Geborene und aus Maria , der Gottesgebärerin , Mensch
Gewordene 7).« Eine dritte Klasse von Stellen endlich spricht von
dem Worte als einem noth wendigen Erforderniss der Orthodoxie.
So tadelt Gregor von Nyssa diejenigen , welche gewagt hätten , die
heilige Jungfrau, die Gottesgebärerin, Menschengebärerin zu nennen 8),
und Gregor von Nazianz stellt den Satz auf: »Wenn Einer Maria
nicht als Gottesgebärerin annimmt, der ist getrennt von der Gott¬
heit 9).« Plier ist die Sache zugleich so gewendet, als ob es sich
hiebei vorzugsweise um einen Ehrentitel der heiligen Jungfrau handle,
cant. cant. bei Gallandi IX, S. 738, 746, 751. — Gregor. Nyssen, de occursu Dom.
III. Bd. S. 460 zweimal; epist. ad Ambros. III. Bd. S. 660. — Epiphan. Ancorat.
c. 75. — Cyrill. Hieros. Catech. X, 19. — Chrysost. homil. LXII, tom. VI. —
Theodor. Mops, siehe Hefele, Conciliengesch. II, S. 134.
1) Athan. orat. III, 14, c. Arian. Bd. I, S. 563.
2) Ibid. S. 579.
3) Ibid. S. 583.
4) Ibid.
*) Ibid. Or. IV. 32, S. 642.
n) 1. 1.
7) Athan. de incarn. et c. Arian. 22, Bd. I, S. 889.
8) Epist. ad Ambr. Tom. III, S. 660.
9) Ad Gled. presb. epist. Bd. I, S. 758.
77
um welchen diese nicht verkürzt werden dürfe; Maria selbst ist in
den Vordergrund gestellt , von der Bedeutung des Wortes für ihren
Sohn ist abgesehen. Wir machen also wiederholt die Beobachtung,
dass jedes tiefere Eindringen in das wunderbare und geheimnissvolle
Wesen Christi, jede weitere Entfaltung und offenere Darlegung seiner
überirdischen und irdischen Beziehungen, kurz jede scheinbare oder
wirkliche Näherung des ewig Unfasslichen für menschliches Wissen
und menschliche Fassungskraft nicht bloss so nebenher auf die, mit
ihm nothwendig zusammenzudenkende, Mutter zurückstrahlt, sondern
ihr Bild in eigener Beleuchtung immer selbständiger hervortreten
lässt.
Wenn wir nun den Ausdruck Gottesgebärerin uns noch etwas
näher ansehen wollen, so beruht er auf der althergebrachten und
schon durch die Bibel geheiligten Vertauschung göttlicher und mensch¬
licher Prädikate für Christus. In der Bibel findet sich ebenso, dass
»der Menschensohn vom Himmel herabgestiegen sei«, als, dass »Gott
seinen Eingeborenen (in den Tod) dahingegeben habe« x), während
strenggenommen das Erstere nur vom göttlichen , das Letztere nur
vom menschlichen Theil Christi gesagt werden kann. Der Ausdruck
ist aber nicht bloss von Seiten des Sprachgebrauchs leicht zu recht-
fertigen , sondern musste sich als bequemste Abbreviatur der kirch¬
lichen Ansicht gegenüber den oftgenannten beiden Häresieen besonders
empfehlen. Das Bestimmungswort »Gottes« geht gegen den falschen
Realismus der Arianer, das Grundwort »Gebärerin« ebenso gegen
den falschen Idealismus der Apollinaristen, und aus diesem Grunde
sagt auch der berühmte Herausgeber des heiligen Athanasius, der
Mauriner Montfaucon: der Gebrauch dieses Wortes sei »weise, wenn
absichtlich, glücklich, wenn zufällig« * 2) gewesen. — Es bedarf kaum
der Erwähnung, dass das vielgenannte Prädikat nicht bloss gegen
die neuesten Häresieen allein als Schild der Orthodoxie diente, sondern
gegen alle Phasen überhaupt, welche die alten Gegensätze der ebioniti-
sirenden und doketisirenden Richtung bis zu ihrer letzten Metamor¬
phose durchgemacht hatten, wie wir diess auch aus etlichen der
oben angeführten Stellen ersehen konnten. Und diess gab dem
Wort eine um so allgemeinere Verbreitung, auf die uns auch eine
Bemerkung Julians des Apostaten (f 363) schliessen lässt. Er sagt
') Joh. III, 18 u. 16.
2) Praef. p. XX.
78
nemlich in seiner »Abfertigung der Evangelien«: Die Christen hören
nicht auf, Maria eine Gottesgebärerin zu nennen x).
Das Verkennen des Ausdrucks als Abbreviatur im angegebenen
Sinne rief übrigens vielleicht noch im vierten Jahrhunderte ver¬
einzelte Opposition hervor. Schon der aus der antiochenischen Schule
hervorgegangene Diodor von Tarsus (y ca. 390) glaubt die beiden
Faktoren der Persönlichkeit des Heilandes genauer auseinanderhalten
zu müssen und sagt darum: »Das Wort stammt von oben, Jesus
Christus, der Mensch, aber ist von hier. Maria gebar nicht das
Wort, sondern einen uns ähnlichen Menschen« . ... 2) Und sein
Schüler, Theodor von Mopsuestia, kämpft direkt gegen den Gebrauch
des Ausdrucks an. »Maria, sagt er, hat Jesum geboren, nicht den
Logos, denn der Logos war und blieb allgegenwärtig, obwohl er auf
besondere Weise von Anfang an in Jesus wohnte. Also ist Maria
eigentlich die Christusgebärerin, nicht die Gottesgebärerin. Nur
figürlich kann man sie auch Gottesgebärerin nennen, weil Gott auf
ausgezeichnete Weise in Christus war. Sie hat eigentlich einen
Menschen geboren, in welchem die Einigung mit dem Logos begonnen,
aber noch so wenig vollendet war, dass er noch nicht (sondern erst
von der Taufe an) Sohn Gottes heissen konnte.« Und an einer
andern Stelle sagt er: »Es ist Wahnsinn zu sagen, Gott sei aus der
Jungfrau geboren, .... nicht Gott, sondern der Tempel, in welchem
Gott wohnte, ist aus Maria geboren 3).« Doch Theodor starb erst
im Jahre 427 oder 28, nachdem er 36 Jahre zu Mopsuestia Bischof
gewesen war. Von seinen zahlreichen Schriften sind uns mit Aus¬
nahme einer einzigen nur Fragmente erhalten, die wir chronologisch
nicht näher bestimmen können. Das oben Beigebrachte kann darum
vielleicht erst dem fünften Jahrhunderte angehören. Jedenfalls weist
es unmittelbar hinüber auf Nestorius, der ja nach einigen Nach¬
richten selbst Schüler des Theodor gewesen sein soll. Dass aber
die Opposition gegen den vielgenannten Ausdruck zwar aus der
antiochenischen Schule hervorging, jedoch nicht so zu sagen antio-
chenischer Lehrsatz war, beweisen andere Kirchenlehrer, die derselben
Schule ihre Bildung verdankten und dennoch zu dem Ausdruck sich
') „tkoTÖxov oe ufAEt? ob Tiocüsa^E Maptav xaXoovTE <;.“ Cyrill. Alex, contra Julian,
lib. VIII, ed. Aubert. Tom. VI, p. 262.
2) Von Mar. Merc. aufbewahrt. S. Galland. VIII, S. 705.
3) S. bei Hefele, Conc. II, S. 134.
bekannten, wie z. B. Cyrill von Jerusalem und der grosse Chrysosto-
mus, der ja auch zu den Füssen des Diodor von Tarsus gesessen
war, wie Theodor von Mopsuestia.
Nestorius1) nun, seit 428 Patriarch von Konstantinopel, leitete
mit der Opposition gegen diesen Ausdruck seine neue Häresie ein,
nemlich eine so strenge Trennung der göttlichen und menschlichen
Natur in Christus, dass er diese beiden Naturen als zwei getrennte
Personen fasste, die nur äusserlich und moralisch mit einander
verbunden seien. Der Ausbruch des nestorianischen Streits, von
dem wir natürlich nur dasjenige beibringen, was sich auf Maria be¬
zieht, wird verschieden erzählt. Nestorius selbst sagt in einem Brief
an den Bischof Johannes von Antiochien: schon bei seiner Ankunft
in Konstantinopel habe er einen Streit vorgefunden, indem ein Theil
die heilige Jungfrau »Gottesgebärerin«, der andere »Menschengebärerin«
genannt wissen wollte. Um zu vermitteln, habe er den Ausdruck
»Christusgebärerin« vorgeschlagen 2). Der Bischof Cyrill von Ale¬
xandrien, der Hauptgegner des Nestorius, dagegen schreibt in einem
Brief an den Pabst Cölestin I. , der Angriff auf den Titel Gottes¬
gebärerin sei von dem Bischof Dorotheus, einem Freund des Nestorius,
ausgegangen. »Es war in Konstantinopel ein Bischof, Namens
Dorotheus, der die Ansicht des Nestorius theilte, .... welcher in
der Versammlung, während der vorsichtige Nestorius auf dem Thron
der Kirche zu Konstantinopel sass, aufstand und mit lauter Stimme
zu sagen wagte: wenn einer Maria Gottesgebärerin nennt, der sei
verflucht 3)« .... Der Kirchenhistoriker Sokrates hinwiederum er¬
zählt: Der Freund des Nestorius, der Priester Anastasius, den er
von Antiochien mitgebracht, habe eines Tags in der Predigt gewarnt,
es solle Niemand Maria Gottesgebärerin nennen, denn Maria sei ein
Mensch gewesen und aus einem Menschen könne Gott nicht geboren
werden 4). Das peinliche Aufsehen , das die Opposition gegen den
Ausdruck erregte, wird von beiden letzteren in ähnlicher Weise be¬
richtet. Cyrill z. B. fährt fort: »Und es entstand ein grosses Ge¬
schrei beim ganzen Volke und Hinauslaufen (aus der Kirche), denn
sie wollten nicht mehr Gemeinschaft haben mit denen , die solcher
') Vgl. für das Folgende Hefele, Gone. II, S. 134 ff.
2) Hefele, Conciliengesch. II, S. 186.
3) Galland. T. IX, pag. 300.
4) VII, 32; bei Hefele, ibid.
80
Meinung waren, so dass auch jetzt noch die Völker von Konstan¬
tinopel von ihnen abtrünnig sind, mit Ausnahme weniger, die leicht
ins Gewicht fallen, und ihrer Schmeichler; die Klöster aber beinahe
alle und die Archimandriten derselben und die meisten der Gemeinde
haben keine Gemeinschaft mit ihnen, aus Furcht, den Glauben zu
verletzen . . . . x)
Sei dem nun, wie ihm wolle, Nestorius fühlte sich hiernach
berufen , selbst gegen den Ausdruck aufzutreten. Seine bezüglichen
Predigten hat uns ein abendländischer Laie, Namens Marius Mercator,
der sich damals in Konstantinopel aufhielt, theilweise aufbewahrt
und wir theilen daraus einige Abschnitte mit. ». . . . Soll Maria
Gottesgebärerin, oder aber Menschengebärerin genannt werden? Hat
Gott eine Mutter? Dann ist auch das Heidenthum entschuldbar,
welches den Göttern Mütter gibt. Paulus also ist ein Lügner, der
von der Gottheit Christi mit folgenden Ausdrücken spricht: vaterlos,
mutterlos , ohne Genealogie * 2). Nein , mein Bester, Maria hat nicht
Gott geboren, denn was vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch 3). Das
Geschöpf hat nicht denjenigen geboren, welcher unerschaffbar (increa-
bilis) ist, der Vater hat nicht aus der Jungfrau Gott das Wort neu
gezeugt, denn im Anfang war das Wort, wie Johannes sagt. Das
Geschöpf hat nicht den unerschaffbaren geboren, sondern es hat
geboren den Menschen, das Werkzeug der Gottheit. Der heilige
Geist hat nicht Gott das Wort erschaffen . . . ., sondern Gott dem
Worte den Tempel aus der Jungfrau gebaut, den es bewohnen
sollte4).« .... Wenn die heilige Schrift von der Geburt Christi
spreche, .... nenne sie ihn nie Gott, sondern Christus oder Jesus
oder Herr, .... Maria sei sonach Christusgebärerin zu nennen5)
Die Arianer setzen den Logos nur unter den Vater herab, -diese
(welche Maria Gottesgebärerin nennen) aber setzen ihn sogar unter
Maria, behaupten, dass er später sei als sie, und geben der Gottheit,
der Schöpferin der Zeit, eine zeitliche Mutter. Ja sie geben auch
nicht zu, dass sie Mutter Christi sei. Denn wenn der, den sie
gebar, nicht menschlicher Natur, sondern Gott das Wort war, so
') Galland. T. IX, p. 300.
2) Hebr. VH, 3.
3) Job. III, 6.
4) Galland. T. VIII, p. 629.
®) Hefele II, S. 137.
81
wird sie keineswegs als Mutter des Geborenen erfunden; denn wie
könnte sie Mutter von dem sein, der anderer Natur ist, als die Ge¬
bärerin? Nennt man sie aber seine Mutter, dann ist der Geborene
nicht göttlicher Natur, sondern ein Mensch, da jede Mutter nur das
gebären kann, was gleicher Substanz ist, wie sie !).
Nestorius erregte mit diesen Wendungen und Ausdrücken einen
ähnlichen Sturm, wie er von Cyrill oben beschrieben ist. Sein Klerus
fiel theilweise von ihm ab und predigte offen gegen ihn, das Volk
murrte : wir haben einen Kaiser, aber keinen Bischof. Man unter¬
brach sogar seine Predigten durch lauten Widerspruch. Jedoch
liess er sich hiedurch nicht irre machen. An einem Marienfeste des
Jahres 429 hatte er den Bischof Proklus, der in Konstantinopel lebte,
eingeladen, die Festpredigt zu halten, während er selbst in der Kirche
anwesend war. Proklus entsprach seinen Erwartungen so wenig,
dass er vielmehr die heilige Jungfrau gerade als »Gottesgebärerin«
pries. Wir haben auf diese Predigt weiter unten zurückzukommen.
Nestorius antwortete sofort durch eine Gegenpredigt, die so beginnt:
»Dass die Völker, die Christum lieb haben, denjenigen Beifall zollen,
welche der heiligen Maria eine Ehrenrede halten, ist nicht zu ver¬
wundern. Denn gerade das, dass sie der Tempel geworden ist des
Fleisches des Herrn, überschreitet Alles, was des Lobes würdig ist.
Aber darauf muss eure Liebenswürdigkeit achten, dass wir nicht,
wenn wir mehr als nöthig oder schuldig mit der Ehre und dem
Lobe jener Seligen uns zu thun machen, die Würde Gottes des
Wortes zu entstellen scheinen, indem wir ihn zweimal geboren sein
lassen .... Wer einfach sagt, dass Gott von Maria geboren sei,
der gibt die Herrlichkeit des Dogmas den Heiden preis zum Tadeln
und Verlachen * 2)« . . . . In einigen spätem Beden gegen Proklus er¬
klärt er, dass er den Ausdruck Gottesgebärerin dulden könnte, wenn
er richtig gefasst würde, aber weil er Missverständnisse hervorrufe,
möchte er lieber einen andern Titel für Maria wählen. »Lasst uns
die Menschheitsannahme des Herrn verehren, lasst uns das Geheim-
niss der Fleischwerdung mit unaufhörlichen Lobgesängen preisen,
lasst uns aber die Jungfrau, welche Gott aufgenommen hat, nicht
mit Gott zusammenrechnen, nicht mit Gott zum Göttlichen erheben.
') Galland. T. VIII, p. 643.
2) Galland. T. VIII, p. 633-
Lehn er, Die Marienverehrung.
6
82
Darum schlage ich das Wort ,gottaufnehmend oder gotttragend'
(&eod6xog) vor, statt , gottgebärend4 (tfeoroxog). Denn nur Einer ist
gottgebärend, nemlich Ctott Vater1).«
Trotz des anfänglichen gewaltigen Aufsehens, das Nestorius mit
seiner »Neuerung« machte, gewann er doch eine Partei für sich,
nicht nur in Konstantinopel, sondern seine Ansichten verbreiteten
sich sofort auch in verschiedenen Provinzen des Reichs. Da trat
zuerst der obengenannte Cyrill, Erzbischof von Alexandrien, gegen
ihn auf, warnte seine Gemeinde und erinnerte namentlich die zahl¬
reichen ägyptischen Mönche, die auch schon von der Sache Kennt-
niss erhalten hatten, dass ja der Ausdruck »Gottesgebärerin« schon
von Athanasius gebraucht worden sei. An Nestorius schrieb er:
. . . . »Geruhe, den beleidigten Ohren die einzige Redensart zu ge¬
währen, dass du die heilige Jungfrau Gottesgebärerin nennest, damit
wir nach Beruhigung derer, welche traurig und betrübt sind; überall
den rechten Glauben habend, in Frieden und Einmüthigkeit den
Gottesdienst begehen 2). «
Nestorius hatte mittlerweile dem Pabst Cölestin I. mitgetheilt,
dass in seiner Diöcese eine Häresie ausgebrochen sei, »welche die
Christusgebärerin Gottesgebärerin zu nennen sich nicht scheue, wäh¬
rend jene heiligen und über alles Lob erhabenen Väter des nicäni-
schen Concils nichts weiter über die heilige Jungfrau gesagt haben,
als dass unser Herr Jesus Christus aus dem heiligen Geiste und der
Jungfrau Maria Fleisch geworden sei. Ich schweige von der heiligen
Schrift, welche überall die Jungfrau als Mutter Christi, nicht Gottes
des Wortes, sowohl durch die Engel als auch durch die heiligen
Apostel verkündigt hat3).« Doch sei ihm gelungen, viele von dieser
Häresie zu dDekehren. Dem Cyrill antwortete er auf einen zweiten
Brief desselben, der die obige Bitte wiederholte, ungefähr mit den¬
selben Argumenten, indem er sich auf das nicänische Glaubens-
bekenntniss und die heilige Schrift beruft, dass der Ausdruck
Gottesgebärerin heidnisch, apollinaristisch, arianisch sei. Zugleich
theilte er ihm mit, dass der byzantinische Hof auf seiner Seite stehe.
Nun schrieb Cyrill an den Hof (. . . . »wer thörichter Weise sagt,
die heilige Jungfrau sei nicht Gottesgebärerin, fällt nothwendig in
1) Galland. ibid.
2) Galland. VIII, p. 641.
3) Galland. IX, p. 297.
88
den Irrthum, zwei Söhne Gottes anzunehmen«1), und an mehrere
griechische und morgenländische Bischöfe, sowie an den Pabst.
Dieser hielt im Jahr 430 eine Synode zu Rom, welche den Nestorius
für einen Ketzer erklärte und mit Absetzung bedrohte, wenn er nicht
widerrufe. In einer Rede, welche der Pabst hielt, findet sich folgende
charakteristische Stelle: »Ich denke daran, dass Ambrosius seligen
Gedächtnisses am Geburtsfeste unseres Herrn Jesu Christi das ganze
Volk einstimmig singen liess:
Komm, Erlöser der Völker,
Zeige die Geburt der Jungfrau,
Es staune alle Welt,
Solche Geburt ziemt Gott.
Hat er etwa gesagt: eine solche Geburt ziemt einem Menschen?
Daher stimmt die Ansicht unseres Bruders Cyrillus darin, dass er
Maria Gottesgebärerin nennt, sehr mit dem Vers überein: eine
solche Geburt ziemt Gott2).« Den Synodalbeschluss schickte der
Pabst dem Cyrill zur Eröffnung an Nestorius, theilte ihn ferner der
Gemeinde von Konstantinopel, sowie den angesehensten morgen¬
ländischen Bischöfen mit und ermahnte zur Aufrechthaltung der
wahren Lehre. In Folge hievon forderte Bischof Johannes von
Antiochien seinen Jugendfreund Nestorius auf, »dem Ausdruck Gottes¬
gebärerin , der für die heilbringende Menschwerdung und Geburt
Christi ganz tauglich und von vielen Vätern gebraucht worden sei,
seinen Beifall zu geben«. Diess rathe er ihm nicht bloss in seinem,
sondern auch im Namen vieler andern morgenländischen Bischöfe.
Cyrill aber hielt, bevor er das päbstliche Schreiben an Nestorius über¬
sandte, eine Synode zu Alexandrien und liess durch dieselbe zwölf
Sätze (Anathematismen) unterschreiben, deren erster so lautete:
»Wer nicht bekennt, dass der Emmanuel wahrhaftiger Gott und die
heilige Jungfrau desshalb Gottesgebärerin sei, indem sie den fleisch¬
gewordenen Logos Gottes dem Fleische nach gebar, der sei Ana¬
thema.« Diese zwölf Anathematismen begleitet von einem Synodal¬
schreiben, das wiederum den Satz enthält : weil die h. Jungfrau den
mit dem Fleische hypostatisch vereinigten Gott dem Fleische nach
geboren hat, nennen wir sie Gottesgebärerin . . . ., sandte Cyrill
*) Gyr. ad reginas Opp. ed. Paris 1624. T. II, p. 687.
2) Fragmentum serm. etc. Galland. IX, p. 304.
84
sammt dem Erlass der römischen Synode an Nestorius. Die Folge
hievon war, dass der letztere nicht bloss durch zwölf Gegenanathema-
tismen antwortete, sondern dass beinahe alle Bischöfe, die aus der
antiochenischen Schule hervorgegangen waren, sich gegen Cyrill
kehrten, nicht, zwar wegen des Ausdrucks ordxog, sondern wegen
einiger andern seiner zwölf Sätze. Johannes von Antiochien nament¬
lich trat jetzt mehr auf Seite des Nestorius, insbesondere weil dieser
erklärt hatte, er wolle ja gegen den vielberufenen Ausdruck nichts
haben, wenn er in gewissem Sinne gebraucht werde.
Der Streit war jetzt beinahe in der ganzen Christenheit so
heftig, die Verwirrung so allgemein geworden, dass nur durch ein
Generalconcil der Friede hergestellt werden zu können schien. Dieses
wurde auf das Pfingstfest 431 nach Ephesus einberufen. Gleich in
der ersten Sitzung, welche in der, der Gottesgebärerin geweihten und
nach ihr benannten, Kathedrale von Ephesus abgehalten wurde,
wurde die Lehre des Nestorius von nahezu zweihundert Bischöfen
verurtheilt und hiemit dem Ausdruck i^eoröxog zugestimmt. Eine
starke Fraktion allerdings, an deren Spitze Johannes von Antiochien
stand, stimmte Anfangs nicht nur nicht bei, sondern setzte ihrer¬
seits den Cyrill ab, doch behielt dieselbe in ihrem Symbolum, das
sie dem Kaiser vorlegte, den fraglichen Ausdruck bei: »Wir be¬
kennen, dass die heilige Jungfrau Gottesgebärerin sei, weil Gott das
Wort Fleisch geworden ist u. s. w.« Das Symbolum, dem diese
Stelle entnommen ist, unterschrieb im Jahr 433 seinerseits Cyrill;
damit war die Versöhnung der antiochenischen Fraktion mit der
Majorität des Concils von Ephesus hergestellt und dem vielgenannten
Ehrentitel der heiligen Jungfrau durch einen schliesslich an Ein¬
stimmigkeit grenzenden Generalconcilsbeschluss die officielle Weihe
ertheilt. —
Der Zug der Mutterschaft an unserem evangelischen Marienbilde
hat hiemit seine Vollendung erreicht. Dieser Zug ist begreiflicher¬
weise die Hauptqualität Mariens; alle andern Züge hängen von ihm
ab. Ist Maria Mutter eines Menschen , so unterscheidet sie sich
nicht von einem anderen Weibe, ist sie Mutter eines göttlichen
Sohnes, so ist keine andere Mutter ihr gleich. Die Göttlichkeit
des Sohnes entzieht die Mutter als solche dem Naturgesetz, wenn
auch seine Menschlichkeit sie demselben wieder bis zu einem ge¬
wissen Punkte unterwirft. Je mehr daher das göttliche Wesen
des Sohnes aus der naiven Unmittelbarkeit des Glaubens heraus-
tritt, je allseitiger es von der Wissenschaft diskutirt wird, bis
es schliesslich als Errungenschaft eines vielziingigen, heissen Kampfes
erscheint, um so höher muss auch die Mutterwürde steigen. Und
wenn die Wissenschaft, um ihre Ueberzeugung von dem Wesen des
Sohnes in eine prägnante und populäre Form zu giessen, nichts
Treffenderes zu thun weiss, als der Mutter einen eigenthiimlichen
Titel zu verleihen, so tritt letztere hiemit in den Vordergrund. Auf
dem Wege innerer Lehrentwickelung wird aus der einfachen »Mutter
Jesu« die gefeierte »Gottesgebärerin«.
Josephs Weib.
Maria erscheint in den Evangelien als das Weib Josephs.
Joseph nimmt sie zu sich und beweist hiedurch nicht bloss den vor¬
ausgegangenen Verlobungsakt, sondern die wirkliche Eheschliessung
nach hebräischer Sitte. Er vollzieht aber mit ihr die Ehe in physi¬
schem Sinne nicht, weil er ihr göttliches Geheimniss weiss. Was
war also Grund und Zweck der Ehe? Die Evangelien beantworten
diese Frage nicht, wenn sich auch einige Andeutungen aus ihnen
entnehmen Messen. Um so mehr gehen die Kirchenväter auf die
Sache ein , was nur erwartet werden kann , nachdem man in allen
äusseren Umständen des Lebensganges Jesu eine Reihe planmässiger
göttlicher Heilsveranstaltungen zu erblicken sich gewöhnt hatte.
Der erste, bei dem wir auf die Behandlung dieses Punktes
stossen, ist Origenes. »Nach wiederholtem Nachdenken, sagt er,
stelle ich die Frage auf, warum Gott, nachdem er einmal beschlossen
hatte, dass der Heiland von einer Jungfrau sollte geboren werden,
nicht ein Mädchen ohne Bräutigam gewählt habe, sondern gerade
ein solches, das schon verlobt war. Und wenn ich mich nicht
täusche, ist Folgendes der Grund: Er musste von einer solchen Jung¬
frau geboren werden , welche nicht allein einen Bräutigam hatte,
sondern, wie Matthäus schreibt, bereits dem Manne übergeben war,
obwohl der Mann sie noch nicht erkannt hatte, damit der Zustand
der Jungfrau, wenn sie als solche schwanger erschien, keinen Anstoss
erregte. Daher finde ich in einem Briefe eines Martyrs, ich meine den
Ignatius, den zweiten Bischof von Antiochien nach Petrus, der zu
Rom bei einer Verfolgung den Thieren vorgeworfen wurde, die feine
Bemerkung: dem Fürsten dieser Welt war die Jungfrauschaft Marias
verborgen. Sie war ihm verborgen wegen Joseph, wegen ihrer Ehe,
weil man glaubte , sie habe einen Mann. Denn wenn sie keinen
87
Bräutigam und vermeintlichen Mann gehabt hätte, so konnte jenes
dem Fürsten dieser Welt keineswegs verborgen bleiben. Denn so¬
gleich wäre dem Teufel der geheime Gedanke gekommen : Wie ist
jene, der ein Mann nicht beigewohnt, schwanger? Es muss diese
Empfängniss göttlich sein, es muss da etwas über die menschliche
Natur Erhabenes stattfinden. Im Gegentheil hatte der Heiland an¬
geordnet, dass der Teufel seine Heilsveranstaltung und Fleisch¬
annahme nicht kenne, daher er sie auch in seiner Genealogie ver¬
barg und nachher seinen Schülern vorschrieb, dass sie ihn nicht
verrat hen sollen« *).
Der Kirchenhistoriker Eusebius behandelt die Frage ausführ¬
lich in seinen »Evangelischen Untersuchungen«. Er meint: die Ver¬
hältnisse unseres Heilandes mussten den Zeitgenossen desselben
theilweise verborgen bleiben, namentlich das Wunder seiner Geburt,
welches nur sehr wenigen bekannt war. Schon Ignatius habe dieses
angedeutet (in der oben milgetheilten Stelle). Es wäre selbstverständlich
unmöglich gewesen, dass alle Sterblichen, welche den Gesalbten
Gottes unter den Menschen in gewöhnlicher Menschengestalt hätten
wandeln sehen, geglaubt hätten, dass er von einem unverheiratheten
Mädchen ohne Vater geboren sei. Auch war es nicht zuträglich,
dass viele wussten, Maria habe Jesus nicht von Joseph empfangen,
denn die Jungfrau wäre nach dem mosaischen Gesetze strafbar
gewesen, als wenn sie vor der Heirath die Jungfrauschaft verletzt
hätte. Desshalb deutet es die Schrift mit Recht genau an, indem
sie sagt: »bevor sie zusammenkamen, wurde sie schwanger erfun¬
den.« Dadurch beweist sie beinahe, dass sie nicht vor der Hoch¬
zeit empfangen habe, und nicht bevor sie zum Manne (ins Haus)
kam. Nachdem sie mit Joseph verbunden war und bei ihm lebte,
und bei Allen als sein Weib galt, als sie zusammen wohnten, und
die eheliche Gemeinschaft zu pflegen schon (wie man meinte) im
Begriffe standen, zur Stunde, so zu sagen, bevor sie zusammenkamen,
wurde sie schwanger vom heiligen Geiste erfunden. Und diess ist
ganz zweckmässig zur Vermeidung allgemeinen Bekanntseins vor¬
gesorgt worden. Denn wenn Maria noch im Hause ihrer Eltern
schwanger geworden wäre, so wäre sie der Todesstrafe verfallen,
oder hätte wenigstens den Schimpf der Unzucht auf sich geladen.
Denn sie konnte für sich selber nicht Zeugin sein , noch war sie
*) Hom. in Luc., III. Bd., pag. 938.
88
tauglich , dem , was ihr geschehen war , Glauben zu schaffen , noch
hätte sich jemand die Erscheinung des Engels aufreden lassen oder
ihrer Erzählung der Worte Gabriels geglaubt, endlich hätte Joseph, »der
Gerechte«, sie als schwanger nicht in sein Haus aufgenommen.
Darum wurde sie erst in Josephs Haus und von Joseph selber als
schwanger erfunden. Warum aber und wie die Sache dem Joseph
offenbar wurde, lehrt die Schrift, indem sie sagt, dass Joseph, »dem
Gerechten«, von dem heiligen Geiste die Kunde geworden sei. Wenn
er sie darauf heimlich entlassen wollte, so geschah diess aus ehr¬
furchtsvoller Scheu gegen das Ausserordentliche, das sich mit ihr
zugetragen hatte, bis er vom Engel aufgefordert wurde, sie bei sich
zu behalten .... Die jungfräuliche Empfängniss musste also den
ungläubigen Zeitgenossen vorenthalten bleiben. Sogar die Wunder-
thaten Jesu hätten den Glauben daran nicht zur Folge gehabt, denn
Moses, Elias, Elisa und andere Wunderthäter waren ja alle auf dem
gewöhnlichen Wege zur Welt gekommen. Darum kamen auch nicht
einmal seine Schüler auf die richtige Spur. Auf die Frage, für wen
man ihn halte, antworteten sie: Einige für Johannes, Elias, Jere¬
mias *) , Petrus allein erklärte ihn für den Sohn des lebendigen
Gottes. Das Geheimniss war also noch allgemein. Maria selbst ist
Zeuge dafür, dass sie die betreffenden Vorkommnisse geheim gehalten
habe, denn die Schrift sagt: Maria aber behielt alle diese Worte
überlegend in ihrem Herzen * 2) . . . Die richtige Zeit für die Ent¬
hüllung des Geheimnisses war, als Christus von den Todten auf¬
erstanden und in den Himmel aufgenommen war, als der Ruf des¬
selben, als des Wortes Gottes, die Welt erfüllte, als die Völker gerufen
wurden und die göttlichen Prophezeiungen ihre Erfüllung erhielten,
denn der Erfolg verlieh den Vorahnungen und Vorhersagungen den
augenscheinlichen Beweis 3).
Der heilige Hilarius (f 367 oder 368) bringt wenigstens einen
Grund der Vermählung vor. »Damit über ihre Geburt keine Zwei¬
deutigkeit bestünde, wird er (Joseph) als Zeuge der Empfängniss
Christi aus dem heiligen Geiste hinzugenommen« 4).
b Matth. XVT, 13.
2) Luc. IT, 19.
3) Quaest. evang. ad Steph. qu. T, 1—6. Vgl. auch Euseb. Pamph. opusc.
de op. bon. 1. IX, bei Gallandi, T. IV.
4) Comm. in Matth. Ed. Paris. 1652, pag. 497.
89
Denselben Grund führt der heilige Epiphanius auf, und zwar
»nach der Tradition der Juden« 1).
Ambrosius, Chrysostomus, Hieronymus gehen wieder näher
auf die Sache ein. Der erste wirft sich in seinen Erläuterungen zum
Lukasevangelium beinahe wieOrigenes die Frage auf: »Warum wurde
sie nicht vor ihrer Verlobung schwanger ?« und antwortet folgender-
massen: »Vielleicht, damit man nicht sage, sie habe in Folge von
Buhlerei empfangen. Die Schrift hat Beides trefflich festgestellt,
sowohl dass sie verlobt, als dass sie Jungfrau sei ; Jungfrau, damit
sie männlicher Genossenschaft ledig erschiene, verlobt, damit sie
nicht durch den Schimpf verletzter Jungfräulichkeit gebrandmarkt
würde .... Der Herr wollte lieber, dass einige über seine Herkunft
als über die Züchtigkeit seiner Mutter im Zweifel seien 2). Er wusste
nemlich, dass die Sittsamkeit einer Jungfrau eine zarte, und der Ruf
der Keuschheit eine höchst empfindliche Sache sei; darum gedachte
er nicht, den Glauben an seine Herkunft durch eine (voraussichtliche)
Beeinträchtigung seiner Mutter zu stützen. Es wird also die Jungfräulich¬
keit der heiligen Maria aufrecht erhalten, unbefleckt — durch ihre
Züchtigkeit, unverletzlich durch die öffentliche Meinung; denn die
Heiligen bedürfen auch des äusseren Zeugnisses, und es durfte nicht
etwa Jungfrauen, die in zweideutigem Rufe stehen, der Deckmantel
der Entschuldigung gelassen werden, dass auch die Mutter des Herrn
verunglimpft erscheine. Was könnte aber auch den Juden, was dem
Herodes vorgeworfen werden, wenn es den Anschein gehabt hätte,
als ob sie einen unehelichen Sohn verfolgten? Wie könnte er
(Christus) selber sagen: Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz
aufzulösen, sondern zu erfüllen 3), wenn er von einer Uebertretung
des Gesetzes seinen Anfang genommen zu haben geschienen hätte,
da die Geburt einer Unverheiratheten vom Gesetze verdammt wird?
Als vollgültiger Zeuge ihrer Keuschheit lässt sich vielmehr gerade ihr
Gatte herbeiziehen, der sich über die Entehrung betrüben und den
Schimpf rächen konnte, wenn er nicht das heilige Geheimniss anerkannte.
Ja auch die Worte Mariens erhalten durch ihn grössere Glaubwür¬
digkeit. Denn eine unverheirathete Schwangere könnte den Schein
auf sich laden, als wollte sie ihre Schuld durch eine Lüge ver-
’) Haer. LXXVIII, 7.
2) Derselbe Gedanke de instit. virg. 42.
3) Matth. V, 18.
90
schieiern. Ursache zu lügen hatte eine nicht Verlobte, nicht aber
eine Verlobte, denn der Preis der Heirath und die Gnade der Ehe
ist eben das Gebären der Frauen. Ein sehr beachtenswerther Grund
(ihrer Verlobung) ist auch der,« setzt Ambrosius, den h. Ignatius
und Origenes nachahmend bei, »damit die Jungfräulichkeit Marias dem
Fürsten der Welt entgehe; denn wenn er sah, dass sie einem Manne
verlobt sei, konnte ihm ihre Geburt nicht verdächtig sein ’) . «
Chrysostomus äussert sich so: »Christus wollte nicht, dass
es zur Zeit der Geburtswehen den Juden offenbar werde , dass er
von einer Jungfrau geboren sei. (Diess geschah) um die Jungfrau zu
retten und von einem schlimmen Verdacht zu befreien. Denn wenn
#
diess von Anfang an den Juden bekannt gewesen wäre, so hätten
sie wohl die Jungfrau verfolgt, des Ehebruchs angeklagt und gestei¬
nigt .... Denn wenn sie nach so grossen Wundern ihn (Jesum)
noch Josephs Sohn nannten, wie hätten sie vor den Wundern geglaubt,
dass er Sohn der Jungfrau sei? ... . Wer einmal überzeugt ist,
dass er Gottes Sohn ist, dem bleibt kein Zweifel mehr über jenes
übrig .... Darum sprechen auch die Apostel nicht gleich von
Anfang an hievon. Von der Auferstehung sprechen sie viel und oft,
weil von derselben schon aus früheren Zeiten Beispiele Vorlagen,
wenn auch nicht dieser (Auferstehung) ähnliche; von seiner Geburt
aus der Jungfrau aber sprechen sie nicht sofort. Aber auch sie,
die Mutter, wagte es nicht, dieses zu veröffentlichen * 2).« Nicht ein¬
mal dem Joseph sagte sie etwas von ihrem göttlichen Geheimniss,
aus Besorgniss, er möchte ihr nicht glauben; »denn wenn ihr, die
eine so grosse Gnade zu empfangen im Begriffe stand, etwas Mensch¬
liches begegnete, indem sie fragte: wie wird das geschehen, da ich
keinen Mann erkenne, so hätte jener um so mehr gezweifelt, beson¬
ders wenn er es von einem im Verdacht stehenden Weibe gehört
hätte. Desswegen sagt die Jungfrau ihm nichts, als aber die Zeit
rief, tritt der Engel auf3). Dieser beruhigt den Joseph wegen seiner
Zweifel, indem er ihm das göttliche Geheimniss mittheilt. Der
Evangelist, um dem Verdacht zu entgehen, zu Gunsten seines
Meisters das Wunder erdichtet zu haben , führt darum den Joseph
J) Ad ev. Luc. II, 1 — 3.
2) Hom. III. in Matth. Ed. Montfaucon Tom. VII, S. 33, 34. Für den letzten
Satz s. Luc. II, 48.
3) Hom. IV. Ibid. S. 54.
91
als Zeugen auf, »als ob er sagen wollte: Wenn du mir nicht
glaubst, wenn mein Zeugniss dir verdächtig ist, so glaube ihrem
Manne 1).«
Hieronymus fasst das Resultat längerer Erörterung in seiner
Schrift gegen Helvidius in einige Hauptgründe der Vermählung der
heiligen Jungfrau zusammen. »Wem aber ein Skrupel aufsteigt,
sagt er, warum die Jungfrau als Verlobte und nicht vielmehr ohne
Bräutigam oder (wie die Schrift sagt) Gatten empfangen habe, der
wisse, dass ein dreifacher Grund vorhanden gewesen sei. Erstlich,
damit durch die Genealogie des Joseph, dessen Verwandte Maria
war , auch die Herkunft Mariens bewiesen werde. Zweitens,
damit sie nicht nach dem Gesetze des Moses vom Volk als Ehe¬
brecherin gesteinigt werde. Drittens, damit sie auf der Flucht nach
Aegypten die Pflege eines Beschützers, wenn auch nicht eines Gatten
habe. Denn wer hätte zu jener Zeit der Jungfrau geglaubt, dass
sie vom heiligen Geiste empfangen habe, dass der Engel Gabriel
gekommen sei und Gottes Befehl überbracht habe? Hätten sie nicht
vielmehr die Stimmen aller nach dem Beispiel der Susanna als
Ehebrecherin verdammt, nachdem noch heutzutage, da doch schon
die ganze Welt gläubig ist, die Juden als Beweis des Gegentheils
die Stelle des Jesais (VII, 4) anführen, indem sie behaupten, im
hebräischen Text stehe »junge Frau« nicht »Jungfrau« 2).
Augustinus schliesslich nennt den Joseph »nicht den Räuber,
sondern den Behüter der Keuschheit« Mariens. »Oder vielmehr nicht
der Behüter war ihr Gatte, weil Gott sie behütete, sondern der
Zeuge jungfräulicher Züchtigkeit, damit man nicht glaube, sie sei
durch Buhlerei schwanger geworden3).«
Die Gründe der Vermählung Marias also sind in beiläufiger
chronologischer Ordnung, wie sie sich bei den Kirchenvätern finden,
folgende :
1. das Empfängnisswunder musste dem Teufel verborgen bleiben,
2. es musste den Zeitgenossen Jesu verborgen bleiben, weil sie
es nicht geglaubt hätten,
3. es musste verborgen bleiben, weil die Mutter Jesu der Schande
verfallen oder gestraft worden wäre,
]) Ibid. S. 52.
2) Adv. Helv. 4.
3) Serrno 225. 2.
92
4. weil Christus mit sich selbst in Widerspruch gekommen und
seinen Feinden eine Angriffswaffe gegeben hätte.
5. Joseph wurde der Jungfrau beigesellt, um Zeuge ihrer Jung¬
fräulichkeit zu sein,
(>. um durch seine Genealogie auch die Herkunft Marias, seiner
Verwandten, zu erweisen,
7. um sie zu pflegen und zu beschützen.
Die Verehelichung Mariens wird also nach diesen Ausführungen
in Verbindung mit ihrer Mission gesetzt; sie war nothwendig, um
letztere zu erfüllen. Sie war nothwendig für die Anbahnung des
Erlösungswerkes, sie war aber auch nothwendig für die Person
Mariens. Nachdem jedoch die Mission erfüllt, nachdem der Erlöser
geboren war, wie gestaltete sich jetzt das Verhältniss der Gatten?
Blieb ihr Bund auch nachher ein rein geistiger, oder vollzogen sie
jetzt denselben auch in körperlichem Sinne?
Die Evangelien scheinen auf den ersten Blick für das Letztere zu
sprechen. Sie berichten: Joseph erkannte sein Weib nicht, bis sie ihren
Sohn gebar, was anscheinend schliessen lässt, dass er sie nach der
Geburt des Sohnes erkannt habe; sie sprechen von ihrem Sohn als dem
Erstgeborenen, was anscheinend Nachgeborene voraussetzt; ja sie zählen
sogar mehrere Brüder Jesu auf und sprechen auch von Schwestern des¬
selben. Wenn man diese Notizen ganz unbefangen und ohne weiteres
Nachdenken las oder hörte, so Hessen sie sich sammt ihren an¬
scheinend unabweisbaren Consequenzen auch für ein gläubiges Ge-
müth recht wohl mit den vorausgegangenen Wundern in Harmonie
bringen. Maria trat eben nach Erfüllung ihrer Mission vollständig
zurück und kam in Hinblick auf den geborenen Weltheiland nicht
weiter in Betracht; ihr ferneres Thun und Leben war vollkommen
gleichgültig. Diess war wohl auch Anfangs die Anschauung einer
grossen Anzahl Christen, von denen ja, wie wir oben beim Zug der
Jungfräulichkeit bemerkt haben, viele wohl Jesum selber für des
Zimmermanns Sohn hielten und daher an Brüdern und Schwestern
desselben um so weniger Anstoss nehmen konnten.
Andererseits darf angenommen werden, dass schon frühe es
vielen, welche sich in die Geheimnisse der neuen Religion vertieften,
widerstrebte, die Persönlichkeit, deren sich die Gottheit bedient hatte,
um sich mit der Menschheit zu vereinigen, nach Erfüllung dieses
Zweckes gleichsam wie ein ausgebrauchtes Werkzeug weggeworfen
und in ordinärem Weibesberufe gewissermassen untergeben zu sehen.
Nöthigte ja bei tieferem Nachdenken die Exegese selbst nicht zu
dieser Annahme, wie uns der Verlauf der Untersuchung zeigen wird.
Einem solchen, psychologisch begründeten, Gefühle entsprang ohne
Zweifel einestheils eine apokryphe Schrift, auf die wir unten zurück¬
kommen, welche sich unter Anderem die Aufgabe stellt, den historischen
Beweis zu liefern, dass die Ehe Mariens keine wirkliche, körperliche,
sondern eine bloss ideale, geistige gewesen sei, — das Protevangelium
Jakobi *). Hier erscheint Joseph als hochbetagter Witwer mit er¬
wachsenen Söhnen aus einer früheren Ehe, der Maria nicht ohne
Sträuben und erst nach göttlichen Offenbarungen mit dem Bewusst¬
sein, welchen Schatz er zu hüten habe, zu sich nimmt. Das Prot¬
evangelium stammt spätestens aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts 2)
und weist als fixirter Ausdruck einer Vorstellung ebenso hinter sich,
wie, allerdings nach einer andern Seite hin. die kanonischen Evan¬
gelien. Das Gefühl also, welchem dasselbe zum Theil wenigstens sein
Dasein verdankt, muss sich schon in sehr früher Zeit geregt haben.
Indessen wurde dieses Gefühl nur langsam zum allgemeinen und wir
dürfen annehmen, dass die beiden entgegengesetzten Anschauungen
über die Ehe Mariens geraume Zeit neben einander hergingen.
So scheint Tertullian an der physischen Ehe noch kein
Aergerniss genommen zu haben, während sein jüngerer Zeitgenosse
Origenes dieselbe bereits verwirft. Ersterer sagt nemlich in seinem
Buch über die Monogamie: ». . . . Und Christum zwar hat eine
Jungfrau geboren , welche nur einmal heirathen wollte nach ihrer
Geburt, damit beide Titel der Heiligkeit bei der Schätzung Christi
verzeichnet werden könnten, durch seine Mutter nemlich, da sie sowohl
Jungfrau als Eines Mannes Frau war 3).« Doch Hesse sich hiebei
an das zwar wahrhafte, wenn auch nicht fleischliche Ehebündniss
Josephs mit seiner Schutzbefohlenen denken. Zudem ist die Leseart
des sonst trefflichen Herausgebers des Tertullian, Rigaltius: post
partum (nach der Geburt) angefochten und von Einigen durch ob
partum (wegen der Geburt) korrigirt. Die Stelle gäbe dann etwa
den Sinn: Maria habe einmal geheirathet wegen der Geburt, d. h.
um ohne Aergerniss und Gefahr Mutter des Erlösers werden zu
’) Tischendorf, Evang. apocr. ed. II, Lips. 1876.
2) Ibid. Proleg. p. XIII. Vgl. Tischendorf: »Wann wurden unsere Evangelien
verfasst«. 4. A. S. 76.
3) De monog. 8.
94
können , und würde dann nur dasselbe sagen , was die oben ange¬
führten Schriftsteller über den Grund ihrer Verehelichung gesagt
haben. Aber um uns jeden Zweitel zu nehmen, kommt er in seinem
Buch »über die Verhüllung der Jungfrauen« auf seine Erklärung
des Wortes »Weib« (mulier), womit Maria einige Mal in der Schrift
bezeichnet wird, zurück. Er führt aus: Der Apostel habe Maria
nicht etwa desshalb »Weib« genannt, weil sie schon verlobt, obwohl
noch unverletzt gewesen sei. Der Apostel habe da nicht prophetisch
vorgegriffen , und das künftige, das verheirathete Weib gemeint.
»Denn nicht konnte er das Weib, wie es nachher war, meinen, von
der Christus nicht zu stammen hatte, d. h. das Weib, das dem
Mann sich ergeben (virum passam), sondern das Weib, wie es gegen¬
wärtig war, das noch Jungfrau war« *), welche Bedeutung das Wort
AVeib‘ nicht ausschliesse , u. s. f. Das scheint unzweideutig ge¬
sprochen und wurde auch von spätem Kirchenvätern, wie wir sehen
werden, in dem nächstliegenden Sinne aufgefasst.
Origen es dagegen spricht an mehreren Stellen seine gegen-
theilige Ueberzeugung deutlich aus. So zu Luk. I, 42: »Gesegnete
du unter den Weibern.« »Wir müssen bei dieser Stelle, sagt er,
damit die Einfältigen sich nicht täuschen lassen, das, was die Häre¬
tiker entgegenzuhalten pflegen, widerlegen. Man hat sich nemlich
in solchen Unsinn verrannt, dass man behauptete, Maria sei von
dem Heiland verleugnet worden, weil sie nach seiner Geburt
sich mit Joseph verbunden habe . Wenn also einmal
die Häretiker euch so etwas einwerfen, so antwortet ihnen mit den
Worten: Gesegnete du unter den Weibern. Wenn Maria als vom
heiligen Geiste Gesegnete verkündigt wird, wie hat sie der Heiland
verleugnen können? Wenn man ferner behauptet, sie habe nach
ihrer Geburt geheirathet, hat man dafür keinen Beweis. Denn die¬
jenigen, welche Söhne Josephs genannt werden, waren nicht von
Maria geboren, und es exislirt kein Schriftstück, welches diess er¬
wähnte* 2).« An einem andern Orte sagt er: »Es gibt keinen Sohn
Mariä, nach denen, welche vernünftig über sie denken, ausser
Jesus3).« Und zu Matth. XIII, 55, 56: »Heisst nicht seine Mutter
Maria? Und seine Brüder Jakobus, Joseph etc.« macht er die Be-
9 De virg. vel. VI.
*) Horn. VII, in Luc. Bd. III, S. 940.
3) Comm. in .Joann. Bd. IV, S. 6.
merkung: »Sie meinten nemlich, er sei Josephs und Marias Sohn;
von den Brüdern Jesu aber behaupten Einige, sie seien Söhne Josephs
von einer früheren Gattin , die er vor Maria geheirathet habe. Sie
wurden nemlich hierauf gebracht durch die Ueberlieferung des
Evangeliums, welches die Aufschrift führt , Evangelium nach Petrus4,
(das wir nicht mehr besitzen) oder des (oben erwähnten) Buches
des Jakobus. Die aber, welche dieses sagen, wollen die jungfräuliche
Würde Mariä bis zum Ende bewahren , damit nicht jener Leib,
welcher auserwählt ward zum Dienste des Wortes, das da sprach:
,der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten
wird dich überschatten4 , das Bett des Mannes kennen lerne nach
der Herabkunft des heiligen Geistes über sie und nach ihrer Ueber-
schattung von der Kraft aus der Höhe. Und ich glaube, dass es
Grund hat , dass Jesus das reine Erstlingsopfer geworden ist der
Keuschheit der Männer, Maria aber — der Weiber. Es lässt sich
doch nicht annehmen , dass eine andere ausser ihr das Erstlings¬
opfer der Jungfrauschaft sich zuschreibe 1).«
Im Zusammenhang mit dieser Anschauung des Origenes von
dem bräutlich gebliebenen Verhältniss Mariens zu Joseph steht auch
die Sage, die er über den Tod des Zacharias (des Vaters Johannes,
des Täufers) mittheilt. »Es ist folgende Sage auf uns gekommen:
Im Tempel (zu Jerusalem) sei ein Platz gewesen, wo nur Jungfrauen
stehen und zu Gott beten durften. Verheirathete Frauen aber durften
dort nicht stehen. Maria aber, als sie nach der Geburt des Heilandes
den Tempel betrat, stellte sich auf jenen Platz der Jungfrauen. Da
nun diejenigen, welche wussten, dass sie schon einen Sohn geboren
habe, sie wegweisen wollten, trat Zacharias auf und sprach zu den¬
selben: Sie ist würdig des Platzes der Jungfrauen, denn sie ist Jung¬
frau. Weil daher Zacharias scheinbar aufs augenfälligste gegen das
Gesetz handelte, indem er einer Frau erlaubte, auf dem Platze der
Jungfrauen zu stehen; tödteten ihn die Männer jener Generation
zwischen Tempel und Altar 2).«
Aus diesen Stellen lässt sich entnehmen, dass Origenes die Ehe
Mariens für eine fortdauernd bräutliche hält und zwar einmal aus
historischen Gründen, weil er die »Brüder Jesu« nach den ange-
') Comm. in Matth. X, 17, Bd. III, S. 462 u. 63.
2) Comm. in Matth. T. III, S. 845. Vgl. Comm. in Luc. Galland. XIV.
App. S. 103.
führten apokryphen Quellen für Söhne Josephs aus erster Ehe anzu¬
sehen geneigt ist, dann aber und hauptsächlich aus philosophischen
Gründen, weil ihm eine Degradation der Mutter des Herrn zu einem
gewöhnlichen Eheweib unerträglich vorkommt. Er nennt sogar eine
gegentheilige Ansicht häretisch und daraus muss gefolgert werden,
dass zu seiner Zeit, also in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts,
die Anschauung von der Ehe Mariens als einer rein geistigen die
überwiegende Majorität für sich hatte. Hierauf deuten auch die
beiden weitern von ihm namhaft gemachten Quellen, die uns nicht
mehr bekannt sind, hin, das »Petrusevangelium« und die Sage über
den Grund der Ermordung des Zacharias, wenn anders letztere Sage
nicht etwa ein Theil des ersteren war. Ihm bleibt also Maria auch
in der Ehe »die Jungfrau« ; ja er verweist diese für ihn feststehende
Thatsache bereits in das sittliche Gebiet, bei rächtet sie nicht bloss
als äussere würdige Veranstaltung, sondern als Willensakt, als Opfer,
und wird hiemit zum Ersten, der das später angenommene Keuschheits¬
gelübde Mariens wenigstens andeutet.
Mit Origenes stimmt sein (vor ihm, etwa a. 285, gestorbener)
Zeitgenosse Hippolytus sicher überein. Abgesehen davon, dass er
Maria beinahe überall, wo er ihren Namen erwähnt, vorzugsweise
die Jungfrau (?) TiaoÖ-evog) nennt, drückt er sich einmal typologisch
aus: »Der Herr war sündenlos und seiner Menschheit nach aus dem
unverweslichen Holze (vorher geht: Noa's Arche sei aus un¬
verweslichem Holz gewesen), d. h. aus der Jungfrau und dem
heiligen Geiste . . . .« Dieses »unverwesliche Holz« der Arche war
für Hippolytus ohne Frage ein Vorbild der beständigen Jungfräu¬
lichkeit Mariens, denn ein andermal nennt er sie geradezu »eine
Mutter, die mit dem Manne nicht bekannt geworden (dTTglparöpog)« *)•
Nach Origenes haben wir keinen weiteren Schriftsteller des
dritten Jahrhunderts mehr aufzuführen, der sich über die Sache ge-
äussert hätte. Wir dürfen aber mit Grund annehmen, dass seine
Ansicht so ziemlich die allgemeine blieb. Namentlich scheint die An¬
nahme der »Brüder Jesu« als Josephs Söhne aus erster Ehe um sich
gegriffen zu haben, denn wir besitzen aus dem vierten * 2) Jahrhundert
!) S. die Fragmente bei Galland. T. II, 496 ff.: Ex oratione in illud; Dominus
pascit me; Ex serm. in Prov. IX, 1 u. s. w.
2) Tischendorf. Ev. ap. Prol. p. XXXIV. Schade, über de infantia Mariae.
Hai. Sax. 1869. p. 6.
97
ein weiteres Apokryph, die »Geschichte Josephs, des Zimmermanns«,
dessen erster Theil , die Jugendgeschichte Mariens umfassend, von
Thilo x) für den Rest einer viel altern Schrift erklärt wird , und in
diesem ersten Theile treten die »Brüder Jesu« wiederum als Söhne
aus Josephs erster Ehe und zwar unter den Namen Judas, Justus,
Jakobus und Simeon, sammt ihren Schwestern aus derselben Ehe,
Assia und Lydia, auf.
Für die Verallgemeinerung der Anschauung des Origenes spricht
aber hauptsächlich der Umstand, dass sich die entgegengesetzte An¬
schauung im vierten Jahrhundert nur bei bekannten Häretikern findet.
Und zwar waren es nach dem Berichte des arianischen Kirchenhistorikers
Philostorgius * 2) zunächst etliche arianische Parteihäupter, namentlich
Eudoxius und Eunomins, welche die beständige Virginität Mariens
leugneten. Letzterer behauptete in einer Predigt am Erscheinungsfeste
geradezu: Maria sei nach der Geburt Christi von Joseph erkannt worden.
— Aber auch von den Gegnern des Arianismus, den Apollinaristen, wird
dasselbe erzählt. Wenigstens bemerkt Epiphanius, dass »Einige ver¬
sichern, ein Theil der Dimöriten (etwa Zweitheilige, weil sie von den
platonischen drei Bestandtheilen des Menschen nur zwei in Christus
zugeben) behaupte von Maria, dass sie nach der Geburt Christi mit
ihrem Manne Joseph ehelichen Umgang gepflogen habe 3). Mehr
Aufsehen erregte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Sekte
der Antidikomarianiten, d. h. Gegner Mariä. Ja, gegen das
Ende des Jahrhunderts begegnen uns im Abendland einige Namen,
welche, obschon deren Träger auch in andern Dingen von der Kirchen¬
lehre abwichen, hauptsächlich durch die Opposition gegen die be¬
ständige Jungfräulichkeit Mariens bekannt geworden und geblieben sind.
Ueber die genannte Sekte sowie über die abendländischen
Gegner sind uns nähere Nachrichten aufbewahrt und wir wollen sie
daher der Reihe nach kennen lernen.
Der erste, welcher die Antidikomarianiten erwähnt und
welcher vielleicht diesen Namen für die Richtung aufgebracht hat, ist
der h. Epiphanius, Erzbischof von Salamis auf Cypern (f 403). Er
richtete, sobald er von der Existenz der Sekte, die besonders in Arabien
ihr Wesen trieb, erfahren hatte, ein Sendschreiben gegen sie und nahm
b Cod. apocr. p. XX.
2) h. e. 1. VI, c. 2.
3) Epipb. haer. 77, 26.
L ebner. Die Marien Verehrung.
7
08
dieses auch in sein Buch über die Häresieen auf. Ueber den Ursprung
der Sekte ist er nicht im Klaren, bemerkt jedoch, »dass Einige meinen,
sie stamme von dem alten Apollinaris oder von seinen Schülern
her«. Ihre Meinung über Maria lassen wir ihn mit seinen eigenen
Worten erzählen: »Aus der Heerde der Antidikomarianiten sind
Einige gleichsam aus besonderem Hass gegen die Jungfrau, um ihren
Ruhm zu verdunkeln, oder aus Neid, oder aus Irrthum, um die
Gemüther der Sterblichen zu beflecken, soweit in ihrer Vermessenheit
gegangen , dass sie behaupteten , die heilige Maria habe nach der
Geburt Christi mit ihrem Manne Joseph ehelichen Umgang ge¬
pflogen *).« — Wie aus dem weitern Verlauf hervorgeht, schöpfte
diese Sekte ihre Ansicht aus den oben ausgehobenen Bibelstellen.
Sie nahm die »Brüder Jesu« als leibliche Brüder, sie schloss aus
den Worten Matth. I, 18: »sie befand sich, ehe sie zusammenkamen,
schwanger vom heiligen Geiste«, dass sie nachher zusammengekom¬
men seien, d. h. ehelich gelebt haben, und schliesslich wies ihr die
Stelle Matth. I, 25: »er erkannte sie nicht, bis sie ihren erst¬
geborenen Sohn geboren«, auf nachgeborene Söhne hin.
Epiphanius nun fängt seine Widerlegung mit einem kurzen
Rückblick auf die früheren Häresieen an. Eine Menge Häretiker,
sagt er, haben nach und nach die einzelnen Personen der Trinität
angegriffen und geschmäht, jetzt gehe die Schmähsucht weiter, »denn
ich höre, dass man über die heilige Maria, die immerwährende Jung¬
frau, grundlose Meinungen hegt und wagt, auf sie einen verleumde¬
rischen Verdacht zu schleudern« * 2). Es sei eine schlimme, gottes¬
lästerliche Zeit; wie man nur auf so etwas kommen könne! »Ist
nicht ihr Name selbst ein Zeugniss? Ueberzeugt nicht schon dieser
dich, du Streitsüchtiger ? Wer hat jemals, oder in welchem Zeitalter
hat Einer gewagt, den Namen der heiligen Maria zu nennen, ohne,
wenn man ihn fragte, sogleich das Wort Jungfrau beizusetzen?
Denn aus den Beinamen selbst erhellen auch die Merkmale der
Tugend.« So habe Abraham Freund Gottes geheissen, Jakob
Israel u. s. w. »und die heilige Maria führt den Beinamen Jung¬
frau, und das wird sich nicht ändern, denn unbefleckt verblieb die
Heilige« .... »0! der wahnwitzigen Neuerung, . . . o! über unser
trübes Zeitalter! . . . Wie kann man sich an die unbefleckte Jung-
Haer. 78.
2) Ibid. 78, 5.
99
frau wagen, die gewürdigt ward, Wohnung des Sohnes zu sein, die
gerade dazu aus den Myriaden Israels auserlesen ward, um Gefäss
und Wohnung für die göttliche Geburt allein zu sein?1)« Nach
dieser Einleitung, die wir ihrer charakteristischen Exklamationen
wegen nicht auslassen wollten, geht Epiphanius zur Beleuchtung der
einzelnen Gründe der Sekte über. — Was zunächst die Erklärung
der Brüder des Herrn als Söhne Marias betrifft, so behauptet
auch er dagegen, dieselben seien Söhne Josephs aus einer frühem
Ehe. Er lehnt sich hier nicht einfach an das Protevangelium an,
sondern beruft sich ausdrücklich auf die Tradition der Juden.
Joseph, Bruder des Kleophas, war Sohn des Jakob mit dem Bei¬
namen Panther. (Letzterer Name begegnete uns schon bei Celsus!)
Er hatte aus früherer Ehe mit einer Frau aus dem Stamme Juda
sechs Kinder, vier Söhne und zwei Töchter. Sein ältester Sohn war
Jakobus mit dem Beinamen Oblias, bei dessen Geburt Joseph etwa
40 Jahre zählte. Dieser ist es, der besonders unter dem Beinamen
Bruder des Herrn im Neuen Testamente auftritt. Nachher be¬
kam Joseph den Jose, Simeon und Judas und die beiden Töchter
Maria und Salome. Lange nach dem Tode seiner Frau, mit etwa
80 Jahren , heirathete er Maria 2). Diess lässt sich auch aus fol¬
gendem Umstande berechnen: Sein Sohn Jakobus starb etwa 24 Jahre
nach der Himmelfahrt des Herrn im Alter von 96 Jahren, war also
beiläufig 40 Jahre älter als Christus3).
Dass sie keine Söhne ausser Jesus hatte, geht indessen auch
daraus hervor, dass Christus am Kreuze sie dem Johannes empfahl.
»Hätte Maria Kinder gehabt, oder hätte ihr Mann, der kurz nach
der Preise mit dem zwölfjährigen Jesus nach Jerusalem starb, noch
gelebt, warum hätte Christus sie dem Johannes, den Johannes ihr
empfohlen ? Warum übergibt er sie nicht vielmehr dem Petrus oder
Andreas, Matthäus, Bartholomäus? Offenbar dem Johannes wegen
seiner Jungfräulichkeit. , Siehe, deine Mutter1, sagt er. Gleichwohl
war sie nicht Mutter des Johannes dem Fleische nach. Aber (er
sagte diess,) um seine Mutter selbst als Anfängerin der Jungfräulich¬
keit zu bezeichnen , weil aus ihr das Leben hervorging. Und dem
Johannes, obwohl er dem Fleische nach ein Fremder war, sagte er
') Ibid. 78, 6.
2) Ibid. 78, 7 u. 8, vgl. 27, 7. Vgl. auch Ancoratus, num. (J.
3) Ibid. 78, 14.
100
das, um ihm zu zeigen, dass seine (Christi) Mutter zu ehren sei.
Denn dem Fleische nach ist der Herr wahrhaft aus ihr geboren,
damit nicht Jemand glaube, der Vorgang (der Incarnation) sei nur
Schein, nicht Wahrheit. Denn wenn sie nicht dem Fleische nach
wahrhaft seine Mutter gewesen wäre, so hätte er sich wohl nicht
um sie diese Mühe gegeben, sie zu empfehlen. Sie, die immer¬
währende Jungfrau, die zwar Mutter geworden wegen des göttlichen
Rathschlusses, aber unbefleckt blieb und das wunderbare Gefäss war
wegen der Glorie ebendesselben (Christi). Aber das Evangelium
sagt: und von jenem Tage an nahm er sie zu sich. Wenn sie aber
einen Mann, wenn sie ein Haus, wenn sie Kinder hatte, hätte sie
sich vielmehr in ihr Eigen begeben, als zu dem Fremden x)«.
Diesen äussern, historischen Beweisen fügt nun Epiphanius noch
andere bei, zunächst einen innern, aus dem Charakter und der
Mission der Persönlichkeiten hergeleiteten. »Beide waren gerecht.
Darum konnte er, der gehört hatte, dass das, was in ihr war, vom
heiligen Geiste sei, nach solcher göttlichen Anordnung doch nicht
wagen, dem Gefässe sich nähern zu wollen, das gewürdigt war, den
zu umschliessen, welchen Himmel und Erde nicht umschliesst wegen
des Uebermasses seiner Herrlichkeit. Und wenn auch jetzt noch
auf seinen Namen Jungfrauen den Kampf der Keuschheit und Ent¬
haltsamkeit bestehen, um wie viel mehr muss man das von Joseph
und Maria glauben, welche letztere , Alles in ihrem Herzen bewahrte1,
wie geschrieben steht? Und der Greis, nachdem er von einem so
grossen und so unaussprechlichen Rathschluss Gottes (f<erd roaav rrjv
y. cu roiavTtjv xal Ti]'kiYavTrlv oixovot-ilav — Epiphanius liebt diese Häufung
der Quantitativ- und Qualitativpronomina) Kunde erhalten hatte, —
der Greis sollte beigewohnt haben der reinen und hochgeehrten
Jungfrau, dem Gefäss, das den Unfasslichen gefasst und ein solches
Geheimniss himmlischen Wunders und des Lebens der Menschen
aufgenommen ?« 2) »Sein Sohn Jakobus war Nazoräer und also
ehelos. Wenn nun die Kinder Josephs jungfräulichen Stand und
Nazoräerpflicht hielten , um wie viel mehr musste der verehrungs¬
würdige alte Mann die Jungfräulichkeit zu bewahren wissen und
ehren das Gefäss, worin das Heil der Menschen gewohnt? 3) Wenn
b Haer. 78, 10.
2) Haer. 78, 8.
3) Ihid. 78, 14.
101
er die Engelschaaren bei der Geburt Jesu Gott lobpreisen hörte,
wenn er die Hirten, wenn er alle die Wunder sah, wie konnte er
wagen, den heiligen Leib, in welchem Gott gewohnt hatte, zu miss¬
handeln und zu entehren ? wie konnte er wagen beizuwohnen der
so hohen und herrlichen (roaavTTj ml roiavrrj) heiligen Jungfrau
Maria? x) Obwohl die Ehe geheiligt ist, so hatte doch Moses nach
seiner Berufung den ehelichen Umgang mit seinem Weibe aufgegeben,
die Töchter des Apostels Philippus hatten die Prophetengabe wegen
ihrer Jungfräulichkeit, Thekla liess von ihrem Bräutigam, als sie den
Apostel Paulus gehört hatte; um wie viel mehr musste Maria Jung¬
frau bleiben!« u. s. f. * 2)
Um die Thatsache, dass Maria nach Christi Geburt nicht weiter
geboren habe, noch anderweitig zu begründen, bringt Epiphanius
sodann folgendes Analogon aus der Naturgeschichte. »Von der Löwin
sagt man, dass sie bloss einmal gebäre.« Das prächtige, starke,
königliche Thier empfange von einem Männchen und trage 26 Monate
lang, so dass der junge Löwe schon im Mutterleibe alle Zähne und
Krallen in voller Ausbildung bekomme. Durch seine Bewegungen
zerreisse das junge Thier die Gebärmutter, diese werde mit ihm
ausgeschieden und so verliere die Löwin sowohl Fähigkeit als Trieb
zu fernerem Gebären. Diess sei ein Gleichniss für Maria. Denn wenn
mit dem »Jungen des Löwen«, wie Jakob seinen Sohn Juda nannte 3),
eigentlich Christus gemeint ist, was durch die Offenbarung Johannis
V, 5 bewiesen ist, wo es heisst: sieh, es siegte der Löwe aus dem
Stamme Juda, »wenn also Christus mit dem Löwen verglichen
wird . . . ., so möchte ich auch die, die ihn geboren hat, Löwin
nennen. Woher denn soll ein Löwe geboren werden, wenn nicht
seine Mutter Löwin genannt wird. Eine Löwin aber gebiert nicht
zum zweiten Male, daher weiss auch Maria von einer weiteren Geburt
nichts mehr, daher kennt die heilige Jungfrau keine körperliche Ver¬
bindung« 4).
Mit dieser Beweisführung verbindet Epiphanius schliesslich noch
seine eigene Interpretation der übrigen angefochtenen Stellen: Matth.
I, 18 und 25, »Maria befand sich, ehe sie zusammenkamen,
b Ibid. 78, 15.
ä) Ibid. 78, 16.
3) Genes. XLIX, 9.
4) Haer. 78. 12.
102
schwanger etc.« und »er erkannte sie nicht, bis sie ihren erst¬
geborenen Sohn gebar etc.« Die Worte »er erkannte sie nicht«
nimmt Epiphanius nicht in dem Sinne von geschlechtlicher Ver¬
mischung, sondern im eigentlichen Sinne. »Er erkannte sie nicht.
Woher hätte er denn wissen sollen, dass ein Weib solche Gnade
erlangen würde? Woher hätte er wissen sollen, dass eine Jungfrau
solcher Herrlichkeit gewürdigt würde? Er erkannte sie wohl als
Weib ihrer Bildung nach, als ein weibliches Wesen ihrem Geschleehte
nach, als Tochter Annas und Joachims, als Verwandte der Elisa¬
beth, aus dem Hause und der Familie des David. Aber er wusste
nicht, dass Jemand auf Erden mit solcher Ehre ausgezeichnet werden
würde, absonderlich ein Weib. Er erkannte sie also nicht, bis er
das Wunder sah, er erkannte das Wunder an ihr nicht, bis er das
aus ihr Geborene sah. Als sie aber geboren hatte, erkannte er auch
die von Gott ihr angethane Ehre, dass sie es war, welche den Gruss
gehört hatte : sei gegrüsst, Gnadenvolle, der Herr sei mit dir 1). Und
die Worte ,ehe sie zusammenkamen4 stehen darum da, damit nicht
die Meinung derjenigen Raum gewinne, welche glaubten, aus der
Verbindung mit dem Manne stamme die geheimnissvolle Frucht
göttlichen Rathschlusses. (Der Evangelist) meint damit: ehe das
geschah, was erwartet wurde. Aber es geschah nicht. Selbst wenn
Joseph geschlechtliche Vereinigung erwartet haben sollte, was aber
wegen seines Alters nicht möglich war, so sorgt doch die heilige
Schrift dafür und bestärkt uns im Glauben, dass nie ein Mann
sich der Jungfrau genähert habe. Niemand könne beweisen, dass sie
nachher zusammengekommen seien, jene Worte wollen nur constatiren,
dass die Empfängniss des Heilandes unbefleckt gewesen sei 2). Und
was die Worte , ihren Erstgeborenen4 betreffe, so sage Matthäus
eigentlich nicht , ihren4 Erstgeborenen (Tipcoröroxov avrfjg) , sondern
, ihren Sohn, den Erstgeborenen4 (röv vlov avTrjg , tov Tipcoröroxov).
Unter diesem Erstgeborenen sei nicht so fast der Erstgeborene
Marias zu verstehen, als vielmehr der Erstgeborene der Schöpfung, wie
er im Kolosserbriefe heisse 3) , und der Erstgeborene unter vielen
Brüdern, wie im Römerbrief4). Er heisst Erstgeborener des Vaters
!) Ibid. 78, 17 u. 20.
*> Ibid. 78, 20 u. 21.
3) Koloss. I, 15.
4) Rom. VIII, 29.
103
im Himmel, nicht als ob nach ihm vom Vater noch andere Söhne gezeugt
worden wären, er hat keinen Bruder, denn er ist der Eingeborene.
So heisst er bei seiner Menschwerdung immer auch der Erstgeborene
Mariens und doch ist er der Eingeborene Mariens und hat keinen
Bruder aus ihr 1).«
Ist nun auch die Exegese des Epiphanius nicht durchaus die
glücklichste und überzeugendste, — soviel geht aus seinem Send¬
schreiben klar hervor, dass die Anfechtung des immerwährend jung¬
fräulichen Lebens Marias von ihm als etwas Neues, Unerhörtes, das
gläubige Gefühl der Christenheit Empörendes behandelt wird. Seine
Darstellung weist offenbar weit hinter seine Zeit zurück und kann
unsere oben ausgesprochene Vermuthung nur bestärken, dass schon
Origenes im Namen der Majorität gesprochen habe. Auch dass er
dem Jakob, dem Vater des Joseph, den Beinamen Panther gibt, dass
er Josephs Kinder mit grösstentheils anderen Namen aufführt, als
»die Geschichte Josephs des Zimmermanns« , ist ein Beweis dafür,
dass die jungfräuliche Ehe Mariens durch mehrere, von einander
unabhängige, Erzählungen zu begründen versucht wurde, und spricht
ebenfalls für die Verbreitung dieser Vorstellung. Ueberdiess treten für
dieselbe noch einige Zeitgenossen des Epiphanius ein, Gregor von
Nyssa 2) (f um 395) und Chrysostomus 3), welche ebenfalls »die Brüder
Jesu« für Söhne Josephs aus erster Ehe halten. Auch der heilige
Hilarius erklärt in seinem a. 355 geschriebenen Commentar zu
Matthäus die »Brüder Jesu« für Söhne Josephs aus erster Ehe und
interprelirt die Stelle »er erkannte sie nicht bis ... .« in eigener
Weise zwar, aber in demselben Sinne, wie Epiphanius: »Sie wird
nach der Geburt erkannt, d. h. sie geht über in den Namen der
Gattin. Sie wird erkannt, aber vermischt sich nicht 4).« Basilius
macht zu einer Zeit, als eine Sekte in Cappadocien die Ehe ver¬
dammte, seinen Zuhörern zwar die Concession, dass an sich nichts
den Glauben Beeinträchtigendes darin läge, wenn Maria nach Christi
Geburt mit Joseph ehelich gelebt hätte, »doch können es die
Ohren der Gläubigen nicht ertragen, dieses anzunehmen« 5). Gregor
9 Haer. 78, 17 u. 21.
2) Or. II, de resurr. Chr. Doch ist die Aechtheit dieser Rede angefochten.
3) Homil. Y, in Matth.
4) In Matth, c. 1.
5) De nativ. Dom. S. d. Proleg. zum 3. griech.-lat. Bde. des Ephräm, p. 63.
104
von Nazianz endlich heisst Maria »ein der Heirath unkundiges
Weib« *).
Viel eingehender hatte sich wieder der heilige Hieronymus
mit der Angelegenheit zu befassen. Merkwürdiger Weise nemlich
trat nicht lange nach Entstehung der eben besprochenen arabischen
Sekte auch im Abendlande, und zwar im Mittelpunkt desselben , in
Rom selbst, eine ähnliche Reaktion gegen die Vorstellung von der
beständigen Jungfräulichkeit Marias ins Leben. Aehnlich, ja von so
auffallender Aehnlichkeit, dass der heilige Augustin später sie mit
den Antidikomarianiten identificirte * 2). Und möglicher Weise konnte
der Urheber derselben , Helvidius , seine erste Anregung von irgend
welcher Kunde über die arabische Sekte erhalten haben. Doch ist
darüber Nichts bekannt.
Helvidius (nach der Nachricht des um ein Jahrhundert jüngeren
Marseiller Presbyter Gennadius), Schüler des Arianers Auxentius,
der vor dem heiligen Ambrosius den bischöflichen Stuhl zu Mailand
inne hatte, verweilte zur Zeit des Pabstes Damasus, etwa ums
Jahr 380 , zu Rom. Er war Laie und , wie es scheint , nicht von
sonderlicher wissenschaftlicher Bildung ; wenigstens nennt ihn Hiero¬
nymus einen »bäuerischen und kaum mit den Elementen der Wissen¬
schaft vertrauten Menschen« 3). Trotzdem glaubte er sich berufen,
in theologischen Dingen mitzureden, und verfasste zu der oben an¬
gegebenen Zeit eine eigene Schrift gegen die immerwährende Jung¬
fräulichkeit Mariens. Als Beweise für seine Behauptungen dienten
ihm ganz dieselben Bibeltexte, auf welche die Antidikomarianiten
ihre Anschauung stützten, nebst einigen andern, die wir alle in der
Erwiderung des Hieronymus kennen lernen werden. Ausserdem
berief er sich auf Tertullian, wie wir gesehen haben, nicht ohne
Grund, und auf Victorinus von Pettau, den er übrigens missver¬
standen hatte. Die erwähnte Exegese einiger Bibelstellen war für
den Verfasser zugleich der Stützpunkt, auf den er seine Polemik gegen
das jungfräuliche Leben gründete, dessen längst gepriesenen Vorzug
vor dem Ehestande in Abrede zu stellen auch mit ein Zweck seiner
Schrift war.
Gegen dieses Libell nun wurde der h. Hieronymus »von den
’) Gedicht »zum Lob der. Jungfräulichkeit«, v. 147.
2) De haer. c. 56, n. 84.
3) Adv. Helv. sub init.
105
Mitbrüdern« zu einer Erwiderung aufgefordert. Er konnte sich An¬
fangs nicht entschlossen, dem Ignoranten durch die Ehre einer Ent¬
gegnung von seiner Seite Relief zu geben. Auch wollte er nicht
eine blasphemirende Duplik hervorrufen und hiedurch für die Sache
eigentlich erst allgemeineres Aufsehen erregen. Doch bald (a. 381
oder 82) durch das Aergerniss, welches das Schriftehen erregte,
bestimmt, entschloss er sich, »an die Wurzeln des unfruchtbaren
Baums die Axt anzulegen und ihn sammt seinen leeren Blättern den
Flammen zu übergeben, auf dass derjenige fürder schweigen lerne,
der nie reden gelernt hat« x). »Darum muss ich, fährt er fort, den
• heiligen Geist anrufen, dass er die Jungfräulichkeit der seligen Maria
in seinem Sinne durch meinen Mund vertheidige. Ich muss den
Herrn Jesus anrufen, dass er die Herberge des heiligen Leibes, dessen
Bewohner er zehn (Mond-) Monate war, vor allem Verdachte der
Beiwohnung bewahre. Ich muss auch selbst Gott den Vater anflehen,
dass er die Mutter seines Sohnes als Jungfrau zeige nach der Geburt,
welche eher Mutter als vermählt war 2).« Und zwar nicht auf rhetorisch¬
dialektisch-philosophischem Wege will Hieronymus den Beweis führen,
sondern durch Schriftzeugnisse. Er nimmt sofort die Sätze des
Helvidius einzeln vor, um sie einzeln zu widerlegen. Zuerst macht
Helviclius Gonsequenzen aus Matth. I, 18 ff. Maria heisse die Ver¬
lobte, nicht die An empfohlene, und zwar jenes desswegen, weil
sie im Begriffe stand, wirklich in die Ehe zu treten. Dann heisse
es: bevor sie zusammen kamen. Das werde nicht von solchen
gesagt, welche später nicht Zusammenkommen sollten, so wenig man
von Einem, der nicht frühstücken werde, sage: bevor er frühstückte.
Ferner werde sie vom Engel selbst Gemahlin des Joseph genannt 3).
— Hieronymus lässt sich auf die Frage, warum Maria nicht viel¬
mehr Anempfohlene, als Verlobte heisse, nicht weiter ein, er
zeigt nur auf den Widerspruch hin, dass Helvidius dieselbe Person
in einem Athem Verlobte und Gattin (letzteres in vollem Sinne)
nenne, und bemerkt den andern Ausstellungen gegenüber Folgendes:
Der Satz »bevor sie zusammenkamen« involvire ebensowenig ein
späteres Zusammenkommen, als der Satz: bevor ich im Hafen früh¬
stückte, schiffte ich nach Afrika — ein späteres Frühstücken im
]) Ibid.
2) Ibid. 2.
3) Ibid. 3.
Hafen. Oder lasse sich etwa aus dem Satze: »Helvidius wurde,
bevor er Reue übte, vom Tode überrascht« folgern, dass Helvidius
nach dem Tode bereut hätte? Bekanntlich sei das unmöglich nach
Psalm VI, G. Die Partikel bevor weise allerdings oft auf etwas
Folgendes hin, doch zeige sie auch hin und wieder bloss das an,
was früher gedacht wurde. Das Gedachte trete nicht nothwendig
ein, da ja ein Zwischenfall das Eintreten desselben verhindern könne.
So meine der Evangelist mit jenen Worten nur die Zeit unmittelbar
vor der Hochzeit. Aber es lasse sich durchaus nicht daraus schliessen,
dass Joseph mit Maria in geschlechtliche Gemeinschaft getreten sei.
Das Verlangen nach dieser Gemeinschaft sei ja schon durch die
Empfängniss (Jesu) gehoben gewesen. — Dass Maria »Gemahlin«
vom Engel genannt werde, beweise ebensowenig, dass sie aufgehört
habe, blosse Braut zu sein. Diess erkläre sich einfach aus dem bibli¬
schen Sprachgebrauches nach welchem oft eine Braut schon Gemahlin
genannt werde 1). — Bei der Stelle Matth. I, 25: »er erkannte sie
nicht, bis sie ihren Sohn gebar,« gibt Helvidius zunächst sich grosse
Mühe zu beweisen, dass unter dem »Erkennen« geschlechtliche Bei¬
wohnung zu verstehen sei , was Hieronymus einfach zugibt ; dann
erklärt er, dass die Partikel b i s eine bestimmte Zeit bezeichne, nach
deren Ablauf das eintrete, was vor jenem Zeitpunkt nicht eingetreten
gewesen sei. Maria sei daher offenbar nach der Geburt (Christi)
erkannt worden, diese allein hätte ihr Erkanntwerden aufgeschoben 2).
— In der Beleuchtung dieser Stelle gibt Hieronymus zu , dass die
Partikel bis (sei es als Conjunction oder Präposition) in der Bibel
allerdings sehr oft eine bestimmte Zeit bezeichne. Häufig aber be¬
zeichne sie auch nicht eine bestimmte Zeit. Wenn es z. B. beim
Propheten heisst: »Ich bin, ich bin, und bis ihr alt werdet, bin ich 3);
ist das so zu verstehen, dass Gott aufhört zu sein, wenn sie alt
geworden sind? Oder wenn der Heiland zu den Aposteln sagt: siehe,
J) Wie Deuter. XX, 7; XXII, 24. Ibid. 4.
2) Ibid. 5.
3) Ego sum, ego sum, et donee senescatis, ego sum. Die Ausgabe von Vallarsi
verweist auf Jesai. XLIII, 25; dort findet sich aber diese Stelle nicht, sondern es
lieisst: ego sum, ego sum ipse, qui deleo iniquitates tuas etc. Auch bei Jere¬
mias VII, 11, worauf Vallarsi in zweiter Linie verweist, findet sich zwar ego, ego
sum, das donec etc. aber eben so wenig. Vielleicht ist Jesaias XLVI, 4 gemeint:
usque ad senectam ego ipse etc., worauf die Mauriner zu Ambros. Expos. Evang.
sec. Luc. II, 6 hinweisen.
107
ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt (Matth. XXVIII, 20),
wird der Herr nach dem Weitende seine Schüler verlassen? Oder
wenn Paulus mit dem Psalmisten sagt: er (Christus) muss herrschen,
bis er alle Feinde unter seine Füsse gelegt1); wird der Herr auf¬
hören zu herrschen, wenn seine Feinde einmal ihm zu Füssen liegen?
Dieser Sprachgebrauch liesse sich noch mit vielen Beispielen belegen
(Hieronymus bringt deren auch einige) und es geht hiemit daraus
hervor, dass die Exegese des Helvidius wenigstens keine nothwendige
ist. Wie ist übrigens nur auch hieran zu denken? Wenn durch
das Evangelium bestätigt und von Helvidius zugegeben ist, dass
Joseph mit Maria in keinen geschlechtlichen Verkehr getreten sei bis
zur Geburt des Kindes, weil er durch einen Traum verständigt war,
um wie viel weniger kann er es gewagt haben, ihr nachher beizu¬
wohnen, nachdem er die Engelerscheinungen, die Hirten, den Simeon,
die Prophetin Anna, die Magier, den Stein, den Herodes, nachdem
er alle diese Wunder gesehen hatte! Konnte er da wagen, den
Tempel Gottes, den Sitz des heiligen Geistes, die Mutter seines
Herrn zu berühren? Helvidius freilich schulmeistere lieber den
Matthäus, weil er sich nicht deutlich ausgedrückt und etwa (ähnlich
wie Genes. 38, 2(3) gesagt habe: »und er nahm sein Weib zu sich
und wagte sie hinfort nicht mehr zu berühren,« und erkläre die so
eben aufgeführten inneren Gründe für Possen und überflüssige Argu¬
mentationen 2). — Der dritte Punkt, über welchen Helvidius ge¬
strauchelt war, war das Wort »der Erstgeborene« bei Lukas II. 7 3),
aus welchem er folgerte, dass Maria noch andere Söhne gehabt
haben müsse, da man nur einen solchen den Erstgeborenen nenne, der
Brüder habe, während derjenige, der der einzige Sohn seiner Eltern
sei, der Eingeborene heisse 4). »Wir aber definiren so, sagt Hiero¬
nymus: Jeder Eingeborene ist Erstgeborener, nicht jeder Erstgeborene
ist Eingeborener. Erstgeborener heisst nicht bloss der, nach welchem
andere kommen, sondern der, vor welchem keiner geboren ist. Die
ächt biblische Definition des Wortes steht Exod. XXXIV, 19, 20 und
Num. XVIII, 15; nemlich: Alles, was den Mutterleib öffnet von allem
*) I. Cor. XV, 25. Ps. 109, 1.
2) Adv. Helv. 6 — 8.
3) Dieses Wort wird bloss bei Lukas nachgewiesen. Hieron. c. 3 hat bei
Matth. I, 25 dasselbe nicht. Primogenitus fehlte also wohl in dem Matthäus¬
exemplar der beiden, wie npcuxotoxo^ im Sinaiticus.
4) Adv. Helv. 9.
108
Fleische, welches dem Herrn dargebracht wird, vom Menschen bis
zum Vieh, soll mein sein (spricht der Herr). Nur soll man das
Erstgeborene der Menschen und das Erstgeborene der unreinen
Thiere loskaufen. (Hieronymus citirt hier nicht ganz wörtlich.) Es
definirt also das Wort Gottes, was das Erstgeborene sei, nemlich:
Alles, was den Mutterschooss öffnet.« Wenn der Erstgeborene nur
der ist, dem Brüder folgen, so hätte man die Eingeborenen nicht
loszukaufen gebraucht oder hätte immer mit Erlegung des Kaufpreises
so lange warten können, bis Brüder gekommen wären. Bekanntlich
aber sei Jesus gleich »bei der Reinigung« im Tempel mit ein paar
Tauben losgekauft worden. Ob bei der Vernichtung der Erstgebo¬
renen in Aegypten *) wohl die Eingeborenen verschont geblieben
seien? Natürlich, wenn das Vorhandensein von Brüdern erst zum
Erstgeborenen mache. Das wäre eine lächerliche Annahme ; darum
folge auch hieraus, dass der Erstgeborene nur der heisse, der den
Mutterschooss öffne * 2). — Zum letzten Grund des Helvidius, »dass
in den Evangelien von Brüdern des Herrn wirklich die Rede sei«
sich wendend, hebt Hieronymus alle Stellen des Neuen Testamentes
aus, wo diese »Brüder« Vorkommen. Ihre Namen sind Jakob,
Joseph (oder Joses), Simon, Judas. Dann werden noch zwei Stellen
angeführt, wo unter den Frauen, die bei der Kreuzigung anwesend
waren, auch eine Maria als Mutter zweier von diesen genannt wird,
Matth. XXVII, 56, »Maria, die Mutter des Jakobus und Joseph«, und
Marc. XV, 40, »Maria, des jüngeren Jakobus und des Joses Mutter«
und die Stelle Luc. XXIV, 10, wo unter den Frauen, die die Nach¬
richt von der Auferstehung den Jüngern überbringen, auch »Maria,
die Mutter des Jakobus« vorkommt 3). Aus diesen Stellen zog
Helvidius seine Consequenzen. »Schau, sagte er, Jakob und Joseph
sind Söhne Marias, eben dieselben, welche die Juden Brüder nannten.
Schau, Maria ist die Mutter des Jakobus des Jüngern und des
Joses .... Wie schändlich und gottlos wäre es, von Maria zu
denken, dass sie, die Mutter, während andere Frauen das Begräbniss
Jesu besorgten, nicht dabei gewesen wäre! Wie schändlich wäre es,
hier eine andere Maria uns vorzustellen, besonders da das Evangelium
des Johannes ausdrücklich bezeugt, dass sie dort anwesend gewesen
’) Exod. XII, 29.
2) Adv. Helv. 10.
3) Ibid. 11.
109
sei, da der Herr dieselbe, die schon Witwe war, dem Johannes vom
Kreuze herab als Mutter anempfahl. Oder täuschen etwa die Evan¬
gelisten sich und uns, wenn sie Maria die Mutter derjenigen nennen,
welche die Juden Brüder Jesu nannten ?« *) Hierauf erwidert Hie¬
ronymus : »0 blinde Wuth und zum eigenen Verderben verkehrter
Sinn ! Du sagst, beim Kreuze des Herrn sei seine Mutter anwesend
gewesen, du sagst, dem Jünger Johannes sei sie wegen ihrer Witwen¬
schaft und Verlassenheit anempfohlen worden, wie wenn sie nach
dir nicht vier Söhne und ungezählte Töchter hatte, deren Gemein¬
schaft sie geniessen konnte. Auch Witwe nennst du sie, was die
Schrift nicht sagt. Du bringst alle Stellen der Evangelisten vor, nur
Johannes Worte gefallen dir nicht. So im Vorbeigehen sagst du,
beim Kreuz des Herrn sei sie anwesend gewesen, um nicht mit
Absicht (den Johannes) übergangen zu haben zu scheinen, und doch
verschweigst du die Frauen, die dort mit ihr waren. Nichts davon zu
wissen, würde ich dir verzeihen, wenn ich nicht sehen würde, dass
du es absichtlich verschweigst. Höre darum , was Johannes sagt :
,Es standen aber beim Kreuze Jesu seine Mutter und die Schwester
seiner Mutter, Maria Kleophä und Maria von Magdala * 2).‘ Un-
bezweifelt hat es zwei Apostel Namens Jakobus gegeben, den Sohn
des Zebedäus und den des Alphäus. Den letzteren heisst die Schrift
den jüngeren, den Sohn Mariens, — jedoch nicht der Mutter des
Herrn .... Es war also diese Maria (die Mutter des Jakobus) die
Frau des Alphäus, die Schwester der Maria, der Mutter des Herrn.
Johannes nennt sie Maria Kleophä, sei es von ihrem Vater, oder
einem Familiennamen oder aus einem andern Grunde. Dass sie
unter der doppelten Bezeichnung — Maria, Mutter des Jakobus und
Maria Kleophä — vorkommt, geschieht nach einer Gewohnheit der
heiligen Schrift, die in sehr vielen Fällen (welche Hieronymus auf¬
zählt) dieselben Personen unter verschiedenen Namen aufführt 3). —
Warum werden aber nun die Vettern Jesu seine Brüder genannt?
Die heilige Schrift gebraucht das Wort »Bruder« in vierfachem Sinn:
1. für leibliche Brüder, wie Esau und Jakob, Andreas und Jako¬
bus u. s. w. ; 2. für Angehörige desselben Volkes. Alle Juden z. B.
werden Brüder genannt; 3. für Angehörige derselben Familie, wie
b Ibid. 12.
2j Joann. XIX, 25.
3) Adv. Helv. 13.
110
Abraham und Lot, Laban und Jakob ; 4. in geistigem Sinne, z. B.
von allen Christen oder im Allgemeinen von allen Menschen. Jede
der aufgeführten Bedeutungen wird mit mehrfachen Beispielen aus
der Schrift belegt. Von diesen vier Fällen passt der erste nicht auf
die »Brüder des Herrn«, wie oben gezeigt worden, der zweite und
vierte auch nicht, denn es wäre widersinnig, dass nur vier Juden
oder vier Anhänger oder vier Menschen überhaupt mit dem beson¬
deren Titel »Brüder« gekennzeichnet worden wären, während alle
übrigen dasselbe Recht hiezu hatten. Es bleibt darum nur der
dritte Fall, und die Brüder des Herrn heissen in dem Sinne so, in
welchem Abraham den Lot, Laban den Jakob seinen Bruder nennt *).
— »Das hattest du nicht gelesen, apostrophirt nun Hieronymus den
Helvidius, du Unwissendster unter den Menschen; du wusstest aus
dem Meere der heiligen Schriften nicht zu schöpfen, sondern wand¬
test gegen die Jungfrau deine Wuth nach dem Beispiel dessen, der,
um bekannt zu werden, nichts Besseres zu thun wusste, als den
Tempel der Diana anzuzünden. Du aber hast den Tempel des
Leibes des Herrn angezündet, du hast das Heiligthum des heiligen
Geistes besudelt. Um es kurz zu machen: hältst du Joseph für den
Vater Christi, da er in der heiligen Schrift oft so heisst? Du
wagst nicht ja zu sagen. Ebensowenig waren die, welche Brüder
heissen, seine leiblichen Brüder * 2).« — Mit welchem Rechte Helvidius
sich auf Tertullian und Viktorinus von Pettau berufe, beleuchtet
Hieronymus schliesslich mit folgenden Worten : »Von Tertullian sage
ich nichts , weiter , als dass er kein Mann der Kirche gewesen sei.
Von Viktorinus aber erkläre ich dasselbe, was von den Evangelisten,
dass er Brüder des Herrn, aber nicht Söhne Mariens genannt habe,
Brüder aber in dem oben von uns auseinandergesetzten Sinne —
von Verwandtschaft, nicht von Natur. Aber (wenn du dich auf
Autoritäten stützen willst) kann ich dir nicht eine ganze Reihe alter
Schriftsteller vorführen? Einen Ignatius, Polykarpus, Irenaus, Justinus
Martyr und viele andere apostolische und beredte Männer, welche
gegen Ebion, Theodotus von Byzanz, Valentinus, die ebendieselben
Meinungen (wie du) hegten, ganze Bände voll Weisheit geschrieben
haben! Hättest du diese gelesen, du würdest verständiger sein3).«
’) Genes. XIII, 8; XXIX, 12, 15. Ibid. 14 u. 15.
2) Ibid. 16.
3) Ibid. 17.
111
Zum Schlüsse verbreitet sich Hieronymus noch über die Ansichten
des Helvidius von Ehe und Jungfräulichkeit, schlägt die Frivolität
seines Gegners zu Boden und misst bei gerechter und ver¬
ständiger Würdigung des Ehestandes der Virginität das höhere
Verdienst bei. Bei dieser Gelegenheit thut er auch seine Ansicht
über Joseph kund. — Die Meisten (plerique), sagt er, hätten dem
Joseph mehrere Weiber gegeben, um die »Brüder des Herrn« zu
erklären, das sei aber nicht so fast mit frommer, als mit frecher
Unbesonnenheit geschehen. »Du behauptest , Maria sei nicht Jung¬
frau verblieben ; ich vindicire mir noch mehr und sage, auch Joseph
sei Jungfrau gewesen durch Maria, damit aus jungfräulicher Ehe
der jungfräuliche Sohn geboren werde. Denn wenn bei dem heiligen
Mann an Unzucht nicht zu denken ist, und wenn nicht geschrieben
steht, dass er eine andere Frau gehabt habe; wenn er für Maria,
für deren Mann man ihn hielt , vielmehr der Beschützer als der
Gatte war: so ist nur übrig, dass er mit Maria jungfräulich ver¬
blieben sei, er, der verdiente, Vater des Herrn zu heissen 1).«
Es bedarf keines Fingerzeigs darauf, um wie viel gründlicher
und überzeugender die Widerlegung der Neuerung unter den Händen
des Hieronymus ausgefallen ist, als unter den Händen des Epiphanius.
Geniale Intuition, schneidende Verstandesschärfe und tiefeindringendes
Bibelstudium befähigten den erleuchteten Kirchenlehrer hier zu einer
Apologetik, über welche alle spätere theologische Wissenschaft (es
ist natürlich im Hinblik auf Hieronymus nur von der gläubigen
Exegese die Rede) eigentlich nicht hinausgekommen ist. Allerdings
weiss die letztere, dass das Wort »der Erstgeborene« — npwroroxoc,
primogenitus — im Neuen Testamente nur die mangelhafte Ueber-
setzung des alttestamentlichen bechor 2) ist. Nach der mosaischen Ge¬
setzgebung waren alle Erstlinge der vegetabilischen und animalischen
Welt dem Herrn heilig und mussten theils als Opfer dargebracht,
theils losgekauft werden. Für diese Erstlinge hat nun die ebräische
Sprache dieses Wort und der Sinn desselben schliesst durchaus nicht
ein, dass der Erstling durch spätere Produkte auch zum Ersten werde.
Unsere Exegese weiss ferner, dass der Name Kleophas, KXcotiüq, ganz
identisch mit Alphäus, ’/Jlcpaioq ist. Beide scheinbar verschiedene
Namen sind nur aus einer zwiefachen Aussprache des ebräischen
’) Ibid. 19.
2) “1132
112
chlpj *) (ohne Vokalisation) zu erklären, wobei die Aspirata ch das eine
Mal bis zum Spiritus lenis verflüchtigt, das andere Mal in die tenuis K
verdichtet und hienach auch die Vokalisation modificirt ist* 2). Die
»Mariä Kleophä« ist daher besonders desswegen eine und dieselbe
Person mit der »Maria, der Mutter des Jakobus, des Sohnes des
Alphäus«, weil »Maria Kleophä« nichts anderes als »Maria, Frau des
Alphäus (oder Kleophas)« heisst. Drittens endlich greift unsere Exegese
auf das ebräische ach3) — Bruder zurück, welches dem dds'kopoQ der
Septuaginta und des Neuen Testamentes zu Grunde liegt, welches oft
überhaupt nur einen Verwandten bezeichnet wie das griechische däeAqrög
selbst und auch gleich dem lateinischen frater — sogar bei Cicero4) —
für Vetter steht. — Aber alle neuere sprachwissenschaftliche Gelehr¬
samkeit hat uns, wie man sieht, zu keinen andern Resultaten ge¬
führt, als den Hieronymus seine scharfsinnigen Combinationen, wenn
wir auch im Stande sind, Einiges daran zu korrigiren.
Dessenungeachtet hatte die Schrift des Hieronymus nicht durch¬
aus die beabsichtigte Wirkung. ' Es blieb dem Helvidius doch eine
kleine Zahl Anhänger, die unter dem Namen Helvidianer umliefen.
Ja, kaum zehn Jahre nach seinem Auftreten in Rom sehen wir
»sogar einen Bischof« 5) sich zu derselben Lehre bekennen. Bonosus,
Bischof .von Sardika , behauptete ebenfalls , Maria habe nach der
Geburt Jesu noch mehrere Söhne geboren. Auf der Synode zu Capua
im Jahre 391 kam diese Angelegenheit zur Sprache. Die italienischen
Bischöfe gingen jedoch auf die Sache nicht näher ein, sondern
übertrugen die Untersuchung derselben den Bischöfen Macedoniens
unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Thessalonich, Anysius. Dieser
untersagte ihm fernere bischöfliche Funktionen. Bonosus aber fügte
sich nicht und fragte bei dem Bischof von Mailand, Ambrosius an, ob
er sich nicht mit Gewalt in seinem Amte halten solle. Obwohl
nun dieser ihm zur Nachgiebigkeit rieth, fuhr er dennoch fort, Geist¬
liche zu ordiniren u. s. w. und sammelte sich einen Anhang. Nun
wandte sich Anysius an den Pabst Siricius, der ungefähr um die
Mitte des Jahres 392 in einem kleinen Briefe antwortete, aus welchem
')
2) Wie das ja auch sonst vorkommt. Vgl. s-»n = ’Ayya To- und np3 =
<f>OC"SV..
»)
4j Cic. Plane. 11, 27; vgl. Fin. 5, 1, 1.
5) Ambr, de inst. virg. 35.
wir Folgendes mittheilen: »Allerdings können wir nicht leugnen,
dass er (Bonosus) wegen der Söhne Mariens mit Recht getadelt
worden ist und dass Eure (des Anysius) Heiligkeit billig davor zurück¬
bebte, dass aus demselben jungfräulichen Schoosse, aus welchem
Christus dem Fleische nach geboren ist , noch eine andere Geburt
hervorgegangen sei. Denn nicht wohl hätte Jesus, der Herr, die
Wahl getroffen, aus einer Jungfrau geboren zu werden, wenn er
sie für so unenthaltsam gehalten hätte, dass sie die Geburtsstätte
des Leibes des Herrn, den Palast des ewigen Königs durch den
Samen menschlicher Vereinigung befleckte. Wer diese Meinung
unterstützt, unterstützt nichts Anderes, als die Treulosigkeit der
Juden, welche sagen, dass er nicht aus einer Jungfrau habe geboren
werden können.« Im weitern Verlauf bringt er als Hauptbeweis
die Anempfehlung an Johannes. »Als der Herr am Kreuze hängend
die Sünde der Welt hinwegnahm, legte er laut Zeugniss ab von
der Unverletztheit seiner Mutter .... Diess also ist das Testament
des Sohnes über die Unverletztheit seiner Mutter, diess die reiche
Erbschaft der reinen Keuschheit Mariä, diess der Schlusspunkt seines
ganzen Wirkens. Das sagte er (Christus) und hauchte seinen Geist
aus, indem er das ganze Geheimniss (seines Erlösungswerkes) mit
dem guten Ende der Kindesliebe krönte ’).«
Der heilige Anlbrosius hingegen verflocht seine Polemik gegen
diese Neuerung, sowie die Darlegung der kirchlichen Ansicht in seine,
etwa ums Jahr 392 verfasste, Schrift »Ueber die Unterweisung einer
Jungfrau«. Er sagt dabei ausdrücklich, dass ihn erst der Abfall
eines Bischofs zu öffentlicher Behandlung eines so grossen Sacrilegs
veranlasse, und geht nun sogleich an die Erklärung derselben Bibel¬
stellen, die auch für die Antidikomarianiten und den Helvidius an-
stössig gewesen waren, wobei nur merkwürdig ist, dass er das viel-
angefochtene Wort »der Erstgeborene« nicht berücksichtigt. Uebrigens
stimmt seine Exegese, die sich auch, und zwar theilweise ausführlicher
in seinem früher geschriebenen Commentar zum Lukasevangelium
findet, mit der des Hieronymus beinahe vollständig, oft wörtlich
überein, darum wäre es überflüssig, sie hier zu wiederholen. Nur
in einem Punkte weicht er von Hieronymus ab, indem er die Frage
nach den Brüdern Jesu gar nicht entscheidet, sondern noch die
Möglichkeit offen lässt, sie könnten Söhne Josephs aus einer früheren
') Sir. ep. ad Anvs. bei Galland. VH, S. 544
Lelm er, Die Marienverehrung.
8
114
Ehe sein *). Jedoch untersucht er die Sache nicht weiter, weil
»der Name Bruder eine allgemeinere Bedeutung habe« und stellt
sich hiemit immerhin wiederum mehr auf die Seite des Hieronymus
als des Epiphanius und Blilarius.
Nach Beseitigung der exegetischen Instanzen ergeht sich Am¬
brosius sodann in Reflexionen über das Verhältniss Marias zum
Erlöser und zu Johannes und kommt hiedurch ebenfalls, aber aus
innern Gründen, zu dem Schlüsse, dass Maria immerwährende Jung¬
frau verblieben sei. »Hätte wohl, sagt er, der Herr Jesus die¬
jenige sich zur Mutter auserwählt, die mit Mannes Samen den
himmlischen Palast schänden konnte, diejenige, der es unmöglich
war, jungfräuliche Zucht zu bewahren? Sie, durch deren Beispiel
die übrigen zur eifrigen Pflege der Reinigkeit aufgerufen werden,
sollte selbst von dem Posten, der durch sie den anderen angewiesen
ist, abgetreten sein! — Und wer sollte es sein, dem der Herr ein
grösseres Verdienst zurückgelegt, einen grösseren Lohn aufbewahrt
hätte, als eben seine Mutter? Denn keinem Stande hat er reichere
Gnaden zugesprochen, als der Jungfräulichkeit, wie die Schrift uns
lehrt. So hat nemlich der Herr durch Jesaias gesprochen: ,Der
Verschnittene sage nicht : siehe, ich bin ein dürres Holz. Das sagt
der Herr den Verschnittenen: alle, die meine Gebote halten, und
erwählen, was mir wohlgefällt, und meinen Bund bewahren , denen
will ich in meinem Hause und in meinen Mauern einen Ort geben
und einen bessern Namen als den von Söhnen und Töchtern geben,
und einen ewigen Namen will ich ihnen geben und sie werden nicht
vergehen * 2).‘ Andern verspricht er (der Herr) , dass sie nicht ver¬
gehen sollen, seine Mutter sollte er sich vergehen lassen? (Ambrosius
scheint hier mit zwei Bedeutungen des Verbums deficere zu spielen.
Wir suchen ihn durch die Uebersetzung mit vergehen und sich
vergehen nachzuahmen.) Aber Maria vergeht sich nicht, es hat
sich nicht vergangen die Lehrerin der Jungfräulichkeit. Es konnte
nicht geschehen, dass die, welche Gott getragen hatte, glaubte, einen
Menschen tragen zu dürfen, noch wäre auch Joseph, der gerechte
Mann, solchem Wahnsinn verfallen, mit der Mutter des Herrn
in körperlicher Vereinigung sich zu vermischen. — Aber Maria
soll nach ihrer, nicht nach fremder Art vertheidigt werden. Sie hat
’) Ambr. de inst. virg. 43.
2j Jes, LVI, 3, ff.
sich nicht vergangen, wie ich sagte. Der Sohn Gottes selbst ist
Zeuge, welcher, da er am Kreuze hing, seinen Schüler seiner Mutter
als Sohn empfahl, sie dem Schüler als Mutter übergab. Das lehrt
Johannes, welcher mehr das Geheimnissvolle (Mystische) geschrieben
hat. Denn die andern Evangelisten schrieben, dass beim Leiden des
Herrn die Erde bebte, die Sonne schwand, den Verfolgern Ver¬
zeihung erbeten wurde; dieser Geliebte des Herrn hingegen, welcher
an der Brust desselben die Geheimnisse der Weisheit geschöpft, hat
mit Uebergehung derjenigen Geheimnisse des göttlichen Willens, die
von den andern mitgetheilt waren, besonders auch dieses Ziel mit
grösserem Eifer verfolgt, dass er das Verharren seiner Mutter in
Jungfräulichkeit durch sein Zeugniss beweise, gleichsam wie ein um
den Ruf der Mutter besorgter Sohn, welcher fürchtet, es möchte sie
Jemand mit dem so schmählichen Vorwurf der Verletzung der Reinigkeit
beflecken. Es war aber auch nur würdig gehandelt, dass der,
welcher dem Räuber Verzeihung gab, die Mutter von dem möglichen
Zweifel an ihrer Züchtigkeit befreite. Er sagt zur Mutter: Weib,
siehe, dein Sohn. Er sagt auch zum Jünger: Siehe, deine Mutter.
Der Jünger ist es, dem die Mutter empfohlen wird. Wie hätte er
dem Gatten die Gattin nehmen können, wenn Maria mit ihm in
ehelicher Gemeinschaft sich vereinigt oder den Umgang des Ehe¬
bettes kennen gelernt hätte'? — Schliesset den Mund, ihr Gottlosen,
öffnet die Ohren, ihr Frommen, höret, was Christus spricht. Vom
Kreuze herab macht Jesus, der Herr, sein Testament und verschiebt
noch eine Weile das Heil der Gesammtheit, um seine Mutter nicht
ungeehrt zurückzulassen. Der Mutter wird vermacht die Vertheidigung
ihrer Zucht, das Zeugniss ihrer Reinigkeit; dem Jünger wird ver¬
macht die Obhut der Mutter, die Gnade der Kindesliebe. ,Und von
jener Zeit an nahm sie der Jünger zu sich.4 Hiemit veranlasst
Christus keine Scheidung, Maria verliess nicht ihren Mann. Aber
bei wem andern musste die Jungfrau wohnen, als bei dem, den sie
als Erben ihres Sohnes, als Wächter der Reinigkeit kannte? —
Es stand die Mutter vor dem Kreuze, und als die Männer flohen,
stand sie unverzagt. Schaut zu, ob die Mutter Jesu ihre Zucht
ändern konnte, sie, die ihren Muth nicht änderte. Mit frommen
Augen betrachtete sie des Sohnes Wunden, durch den, wie sie wusste,
Allen Erlösung werden sollte. Es stand die Mutter nicht zu einem un¬
würdigen Schauspiel, sie, die den Henker nicht fürchtete. Am Kreuze
hing der Sohn , die Mutter bot sich seinen Verfolgern dar. Und
116
wenn es nur darum wäre, um vor dem Sohne niedergestreckt zu
werden, so wäre der Trieb ihrer Liebe zu loben, weil sie ihren Sohn
nicht überleben wollte; wenn aber darum, um mit ihrem Sohne
zu sterben, so verlangte sie mit demselben auch aufzuerstehen, nicht
unkundig des Geheimnisses, dass sie den geboren habe, der auferstehen
werde. Zugleich aber auch im Bewusstsein, dass der Tod ihres
Sohnes zum allgemeinen Wohle stattfinde, stand sie in der Erwartung,
ob nicht auch etwa durch ihren Tod dem allgemeinen Wohle etwas
beigefügt werden könnte .... Wie also konnte Marien die Reinigkeit
entrissen werden, ihr, die, während die Apostel flohen, den Tod
nicht fürchtete, sondern selber der Gefahr sich darbot? Ihr, deren
Begnadigung so gross war, dass sie nicht allein an sich die Gnade
der Jungfräulichkeit bewahrte, sondern auch denen, die sie besuchte,
die Auszeichnung der Reinigkeit zutrug? Sie besuchte Johannes den
Täufer, und dieser sprang im Leibe seiner Mutter auf, bevor er ge¬
boren war. Bei der Stimme Mariens hüpfte das Kindlein, gehorsam,
ehe denn geboren. Und nicht mit Unrecht blieb derjenige unbefleckten
Leibes, den die Mutter des Herrn drei Monate lang gleichsam mit dem
Oele ihrer Gegenwart und der Salbe ihrer Reinigkeit gefeit hat.
Und eben dieselbe wurde nachher Johannes dem Evangelisten über¬
geben, der ehelos blieb. Darum wundere ich mich nicht, dass dieser
mehr als die andern die göttlichen Geheimnisse enthüllt hat, da ihm
der Palast himmlischer Geheimnisse zur Seite stand 4).«
Diese Anempfehlung der Mutter des Herrn an Johannes ist für
Ambrosius ein Lieblingsgegenstand der Betrachtung. Schon in seiner
früher (aber nicht vor 386) geschriebenen Erklärung des Lukas¬
evangeliums * 2) ist sie in derselben Weise, meist mit denselben Worten
behandelt (so dass unsere Stelle als nur etwas variirte Wiederholung
erscheint) und kehrt beinahe wörtlich wieder in dem Brief an die
Kirche von Vercelli vom Jahre 396 3 4). Dabei fasst er die Sache so,
als ob die Evangelisten sich in die Erzählung der einzelnen Vorfälle
bei der Kreuzigung gewissermassen getheilt und Johannes eben die
Vertheidigung der heiligen Jungfrau sich Vorbehalten hätte. Auch
diesen Gedanken führt er mehrmals durch, z. B. in seiner Erklärung
der ersten Kapitel des Lukasevangeliums4), und zwar hier wieder-
') Amb. de inst. virg. VI u. VII.
2) Expos, evang. Luc. X, 129 ff.
8) Epist. 63, 109 u. 110.
4) Expos, evang. Luc. II, 4.
117
um zum Beweise der Jungfräulichkeit Mariens. Ambrosius findet
somit die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens in dem Evan¬
gelium bewiesen. Und wenn er oben Christus den Herrn seine
eigene Person hintansetzen lässt, um den Pmf seiner Mutter nicht
zu trüben, so lässt er ihn hier die Erfüllung seines erhabenen Zweckes
— die Erlösung der Welt — ein wenig aufschieben, »um seine Mutter
nicht ungeehrt zurückzulassen«. Jedoch diesen Ausspruch, sowie
noch einige andere in dem so eben angeführten Citate haben wir
in einem andern Zusammenhang zu betrachten , darum sehen wir
hier zur Vermeidung von Wiederholungen, die ohnediess hin und
wieder unvermeidlich sind, vorläufig davon ab. Auch auf die Form
des Vortrags, die poetische Farbe, auf die eigenthümlich weihevolle
Stimmung, die andächtige Innigkeit, mit welcher Ambrosius seine
Gründe vorbringt, wollen wir nur hindeuten. Hier ist bloss das
Eine zu bezeugen, wie er sich zu dem Zuge der immerwährenden Jung¬
fräulichkeit Mariens verhalten habe, und dass er diesen Zug ebenso
entschieden festhielt, wie Hieronymus und Epiphanius, leuchtete aus
seinen Worten von selbst ein. Auch nach Ambrosius war und blieb
Maria vom Manne unberührt, war also beständig Jungfrau.
Der heilige Augüstin spricht, wie wir später sehen werden, so
häufig von dem Keuschheitsgelübde, welches die Jungfrau schon
früher abgelegt, ehe sie eine Ahnung von ihrer Mission gehabt habe,
dass wir ihn eigentlich in diesem Abschnitt übergehen könnten; denn
durch jenes Gelübde ist ja jeder Gedanke an die physische Ehe aus¬
geschlossen. Es ist aber dennoch von Interesse zu erfahren, dass
und wie er sich auch über diesen Punkt ausgesprochen hat; wir
entnehmen daher seinen Werken einige bezeichnende Stellen. Wie
oben (S. 104) bemerkt, identificirt er Helvidianer und Antidikomaria-
niten in seiner a. 428 oder 429 verfassten Schrift über die Häresieen.
»Die Helvidianer, sagt er, welche von Helvidius sich herleiten, wider¬
sprechen der Jungfräulichkeit Mariens insofern, als sie behaupten,
sie habe nach Christus auch andere Söhne von ihrem Manne Joseph
geboren. Diese (Helvidianer) hat Epiphanius mit Uebergehung des
Namens Helvidius Antidikomarianiten genannt 1).« In seiner ca. 416
geschriebenen Erklärung des Johannesevangeliums geht er auf die
Sache selbst kurz ein. Zu der Stelle Joh. II, 12: ». . . . seine Mutter
und seine Brüder« bemerkt er nemlich: »Woher hat der Flerr
3) De haeres. e. 84.
118
Brüder? Hat denn Maria wiederholt geboren? Ferne sei es! Von
ihr fing die Jungfrauenwürde an. Sie konnte Mutter sein, Eheweib
konnte sie nicht sein .... Woher also die Brüder? Verwandte
Mariens waren die Brüder des Herrn, in irgend einem Grade Ver¬
wandte. Wie beweisen wir das? Aus der Schrift selbst. Bruder
Abrahams ist Lot genannt worden, und er war doch der Sohn seines
Bruders _ Dessgleichen hatte Jakob den SyrerLaban zum Oheim
Lies die Schrift und du wirst finden, dass Oheim und Schwestersohn
Brüder genannt werden. Nachdem du diese Regel kennen gelernt
hast, wirst du finden, dass alle Blutsverwandten Mariens Brüder
des Herrn seien *).« In derselben Schrift, weiter unten, ermahnt er
dann seine Zuhörer: »Wenn ihr also von Brüdern des Herrn höret,
so denket an die Verwandtschaft Mariens, welche nicht ein zweites
Mal gebar. Denn wie in dem Grabe, wo der Leichnam des Herrn
niedergelegt worden ist, weder vorher noch nachher je ein Todter
lag; so hat der Leib Mariens weder vorher noch nachher etwas
Sterbliches empfangen * 2).«
ln seinem Buch »über die Ehe und Begierlichkeit« (geschr. 419)
endlich führt er aus, dass Marias Ehe mit Joseph nichts desto weniger
ein wahres, sakramentales Ehebündniss gewesen sei, wenn ihr auch
das physische Moment gefehlt habe. »Ferne sei es, dass zwischen
denjenigen, welche aus beiderseitiger Uebereinstimmung sich der
Fleischeslust für immer enthalten, das eheliche Band zerrissen werde.
Im Gegentheil, es wird um so fester sein, je mehr sie solche Ver¬
abredungen mit einander treffen , welche um so inniger und ein¬
trächtiger zu halten sind , nicht durch das Band körperlicher Lust,
sondern durch die freiwillige Neigung der Seelen. Denn nicht in
trügerischer Weise ist vom Engel zu Joseph gesagt worden: Fürchte
dich nicht, Maria, deine Gemahlin zu dir zu nehmen. Gemahlin
wird sie genannt infolge der anfänglichen Treue der Verlobung, obwohl
er sie weder durch Beiwohnung erkannt hatte, noch je erkennen wollte.
Die Benennung Gemahlin hatte weder ihre Bedeutung verloren, noch
war sie in Form einer Lüge verblieben, obwohl irgendwelche Fleisches¬
vermischung weder stattgefunden hatte, noch in Zukunft stattfinden
sollte .... Aus diesem Grunde verdienen beide Eltern Christi ein
treues Ehepaar genannt zu werden . . . ,3)«
9 In Joann. evang. tract. X, c. 2.
2) Ibid. Tract. 23, 3.
:!) De nupt. et concup. c. 11.
Maria ist also Josephs treues Eheweib, wenn auch die Ehe bräut¬
lich bleibt. Letzteres beweist das Evangelium selbst, denn die Stellen,
welche das Gegentheil zu besagen scheinen, bedürfen nur der richtigen
Erklärung, und andere Stellen, namentlich des Johannesevangeliums,
sprechen bei einigem Nachdenken deutlich dafür. Es versteht sich
aber auch von selbst. Denn wie wäre nur zu denken, dass das
Gefäss, welches das Heil der Welt umschlossen, mit anderem Inhalt
sich hätte füllen können oder wollen , oder dass“ der Behüter dieses
Gefässes, der seine heilige Bestimmung kannte, diese Bestimmung
nicht für immer hätte ehren müssen.
Diess etwa ist die Quintessenz der voranstehenden Aus¬
führungen. —
Die ungefähre chronologische Folge der Beweise (wobei wir von
den Wiederholungen des Nemlichen absehen) ist diese:
1. Joseph war ein betagter Witwer (wird später fallen gelassen).
2. Die Mutter des Herrn konnte sich nicht zu einem Ehe¬
weib degradiren.
3. Maria musste die erste Jungfrau sein.
4. Eine physische Ehe Mariens ist ein für die Gläubigen uner¬
träglicher Gedanke.
5. Der Leib, der Gott getragen, konnte keine andere Frucht
tragen.
6. Joseph konnte, als Kenner des Berufs Mariens, gar nicht an
physische Ehe denken.
7. Die eine physische Ehe scheinbar zugebenden Schriftstellen
sprechen richtig verstanden nicht dafür.
8. Andere Schriftstellen sprechen direkt dagegen.
9. Schon das naturgeschichtliche Beispiel der Löwin zeigt die
Unmöglichkeit.
10. Die »Brüder Jesu« sind nicht einmal Josephs Söhne, sondern
Vettern Jesu.
11. Joseph war auch vor seiner Ehe mit Maria nicht ver¬
heiratet, sondern war und blieb jungfräulich durch Maria.
12. Maria hatte schon vor ihrer Ehe das Gelübde der Keusch¬
heit abgelegt.
Der letzte Punkt wird erst später, bei der Charakterentwickelung
Mariens, recht zur Sprache kommen.
Immerwährende Jungfrau.
Aus der Vorstellung von der bräutlich gebliebenen Ehe Mariens
erwächst der Zug immerwährender Jungfräulichkeit und stellt sich
zunächst als Ergänzung des Zugs der jungfräulichen Empfängniss
dar. Maria hat als Jungfrau empfangen und ist Jungfrau in der
Ehe geblieben.
Aber sie ist auch Mutter geworden.
Ist sie nun nicht bloss insofern Jungfrau geblieben, als sie keinen
männlichen Umgang kannte; hat sie aber nicht dennoch aufgehört,
Jungfrau in anatomisch-physiologischem Sinne zu sein, weil sie ihrem
Sohn das Leben gegeben? Diese Frage lag nahe und musste um
so eher gestellt werden, als der Titel »Jungfrau«, der der Mutter
des Herrn, wie wir gesehen haben, von Alters her geblieben war,
nur dann seine volle Berechtigung behielt, wenn sie verneint wurde.
Dass diess dem einfältigen Glauben keine Schwierigkeit macht, liegt
auf der Hand. Das Weib , welches Jungfrau bleibt , trotzdem dass
es empfängt, kann auch Jungfrau bleiben, trotzdem dass es geboren
hat. Bei beiden Vorgängen ist das Wunder dasselbe; das Eine ist
ein Akt göttlicher Allmacht, wie das Andere. Anders gestaltet sich
die Sache für die Reflexion. Diese kann auf halbem Wege stehen
bleiben, wie das so oft der Fall ist. Die jungfräuliche Empfängniss
hält sie fest, denn der Sohn Gottes darf nicht des Mannes Sohn
sein ; die jungfräuliche Mutterschaft lässt sie fallen oder bringt sie
gar nicht zur Sprache, denn die Folgen der Schwangerschaft und
Geburt für den Körper Mariens können für das Wesen ihres Sohnes
als durchaus bedeutungslos angesehen werden.
Die Bibel bietet weder für die eine noch für die andere Auf¬
fassung einen sicheren Ausgangspunkt. Auf den ersten Blick aller¬
dings scheint sie die Annahme zu unterstützen, dass Maria durch den
121
Geburtsakt aufgehört habe, Jungfrau in anatomisch- physiologischem
Sinne zu sein. Lukas nemlich sagt II, 21: »da die Tage ihrer
Reinigung nach dem Gesetze Mosis erfüllt waren.« Legt man nun
den Nachdruck auf »Reinigung« und versteht darunter die bekannten
körperlichen Vorgänge, so ist damit die volle Jungfräulichkeit auf¬
gehoben. Legt man aber den Nachdruck auf »die Tage« und »nach
dem Gesetze Mosis«, so kann mit der Stelle einfach die gesetzlich x)
vorgeschriebene Zeit gemeint sein , welche zwischen Geburt und
Darbringung im Tempel verstreichen musste, ohne dass eine eigent¬
liche »Reinigung« stattzufmden brauchte.
Ohne Zweifel gingen anfänglich beide Vorstellungen ebenso
nebeneinander her, wie die über die Ehe Mariens. Diejenigen,
w eiche über dem Sohne die Mutter ganz vergassen, werden sich nicht
die Mühe genommen haben, weiter über die Sache nachzudenken,
oder, wenn sie diess thaten, keinen Anstoss an dem Aufhören jung¬
fräulicher Körperbeschaffenheit gefunden haben ; während Andere,
die sich in die an Maria geschehenen Wunder vertieften, die Gonse¬
quenz immerwährender körperlicher Jungfräulichkeit gezogen haben.
Ueber die Sache nachzudenken , war auch sonst Anlass gegeben.
Die gnostischen Träumereien, die Lehren, dass Jesus durch Maria
wie Wasser durch einen Kanal hindurchgegangen, dass er mit einem
Scheinleib, als Gespenst erschienen sei, wodurch natürlich die Körper¬
beschaffenheit der Scheinmutter nicht alterirt werden konnte, dürften
nicht ohne Einfluss darauf gewesen sein, über den genannten Punkt
sich eine bestimmte Vorstellung zu bilden.
Und so finden wir denn in demselben Protevangelium Jakobi,
in welchem die bräutliche Ehe Mariens zuerst als Thatsache aufgestellt
wird, ebenfalls bereits eine historisch begründete Formulirung dieser
Vorstellung. Die genannte Schrift erzählt nemlich, dass die von Joseph
herbeigerufene Hebamme staunend einer anderen Frau erzählt habe,
dass hier eine Jungfrau geboren habe. Diese Frau will es nicht glauben
und untersucht die junge Mutter. Da verdorrt ihr die Hand und wird
nur durch Berührung des Kindes wieder geheilt1 2). Der Verfasser des
Protevangeliums ist wohl ebensowenig der Schöpfer dieser Anschauung,
als der andern über die Ehe Mariens, sondern er sucht wohl auch hier
einer bereits Vorgefundenen Meinung ein historisches Fundament zu
1) Levit. XII, 4.
2) Prot. c. 19 u. 20.
122
unterbauen. Diese Meinung jedoch brach sich ebenfalls nur langsam Bahn
und ihr Wachsthum hielt wiederum natürlich Schritt mit dem allge¬
meinen Wachsthum des Namens Maria in der Vorstellung der Gläubigen.
Der erste Kirchenvater, welcher sie sich zu eigen machte, ist
Clemens von Alexandrien, Vorstand der dortigen Katecheten¬
schule (f um 217). Dieser schreibt im Jahr 194 Folgendes: »Wie
es scheint, halten die Meisten (rolg nolXolg doy.el) auch jetzt noch
Maria für eine Kindbetterin (Xe^c-1) wegen der Geburt des Kindes,
da sie doch keine Kindbetterin war. Denn es sagen Einige, sie sei
nach der Geburt von einer Hebamme untersucht und als Jungfrau
erfunden worden. Eine solche (Jungfrau) ist für uns auch die hei¬
lige Schrift, welche die Wahrheit gebiert und Jungfrau bleibt durch
die Verheimlichung der Mysterien der Wahrheit. ,Sie hat geboren
und nicht geboren4, sagt die Schrift, weil sie aus sich selbst und
nicht durch ßeiwohnung empfangen hat 1).« Bekennt sich hier
Clemens offenbar zu einer Minorität, so ist andererseits ebenso
klar, dass er seine, aus dem angeführten Apokryph geschöpfte, An¬
sicht bereits wissenschaftlich zu stützen sucht. Erstens bringt er
dafür eine (prophetisch genommene) Schriftstelle, die freilich nirgends
aufzufinden ist. Wir werden derselben bei Tertullian wieder begegnen.
Zweitens zieht er ein Analogon herbei. Die heilige Schrift gebiert
die Wahrheit, ist also Mutter, und zwar des Wortes Gottes, wie
Maria. Aber sie bleibt dabei auch Jungfrau durch Verheimlichung
der Wahrheit (vor Häretikern und Ungläubigen, weil diese sie falsch
oder gar nicht verstehen oder durch Verdrehung misshandeln; und
dann durch die Art der Darstellung, da viele Aussprüche derselben
nur durch allegorische Exegese zu enträthseln seien). Ausserdem Jässt
sich noch eine Stelle im »Pädagogos« als Analogon fassen: »Eine
ist Mutter und Jungfrau, Kirche nenne ich sie mit Freuden . . . .
unbefleckt wie eine Jungfrau, liebend wie eine Mutter 2).«
Obwohl nun Clemens sich nicht bloss als Anhänger, sondern
auch als Verfechter der Ansicht zeigt und öfter darauf zurückkommt,
(so nennt er auch sonst Christus »Frucht der Jungfrau« und Maria
»eine Jungfrau, die geboren hat« 3), so bleibt er dennoch lange allein.
Gleich sein Zeitgenosse Tertullian vertritt die entgegengesetzte An-
9 Stromata VII, pag. 889. Ed. Potter.
2) Paedag. I, 6, p. 123.
3) Cohort. c. XI.
123
sicht, obwohl er den Inhalt des Protevangeliums gekannt zu haben
scheint, da er den Tod des Zacharias ebenso motivirt, wie dieses 1).
(S. unten.)
An Simeons Prophezeiung anknüpfend sagt er nemlich in der
Schrift über das Fleisch Christi: »Wir erkennen also als Zeichen,
dem man widersprechen wird, die Empfängniss und Geburt der Jung¬
frau Maria , worüber jene Akademiker (er meint die Doketen) sich
der Ausdrücke bedienen: ,sie hat geboren und nicht geboren1 *, ,sie
ist Jungfrau und nicht Jungfrau4; als ob diese Formeln, wenn man
sich je derselben bedienen will, nicht vielmehr uns geziemten. Denn
sie hat geboren — aus ihrem Fleische, sie hat nicht geboren —
infolge männlicher Befruchtung. Und sie ist Jungfrau, — weil sie
keinen Mann erkennt, sie ist nicht Jungfrau — mit Bezug auf ihre
Geburt. So verstanden, .assen sich diese Worte auf sie anwenden,
nicht aber in dem Sinne, dass sie nicht wahrhaft leibliche Mutter
wäre .... Es hat wirklich geboren, die geboren hat. Und wenn
sie als Jungfrau empfangen hat, so hat sie in der Geburt ihres
Kindes geheirathet gerade durch die Beschaffenheit des geöffneten
Mutterleibes .... Ihr Mutterschooss ist es, um dessentwillen auch
von andern geschrieben steht: Alles Männliche, was den Mutter¬
schooss eröffnet, wird dem Herrn heilig sein. Denn wer ist wahrhaft
heilig, als Gottes Sohn? Und wer hat eigentlich den Mutterschooss
eröffnet, als der, welcher einen noch geschlossenen zu eröffnen hatte?
Allen Frauen eröffnet ihn sonst die Heirath. Daher wurde (der
Mutterschooss Mariä) um so mehr geöffnet, weil er mehr geschlossen
war. Ja, sie ist eigentlich eher nicht Jungfrau zu nennen, als
Jungfrau, indem sie durch eine Art Sprung früher Mutter als ver-
heirathet war. Doch was ist hierüber noch mehr zu reden? Wenn
aus diesem Grunde der Apostel gesagt hat, dass der Sohn Gottes
nicht aus der Jungfrau, sondern aus dem Weibe geboren sei, so hat
er damit anerkannt, dass der Mutterschooss Mariä durch seine Er¬
öffnung etwas Eheliches erduldet habe. Wir lesen zwar bei Ezechiel -)
von jener Kuh, welche geboren und nicht geboren hat. Aber gebt
') Scorpiace adv. Gnost. e. 8.
2) Tertullian also nennt den Autor der schon bei Clemens vorkommenden
Stelle, die in der Bibel nicht zu finden, also apokryph ist. Rigaltius, Pamelius
und andere Erklärer Tertullians haben verschiedene Meinungen darüber, die aber
für uns gleichgültig sind. S, auch die Potter’sche Ausgabe des Clemens Alex.
124
Acht, ob nicht schon damals der in die Zukunft schauende heilige
Geist (der durch den Propheten spricht) hiemit euch bezeichnet habe
als solche, welche über den Mutterleib Mariä verhandeln werden *)« ....
Tertullian gehört also zu denen, welche die Empfängniss zwar
für eine übernatürliche, die Geburt aber für eine natürliche hielten
und diess um so unzweideutiger, wenn man dazu nimmt, dass er an
anderen Stellen * 2) über die Leiden der Schwangerschaft, die Geburts¬
schmerzen Marias, sowie über die übrigen physiologischen Erschein
nungen, die den Geburtsakt begleiten, sich verbreitet. Freilich ge¬
schieht diess Alles im Kampfe mit den cloketischen Gnostikern, die
als Verächter der Natur und ihrer Gesetze es für etwas Unanständiges,
Schmutziges, Gottes ganz Unwürdiges erklärten, wenn er zu seiner
Menschwerdung sich des natürlichen Weges hätte bedienen wollen.
Wie gegen die Ebioniten den Sohn Gottes, so hatte er gegen die
Doketen den Sohn des Menschen zu retten; gegen die erstem kehrt
der alte Advokat das Wunder hervor, gegen die zweiten lässt er es
fallen; das eine Mal erhebt er, das andere Mal opfert er leichten
Herzens die Mutter und zeigt eben damit, dass ihm Alles am Sohn,
an der Mutter wenig gelegen war. Jedenfalls zählt er hiemit noch
unter der von Clemens erwähnten Mehrzahl.
Aber auch Origenes bekannte sich nicht zu der Meinung seines
Lehrers Clemens, obwohl auch er das Buch des Jakobus kannte, wie
wir oben gesehen haben. In der Stelle Luk. II, 22 »und als die
Tage ihrer Reinigung gekommen waren« , liest er das »ihrer« als
Plural, avrcöv, und gesteht hiebei seine exegetische Verlegenheit.
»Wenn der Singular avrfjQ geschrieben wäre, sagt er, cl. h. Marias,
welche geboren hatte, so hätte die Sache keine Schwierigkeit und
wir würden kühnlich sagen, dass Maria, welche Mensch war, der
Reinigung nach der Geburt bedurft habe 3).« Die Verunreinigung
durch den Geburtsakt verneint er zwar an einer andern Stelle, die
wir schon oben beim Zug der Jungfräulichkeit beizubringen halten.
Er bemerkt nemlich, wie man sich erinnert, zu Levit. XII, 2: »jedes
Weib, wenn es Samen empfangen ....soll sieben Tage unrein
sein« , dass die Worte »wenn es Samen empfangen« überflüssig
scheinen könnten, weil kein Weib ohne Samenempfängniss gebäre.
') De carne Christi, 23.
2) I bid. 4. Contra Marc. III, 11; IV, 21.
3) Hom. XIV. in Luc. Bd. III, S. 947.
125
»Aber ich mache aufmerksam darauf, ob nicht vielleicht dieses in
prophetischem Sinne gesagt sein möchte, damit nicht Maria, welche
nicht durch Samenempfängniss .... geboren hat, für unrein gehalten
werde. Maria konnte übrigens auch dann , wenn jene Worte ....
nicht dastünden, nicht für unrein gehalten werden, denn sie war
nicht einfach ein Weib, sondern eine Jungfrau *).« Aber dass ihm
dieser Titel »Jungfrau« hier bloss in Bezug auf die Empfängniss
gilt, geht aus seiner Erklärung von Luk. II, 23: »alles Männliche,
was den Mutterleib öffnet u. s. w.« hervor. »Diese Stelle, sagt er,
schliesst einen heiligen Sinn ein. Denn kein männliches Kind,
welches aus dem Mutterschoosse tritt, öffnet den Leib seiner Mutter
so, wie der Herr Jesus; weil allen Frauen nicht die Geburt des
Kindes, sondern die Beiwohnung des Mannes den Schooss öffnet.
Der Mutter des Herrn aber wurde in dem Zeitpunkt der Schooss
geöffnet, in welchem auch das Kind zur Welt kam, weil den heiligen
und mit der höchsten Verehrung zu verehrenden Leib vor der Geburt
Christi überhaupt kein männliches Wesen berührte1 2).«
Tertullian und Origenes liefern hiedurch den Beweis, dass die
bewusste Vorstellung von der unverletzten Jungfrauschaft, welche im
zweiten Jahrhundert um sich zu greifen begonnen hatte, im dritten
jedenfalls nur langsame Fortschritte machen konnte. Wir haben
denn auch aus diesem Jahrhrhundert, ja bis über die erste Hälfte
des vierten hinaus keinen sichern Beleg für die Weiterverbreitung
der Meinung des Clemens. Aber ebensowenig für das Gegentheil.
Kurz, die ganze Frage ruht, d. h. die Akten schweigen. Erst die
zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts bringt uns wieder sichere
Zeugen, dass das Jakobusbüchlein in der Stille fortgewirkt hat. Es
ist diess auch erklärlich. Die patripassianischen Streitigkeiten des
dritten Jahrhunderts boten keinen zwingenden Anlass, auf diese Frage
einzugehen, erst der Arianismus in seinen verschiedenen Phasen und
Gegensätzen zog, wie wir gesehen haben, die Mutter des Herrn wieder
lebhafter in den Meinungskampf herein. Und so ist wohl die Ver-
muthung der Brüder Ballerini, der trefflichen Herausgeber des h. Zeno
von Verona (f um 380), nicht grundlos, dass dieser Kirchenvater
durch einige Gegner, welche vielleicht mit denjenigen zusammenfallen,
1) Hom. in Levit. VIII, 2.
2) Hom. XIV, in Luc. Bd. III, S. 948. Vgl. Gallandi Bd. XIV, Append. pag. 88.
„Movoc -fap obzoz 8'.yjvoi|s jv'q'tpr/.v sv. rcapOivoo Tsyftct?.“
• — 12(3 —
gegen die wir ihn früher auftreten sahen, zu der folgenden Kund¬
gebung provocirt worden sei.
Er sagt nemlich in einer seiner »Abhandlungen«: »Gott, Gottes
Sohn, ist zur bestimmten Zeit unter einstweiliger Verheimlichung seiner
Majestät von seinem himmlischen Throne ausgegangen und schlägt in
dem Tempel der vorherbestimmten Jungfrau sich ein Lager auf, wohin
er verborgener Weise sich begibt, um Mensch zu werden, und denkt
dort, mit Vorbehalt dessen, was er war, darauf, das zu sein, was er
nicht war. Menschlichem Fleische also beigemischt bildete er sich zum
Kinde. Mariens Leib strahlt stolz hervor nicht durch eheliche Verbindung,
sondern durch den Glauben, nicht durch Samen, sondern durch das
Wort. Die zehn monatlichen Leiden kennt sie nicht, denn sie hat den
Schöpfer der Welt in sich aufgenommen, sie gebiert nicht mit Schmerzen,
sondern mit Freuden. Wunderbar! jauchzend bringt sie ein Kind
zur Welt, welches älter ist, als das Alter der ganzen Natur. Unter¬
dessen seufzt sie nicht, die junge Wöchnerin und auch das neu¬
geborene Kind fängt nicht, wie gewöhnlich, das Leben mit Thränen
an. Seine Mutter liegt nicht, durch die Strapazen einer solchen Ge¬
burt erschöpft, blass da, an allen Gliedern zerschlagen. Noch ist
der Sohn von der Mutter oder seinem eigenen Schmutze befleckt;
denn der kann wahrhaftig nichts Unreines um sich haben, der die
Sünde, den Schmutz und die Makeln des Menschengeschlechts zu
reinigen gekommen war. Endlich sind dem Kinde auch keine
Reinigungen, die durch Verzögerung gefährlich sind, keine Verluste
der mütterlichen Eingeweide gefolgt. Auch keine Umschläge kamen
bei der jungen Wöchnerin nach gewohnter Weise in Anwendung,
denn diejenige, ihr Brüder, konnte dieselben nicht nöthig haben,
welche gewürdigt war, den Heiland aller Seelen als Sohn im Leibe
zu empfangen. 0 des grossen Geheimnisses! Maria hat als unverletzte
Jungfrau empfangen, nach der Empfängniss als Jungfrau geboren,
nach der Geburt ist sie Jungfrau verblieben. Der ungläubigen
Hebamme, die die Wöchnerin untersuchte, verdorrt die Hand zum
Zeugniss unverletzter Jungfräulichkeit, jedoch, nachdem sie das Kind
berührt, wird der Brand gedämpft, und so geht jene zum Heil neu¬
gierige Aerztin, welche zu heilen gekommen war, geheilt hinweg,
bewundernd die Jungfrau-Mutter, bewundernd das göttliche Kind,
in grosser Freude jauchzend 1).«
T) Lib, II, tract. 8
127
Gleich in der folgenden Abhandlung spricht Zeno wiederholt
von derselben Sache: »(Der Sohn Gottes) betritt das Heiligthum
des jungfräulichen Tempels, .... ruht gerne in dem blühenden
Wohnsitz der Keuschheit und bereitet sich im Leibe der heiligen
Jungfrau einen Körper, um nach seinem Rathschluss geboren zu
werden.... Wunderbar! es empfängt Maria von dem, den sie
gebiert; es schwillt ihr Leib von seiner Majestät, nicht von Samen,
und es umfasst die Jungfrau den, welchen die Welt und die Fülle
der Welt nicht fasst. Indessen fördern die Glieder ihren Schöpfer
zu Tage, und das Werk umkleidet seinen Künstler mit Gestalt.
Maria gebiert nicht mit Schmerzen, sondern mit Freuden. Es wird
der Sohn ohne Vater geboren, doch gehört er nicht ganz der Mutter
an; er verdankt es sich, dass er empfangen, er gewährt der Mutter,
dass er geboren ist; und diese staunt, dass sie einen solchen Sohn
bekommen habe, von dem man nicht glauben könnte, dass er aus
ihr stamme, wenn nicht darum, weil sie, wie vor der Empfängniss,
so auch nach der Geburt unverletzte Jungfrau bleibt Q.« Nach diesen
Ausführungen ist nun auch die kurze und präcise Formel: »Maria
war Jungfrau nach ihrer Verehelichung, Jungfrau nach ihrer Em¬
pfängniss, Jungfrau nach ihrem Sohne«, welche Formel sich in
einer frühem Abhandlung * 2) vorfindet, ihrem vollen Sinne nach ver¬
ständlich.
Zeno ist der erste lateinische Kirchenvater, der den neuen Zug
verficht. Auch er ist, wie Clemens, durch das Protevangelium darauf
gebracht worden und nimmt dasselbe unbefangen als Geschichte;
ein Beweis, dass dasselbe, oder eine Nachbildung desselben jetzt
auch im Abendlande bekannt war. Ja es muss hier schon ziemlich
lang vor Zeno verbreitet gewesen sein, denn er citirt für seine ein¬
geflochtene Erzählung keine Quelle mehr, wie Clemens, sondern be¬
handelt sie als eine seinem Publikum geläufige Thatsache, und zwar
nicht so fast in lehrhaftem, als in erbaulichem Tone. Andererseits
beweist seine ganze Art der Behandlung des Gegenstandes, dass die
theologische Hauptfrage der Zeit über die Göttlichkeit der Person
Christi von ebenso bestimmendem Einfluss auf seinen Glauben an
diese Annahmestellung der Mutter des Herrn gewesen ist.
Hiezu kommt noch ausserdem, dass Zeno höchstwahrscheinlich
') Ibid. tract. 9.
2) Lib. I, tract. 5, n. 3.
128
der erste war, der im Abendland Nonnenklöster einführte, und so
musste ihm, als einem Hauptvorkämpfer der Virginität, auch aus
diesem Grunde naheliegen, das Ideal der Jungfräulichkeit in seinem
ganzen Glanze darzustellen.
Es dürfte liier der Ort sein, etwas von dem Zusammenhang der
Vorstellung von der immerwährenden Jungfrauschaft Mariens mit
der wachsenden Hochschätzung des jungfräulichen Lebens überhaupt
zu sagen.
Das jungfräuliche Leben nemlich, das schon in der Bibel für
diejenigen, »die es zu fassen vermögen« x), als Gipfelpunkt christlicher
Vollkommenheit aufgestellt ist, batte von den apostolischen Zeiten
an eine immer allgemeinere Anerkennung gefunden. Um nur die
hauptsächlichsten Namen aufzuführen, so sind Clemens von Alexan¬
drien, Origenes, Methodius, Athanasius, Cyrill von Jerusalem, Hilarius
von Poitiers, Basilius, die Gregore von Nazianz und von Nyssa,
Epiphanius, Chrysostomus, Ambrosius, Hieronymus, Augustinus —
voll des Lobes der Jungfräulichkeit. Von den früheren abgesehen
ist Methodius Verfasser des »Gastmahls der zehn Jungfrauen«,
welches im beabsichtigten Gegensatz zu dem platonischen Symposion,
das den spco g, die Liebe, zum Gegenstände bat, die Jungfräulichkeit
in oft überschwänglicher Weise preist und die Bedeutung und den
Zusammenhang derselben mit dem Christenthum in tiefsinniger Weise
darlegt. Um von den Gedichten des Gregor von Nazianz und von
den verschiedenen ascetischen Schriften des Basilius zu schweigen,
so schrieb Gregor von Nyssa ebenfalls ein eigenes Buch ȟber die
Jungfräulichkeit« , worin er diesen Stand »über alles Lob erhaben«
nennt. Auch Chrysostomus verfasste ein Buch mit demselben Titel
und Ambrosius schrieb sogar vier diesen Gegenstand behandelnde
Werke, aus denen wir bald Manches mitzutheilen haben werden.
Ebenso werden wir die hh. Hieronymus und Augustinus darüber
zu vernehmen haben.
Die Virginität wird von diesen Schriftstellern hauptsächlich als
Mittel bezeichnet, wodurch der Mensch von allen irdischen Sorgen
und Begierden losgelöst werde, um in voller Freiheit des Geistes sich
mit Gott vereinigen und so die christliche Vollkommenheit erlangen
zu können. Sie heisst ein Martyrium, und zwar ein Martyrium nicht
eines kurzen , vorübergehenden Momentes , sondern eines ganzen
’) Matth. XIX, 11, 12; T. Cor. VII.
129
Lebens im Kampf gegen die Versuchungen des Körpers und die Nach¬
stellungen des Bösen u. s. w. x) Darum wird auch denen , welche
in der Virginität gelebt haben * 2) , eine höhere Stufe der Seligkeit
im Himmel zugesichert, sie werden als »erste Schaar, als heiliger
Chor« von den Engeln vor den andern in die seligen Wohnungen
geleitet 3).
Wie nun von den Kirchenvätern in ihren Schriften über die
Virginität eben Maria in die Darstellung verflochten wird, davon liefert
das Buch des heiligen Ambrosius ȟber die Unterweisung einer
Jungfrau« das sprechendste Beispiel, wie wir schon gesehen haben
und nooh sehen werden. Auch die andern lassen es an entsprechenden
Wendungen nicht fehlen. Doch wir begnügen uns hier, folgende
charakteristische Stelle des h. Athanasius dafür beizubringen. Sie
findet sich in seinem Commeritar zum Lukasevangelium bei dem Verse
des Magnificat: Denn gnädig sah er auf die Niedrigkeit seiner Magd
u. s. w. »Wie gross ist doch das Gut der Jungfräulichkeit! Die
andern Tugenden zu üben wird Jedermann vom Gesetze angewiesen,
die Jungfräulichkeit aber übersteigt das Gesetz, trachtet mit der
ganzen Führung des Lebens nach einem höhern Zwecke, ist ein
Kennzeichen der andern Welt, ein Bild der Reinheit der Engel. Man
könnte viel über sie sagen, um aber nicht bei Bekanntem mich auf¬
zuhalten, will ich, um die Grösse dieser Tugend zu zeigen, statt
Allem nur Eines sagen: Der Herr des Alls, Gott der Adyog, hat, nach¬
dem der Vater die Welt erwecken und erneuern wollte, keine andere
zur Mutter des Leibes, den er tragen wollte, erwählt, als eine Jung¬
frau. So geschah es; und so hat der Herr unter uns als Mensch
gewohnt, damit, wie die Welt durch ihn entstand, so auch die
Jungfräulichkeit aus ihm den Anfang nehme und durch ihn
hinwiederum diese Gnade den Menschen geschenkt werde und
fördernd unter ihnen verweile. Welcher Gegenstand des Rühmens
diess für die Jungfrauen ist und welches Kennzeichen der Gottheit
in ihm kann man hieraus ersehen .... Was aber Maria geschah,
das gereicht allen Jungfrauen zum Ruhm, denn diese hängen
9 Method. Gonv. VII, 3.
2) Nach Apocal. XIV, 3 — 5.
3) Giern. Roin. (?) ep. I. ad virg. 4. (Spätestens aus dein Ende des 3. Jahr¬
hunderts stammend.) Method. conviv. 1. I. u. VIII.
L ebner, Die Marien Verehrung.
9
130
fortan wie jungfräuliche Schösslinge an ihr als der
Wurzel 1).«
Dieser Zusammenhang der Bevorzugung jungfräulichen Lebens
mit dem Glauben an die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens
stellt sich besonders klar heraus durch die Polemik Jovinians und
ihre Folgen. Doch bevor wir diesen kennen lernen, wollen wir noch
einige Zeitgenossen des Zeno als weitere Zeugen jenes Glaubens ver¬
nehmen, da sie noch vor der Provokation des genannten Gegners
gesprochen haben.
Epiphanius z. B. führt die Stelle des Jesaias LXVI, 7: »Ehe
denn ihr wehe ward, hat sie geboren, ehe ihre Wehen kamen, gebar
sie ein Knäblein« als prophetischen Beweis dafür an, »dass die
Jungfrau ohne Schmerzen geboren habe, was sonst nirgends ge¬
schehen ist« 2). Und weiter sagt er von Christus, er sei »im Mutter¬
leib der Jungfrau in Wahrheit geworden, die gehörige Zeit getragen,
geboren durch die Geburtsorgane unbefleckt, unbesudelt, unbe¬
schmutzt« 3).
An ihn schliesst sich der heilige Ephraem, der Syrer (f 373
oder 79) an. In einer seiner Weihnachtsreden sagt er: die hebräischen
Frauen seien in untergeordneter Stellung gewesen, Verleumdung
konnte ihnen verderblich werden, aber »allen Grund zum Verdachte
und jeden Anhaltspunkt für den Verleumder nahm Maria vorhinweg,
denn sie hat das Siegel der Jungfrauschaft immerwährend unverletzt
bewahrt« 4). In seiner Rede »über die Verklärung Jesu Christi« äussert
er denselben Gedanken. »Er (Christus) führte sie (die Apostel) auf
den Berg, um ihnen zu zeigen, dass er Gottes Sohn sei, der vor
aller Zeit vom Vater erzeugt am Ende der bestimmten Zeit aus der
Jungfrau Fleisch angenommen, und wie er selbst wusste, ohne
Zeugung und auf unaussprechliche Weise geboren wurde, indem er
die Jungfrauschaft (der Mutter) unversehrt bewahrte. Wo nemlich
Gott will, wird die Ordnung der Natur überwunden. Gott das Wort
wohnte im Mutterschooss der Jungfrau, ohne dass seiner Gottheit
Feuer die Glieder des Leibes der Jungfrau verbrannte, sondern er
bewahrte sie die Zeit der neun Monate hindurch unverletzt 5).«
9 Athanas. comm. in Luc. Galland. V, p. 187. Ed. Maurin. I, p. 1270.
2) Haer. XXX, 20.
3) Epiphan. Anaceph. 1136 Pet.
4) De nativ, sermo IX. T. II. syr. et lat. p. 427. Ed. Rom. 1732 ff.
5) Bei Zingerle Bd. I, S. 237.
131
Und in einer seiner Reden gegen die Häresieen erklärt er sich näher
dahin: »Es wurde die Natur der Jungfrau nicht entsiegelt, als
Christus empfangen wurde, darum wurde sie auch nicht zum Behufe
der Geburt geöffnet, als er geboren wurde. Der Schooss der Ge¬
bärenden zerriss nicht .... Darum beeinträchtigte auch das Kind
nicht das Siegel der Jungfrauschaft, noch empfand die Jungfrau
Schmerz. Sie wurde zwar aufgethan wegen der körperlichen Masse
des zur Welt kommenden Kindes, kehrte aber wieder in den Zustand
des Versiegeltseins zurück, wie die Falten der Muscheln, wenn sie
die Perle entlassen haben , wieder in ihre ungetrennte Vereinigung
und Versiegelung zurückgehen :).« Diese Stelle ist auch in anderer
Richtung ungemein lehrreich, wenn man sich den Zusammenhang,
in welchem sie beigebracht ist, vergegenwärtigt. Ephraem polemisirt
nemlich in dieser Abhandlung besonders gegen Marcion und andere
doketische Gnostiker, lässt sich aber hiedurch nicht wie Tertullian
und Origenes zur Behauptung oder wenigstens zum Zugeständnis
der Verletzung des Jungfrauensiegels hinreissen ; er hält neben wirk¬
licher Empfängniss und wirklicher Geburt die unverletzte Jungfrau¬
schaft fest und zeigt eben dadurch, dass der Glaube hieran zu seiner
Zeit schon fester stand, als im dritten Jahrhundert.
Diess beweist auch der oben (S. 23) schon angezogene, dem
h. Basilius zugeschriebene Jesaiascommentar, worin die Stelle vor¬
kommt: »Diese Jungfrau war dem Gesetze der Reinigung * 2) keines¬
wegs unterworfen .... Denn da sie des Emmanuel Mutter ohne
Samen geworden ist, ist sie rein, heilig und unbefleckt; ja, nachdem
sie Mutter geworden ist, ist sie noch Jungfrau verblieben 3).«
Durch diese Beispiele, die sich leicht vermehren liessen, nament¬
lich , wenn wir auch auf Schriften von angezweifelter Aechtheit
Rücksicht nehmen wollten (wir wollen nur an Mehreres erinnern,
was dem h. Athanasius und Gregor von Nyssa 4) zugeschrieben
wird), lässt sich ein ungefähres Bild machen, wie es um diesen
b Adv. Haer. T. II, graec. et lat. p. 266, 267.
2) Levit. XII, 2.
3) Comm. in Jesai c. VII, n. 201.
4) Des Letzteren bek. »orat. in diem nat. Christi« wird von vielen Kennern
für acht gehalten , z. B. auch von Tischendorf. S. Prol. zum Protev. Für uns
ist die Sache von keiner grossen Bedeutung. Die Bede beweist, wenn sie acht
ist, eben hauptsächlich, dass das Protev. zu Gregors Zeiten vielfach gekannt und
geglaubt war, was wir ohnehin wissen.
132, —
Glauben vor dem Auftreten Jovi ni ans stand. Wir machen auch
hier wieder die alte kirchenhistorische Erfahrung, dass eine auch
schon verbreitete Vorstellung nur dann mit sich ganz ins Reine
kommt, wenn sie auf offenen Widerspruch stösst.
Jovinian nun erhob diesen Widerspruch. Er war Mönch
und hatte als solcher ein streng ascetisches Leben geführt, aber
darin keine Befriedigung gefunden. Um seine innerliche Entzweiung
loszuwerden, schlug er ums Jahr 388 ins Gegentheil um, vertauschte
seinen bisherigen Stoicismus gegen behagliches Wohlleben und suchte
sich durch Publikation seiner Gründe zu rechtfertigen. Seine Lehren
lassen sich in folgende Punkte zusammenfassen: 1. Jungfräulichkeit,
Witwenschaft, eheliches Leben seien gleich verdienstlich; 2. Fasten
sei nicht von höherem Werth als Essen und Trinken unter Dank¬
sagung gegen Gott; 3. Alle mit vollem Glauben Getauften können
nicht mehr vom Teufel überwältigt werden; 4. Alle, welche die
Taufgnade bewahren, haben gleiche Belohnung im Himmel zu erwarten.
Diese Punkte sind es hauptsächlich., gegen welche Hieronymus in
seiner ausführlichen Schrift gegen Jovinian in die Schranken tritt.
Von zwei weiteren Neuerungen desselben spricht der heilige Augustin
in seiner um 421 verfassten Schrift gegen Julian und in seinem um
428 oder 29 geschriebenen Buch »über die Häresieen«. Er habe
nemlich gelehrt: alle Sünden seien gleich (keine leichter oder schwerer),
und endlich, was uns alleinangeht: die heilige Jungfrau habe durch
ihre Geburt das Prädikat »Jungfrau« verloren x). Letzteren Vorwurf
macht ihm übrigens auch Ambrosius in einem Briefe an den Pabst
Siricius , und Hieronymus spielt wenigstens darauf an , sowohl in
seiner oben genannten Gegenschrift als auch in seinem Briefe an
Pammachius, durch den er diese Schrift vertheidigt.
Zunächst nun suchte Jovinian seine Neuerungen in Rom zu
verbreiten, gewann etliche Anhänger, erregte aber noch vielmehr den
Unwillen der Priester, welche im Bunde mit mehreren angesehenen
Laien, worunter jener Pammachius, an welchen Hieronymus seinen
Brief richtete, offen gegen ihn sich erhoben und beim Pabst Siricius
auf die Verurtheilung seiner Lehren antrugen. Siricius that dieses
denn auch auf der römischen Synode vom Jahr 390 und theilte den
Beschluss derselben dem heiligen Ambrosius zu Mailand mit. Sofort
versammelte auch Ambrosius, der schon früher gegen Jovinian auf-
') S. Aug. c. Julian. I, 2 u. de haer. n. 82.
133
getreten war, eine Provinzialsynode, die der römischen beistimmte.
Jovinian, der sich inzwischen nach Mailand begeben hatte, wurde
dort sammt seinem Anhang ausgetrieben.
Auffallender Weise enthält der Brief des Siricius an Ambrosius
nichts von dem die heilige Jungfrau betreffenden Punkte. Wahr¬
scheinlich war derselbe, da ihn Jovinian zu Rom wohl nur nebenher
als Motiv gebrauchte, um gottgeweihte Jungfrauen zur Ehe zu über¬
reden, nicht zur Kenntniss des Pabstes gekommen. Um so aus¬
führlicher geht Ambrosius in seinem Synodalschreiben an Siricius
(vom Jahre 391) darauf ein und wir lassen im Folgenden den Kirchen¬
vater selbst reden: ». . . . Durch ein Weib kam die Sorge in die
Welt, durch eine Jungfrau das Heil. Christus selbst hat für sich
die besondere Gabe der Jungfräulichkeit gewählt , und in sich die
Gnade der Reinigkeit bethätigt. Er hat an sich dargestellt, was er
in seiner Mutter erwählte. Wie gross ist nun der Wahnsinn des
unheilvollen Gebells dieser Leute (der Jovinianisten) , da sie sagen,
Christus habe aus einer Jungfrau nicht geboren werden können,
während sie doch erklären, dass Personen, die von Weibern auf
ganz natürliche Weise geboren sind, Jungfrauen verbleiben können
Andern also gewährt Christus, was er sich, wie sie sagen, nicht
gewähren konnte? Jener aber, obwohl er Fleisch angenommen, ob¬
wohl er Mensch geworden, um den Menschen wieder zu erkaufen
und vom Tode zu erretten, ist dennoch, als Gott, auf ungewohntem
Wege in die Welt gekommen, so dass er (nach seinem Ausspruch:
Siehe, ich mache Alles neu x) durch das Gebären einer sogar unver¬
letzten Jungfrau geboren wurde und damit er, wie geschrieben steht,
als »Gottmituns« geglaubt würde. Aber vom Wege der Verkehrtheit
aus* 2) proklamiren sie: Als Jungfrau hat sie empfangen, aber nicht
als Jungfrau geboren. Es konnte also eine Jungfrau empfangen,
aber nicht als solche gebären, da doch immer die Empfängniss vorher¬
geht, die Geburt nachfolgt? Aber wenn man den Lehren der Priester
nicht glauben will, so glaube man doch den Prophezeiungen Christi,
man glaube den Weisungen der Engel, welche sagen : denn bei Gott
ist nichts unmöglich!3) Man glaube dem apostolischen Glaubens¬
bekenntnisse, welches die römische Kirche immer unverkümmert be-
9 Isai. XLIII, 19.
2) Nach der Leseart: de via perversitatis; andere lesen: devii a via veritatis.
3) Luc. I, 37.
134
wahrt und erhält. Maria hörte die Stimme des Engels, und sie, die
vorher gesagt hatte: Wie soll das geschehen? ohne übrigens über
die Glaubwürdigkeit der Geburt zu fragen, antwortet nachher:
Sieh, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem
Worte. Das ist die Jungfrau, welche empfangen hat, die Jungfrau,
welche geboren hat. Denn so steht geschrieben: Siehe eine Jungfrau
wird empfangen und einen Sohn gebären. Nicht bloss empfangen
werde die Jungfrau, sondern auch gebären werde die Jungfrau, hat
er (der Prophet oder Christus durch den Propheten) gesagt. Was
ist aber jenes Thor des Heiligthums, jenes äussere Thor gegen Osten,
das verschlossen bleibt und durch das Niemand geht, als der Gott
Israels allein ? *) Ist nicht dieses Thor Maria, durch welches der Er¬
löser in diese Welt trat? Das Thor der Gerechtigkeit, wie er selbst
gesagt hat: Lass uns erfüllen alle Gerechtigkeit* 2 3). Dieses Thor ist
die selige Maria, von der geschrieben steht: der Herr wird durch
sie gehen und sie wird verschlossen sein nach der Geburt; denn als
Jungfrau hat sie empfangen und geboren. Was ist aber unglaublich
daran, wenn gegen die Gewohnheit natürlichen Entstehens Maria geboren
hat und Jungfrau bleibt, da doch gegen die Gewohnheit der Natur ,das
Meer es sah und floh und die Jordanfluthen zu ihrer Quelle zurückliefen4 3).
Es übersteigt daher nicht den Glauben, dass eine Jungfrau geboren
hat, wenn wir lesen, dass ein Fels Wasser spie4) und dass die Meeres¬
welle wie eine Mauer feststand 5). Es übersteigt nicht den Glauben,
dass ein Mensch aus einer Jungfrau hervorging, wenn ein Fels von
hervorsprudelndem Wasser überfloss 6), wenn Eisen über den Wassern
schwamm7), wenn ein Mensch über den Wassern ging 8). Also
wenn einen Menschen die Welle trug, konnte einen Menschen nicht
die Jungfrau gebären? Und welchen Menschen? Den, von welchem
wir lesen : Und es wird ihnen der Herr einen Menschen schicken,
welcher sie retten wird, und bekannt wird der Herr sein den Aegyptern 9).
b Ezech. XLIV, 2.
2) Matth. III, 15.
3) Psalm. CXIII, 3.
4) Exod. XVII, 6.
5) Ibid. XIV, 22.
6) Num. XX, 11.
7) IV. Reg. VI, 6.
8) Matth. XIV, 26.
9) Isai. XIX, 20.
135
Im alten Testamente also hat eine Jungfrau das Heer der Hebräer
durchs Meer geführt, im neuen Testamente ist eine Jungfrau als
Palast des himmlischen Königs erwählt worden 1).« In seiner, nur
etwa um ein Jahr jüngeren Schrift »Ueber die Unterweisung einer
Jungfrau«, worin er, wie wir gesehen haben, gegen Bonosus auf¬
getreten ist, setzt Ambrosius, wenn auch nicht mit ausgesprochenem
Bezug auf Jovinian, doch unverkennbar durch die so kurz vorher
aufgetretene Neuerung noch stark angeregt, sein typologisches Be¬
weisverfahren für die im strengsten Sinne unverletzte Jungfräulichkeit
Marias fort. Und zwar ist es zunächst wieder die verschlossene
Pforte Ezechiels, die er fast wörtlich so erklärt, wie oben. »Wer
ist diese Pforte, wenn nicht Maria; darum verschlossen, weil Jung¬
frau? Die Pforte also ist Maria (fährt er mit unumwundener Nennung
des tertium comparationis fort), durch welche Christus in diese Welt
trat, nachdem er aus jungfräulicher Geburt hervorgegangen ist und
den Riegel der Jungfrauschaft an den Geburtstheilen nicht gelöst
hat. Unangetastet blieb das Gehege der Keuschheit, unverletzt blieb
das Siegel der Reinigkeit, als der aus der Jungfrau hervorging, dessen
Höhe die Welt nicht fassen konnte2).«
Ambrosius deutet diese Stelle des Ezechiel noch weiter aus und
wiederholt sich mehrmals fast wörtlich, worin wir ihm zu folgen nicht
nothwendig finden. Er bringt dann der Reihe nach noch mehrere
Stellen des alten Testamentes als Vorbilder für die immerwährende
Jungfräulichkeit, die wir aber, weil sie für die Sache nichts Neues
aufführen, hier weglassen. Wir haben ohnehin später noch darauf
zurückzukommen.
In seinem Briefe an die Kirche von Vercelli endlich (a. 396),
worin er besonders zwei abtrünnige Mönche, Anhänger Jovinians,
tüchtig mitnimmt, wiederholt Ambrosius mit derselben Deutlichkeit
und Entschiedenheit, ja wieder mit denselben Ausdrücken seine An¬
sicht, so dass wir kaum nöthig finden, darauf hinzuweisen, dass
durch Herbeiziehung einer mehrfach besprochenen Stelle in seiner
Erklärung des Lukasevangeliums seine Auffassung dieser Frage nicht
alterirt wird. Bei Erklärung der Worte nemlich: »Alles Männliche,
das den Mutterschooss öffnet etc.« sagt er mit Hinweisung auf
Christus: »dieser ist es, welcher den Schooss seiner Mutter öffnete,
3 Ambr. epist. 42.
2) De inst. virg. 52.
136
um fleckenlos daraus hervorzugehen 1).« Hiemit weist Ambrosius,
wie viele seiner Vorgänger, nur diejenigen ab, welche Mariens vater¬
lose Mutterschaft bezweifelten, und darum interpretirt ihn Thomas
von Aquino mit den Worten: »jene Oeffnung bezeichnet nicht die
gemeinigliche Aufschliessung des Riegels der Jungfrauschaft, sondern
allein den Ausgang des Kindes aus dem Leibe der Mutter 2).« In
demselben Sinne ist auch Epipbanius zu verstehen, wenn er mit
Beziehung auf dieselbe Bibelstelle sagt: »Dieser ist es, der wahrhaft
den Schooss seiner Mutter eröffnet hat 3).« Diese Worte stehen nem-
lich im Zusammenhang der Darstellung des richtigen Verhältnisses
zwischen Joseph und Maria und lassen darum nur eine Deutung
zu, die wir nach dem Früheren nicht näher zu erklären brauchen.
Ausser Siricius und Ambrosius ist es hauptsächlich, wie schon
oben bemerkt, Hieronymus, der gegen Jovinian zu Felde zog.
Jovinians Schrift wurde ihm von Rom nach Betlehem, wo er sich
seit mehreren Jahren aufhielt, zugeschickt und auf Bitten seiner
Freunde schrieb er daselbst seine Entgegnung in zwei Büchern im
Jahre 392 oder 93. Auffallender Weise findet sich darin keine eigent¬
liche, eingehende Beleuchtung des die heilige Jungfrau betreffenden
Punktes, was nur daher kommen kann, dass dieser Punkt in Jovinians
Schrift gar nicht vorhanden war. Diess bestätigt unsere früher aus¬
gesprochene Vermuthung, dass Jovinian nur nebenher bei seinen
praktischen Versuchen, jungfräulich Lebende zur Ehe zu überreden,
auch die Behauptung als Ueberredungsmittel gebraucht habe: selbst
die heilige Jungfrau habe ja einmal aufgehört, Jungfrau zu sein.
Doch bezieht er den »verschlossenen Garten, die versiegelte Quelle«
des Hohenliedes 4) auf Maria, wie man aus Folgendem sieht. »Was
verschlossen und versiegelt ist, gibt ein Bild der Mutter des Herrn,
der Mutter und Jungfrau. Daher ist auch in dem neuen Grabe des
Heilandes, welches im härtesten (nach anderer Leseart: reinsten,
purissima statt durissima) Felsen ausgehauen war, weder vorher
noch nachher Jemand beigesetzt worden. Und doch ist diese immer¬
währende Jungfrau Mutter vieler Jungfrauen 5).« Etwas näher geht
9 Expos, ev. Luc. II, 56, 57.
2) S. Thomas 3. part. quaest. 28, art. 2.
3) Epiph. haer. 78, 19.
4) Cant. cant. IV, 12.
5) Adv. Jov. I, 31.
137
er auf die Sache ein in dem Briefe, den er zur Vertheidigung oben¬
genannter Schrift an Pammachius schrieb (a. 393 oder 94). »Christus
ist Jungfrau, die Mutter unserer Jungfrau (virginis nostri d. h. Christi)
ist immerwährende Jungfrau, Mutter und Jungfrau. Denn Jesus ist
bei verschlossenen Thüren eingetreten und in seinem Grabe, welches
neu und im härtesten Felsen ausgehauen war, ist weder vor- noch
nachher Jemand beigesetzt worden. Sie ist der verschlossene Garten,
die versiegelte Quelle, aus welcher Quelle nach Joel Q jener Fluss
strömt, welcher (bewässert) erfüllt den Strom der Stricke oder (nach
anderer Uebersetzung) der Dornen — Stricke der Sünden, mit welchen
wir früher gebunden waren; Dornen, welche die Aussaat des Haus¬
vaters erstickten. Sie ist die östliche Pforte, wie Ezechiel sagt, die
immer verschlossene, die glänzende, die in sich verschliesst oder aus
sich hervorführt das Allerheiligste, durch welche die Sonne der Ge¬
rechtigkeit und unser Hohepriester nach der Ordnung Melchisedek
ein- und ausgeht. Man antworte mir, wie Christus durch ver¬
schlossene Thüren gegangen ist, als er seine Hände zum Berühren,
seine Seite zum Betrachten, als er Fleisch und Bein zeigte, damit
nicht die Wirklichkeit seines Körpers für ein Gespenst gehalten werde;
und ich werde antworten, wie die heilige Maria sowohl Jungfrau
als Mutter sei, — Jungfrau nach der Geburt, Mutter vor der
Heirath * 2).«
Man sieht, Hieronymus hält sich dem Ambrosius und Zeno
gegenüber in einer gewissen Allgemeinheit. Man könnte die obigen
Ausführungen, besonders auch die Parallele des Grabes Christi, bloss
so verstehen, dass er nur damit sagen wollte, Maria habe ausser
Christus keine anderen Kinder gehabt. Die einzige Parallele des
Gehens Christi durch verschlossene Thüren, sowie der Ausdruck
»Jungfrau nach der Geburt« lassen sich als ausdrücklichen Beweis
verstehen, dass Hieronymus seinen Begriff von der Jungfräulichkeit
Mariens ebensoweit ausdehnte, wie Ambrosius. Nirgends aber ist
von dem »Schloss«, von dem »Siegel« der Jungfrauschaft die Rede,
was nur, wie gesagt, daher kommen kann, dass die ihm zu Gesicht
gekommene Schrift Jovinians auch nichts Ausdrückliches davon ent¬
hielt. Dagegen findet sich in seinem a. 415 geschriebenen Dialog
gegen die Pelagianer eine Stelle, die die Sache vollkommen klar
fi Joel III, 18.
2) Hier, ep. 48 (Ed, Vallarsi) oder 30 (Ed, Maur.)
138
legt. Er sagt dort: »Christus allein hat die verschlossenen Pforten
des jungfräulichen Mutterleibs eröffnet, und diese blieben dennoch
beständig verschlossen. Das ist die östliche Pforte, die verschlossene,
durch welche allein der Oberpriester ein- und ausgeht, und welche
nichtsdestoweniger immer verschlossen ist 1).« Diese »verschlossene
Pforte« wird auch in seinem Commentar zu Ezechiel in demselben
Sinne ausgedeutet, auch dort sagt er, »Maria die Jungfrau sei vor
der Geburt und nach der Geburt Jungfrau verblieben« 2). Sehr
interessant ist, dass er bei alledem die Geschichte von der Hebamme
mit Indignation abweist. »Keine Hebamme war dabei, keine Ge¬
schäftigkeit von Weiberchen kam dazu. Sie selbst wickelte das
Kind in Windeln, sie selbst war Mutter und Hebamme. ,Und sie
legte das Kind in die Krippe, weil kein Platz dafür in der Herberge
war.‘ Dieser Satz widerlegt das alberne Geschwätz der Apokryphen,
indem Maria selbst das Kind einwickelt 3).« Doch versteht sich diese
Verwerfung der Apokryphen für den grossen Bibelkritiker von selbst.
Ein vierter Bekämpfer Jovinians ist der h. Augustin. Wie oben
angedeutet, sagt er in seinem Buch über die Häresieen 4) von ihm:
»Die Jungfräulichkeit Mariens vernichtete er, indem er behauptete,
dass dieselbe durch das Gebären verletzt worden sei« und in seinem
Buch gegen den Pelagianer Julian5): »Jovinian leugnet, dass die
Jungfräulichkeit Mariens, welche bestand, als sie empfing, verblieben
sei, als sie gebar.« Weiter aber lässt er sich mit dem Ketzer (in
dieser Frage) nicht ein. Für ihn ist die unverletzte Jungfrauschaft
eigentlich eine bereits ausgemachte und der Erörterung nicht ferner
unterworfene Sache. Darum sagt er schon in seinem Buch gegen
Faustus 6) (um 400): »Ganz mit Recht also wurde dieselbe (Maria)
so geehrt, dass sie uns Christus, den wir durch Glauben in reinem
Herzen empfangen, den wir durch Bekennen gewissermassen gebären
sollen , auch mit Aufrechthaltung ihrer körperlichen Unverletztheit
zur Welt brachte. Denn in keiner Weise konnte Christus seine
Mutter durch die Geburt herabsetzen wollen, so dass er ihr, der er
die Gnade der Fruchtbarkeit verliehen hatte, die Zierde der Jung-
0 Dial. adv. Pelag. II, 4.
2) Comm. in Ezech. XIII, 44. Tom. III, p. 1023.
3) Contra Helv. 8 (eigentl. 10).
4) c. 82.
•"’) lib. I, cap. 2.
6) 1. XXIX, c. 4-
139
fräulichkeit nahm.« Hauptsächlich in seinen Reden kommt er häufig
auf den Gegenstand zurück und zwar manchmal in panegyrischem
Tone. Da finden sich denn Wendungen wie folgende: »Er (Christus)
gab der Jungfrau die Fruchtbarkeit, er nahm ihr nicht die Unversehrt¬
heit *).« »Empfangend ist sie Jungfrau, gebärend ist sie Jungfrau;
Jungfrau schwanger, Jungfrau Mutter, Jungfrau beständig * 2).« »Feiern
wir also mit Freuden den Tag, an welchem Maria den Heiland ge¬
boren hat, die Verehelichte den Schöpfer der Ehe, die Jungfrau den
Fürsten der Jungfrauen; dem Manne übergeben, nicht Mutter von
dem Manne, Jungfrau vor der Ehe, Jungfrau in der Ehe, Jungfrau
schwanger, Jungfrau säugend. Denn der heiligen Mutter entriss der
allmächtige Sohn, der sie zur Mutter wählte, in keiner Weise die
Jungfrauschaft durch seine Geburt. Gut ist die Fruchtbarkeit in der
Ehe, besser die Unversehrtheit in der Ehelosigkeit. Als Mensch also
würde Christus, welcher als Gott beides gewähren konnte (denn
ebenderselbe ist Mensch und Gott), seiner Mutter niemals das Gut,
welches die Eheleute lieben, so gewähren, dass er ihr das grössere
Gut, dessentwegen die Jungfrauen Mütter zu werden verachten, ent-
reissen würde 3).« »Was ist wunderbarer, als die Geburt der Jung¬
frau? Sie empfängt und ist Jungfrau, sie gebiert und ist Jungfrau.
Er ist hervorgebracht von der, die er hervorgebracht hat; er hat
ihr Fruchtbarkeit verliehen und ihre Unverletztheit nicht aufgehoben 4).«
»Wer begreift die neue, ungewohnte, einzige Neuheit in der Welt,
die unglaublich ist und glaublich geworden ist, die von der ganzen
Welt unglaublicher Weise geglaubt wird: dass nemlich eine Jungfrau
empfange, eine Jungfrau gebäre, eine Gebärende Jungfrau bleibe?« 5)
»So ist erfüllt worden, was der Psalm 6) vorhergesagt hatte, ,die
Wahrheit sprosset von der Erde‘. Maria ist Jungfrau vor der Em¬
pfängnis, Jungfrau nach der Geburt. Ferne sei es, dass in der¬
jenigen Erde, d. h. in demjenigen Fleische, woher die Wahrheit
sprosset, die Unversehrtheit zu Grunde gehe. Denn nach seiner
Auferstehung, als man ihn für einen Geist, nicht für einen Körper
hielt, sagte er: , Tastet und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch
J) Sermo 69. Edit. Maur. T. V, p. 382.
2) Sermo 186, Ibid. p. 884.
3) S, 188 in nat. Dom. Ibid. p. 889.
4) S. 189, 2.
5) S. 190, 2.
9 84, 12-
140
und Bein, wie ihr sehet, dass ich habe x).‘ Und doch ist die feste
Masse seines Körpers durch verschlossene Thüren zu den Jüngern
eingegangen. Warum also konnte der, welcher als Mann durch ver¬
schlossene Thüren eindringen konnte, nicht als Kind durch unverletzte
Gliedmassen ausgehen? Aber weder das Eine, noch das Andere
glauben die Ungläubigen. Dess wegen glaubt der Glaube beides um
so lieber, weil der Unglaube beides nicht glaubt* 2).« — »Der Engel
verkündigt, die Jungfrau hört, glaubt und empfängt. Der Glaube
im Herzen, Christus im Mutterleibe! Eine Jungfrau hat empfangen,
wunderbar! Eine Jungfrau hat geboren, noch wunderbarer! Nach
der Geburt ist sie Jungfrau verblieben! Wer also wird diese Geburt
erklären?«3) — »Ja, wer wird diese Geburt erklären? Denn wer
kann würdiglich annehmen, dass Gott wegen der Menschen habe
wollen geboren werden, dass eine Jungfrau ohne männlichen Samen
empfangen habe, dass sie ohne Verletzung geboren habe und nach
der Geburt in der Unverletztheit verblieben sei? Denn unser Herr
Jesus Christus hat geruht, den Mutterleib der Jungfrau zu betreten,
er hat die Organe des Weibes unbefleckt erfüllt, die Mutter ohne
Verletzung befruchtet, ist von sich selbst gebildet hervorgegangen
und hat den Leib der Gebärerin unversehrt erhalten (reservavit, nach
anderer Leseart: erschlossen, reseravit), auf dass er diejenige, von
welcher er geboren zu werden geruhte, sowohl mit der Ehre der
Mutter überschütte, als auch mit der Heiligkeit der Jungfrau 4).«
Solcherlei Wendungen finden sich noch häufig in den Reden
des h. Augustin, namentlich auch in denjenigen, die ihm nicht mit
Sicherheit zugesprochen werden können. Jedoch seine Anschauung
der Sache ist aus dem Obigen klar genug. Wir begnügen uns daher,
nur noch die Stelle aus seinem a. 421 geschriebenen Enchiridion 5)
auszuheben, die besonders schlagend beweist, dass für ihn der Be¬
griff der beständigen Jungfrauschaft in anatomisch-physiologischem
Sinne einfache Consequenz des alten Titels »Jungfrau« war. »Wenn
durch seine Geburt, sagt er, ihre Unversehrtheit aufgehoben würde,
so würde er ja nicht von einer Jungfrau geboren werden, und die
b Lac. XXIV, 39.
2) Sermo 191, 2; in nat. Dom. T. V, p. 894.
3) Jesai. 53, 8, S. 196. In nat. Dom. Ibid. p. 902.
4) S. 215, 2. Ibid. p. 950.
5) Cap. 34-
141
ganze Kirche, welche seine Mutter nachahmend täglich seine Glieder
gebiert und Jungfrau bleibt, würde — ferne sei es! — fälschlich
bekennen, dass er von der Jungfrau Maria geboren sei.« Darum
hat er auch schon a. 400, ähnlich wie der h. Zeno, für seinen
Glauben eine kurze Formel aufgesetzt: »Jungfrau bei ihrer Empfäng¬
nis, Jungfrau bei ihrer Geburt, Jungfrau bei ihrem Tode *).«
Nicht mit unmittelbarer Beziehung auf Jovinian, aber mit der¬
selben Entschiedenheit zeigen sich auch andere Zeitgenossen als Ver¬
treter der Vorstellung seiner Bekämpfer.
Ruf in z. B. äussert sich in seinem Commentar zum apostolischen
Glaubensbekenntnis so: »Bei der Geburt der Jungfrau kann keine
Verletzung angenommen werden .... Die wunderbare Art der Geburt
derselben hatte der Prophet Ezechiel vorgebildet , indem er Maria
figürlich »das Thor des Herrn« nannte, durch welches nemlich der
Herr in die Welt eingetreten ist.« Folgt die Stelle Ezech. XLIV, 2.
»Was konnte so einleuchtend über die Bewahrung der Jungfrau ge¬
sagt werden? Verschlossen war jenes Thor der Jungfrauschaft; durch
dasselbe ging ein der Flerr Gott Israels, durch dasselbe trat er hervor
in diese Welt aus dem Mutterleib der Jungfrau, und in Ewigkeit ver¬
blieb das Thor der Jungfrau geschlossen, da die Jungfrauschaft auf¬
recht erhalten war * 2).«
Gaudentius von Brescia sagt in einer seiner Reden: »Wenn wir
die Empfängniss der Jungfrau glauben, müssen wir auch an ihre Ge¬
burt glauben; beides scheint dem Menschen unmöglich, ist aber für die
göttliche Allmacht ein Kleines.« Es werden hierauf einige Akte der
göttlichen Allmacht aus dem alten Testamente als Analoga aufgeführt:
die Schöpfung aus nichts, die Erschaffung Adams, die Erschaffung
der Eva und dann wird fortgefahren : »Wenn man an die Empfäng¬
niss ohne Verletzung der Mutter glaubt, warum sollte man nicht
auch die Geburt ohne Verletzung annehmen? Die unverletzte Jung¬
frau hat geboren, was die unberührte Jungfrau empfangen hat. Die
Unversehrtheit konnte der nicht durch seine Geburt beeinträchtigen,
der gekommen war, um die Natur zu erneuen.« Einen Beweis für
die Möglichkeit liefere das Gehen Christi durch verschlossene Thüren
nach seiner Auferstehung. »Durch ebendieselbe Kraft der Gottheit
also betrat er durch ein unverletzliches (inviolabilem) Weib die Her-
*) De cat. rud. c. 22.
2) Gomm. in symb. apostol. ad »Qui natus est etc.«
142
berge dieser Welt, indem er das Schloss jungfräulicher Keuschheit
auch im Geburtsakt erhielt, durch welche (Kraft) er nach seiner
Auferstehung bei verschlossenen Thüren ein Haus körperlich betreten
konnte 1).« In einer andern Rede sagt er: »Die Allmacht des Gottes¬
und Menschensohnes bezeugt auch die Jungfrau-Mutter, welche vom
heiligen Geiste empfangend den Gott-Menschen, den sie im keuschen
Leibe getragen, so gebar, dass bei der unverletzten erhabenen Mutter
nach der göttlichen Geburt die glorreichere Unversehrtheit verblieb 2).«
In einer dritten Rede bringt er dieselbe Sache vor und hat dafür
den Ausdruck: »der ewige Gipfel der Keuschheit3).«
Wir könnten nun noch manche jüngere Zeitgenossen citiren,
besonders Orientalen, und namentlich solche, welche bei dem nestoria-
nischen Streite eine Rolle spielten, z. R. Nilus, Proklus, Cyrill von
Alexandrien, Theodot von Ancyra u. s. w. ; jedoch bei allen diesen
ist der Zug anatomisch-physiologischer Jungfrauschaft schon ein voll¬
kommen geläufiger Begriff und wird im Ganzen in derselben Weise
dargelegt und mit denselben Mitteln begründet, wie bei den obigen
Zeugen. Nur Eines darf nicht übersehen werden, dass nemlich jetzt
dieser Begriff, offenbar aus Anlass der neuesten Häresie, besonders
auch als Beweis für die volle Gottheit des Sohnes ins Feld geführt
wird (worauf übrigens auch Gaudentius so eben, ja schon Ambrosius
(S. 133) hinzielte) 4). So sagt Proklus in seiner oben (S. 81) er¬
wähnten Predigt: »Wenn die Mutter nicht Jungfrau blieb, so war
der Geborene ein blosser Mensch und die Geburt nicht wunderbar;
wenn sie aber auch nach der Geburt Jungfrau blieb, wie ist der
Geborene nicht auch Gott und das Geheimniss unaussprechlich?«
Aehnlich äussert sich Theodot in einer Homilie, die auf dem
Ephesiner Concil vorgelesen wurde: »Wenn (Christus) nach unserer
Weise geboren wurde, so war er ein Mensch, wenn er aber seine
Mutter als Jungfrau bewahrte, so wird der Geborene von den Ein¬
sichtsvollen als Gott erkannt 5).«
Hiemit sind wir offenbar an der Vollendung des Zugs angelangt,
wrenn derselbe auch erst durch einen viel späteren Synodalbeschluss
seine officielle Weihe erhielt; denn wenn von den Früheren die
x) Sermo 9.
2) Sermo 13.
3) Sermo 8.
4) Vgl. auch Gregor von Nyssa, oben (S. 74) und Zeno (S. 127).
5) Galland. Tom. IX, pag. 450.
143
immerwährende Jungfräulichkeit aus der Gottheit Christi abgeleitet
wurde, so wird jetzt umgekehrt aus der immerwährenden Jung¬
fräulichkeit als Thatsache die Gottheit Christi bewiesen.
Es ist nun nur noch übrig, die vorgekommenen Begründungen
in beiläufiger chronologischer Ordnung zu rekapituliren.
1. Körperliche Untersuchung fand unverletzte Jungfrauschaft
vor. (Diess wird später fallen gelassen.)
2. Prophetische Schriftstellen weisen auf das Wunder hin.
3. Auch alttestamentliche Analogieen.
4. Nicht minder das naturgeschichtliche Beispiel der Perlmuschel.
5. Der göttliche Sohn beraubte die Mutter nicht des hoch-
geschätzten Gutes.
6. Jungfräuliche Geburt ist Consequenz jungfräulicher Empfäng¬
nis.
7. Der jungfräuliche Sohn kann nur eine (immer) jung¬
fräuliche Mutter haben.
8. Die berühmte Prophetie des Jesaias enthält ja schon die
jungfräuliche Geburt.
9. Eine grosse Anzahl alttestamentlicher Typen bildet sie vor.
10. Einige neutestamentliche Stellen setzen sie voraus.
11. Eine überzeugende Parallele ist das Gehen Christi durch
verschlossene Thüren.
12. Unverletzte Jungfrauschaft der Mutter ist ein Hauptbeweis
für die Göttlichkeit des Sohnes.
Das geistige Wesen Mariens.
Für die Zeichnung des geistigen Wesens Mariens geben die
beiden ersten Evangelien so gut wie nichts, Lukas aber und Johannes
einige schöne Grundlinien. Maria erscheint in der Scene mit dem
Engel als zartfühlendes , sinniges , sittsames Mädchen , als gläubiges
Gemüth, demüthig und gehorsam gegenüber dem erkannten göttlichen
Willen. Bei Elisabeth zeigt sie sich in ihrem Glauben gestärkt und
in begeisterter Andacht und Dankbarkeit. Trotzdem »wundert« sie
sich mehrmals bei den ausserordentlichen Begebenheiten, deren Zeugin
oder Theilnehmerin sie ist, und »versteht« die Antwort ihres zwölf¬
jährigen Sohnes »nicht«. Doch »behält« sie all das, was ihr nicht
klar ist, »überlegend im Herzen«. Ihr Geistesleben wird also als
sich entwickelnd, sie wird als Lernende, sich Vervollkommnende dar¬
gestellt. Die Reise mit dem zwölfjährigen Sohn nach Jerusalem
wirft auch ein Streiflicht auf ihre mütterlich erziehende Thätigkeit.
Das »ihre Seele durchdringende Schwert« Simeons, ihre Unter¬
brechung des Lehrvortrags des Herrn zu Kapernaum bei den ersten
drei Evangelisten, ihre Bemerkung auf der Hochzeit zu Kana bei
Johannes lassen verschiedene Auslegungen zu und können daher für
einen sichern evangelischen Zug nicht verwerthet werden. Es ist
abzuwarten, was die Kirchenväter hierüber sagen. Johannes ist der
einzige, der sie wenigstens zeitweise im Gefolge ihres Sohnes, nachdem
er sein Amt angetreten, aufführt und denselben auch zum Tode
geleiten lässt. Die Apostelgeschichte endlich zeigt sie als Glied der
Christengemeinde nach der Himmelfahrt des Erlösers. Zu diesen
rein menschlichen Zügen lässt sich noch ein übermenschlicher ge¬
sellen. Aus dem Titel »Gnadenvolle« , aus der Versicherung des
Engels, dass der Herr mit ihr sei und dass sie Gnade gefunden bei
Gott, lässt sich nemlich zunächst folgern, dass sie diess durch ihr
145
bisheriges Geistesleben verdient habe, dann aber auch zweitens, dass
von jetzt an ihr Geistesleben als ein durch die Gnade von Oben
noch erhöhtes zu betrachten sei.
Diese wenigen Striche gruben sich nun ohne Zweifel im All¬
gemeinen ebenso in das Gemüth der Gläubigen ein , wie die bisher
abgehandelten mehr äussern Züge. Doch liefern uns die ältesten
Kirchenväter nur spärliche Belege dafür, dass das geistige Wesen
Mariens sie besonders beschäftigt habe. Diess kommt wohl haupt¬
sächlich daher, weil sie hier keine eigenen weitern häretischen An¬
griffe zu bekämpfen hatten, ausser denjenigen, welche sich mit der
Leugnung ihrer körperlichen Eigenschaften unmittelbar verknüpften.
Immerhin aber nennen Einige von ihnen einzelne Tugenden derselben.
So rühmt, wie wir gesehen haben, Justin ihren freudigen
Glauben, und indem er diesen dem Ungehorsam der Eva entgegen¬
setzt, eben damit stillschweigend auch ihren Gehorsam. Irenäus
hebt diese beiden Tugenden mehrmals hervor und macht sie zu den
Grundbedingungen der Mission Mariens, um nun eine dritte Beziehung
der oben (S. 29) ausgezogenen Stellen blosszulegen. Durch Glauben
und Gehorsam hat Maria das gelöst, was Eva durch Unglauben
und Ungehorsam gebunden hatte. Die beiden Tugenden sind ihm die
Voraussetzung der Möglichkeit, Ursache unseres Heils zu werden. An
einem andern Orte rühmt er ihre Herzenseinfalt (S. 30). Daneben
sieht er in ihrer Bemerkung auf der Hochzeit zu Gana: »Herr, sie
haben keinen Wein«, eine »unzeitige Eile«, und beweist hiemit, dass ihm
ihre Persönlichkeit nicht als über jede Bemängelung erhaben erschien.
Tertullian lässt sie ebenfalls durch ihren rechten Glauben
sühnen, was Eva durch ihren falschen Glauben (an die Worte der
Schlange) gesündigt hat 1). Dagegen findet sich in dem nemlichen
Buche, welchem wir diese Antithese entnommen haben , folgende
Erläuterung der Erwiderung Christi auf die Unterbrechung seines
Lehrvortrags zu Kapernaum : »Wer ist meine Mutter« u. s. w.
»Die Brüder des Herrn, sagt er, glaubten nicht an ihn, wie das in
dem Evangelium, welches vor Marcion erschienen ist, enthalten ist.
Von seiner Mutter wird ebenfalls nicht bewiesen, dass
sie ihm angehangen habe, da hingegen Martha und die anderen
Marien häufig im Verkehr mit ihm gefunden werden. So erscheint
auch an dieser Stelle der Unglaube derselben (eorum). Während
') De carne Christi 17.
Lehn er, Die Marienverehrung.
10
146
er den Weg des Lebens lehrte, während er das Reich Gottes pre¬
digte, während er für Heilung von Schwächen und Schäden thätig
war, während Fremde an seinem Munde hingen, — waren die ihm
Nächststehenden entfernt. Endlich kommen sie herbei, bleiben
draussen stehen und gehen nicht herein , indem sie nemlich nicht
bedenken, was innen vorgeht ; ja sie gedulden sich nicht einmal,
als ob sie etwas Nothwendigeres brächten, als das, was jener ge¬
rade damals that, sondern sie unterbrechen ihn vielmehr und wol¬
len ihn von einem so wichtigen Werke abrufen .... Gott predigend
und erweisend, das Gesetz und die Propheten erfüllend, die Finster¬
niss einer so langen Vergangenheit zerstreuend, gebrauchte Christus
voll Unwillen diesen Ausspruch, um die Ungläubigkeit der draussen
Stehenden zu erschüttern, oder um die Rücksichtslosigkeit der vom
Werke Abrufenden zurückzuweisen .... Wenn sein Unwillen die
Verwandten verleugnet, so verleugnet er sie nicht, er schilt sie.
Die andern hält er höher, und indem er als Grund der Bevor-
zugung die Anhörung seines Wortes aufzeigt, thut er dar, unter
welcher Bedingung er Mutter und Brüder verleugnet habe. Denn
unter derselben Bedingung , unter welcher er die andern , die ihm
anhangen, acloptirt, verleugnet er jene, welche sich von ihm fern¬
hielten. Auch pflegt Christus das selber zu erfüllen, was er andere
lehrt. Wie nun, wenn er lehrte, Mutter und Brüder seien nicht so
hoch anzuschlagen, als Gottes Wort, aber selber bei der Anmeldung
seiner Mutter und Brüderschaft Gottes Wort verlassen hätte? Er
verleugnet also die Verwandten, gleichwie er gelehrt, dass man sie
um Gottes Werk verleugnen müsse. Aber sonst ist auch das Bild
der Synagoge in der getrennten Mutter und das der Juden in den
ungläubigen Brüdern dargestellt. Draussen war in jenen Israel, die
neuen Schüler aber, welche drinnen hörten, glaubten und Christus
anhingen, bezeichneten die Kirche , welche er mit Zurückweisung
des fleischlichen Geschlechtes als die vorzüglichere Mutter und würdigere
Brüderschaft einsetzte. In demselben Sinne antwortet er auch
jenem Ausrufe (der Frau aus dem Volke), indem er nicht der
Mutter Schooss und Brüste verleugnet, sondern die, welche Gottes
Wort hören, als die glückseligeren bezeichnet . . .« x)
Es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, dass Tertullian
hier unnöthiger Weise in die Breite geht. Um die Stelle zu er-
*) De carne Christi 7.
147 —
klären, hätte etwa die Bemerkung hingereicht, dass Christus, um
nach seiner eigenen Vorschrift zu handeln , die leibliche Verwandt¬
schaft dem göttlichen Berufe nachzusetzen habe. Man könnte daher
sagen, dass der schroffe, processirende Jurist im Eifer gegen Marcions
falsche Exegese, der ja aus den Worten Christi herauslas, dass dieser
gar keine Mutter gehabt habe, sich auch selbst gegen Maria vorübergehend
in Harnisch gebracht und bis zum Widerspruch mit sich selbst über¬
stürzt habe. Es ist dieses wohl auch der Fall. Allein er hätte die
Mutter Christi, wenn er auch zwischen Mutter und Brüdern unterscheidet
und den Unglauben der letzteren für erwiesen hält, während ihm für
den Glauben der erstem bloss der Beweis fehlt, unmöglich der Martha
und den andern Marien nachsetzen, er hätte in ihr nicht das Bild der
Synagoge im Gegensatz zur Kirche erblicken können, wenn ihm Maria
mehr gewesen wäre, als blosses, einmal gebrauchtes und dann weiter
nicht mehr in Betracht kommendes Werkzeug der Menschwerdung.
In einem anderen Lichte erscheint Maria bei Origen es. In
seinen Homilien zu den Anfangs-Kapiteln des Lukas windet er mit
liebevoller Hand die Worte des Evangeliums zu einem Strausse von
Tugenden, womit er die heilige Jungfrau schmückt. »Die Worte
des Engels, sagt er, ,Gegrüsset seist du Gnaden volle1, erinnere ich
mich nicht, sonst irgendwo in der Schrift gelesen zu haben ....
Für Maria allein ist dieser Gruss aufbewahrt. Denn wenn Maria
gewusst hätte, dass auch an jemand anders ein ähnliches Wort er¬
gangen sei, — sie hatte nemlich Kenntniss des Gesetzes und war
heilig und hatte die Weissagungen der Propheten durch tägliches
Nachdenken verstehen gelernt, — so hätte sie der Gruss niemals
als ein fremder erschreckt *).« Zu der Stelle Luc. I, 48: »Denn
er hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd« gibt er folgende Be¬
trachtung: »Was war das für eine Niedrigkeit Mariä, die der Herr
angesehen hat? Was hatte die Mutter des Heilandes Niedriges oder Ge¬
ringzuschätzendes an sich, sie, die den Sohn Gottes im Leibe trug? Ihre
Worte sind darum wohl so zu verstehen, als ob sie gesagt hätte: er hat
angesehen die Gerechtigkeit seiner Magd, die Mässigung, die Tapferkeit,
die Weisheit. Denn es ist würdig, dass er die Tugenden ansehe.
Es möchte jemand einwenden : ich verstehe, wie Gott die Gerechtig¬
keit und Weisheit seiner Magd ansieht, wie er aber die Niedrigkeil
ansieht, ist mir nicht klar. Wer solche Fragen stellt, der möge be-
1) Hom. in Lac. VII, Bd. III, S. 939.
148
denken, dass in der heiligen Schrift die Niedrigkeit ausdrücklich als
eine der Tugenden gepriesen wird. Denn es sagt der Heiland : Lernet
von mir, denn ich bin sanftmüthig und niedrig (demüthig) von
Herzen 4). Wenn du darum den Namen dieser Tugend vernehmen
willst, den ihr auch die Philosophen geben, so wisse, dass die Niedrig¬
keit, welche Gott anschaut, dieselbe Tugend ist, die von jenen Anmas-
sungslosigkeit oder Bescheidenheit genannt wird. Aber auch wir können
sie mit einer Umschreibung bezeichnen : wenn nemlich jemand nicht
aufgeblasen ist, oder wenn er sich selbst gering achtet .... ,Er hat die
Niedrigkeit seiner Magd angesehen1 heisst also : Gott hat mich die
Niedrige, mich die Anhängerin der Sanftmuth und Selbstgering¬
achtung angesehen 2).«
Origenes beleuchtet hier das gesammte Geistesleben der Jung¬
frau durch die Aufstellung, dass sie die heilige Schrift fleissig ge¬
lesen, täglich zum Gegenstand ihres Nachdenkens gemacht und sich
so durch die Tugendübung der Meditation über heilige Dinge gewisser-
massen auf ihren hohen Beruf vorbereitet habe. Er schmückt sie
mit allen Kardinaltugenden, preist ihre Heiligkeit und dann nament¬
lich ihre Demuth — denn diesen Begriff meint er mit seinen
Umschreibungen. Wie wir oben (S. 95) gesehen haben, betrachtet
er ferner die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens nicht bloss als
auferlegte, sondern als von ihr selbst gewollte Veranstaltung, als Opfer,
und wird hiemit, wenn auch nur in andeutender Weise, zum ersten
Verkündiger ihres später angenommenen Keuschheitsgelübdes.
Mit solchen Tugenden ausgerüstet macht er sie zum Vorbild
der christlichen Frauen. »Wie die Sünde von dem Weibe aus ihren
Anfang nahm und sofort auf den Mann überging, so nahm auch der
Anfang des Heiles 3) von den Frauen (er meint Maria und Elisabeth)
seinen Ausgang, auf dass auch die übrigen Frauen die Gebrechlichkeit
ihres Geschlechts ablegen und das Leben und die Beschäftigung dieser
heiligen Frauen nachahmen4).« Dass Elisabeth die Bolle mit Maria
theilt, thut nichts zur Sache, denn in demselben Zusammenhang
stellt Origenes das Verhältniss beider Frauen zu einander fest, wie
wir später sehen werden.
9 Malth. XI, 29.
2) Hom. in Luc. VIII, Bd. III, S. 941.
3) Das griech. Fragm. bei Combefis lautet hier: oßxiu xal xa aya&a atzb
xiLv Y^vatxuiv Yjp^axo . . .
4) T. III, p. 940.
149
Das Geistesleben Mariens hat aber einen noch höheren Flug
genommen dadurch, dass der heilige Geist auf sie herabkam.
»Mit dem heiligen Geiste, sagt Origen es , wurde Maria damals er¬
füllt, als sie anfing, den Heiland im Schoosse zu tragen. Denn
sogleich, als der heilige Geist als Bildner des Leibes Christi auf sie
herabkam, und der Sohn Gottes in ihrem Leibe zu sein begann,
wurde auch sie selber vom heiligen Geiste erfüllt *).«
Aus diesem Grunde »musste auch Maria mit dem hochwürdigen
Gottessprössling nach der göttlichen Anrede auf’s Gebirge steigen
und in höheren Regionen verweilen. Daher heisst es in der Schrift:
Maria stand auf in jenen Tagen und ging ins Gebirge. Denn da
sie nicht (geistes-) träge, sondern strebsam war, musste sie, des
heiligen Geistes voll, zu höheren Regionen geführt und von der
Kraft Gottes bedeckt werden , von der sie überschattet worden
war 1 2).« Die tropische Ausdeutung des Wortes »Gebirge« für
höhere Regionen geistigen Lebens ist ganz die Art und Weise des
Origenes.
Bei alledem betrachtet er Maria nicht als ein von vornherein
vollkommenes Wesen, ja er nimmt an, dass das volle Verständniss
der Persönlichkeit und der Mission ihres Sohnes ihr nur ganz allmälig
aufgegangen und sogar bis zum Kreuzestod desselben nicht ohne
Schwanken geblieben sei. Ihr Besuch bei Elisabeth hat unter
Anderm auch den Zweck, dass sie »fester werde im Glauben an
das, was sie vom Engel gehört hatte« 3). Zu der Stelle »wir suchten
dich mit Schmerzen« bemerkter: »Ich glaube nicht, dass sie dess-
wegen Schmerz empfunden haben, weil sie meinten, der Knabe habe
sich verirrt oder sei umgekommen; es konnte doch nicht geschehen,
dass Maria, welche wusste, dass sie vom heiligen Geiste empfangen
habe, welche die Rede des Engels gehört, den Zulauf der Hirten gesehen,
die Prophezeiung Simeons vernommen hatte, fürchtete, den sich
verirrenden Knaben zu verlieren . . . .« Sie habe wohl vielmehr daran
gedacht, dass er sie verlassen und anderswohin sich gewendet habe oder
am Ende gar »wieder zum Himmel zurückgekehrt sei, um, wenn
es ihm gefallen hätte, noch einmal herabzusteigen« u. s. w. 4) Zu
1) In Luc. hom. VII, Bd. III, S. 940.
2) Ibid. S. 939.
3) T. III, p. 980.
4) T. III, p. 955, hom. in Luc. XIX.
150
der Stelle »und sie selbst verstanden das Wort nicht, welches er
zu ihnen gesprochen hatte« (nach seiner Wiederauffindung), fügt er
erläuternd bei: »Joseph und Maria haben noch nicht den vollen
Glauben gehabt 1).« Dass aber mit dem »vollen Glauben« hier
eigentlich das »volle Verständniss« gemeint ist, geht aus der Erklärung
der bald folgenden Worte des Evangeliums: »Seine Mutter behielt
alle diese Worte in ihrem Herzen« klar hervor. Origenes sagt
nemlich hiezu : »Sie ahnte darin etwas Höheres als Menschliches,
daher sie auch alle seine Worte in ihrem Herzen bewahrte, nicht
als Reden eines zwölfjährigen Knaben, sondern als Reden desjenigen,
welcher vom heiligen Geiste empfangen war , welchen sie an Weis¬
heit und Gnade vor Gott und Menschen wachsen sah 2).« Dieses
ahnungsvolle Schwanken zwischen »vollem Glauben« und menschlich
befangenem Zagen verlässt Maria bei Origenes, wie gesagt, bis zum
Tode ihres Sohnes nicht ganz. Rei der Darstellung des Kindes im
Tempel findet er in dem prophetischen Worte Simeons folgenden
Sinn: »Was ist nun diess für ein Schwert, fragt er, welches nicht
allein durch das Herz der andern, sondern auch durch Marias Herz
gehen wird? Es steht deutlich geschrieben, dass zur Zeit seines
Leidens alle Apostel an ihm irre geworden sind, da der Herr selbst
sagt : Ihr alle werdet euch in dieser Nacht ärgern 3). Sie haben
sich also allesammt an ihm geärgert , so dass selbst Petrus , der
Fürst der Apostel, ihn zum dritten Male verleugnet hat. Wie nun?
Können wir annehmen, dass, wenn die Apostel sich geärgert haben,
die Mutter des Herrn von Aergerniss freigeblieben sei? Wenn sie
beim Leiden des Herrn nicht an ihm irre geworden ist, so ist Jesus
nicht für ihre Sünden gestorben. Wenn aber alle gesündigt haben
und der Herrlichkeit des Herrn bedürfen , um durch seine Gnade
gerechtfertigt und erkauft zu werden , so ist auch Maria schlechter¬
dings zu jener Zeit an ihm irre geworden. Und diess ist es, was
Simeon prophezeit. Auch deine Seele, meint er, die du weisst, dass
du als Jungfrau ohne Mann geboren, die du von Gabriel gehört
hast: ,Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des
Höchsten wird dich überschatten,4 auch deine Seele wird das Schwert
der Ungläubigkeit durchdringen, von der Spitze des Zweifels wirst
x) Ibid. XX.
2) Ibid.
3) Matth. XXYI, 31.
151
du getroffen werden und deine Gedanken werden dich hin und her
zerren, wenn du siehst, wie jener, den du Sohn Gottes nennen
hörtest, den du ohne Mannes Samen gezeugt wusstest, gekreuzigt
wird und stirbt, menschlicher Qual unterworfen ist und zuletzt
jammervoll klagt und spricht: Vater, wenn es möglich ist, so gehe
dieser Kelch an mir vorüber *).«
Sagt nun auch Origenes hier offenbar selber, dass seine Exegese
der Worte Simeons eine unfreie und unter dem Banne der dogma¬
tischen Voraussetzung entstanden sei, dass alle Menschen (also auch
Maria) gesündigt haben müssen, weil Christus für die Sünden aller
Menschen gestorben sei , so bleibt seine Anschauung nichts desto
weniger stehen. Maria hat einmal gewankt, ihr Glaube, ihre Ein¬
sicht in das Wesen und den Beruf ihres Sohnes hat, trotz ihrer
Begnadigung, unter dem Kreuze Schiffbruch gelitten und sie theilt
diese Erfahrung mit den Aposteln.
Nachdem aber ihr Sohn vollendet, vollendet sich auch ihr Ver-
ständniss seines Wesens, und ihrer Führung verdankt zum Theil
wenigstens ihr Adoptivsohn Johannes die tiefere Erkenntniss, welche
in seinem Evangelium zu Tage tritt. Diess lässt sich dem Com-
mentar des Origenes zum Johannesevangelium entnehmen, wo er
sagt: »Wagen wir also die Behauptung, die vornehmste aller heiligen
Schriften sei das Evangelium, das vornehmste von den Evangelien
aber sei das des Johannes, dessen Sinn Niemand fassen kann, wer
nicht an der Brust Jesu gelegen, oder von Jesus Maria em¬
pfangen hat, damit sie auch seine Mutter werde* 2).«
Diese Anschauung des Origenes von den hohen geistigen und
sittlichen Vorzügen Mariens, aber auch von ihrem nur allmäligen
und nicht ohne Irrthum sich vollziehenden Fortschreiten auf dem
Wege zur Vollkommenheit, scheint nun für das dritte und den grössten
Theil des vierten Jahrhunderts als die herrschende angenommen
werden zu dürfen. Dass seine Deutung des »Schwertes« Niemand auf¬
fiel, geht daraus hervor, dass seine späteren Gegner, welche ihn
mehrerer Irrthümer beschuldigten, dieselbe ihm nicht zum Vorwurf
machten, ja, dass unter den auf der konstantinopolitanischen Synode
a. 543 gegen ihn erlassenen fünfzehn Anathematismen sich nichts
hievon findet 3).
3 Hom. in Luc. XVII, Bd. III, S. 952.
2) Bd. IV, p. 6.
3) Hefele, Gonciliengesch. II, S. 768 ff. Später wurde es getadelt.
152
Er hat aber auch noch an mehreren Vätern des vierten Jahr¬
hunderts Genossen seiner Auffassung. Basilius z. B. erklärt die
Stelle ebenso: »Es wird auch in deiner Seele ein Schwanken ent¬
stehen. Denn der Herr musste für Alle den Tod kosten und der
Erlöser der Welt musste Alle rechtfertigen in seinem Blute. Auch
dich also, die du von oben über die Verhältnisse des Herrn unter¬
richtet worden warst, wird ein Zweifel ergreifen. Diess ist das
Schwert 1).« Aehnlich äussern sich Titus, Bischof von Bostra, Am-
philochius, Bischof von Ikonium 2), Chrysostomus 3), Cyrillus 4) u. s. w.
Chrysostomus insbesondere gefällt sich in der nachdrücklichen Be¬
tonung des ächt Menschlichen ihres Wesens. Wie wir oben (S. 90)
gesehen haben, sagt er: der Jungfrau sei bei der Verkündigungs¬
scene etwas Menschliches begegnet mit der Frage: »wie wird diess
geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« In demselben Zusammen¬
hang wirft er sich selbst die Frage auf, warum der Engel nicht erst,
nachdem Maria schon schwanger gewesen , ihr die frohe Botschaft
gebracht habe, und gibt die Antwort: »Damit sie nicht in grosse
Bestürzung und Verwirrung gerathe. Denn wahrscheinlich hätte sie,
wenn sie das Richtige nicht gewusst hätte, etwas Unziemliches über
sich beschlossen und wäre auf Strick und Schwert verfallen, indem
sie die Schande nicht ertragen hätte. Denn bewundernswerth war
die Jungfrau und Lukas zeigt ihre Tugend, indem er sagt, dass sie
nach Vernehmung des Grusses nicht sogleich sich hingegeben und
den Spruch angenommen habe. Sie erschrack vielmehr und unter¬
suchte, von wannen der Gruss komme. Da sie nun so gar genau
war, hätte sie vielleicht wohl der Verzagtheit Raum gegeben, wenn
sie an die Schande dachte und Niemanden, soviel sie auch hätte
sagen mögen, zu überzeugen hoffte, dass ihr Zustand nicht Folge
von Ehebruch sei. Damit also diess nicht geschehe, kam der Engel
vor der Empfängniss. Denn es musste ja von aller Bestürzung frei
sein jener Mutterleib, in den der Schöpfer der Welt einging, es
musste vor aller Verwirrung bewahrt bleiben die Seele, welche
Dienerin werden sollte von solchen Geheimnissen 5).«
9 Epist. 259.
2) Orat. 3 de occursu Dom. Die Aechtheit dieser Rede ist jedoch bezweifelt.
3) In Psalm 13.
4) In Joann.
5) Hom. IV, in Matth, ed. Montf. T. VII, S. 54.
153
Findet also auch Chrysostomus den Glauben Mariens nicht durch¬
aus so fest, dass nicht auch hin und wieder ein Zweifel ihn er¬
schüttert hätte, hält er sie bei aller sittlichen Höhe, auf welcher sie
als »Dienerin solcher Geheimnisse« stehen musste, gar eines Selbst¬
mordes für fähig, um der Schande zu entgehen, so tadelt er ferner bei
dem Vorfall zu Kapernaum ihre mütterliche Eitelkeit und Ueberhebung.
Christus, sagt er, habe dort nicht die Gegenfrage: »Wer ist mir
Mutter u. s. w.« gestellt, »weil er sich seiner Mutter schämte, sondern
um zu zeigen, dass ihr auch die Mutterwürde nichts nützen würde,
wenn sie nicht alle Pflichten erfüllte. Denn das, was sie unternahm,
war unnütze Prunksucht. Sie wollte nemlich dem Volke zeigen,
dass sie über ihren Sohn Macht habe und ihm befehlen könne, indem
sie sich nicht viel aus ihm mache. Daher kam sie auch zur Unzeit
herbei. Schaut nun ihren und der Brüder Unverstand! Sie hätten
hineingehen und mit dem Volke zuhören sollen, oder wenn sie das
nicht wollten, mussten sie abwarten, bis er seinen Vortrag beendet
hatte, und dann herbeikommen. Sie aber rufen ihn heraus und thun
diess in Gegenwart Aller mit unnützer Prahlerei, indem sie zeigen
wollten , dass sie ihm ohne Umstände befehlen. Diesen Vorwurf
macht ihnen auch der Evangelist oder deutet ihn wenigstens an mit
den Worten , während er zu den Völkern sprach4, gleich als wenn
er sagte: gab es denn keine andere Zeit? konnte man nicht etwa
zu Hause mit ihm sprechen?« x)
Wenn man nun auch in Anschlag bringt, dass obige Aeusserungen
des Chrysostomus aus Predigten stammen , welche vorzugsweise
praktische Zwecke verfolgten, wenn man auch weiss, dass die alt¬
christlichen Prediger so gut als die späteren dem augenblicklichen
Effekt oft kühne exegetische Concessionen machten, — es kann doch
Niemanden entgehen, dass auch für Chrysostomus Maria keineswegs
schon ein intellektuell-moralisches Ideal ist.
Andere Kirchenväter des vierten Jahrhunderts sprechen wieder,
wie die ältesten, von einzelnen Tugenden der Jungfrau. So rühmt
Zeno von Verona den Glauben (s. oben S. 126), der syrische
Bischof Aphraates (um 340) die Tugendübungen des Fastens und
Betens bei Maria. »Jener (Gabriel) brachte auch das Gebet Marias
vor Gott und verkündigte ihr die Geburt Christi. Denn er sprach
0 Hom. 44 in Matth. T. VII, p. 467. Hiezu macht Montfaucon die Be¬
merkung: Bona verba, Chrysostome!
154
zu ihr: Du hast Gnade gefunden bei Gott. Wodurch anders aber
hat Maria Gnade gefunden als durch Fasten und Gebet? Denn
Gabriel nimmt die reinen Gebete in Empfang und bringt sie vor
Gott1).« An einem andern Orte preist er ihre Demuth. »Wegen
ihrer Demuth empfing Maria jenen (Christus) 2).«
Der Pabst Liberius (352 — 366) findet bei ihr die von ihm so
hoch gestellte »Tugend des Schweigens« in den Worten der Schrift:
sie bewahrte Alles in ihrem Herzen 3).
Epiphanius bringt, wie wir oben gesehen haben (S. 34), die
alte Antithese des Gehorsams Mariens und des Ungehorsams der
Eva, er nennt Maria die »Anfängerin der Jungfräulichkeit« (S. 99),
er heisst sie »gerecht« (S. 100); er bewundert ferner bei der Frage
Mariens: »wie wird jenes geschehen, da ich keinen Mann erkenne«
ihre »Geistesgegenwart, Sicherheit, ihren Verstand« 4); er erklärt im
Unterschiede von seinem Zeitgenossen Chrysostomus: Christus habe
mit den Worten »wer ist meine Mutter u. s. w.« »demjenigen,
der die Verwandten a n kün d i gte, die ungelegene Unterbrechung
seiner heiligen Berufsthätigkeit verwiesen« 5), bei welcher Exegese eine
Korrektur der Mutter unmöglich ist, da nicht sie die Unterbrechung
verschuldet. Epiphanius hält sich hier offenbar nur an die Version
des Lukas 6).
In einer merkwürdigen Stelle wird Maria als Beispiel einer Aus¬
nahme von der allgemeinen Sündhaftigkeit aufgeführt. Epiphanius
bestreitet nemlich gegen Marcion, dass das Fleisch an sich böse sei.
Letzteres gehe auch nicht aus der Stelle des Korintherbriefes: »Fleisch
und Blut werden das Reich Gottes nicht besitzen« 7) hervor. »Denn
(der Apostel) meint hiemit nicht alles Fleisch. Wie könnte denn das
Fleisch gemeint sein, welches die oben aufgeführten Sünden (Buhlerei,
Unreinigkeit, Schwelgerei, Abgötterei, Giftmischerei u. s. w.) nicht
begangen hat? Hiefür gibt es auch noch andere Beweise. ,Wer
wird die Auserwählten Gottes anklagen4, sagt der Apostel8). Wie
0 Sermo III, de jejunio, c. 10. (Uebers. v. Bickell).
2) Sermo IX, de humilitate, cap. 4.
3) Liberii oratio Marcellinam, Ambrosii sororem, consecrantis XI.
4) Haeres. LI, 5.
5) Haer. XLII, p. 326, ed. Pet.
6) Luc. VIII, 19—21.
7) I. Cor. XV, 50.
8) Rom. VIII, 33.
155
sollte die heilige Maria nicht sammt dem Fleische das Himmelreich
erben, sie, die weder der Unzucht, noch der Schwelgerei, noch des
Ehebruchs, noch der übrigen verderblichen Fleischeswerke sich schuldig
gemacht hat, sondern unbefleckt verblieben ist? Der Apostel sagt
also nicht von dem Fleisch (im Allgemeinen), dass es das Himmelreich
nicht erben werde , sondern er sagt diess von den fleischlichen
Menschen , welche durch das Fleisch das Böse thun , als da ist
Buhlerei, Götzendienst und Aehnliches *).«
Der Kirchenvater spricht hier allerdings nur von recht groben
Sünden, aber dass ihm als einzige Ausnahme hiebei bloss Maria
einfällt, ist doch ein Beweis für ihre hohe sittliche Stellung in seiner
Ueberzeugung.
Uebrigens findet sich die Ausnahme Mariens von der allgemeinen
Sündhaftigkeit nicht bei ihm zuerst, noch viel weniger allein. Sein
älterer Zeitgenosse Gregor von Nazianz z. B. sagt, »dass die Jung¬
frau sowohl in Bezug auf die Seele als den Körper zum voraus vom
heiligen Geiste gereinigt gewesen sei« * 2). Der erste aber, der von
der Sündenlosigkeit Mariens spricht, ist wohl der h. Ephräm, der
Syrer, der etwa ums Jahr 370 ausruft: »Du, o Herr, und deine
Mutter, ihr seid die einzigen, welche in jeder Beziehung vollkommen
heilig (schön) sind; denn in dir, o Herr, ist kein Flecken und an
deiner Mutter keine Makel 3).« An einem andern Orte nennt er Maria
so unschuldig, wie Eva vor dem Sündenfall 4). Neben der sittlichen
Höhe preist er auch ihre geistige Ueberlegenheit, rühmt ihre Klug¬
heit gegenüber von Evas Thorheit 5) und heisst sie das reine, helle,
rechte Auge der Welt, während Eva das blinde, linke Auge vor¬
stelle6). Schliesslich apostrophirt er Christus mit den Worten: »Auf
jede Weise hast du sie (Maria) ausgeschmückt, o du Zierde deiner
Mutter7)«, und idealisirt hiemit ihr intellektuell-moralisches Wesen,
wenn auch nur kurz andeutend.
Werfen wir einen Rückblick auf das Bisherige, so macht es den
h Haer. 42, p. 352. Pet.
2) Oratio in Christi nativ. Opp. ed. Morell, Paris 1630, Tom. I, pag. 620.
Vgl. pag. 682.
3) Carm. Nisib. 27, 8, ed. Bickell pag. 122, 123.
4) Tom. II, syr. p. 327, a.
5) Ibid. p. 327.
fi) lbid. p. 329.
7) Ibid. p. 423 f.
156
Eindruck einer Sammlung -verschiedenfarbiger, auch dunkler, Mosaik¬
stifte, die theils in einem gegebenen allgemeinen Umriss vereinigt
werden können, theils aber auch schon für bestimmte Partieen des
Bildes zusammengeordnet sind. Ein volles, nach allen Seiten hin
ausgearbeitetes Ganzes ist noch nicht vorhanden. Diess in rela¬
tiver Vollendung darzustellen, ist dem grossen abendländischen
Zeitgenossen der zuletzt aufgeführten Zeugen, dem heiligen Ambrosius
Vorbehalten.
Ambrosius sammelte die Elemente zu dem Bilde, welches er
von Maria aufstellt, ohne Frage durch liebevolles Sichversenken und
Vertiefen in die wenigen biblischen Stellen, welche von Maria handeln.
Darum geben wir zuerst die betreffenden Bemerkungen aus seiner
etwa aus den Jahren 386—387 stammenden »Auslegung des Lukas¬
evangeliums« *), ehe wir den Abschnitt aus seinem »Buch über die
Jungfrauen« mittheilen, welcher eine zusammenhängende Charakteristik
enthält, obwohl das letztere Buch schon im Jahre 377 geschrieben ist.
Ambrosius liest die Stelle Luk. I, 28, 29 so: »Und der Engel
kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüsst seist du Gnadenvolle, der
Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern. Da sie aber
ihn sah, wurde sie erschüttert bei seinem Eintritt.« Die
unterstrichene Partie, welche sich von der gewöhnlichen Leseart des
griechischen und lateinischen Textes unterscheidet, musste hervor¬
gehoben werden, weil Ambrosius eben auf diese Worte mehrfach
Bezug nimmt.
Er knüpft also hieran das Folgende:
»Erkenne die Jungfrau an ihrem Charakter , erkenne sie an
ihrer Sittsamkeit . . . . Es ist Jungfrauenart, bei jedem Eintritt
eines Mannes zu zittern und zu beben , bei jeder Anrede eines
Mannes zu erschrecken. Die Frauen mögen lernen, den Vorsatz der
Keuschheit nachzuahmen. Sie war allein in ihrem Gemache, damit
sie kein Mann sehen und nur der Engel finden konnte; allein, ohne
Gesellschaft, ohne Zeugen , um von keiner unwürdigen Ansprache
herabgesetzt zu werden, wird sie vom Engel begrüsst. Lerne,
o Jungfrau, ausgelassene Reden zu meiden; Maria erschrak auch
vor dem Grusse eines Engels. ,Doch dachte sie darüber nach, was
das für ein Gruss sei‘ — mit Scheu, weil sie erschrak, mit Klug¬
heit, weil sie sich über die neue Segensformel wunderte, die vorher
9 Expos, in Luc, lib. II.
157
nirgends gelesen, nirgends zur Kenntniss gekommen ist. Für Maria
allein ward dieser Gruss aufbewahrt. Mit Recht wird sie allein
gnadenvoll genannt, da sie allein eine Gnade erlangt hat, welche
keine andere verdient hatte, dadurch, dass sie mit dem Urheber der
Gnade erfüllt wurde« ....
,Es sprach aber Maria zum Engel: Wie wird dieses geschehen,
da ich keinen Mann erkannt habe?1
»Es scheint hier Maria ungläubig gewesen zu sein, wenn man
nicht sorgfältig die Sache überlegt; denn es wäre gegen alle Ordnung,
dass diejenige , welche auserwählt war , den eingeborenen Sohn
Gottes zu gebären , ungläubig gewesen zu sein schiene. Wie aber
hätte es geschehen können . . . . , dass Zacharias , welcher nicht ge¬
glaubt hatte, zum Schweigen verurtheilt, Maria aber, wenn sie nicht
geglaubt hätte, durch Eingiessung des heiligen Geistes erhöht wurde !
Aber Maria durfte weder nicht glauben , noch so blindlings sich
aneignen — nicht glauben dem Engel, sich aneignen das Göttliche.
Denn es war nicht leicht, das von Ewigkeit in Gott verborgene Ge-
heimniss zu wissen, welches nicht einmal die höheren Mächte wissen
konnten. Und doch verweigerte sie den Glauben nicht, lehnte die
Pflicht nicht ab, sondern sie stellte sich zur Verfügung und sagte
Gehorsam zu. Denn wenn sie sagt »wie wird dieses geschehen«,
so zweifelt sie nicht an der Ausführung, sondern fragt nach der
Art der Ausführung.
»Um wie viel gemässigter ist diese Antwort , als es die Worte
des Priesters sind! Diese sagt: ,wie wird das geschehen1, jener
antwortet : , woher soll ich das wissen Diese verhandelt schon über
die Angelegenheit, jener bezweifelt noch die Nachricht. Jener verneint
es zu glauben, indem er es zu wissen verneint, und sucht gleichsam
noch einen andern Gewährsmann des Glaubens; diese erklärt es
thun zu wollen und zweifelt nicht, dass das gethan werden müsse,
nach dessen Ausführungsart sie sich erkundigt. Denn so steht ge¬
schrieben: ,Wie wird dieses geschehen, da ich keinen Mann er¬
kenne Die unglaubliche und unerhörte Zeugungsweise musste vor¬
her gehört werden, um geglaubt zu werden. Dass eine Jungfrau
gebiert , ist Zeichen eines göttlichen , nicht eines menschlichen Ge¬
heimnisses. Es heisst: ,Nimm dir zum Zeichen: siehe, eine Jungfrau
wird empfangen und einen Sohn gebären.4 Maria hatte das gelesen,
daher glaubte sie, dass es geschehen werde; aber wie es geschehen
würde, hatte sie vorher nicht gelesen, denn wie es geschehen würde
158
war selbst einem so grossen Propheten nicht geoffenbart. Denn das
Geheimniss eines so hohen Auftrags war nicht aus eines Menschen,
sondern nur aus Engels Munde zu vernehmen. Heute wird zum
ersten Male gehört : der heilige Geist wird über dich kommen. Es
wird gehört und geglaubt. Siehe, sprach sie, ich bin eine Magd
des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte.
»Schau ihre Demuth, schau ihre Gottergebenheit. Sie nennt
sich eine Magd des Herrn, welche zur Mutter erwählt wTird, und
wird nicht durch die plötzliche Verheissung übermüthig. Indem sie
eine Magd sich nennt, macht sie keinen Anspruch auf den Vorrang
einer solchen Gnade, da sie thut, was ihr befohlen wird. Denn sie,
die den Sanftmüthigen und Demüthigen gebären sollte, musste selbst
auch die Demuth zur Schau tragen. , Siehe ich bin eine Magd des
Herrn, mir geschehe nach deinem Worte.1 Hier hast du die Hin¬
gebung, hier siehst du das Gelöbniss. Denn die Worte , siehe ich
bin eine Magd des Herrn4 sind die Zurüstung zum Berufe, die
Worte ,mir geschehe nach deinem Wort4 sind die Weihe des Ge¬
löbnisses.
»Wie schnell also hat Maria auch die ungleichartige Empfängniss
geglaubt! Denn was ist so ungleichartig, als der heilige Geist und
ein Körper? Was so unerhört, als eine schwangere Jungfrau, wider
das Gesetz, wider die Gewohnheit, wider die Keuschheit, die doch
einer Jungfrau am meisten am Herzen liegt? .... Maria also scheint
mit ihrer Frage nicht an der Thatsache gezweifelt, sondern nach
der Art und Weise der Thatsache geforscht zu haben ....
»Und mit Recht fragte sie, wie es geschehen solle, denn sie
hatte gelesen, dass eine Jungfrau Mutter werden solle, aber sie
hatte nicht gelesen, wie sie Mutter werden solle. Sie hatte, wie
gesagt, gelesen: , siehe eine Jungfrau wird empfangen;4 wie aber die
Jungfrau empfangen werde, hat zuerst der Engel im Evangelium
verkündigt.«
Die Heimsuchung der Elisabeth erklärt Ambrosius theils tropisch,
wie Origenes, theils entwickelt er aus der dieselbe erzählenden Stelle
weitere Tugenden der heiligen Jungfrau.
»Nachdem Maria (die Schwangerschaft der Elisabeth) vernom¬
men hatte, eilte sie ins Gebirge, nicht ungläubig gegenüber der
Offenbarung, nicht unsicher über die Verkündigung , nicht zweifelnd
über das Beispiel (der Elisabeth) ; sondern froh in ihrem Gelöbniss,
andachtsvoll in ihrer Hingebung, eilig in ihrer Freude. Wohin
159
hätte denn die Gotterfüllte eilen sollen, als in höhere Regionen?
Die Gnade des heiligen Geistes kennt kein Säumniss.
»Lernet denn auch ihr, heilige Frauen, hieraus die Dienstbe¬
flissenheit, die ihr den schwangeren Verwandten schuldig seid. Maria,
die vorher allein in ihren Gemächern verweilte , liess sich von der
öffentlichen Strasse nicht durch die jungfräuliche Scheu, von ihrem
Eifer nicht durch die Rauhheit des Gebirges, von der Pflicht nicht
durch die Länge des Weges abhalten ....
»Lernet hieraus, ihr Jungfrauen, nicht herumlaufen in fremden
Häusern, nicht verweilen auf den Strassen , nicht plaudern auf
öffentlichen Plätzen. Maria, zu Hause voll Ernst, auf öffentlicher
Strasse voll Eile , blieb bei ihrer Verwandten drei Monate. Sie
war zu pflichtgemässer Pflege gekommen und verharrte in der
Pflicht. Sie blieb drei Monate, nicht weil das fremde Haus sie ver¬
gnügte, sondern weil sie nicht häufiger auf öffentlicher Strasse
gesehen werden wollte.
»Ihr habt die Züchtigkeit Mariens kennen gelernt, o Jungfrauen;
lernet nun auch ihre Demuth kennen. Die Verwandte kam zu der
nächst Verwandten, die jüngere zu der älteren, sie kam nicht nur,
sondern sie grüsste auch zuerst; denn eine Jungfrau soll, je züchtiger
sie ist, auch um so demüthiger sein. Sie muss die älteren zu ehren
wissen .... Die Vornehmere kommt zu der Niedrigeren, um der
Niedrigeren beizustehen. Maria kommt zu Elisabeth, wie Christus
zu Johannes.« — In den Worten der Elisabeth: »selig bist du, die
du geglaubt hast« sieht Ambrosius einen weiteren Reweis, dass
»Maria nicht gezweifelt, sondern geglaubt und desswegen die Frucht
ihres Glaubens empfangen habe«.
Zu dem »Magnifikat« bemerkt er: »Es lobpreiset die Seele
Mariens den Herrn und es frohlocket ihr Geist in Gott, darum weil
sie mit Seele und Geist dem Vater und dem Sohne sich aufopfernd,
den einen Gott, aus welchem Alles, und den einen Herrn, durch
welchen Alles erschaffen ist, mit frommer Liebe verehrt.«
An die Stelle »Maria behielt alle diese Worte (der Hirten) und
überlegte sie in ihrem Herzen« knüpft Ambrosius die Betrachtung:
»Lasst uns in Allem die Keuschheit der heiligen Jungfrau erkennen,
welche mit der Rede ebenso schamhaft als mit dem Leibe, die
Beweise des Glaubens im Herzen überlegte. Wenn Maria von den
Hirtent lernt, warum vermeidest du, von den Priestern zu lernen.
Wenn Maria vor der apostolischen Lehre schweigt, warum willst
160
du nach der apostolischen Lehre mehr lehren als lernen? . . . .
Und Maria empfing- nicht eine Lehre, sie gab ein Beispiel.«
Bei Simeons Schwert denkt er nicht an Glaubensschwäche oder
Zweifel. »Weder die Schrift, sagt er, noch die Geschichte lehrt,
dass Maria aus diesem Leben durch einen gewaltsamen Tod ge¬
schieden sei ; denn nicht die Seele , sondern der Körper wird durch
das Schwert durchbohrt. Und daher zeigt (Simeon) die Einsicht
Mariens, welche des himmlischen Geheimnisses nicht unkundig war.
,Denn lebendig ist das Wort Gottes und wirksam und schärfer als
jedes zweischneidige Schwert, und dringet durch, bis dass es Seele
und Geist, auch Mark und Bein scheidet, und ist ein Bichter der
Gedanken und Gesinnungen des Herzens ^ — weil Alles in den
Geistern nackt und offen daliegt vor dem Gottessohne, dem die
Geheimnisse des Gewissens nicht entgehen.« Ambrosius gewinnt
also der vielbesprochenen Stelle durch Herbeiziehung eines Verses
aus dem Hebräerbrief nicht einen Tadel für Maria ab, sondern
vielmehr das Lob ihres Verstandes.
Wie Ambrosius die Erwiderung Christi bei der Unterbrechung
seiner Predigt zu Kapernaum auslegte , ist schon oben gezeigt
(S. 50). Hier ist nur noch beizufügen , dass er an einem andern
Orte nochmals darauf zurückkommt und bemerkt, Christus habe jene
Worte: wer ist meine Mutter u. s. w. gebraucht, »weil er nicht ge¬
kommen war, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder« * 2).
Die Auslassungen des Ambrosius über das Verhalten Mariens
unter dem Kreuze sind ebenfalls oben (S. 114 ff.) schon mitge-
theilt zum Beweise ihrer bräutlich gebliebenen Ehe. Darum braucht
nur darauf hingewiesen zu werden, wie er die Jungfräulichkeit ihres
Herzens, ihre höhere Erkenntniss der Mission ihres Sohnes, ihre
Glaubenskraft, ihre Aufopferungswilligkeit, ihre Furchtlosigkeit im
Vergleich mit den Aposteln und ihre mütterliche Liebe auch dort
hervorhebt. Für letztere Tugend ist ihm Maria ebenfalls ein
Musterbild, von welchem die Mütter die Selbstaufopferung bei Ge¬
fahren ihrer Kinder lernen sollen 3).
Einzelne Resultate seiner Exegese führt Ambrosius auch in
seinen übrigen Schriften auf, um verschiedene Tugenden Mariens zu
‘) Hebr. IV, 12.
2) Expos. Ev. Luc. lib. X, 131.
3) »Magisterium pietatis« Expos, in Luc. lib. X, 132.
161
beleuchten x); doch da er dabei nichts wesentlich Neues bringt, so
genügt es, diess einfach erwähnt zu haben zum Beweise, wie gerne
er sich mit dem Gegenstände beschäftigte.
Nur eine Bemerkung aus seiner ausführlichen Erklärung des
langen 118. Psalmes ist noch auszuheben. Er nennt dort ganz
im Vorbeigehen Maria »die unversehrte Jungfrau, die Jungfrau,
welche durch die Gnade von jeder Makel der Sünde frei
ist« * 2), und schliesst sich hiemit den Anschauungen des Epiphanius,
Gregor von Nazianz und Ephram (S. 155) von der Ausnahme
Mariens von der Sünde an.
Auf Grund dieser, an die betreffenden Bibelstellen geknüpften,
Betrachtungen gibt nun Ambrosius, wie oben gesagt, eine Charakte¬
ristik des innern Wesens Marias in seinem Buch über die Jung¬
frauen, d. h. er trägt alle die Eigenschaften und Tugenden, mit
welchen er seine Zuhörerinnen und Leserinnen ausgestattet sehen
möchte, auf den Namen Mariens zusammen.
»Ein Bild der Jungfräulichkeit sei euch das Leben Mariens, von
welchem wie von einem Spiegel der Glanz der Keuschheit und die
Schönheit der Tugend zurückstrahlt. Hier mögt ihr Beispiele des
Lebens holen, wo die Grundsätze der Tugend, gleichsam in einem
Musterbild ausgeprägt, euch zeigen, was ihr bessern, was ihr meiden,
was ihr behalten sollet.
»Den besten Lerneifer gibt der Adel des Lehrers. Was ist edler
als die Mutter Gottes? was glänzender als diejenige, welche der
Glanz selbst erwählt hat? was ist keuscher als die, welche einen
Körper ohne körperliche Berührung geboren hat? Denn was soll
ich von ihren übrigen Tugenden sagen? Jungfrau war sie, nicht
bloss körperlich, sondern auch im Gemüthe, da sie nicht mit trügerischen
Ränken die reine Empfindung schändete; sie war demtithigen Herzens,
ernst von Worten, klugen Geistes, sparsam im Reden, fleissig im
Lesen ; sie setzte nicht auf die Unzuverlässigkeit des Reichthums,
sondern auf das Gebet der Armen ihre Hoffnung; sie war eifrig bei
der Arbeit, sittsam im Gespräch, gewohnt, nicht einen Menschen,
sondern Gott zum Zeugen (Richter) ihrer Gedanken zu wählen; sie
verletzte Niemand, wollte Allen wohl, war ehrerbietig gegen Aeltere,
b Z. B. Epist. 49, 2 (Ueber die Einsamkeit); Exbort, virgin. G. X, 71; De
offic. ministr. I, e. 18 u. 69 etc.
2) Beim letzten Vers des Ps.
Lehn er, Die Marien Verehrung.
11
nicht missgünstig gegen die Gespielen , sie mied das Prahlen , folgte
der Vernunft, liebte die Tugend. Wann hat sie auch nur mit einem
Blicke den Eltern wehe gethan? wann hat sie sich mit den Ver¬
wandten entzweit? wann hat sie sich eines Niederen geschämt?
wann hat sie einen Gebrechlichen verlacht? wann hat sie einem
Dürftigen sich entzogen , die nur solche Männerkreise zu besuchen
pflegte, welche die Barmherzigkeit nicht zu scheuen und das Zart¬
gefühl nicht zu meiden brauchte? Nichts Freches war in ihren Augen,
nichts Zudringliches in ihren Worten, nichts Schamloses in ihren
Geberden. Ihre Haltung war nicht weichlich, ihr Gang nicht aus¬
gelassen, ihre Stimme nicht leichtfertig, so dass das Aeussere ihres
Körpers ein Abbild ihrer Seele, ein Bild der Tugend war ....
»Was soll ich von der Spärlichkeit der Speisen, von der Ueber-
fülle der Andachtsübungen erzählen! Letztere überstiegen die natür¬
liche Kraft, erstere genügten kaum dem natürlichen Bedürfniss; dort
wurde keine Zeit versäumt, hier die Tage durch Fasten verdoppelt.
Wenn das Verlangen nach Erquickung eintrat, diente das Essen nur
zur Abhaltung des Todes, nicht zum Genüsse. Zum Schlafen kam
die Lust erst mit der Noth Wendigkeit, und während der Körper
ruhte, wachte doch die Seele; diese wiederholte häufig im Traume
die Lektüre oder setzte sie bei unterbrochenem Schlafe fort, oder
führte einen Vorsatz aus oder fasste einen neuen.
»Das Haus verliess sie nur, um in die Kirche zu gehen und
auch das nur in Begleitung ihrer Eltern oder Verwandten. Zu Hause
in einsamer Thätigkeit, ausser dem Hause in guter Begleitung, hatte
sie jedoch keinen besseren Wächter als sich selbst; in Gang und
Ansprache verehrungs würdig, erhob sie sich mit jedem Schritte zu
einer höheren Stufe der Tugend. Jedoch eine Jungfrau mag andere
als Wächter ihres Körpers haben, ihre Sitten wächterin aber muss
sie selber sein. Mehrere werden sein, von denen sie lernen kann,
wenn sie selbst sich lehrt, sie, die die Tugenden zu Lehrerinnen
hat, denn Alles, was sie thut, ist Unterweisung. So gab Maria auf
Alles Acht, als ob sie von Mehreren erinnert würde; so erfüllte sie
alle Pflichten der Tugend, so dass sie nicht so fast lernte als lehrte.
»So beschaffen hat Maria der Evangelist gezeigt, so beschaffen
hat sie der Engel erfunden, so beschaffen hat sie der heilige Geist
erwählt. Was soll ich bei Einzelheiten verweilen, wie dass die Eltern
sie geliebt, dass die Fremden sie gepriesen haben, sie, die würdig
war, den Sohn Gottes zu gebären? Sie befand sich beim Eintritt des
163
Engels selbst zu Hause in ihrem Gemache ohne Gesellschaft, damit
Niemand ihre gespannte Aufmerksamkeit störe und unterbreche;
denn sie begehrte keine Frauen zu Gesellschafterinnen, da sie gute
Gedanken zu Gesellschaftern hatte. Ja sie kam sich am wenigsten
allein vor, wenn sie allein war. Denn wie sollte sie allein gewesen
sein, da so viele Bücher bei ihr waren, so viele Erzengel, so viele
Propheten ?
»Kurz, Gabriel fand sie da, wo er sie zu besuchen gewohnt war.
Vor dem Engel bebte Maria anfänglich zurück, weil sie ihn für einen
Mann hielt; nachdem sie aber seinen Namen gehört hatte, behandelte
sie ihn als Bekannten. So war sie fremd mit dem Manlie, aber
nicht fremd mit dem Engel; da sieht man die scheuen Ohren, die
züchtigen Augen. Nach dem Grusse verstummt sie, auf die Anrede
antwortet sie; zuerst war ihr Gemüth verwirrt, nachher verspricht
sie Gehorsam.
»Wie zart sie gegen die Verwandten war, zeigt die heilige Schrift.
Denn sie wurde nicht nur demüthiger, als sie sich von Gott aus¬
erwählt sah, sondern sie eilte auch sofort zu ihrer Verwandten ins
Gebirge, gewiss nicht um erst dem Beispiel zu glauben, da sie be¬
reits der Offenbarung geglaubt hatte; ,denn glückselig bist du, heisst
es, dass du geglaubt hast.4 Und drei Monate blieb sie bei ihr. In
so langer Zeit wird nicht der Glaube gesucht, sondern die Liebe
bethätigt ....
»Als so viele Zeichen sich folgten, als die Unfruchtbare gebar,
die Jungfrau empfing, der Stumme sprach, der Magier anbetete,
Simeon (das Heil) erwartete, die Sterne (es) verkündeten, bewahrte
Maria .... alles diess in ihrem Herzen. Obwohl Mutter des Herrn,
begehrte sie doch die Lehren des Herrn zu lernen, und sie, die Gott
geboren hatte, wünschte doch Gott zu erkennen.
»Alle Jahre ging sie nach Jerusalem am Passahfeste und ging
mit Joseph. Ueberall bei einer Jungfrau ist die Begleiterin aller
Tugenden die Züchtigkeit. Diese ist unzertrennlich von der Jung¬
fräulichkeit, ohne sie kann die Jungfräulichkeit nicht bestehen. Nicht
einmal zum Tempel also ging Maria ohne den Behüter ihrer Züch¬
tigkeit.
»Maria ist das Bild der Jungfräulichkeit. Denn Maria war so
beschaffen, dass ihr Lehen allein allen zum Muster dient. Wenn
nun die Urheberin nicht missfällt, so lasst uns auch ihr Werk gut¬
heissen; jede, welche ihren Lohn sich wünscht, ahme ihr Beispiel
164
nach. Wie viele Tugendarien strahlen in der Einen Jungfrau her¬
vor! Die Eingezogenheit der Sittsamkeit, die Fahne des Glaubens,
der Gehorsam der Gottergebenheit; Jungfrau innerhalb des Hauses,
Gefährtin zum Gottesdienste, Mutter beim Tempel« u. s. w. *)
Als Musterbild der Weiblichkeit erscheint Maria auch bei
Hieronymus und Sulpicius Severus.
Ersterer schreibt a. 384 an seine Schülerin Eustochium: »Nimm
dir die heilige Maria als Beispiel, welche von so grosser Reinheit
war, dass sie Mutter des Herrn zu sein verdiente 2).« Er führt diess
dann weiter aus durch eine dem Ambrosius sehr ähnliche Er¬
läuterung der Verkündigungsscene, worauf er auch in andern
Briefen zurückkommt 3). Und in seinem Dialog gegen die Pelagianer
(geschrieben 415) sagt er; »Elisabeth und Zacharias können uns
lehren, wie tief sie an Heiligkeit unter der seligen Maria, der Mutter
des Herrn, stehen, welche im Bewusstsein, dass Gott in ihr wohnt,
frei ausruft: Von nun an werden alle Geschlechter selig mich preisen;
denn Grosses hat an mir gethan der Mächtige u. s. w. Beachte
hiebei wohl, dass sie sich selig nennt nicht durch eigenes Verdienst
und durch eigene Tugend, sondern durch die Gnade Gottes, der in
ihr Wohnung nahm 4).«
Der letztere bemerkt: »Christus habe in seiner Mutter den Frauen
ein Beispiel der Jungfräulichkeit gegeben« und »eine Jungfrau, welche
sündige, sei der Eva, nicht der Maria zu vergleichen« 5).
Gaudentius von Brescia hebt hauptsächlich die intellektuelle
Seite des inneren Wesens Marias hervor. Bei der Begebenheit zu
Kana findet er ihre tiefe Einsicht in das Wesen und die Aufgabe
ihres Sohnes bethätigt.
Die Antwort Christi an Maria nemlich: Was habe ich mit dir
zu schaffen u. s. w. hat einen mystischen Sinn. Unter dem Wein,
den die Hochzeitsleute nicht haben, ist der heilige Geist zu verstehen,
den Christus erst nach seinem Tode schicken konnte. Christus will
also mit seiner Antwort sagen: »Was ist deine Erinnerung so vor-
x) De virgin. üb. II, c. 11, n. 6 ff.
2) Ep. 22.
3) Z. B. Ep. 108. Andere Stellen des Hieron., z. B. Ep. 18 ad Eustocb.,
ep. 57 ad Laetum u. s. w. bringen nichts Neues.
4) Dial. adv. Belag. I, n. 17.
Ä) Ep. II, ad sororem, Gallandi T. VIII, p. 422 u. 424. Doch wird dieser
Brief von Einigen bezweifelt.
165
schnell, o Weib, da die Stunde meines Leidens noch nicht gekommen
ist? ... . Nach meinem Leiden und meiner Auferstehung, wenn
ich zum Vater zurückgekehrt sein werde, dann wird ihnen der Wein
des heiligen Geistes gegeben werden. Aus diesem Grunde hat auch
die Seligste (beatissima) selber in richtiger Erkenntniss des tiefen
Geheimnisses dieser Antwort eingesehen , dass ihre gegenwärtige
Erinnerung nicht mit Verachtung aufgenommen worden sei ... .
Uebrigens hätte sie den Dienern niemals aufgetragen: »was er euch
sagt, das thut«, wenn sie nicht nach der göttlichen Geburt, des
heiligen Geistes voll, sowohl den Sinn der Antwort Christi verstanden,
als auch den ganzen Zusammenhang seiner Verwandlung des Wassers
in Wein vorausgesehen hätte. Was wäre denn verborgen der Mutter
der Weisheit, der Empfängerin Gottes, dem würdigsten Hause so
grosser Tugend x)? . . . .«
Im Einklang mit der Ueberzeugung von der tiefen Einsicht
Mariens in die göttlichen Geheimnisse steht dann auch der Glaube
einiger Kirchenväter, dass sie die Prophetengabe besessen habe.
Schon Irenäus lässt sie im »Magnifikat« prophezeien * 2); Ambrosius
sagt: »nicht leicht finden wir eine, welche reichlicher prophezeit
hätte, als die Mutter des Herrn«; und Epiphanius 3) und Hieronymus
erkennen in der Stelle des Jesaias: »ich nahte mich der Prophetin« 4)
den Beweis dafür. Letzterer meint in seinem Jesaiascommentar:
»Einige verstehen unter der Prophetin die heilige Maria. Und es
ist auch kein Zweifel, dass sie eine Prophetin gewesen sei, denn sie
selbst spricht im Evangelium: siehe, von nun an werden alle Ge¬
schlechter u. s. w. 5)« Auch Augustinus schliesst sich hierin
diesen Vorgängern an6).
Ueberhaupt aber fusst der grosse Kirchenlehrer in Betreff des ge-
sammten inneren Wesens Mariens ganz auf den Anschauungen seines
Lehrers Ambrosius. Wenn er auch keine zusammenhängende Charak¬
teristik gibt, wie jener, so spricht er doch häufig von den Haupt¬
tugenden Mariens. Insbesondere preist er ihren Glauben , ihren
Gehorsam, ihre Demuth; ist überzeugt, dass sie von vornherein, ehe sie
x) Sermo 9.
2) Haer. III, 10, 2.
3) Haer. 30, 31.
4) Is. VIII, 3.
5) Coram. in Is. üb. III, c. 8.
6) De civ. Dei lib. XVII, c. 24.
166
ihre hohe Bestimmung ahnte, das Gelübde der Keuschheit abgelegt habe,
und lehrt endlich ihre völlige Sündenlosigkeit in ganz unzweideutiger
Weise. Um sein Verfahren, hauptsächlich um den Ton seines Vor¬
trags zu zeigen, wollen wir einige Hauptstellen aus seinen Werken
ausheben. In einer seiner Predigten sagt er z. B.: »Die selige
Maria hat den, welchen sie durch Glauben gebar-, durch Glauben
empfangen.« Mit ihrer Frage an den Engel: wie wird das geschehen
u. s. w., habe sie sich bloss nach der Art und Weise erkundigt.
Auf seine Antwort: der heilige Geist wird dich überschatten u. s. w.
»hat sie, des Glaubens voll, Christus früher im Geiste als im
Leibe empfangen« x).
In zwei andern Reden wird die Verkündigung an Zacharias mit
der Verkündigung an Maria, insbesondere die Frage des erstem mit
der Frage der letztem an den Engel verglichen. Es wird zugegeben,
dass eine äussere Aehnlichkeit bestehe, aber eine innere Verschieden¬
heit gezeigt. »Zacharias fragte in Verzweiflung, Maria um sich zu
belehren«, »die Worte lauten ähnlich, die Herzen waren unähnlich«,
jener glaubte nicht, diese glaubte. Es wird dann fortgefahren: »Wie
soll dieses geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Da seht ihr
den Vorsatz der Jungfrau. Wann würde eine, die sich mit dem
Manne vereinigen wollte, sagen: wie wird dieses geschehen? Denn
wenn es geschehen sollte, wie es bei allen Kindern zu geschehen
pflegt, so würde sie nicht sagen : wie wird es geschehen. Aber jene,
ihres Vorsatzes eingedenk und ihres heiligen Gelübdes bewusst,
stellte, weil sie die Bedeutung ihres Gelübdes kannte, die Frage
nach dem Wie. Sie wusste, dass nur verehelichte und ihren Männern
beiwohnende Frauen Söhne gebären, was sie selbst nicht kennen
zu lernen sich vorgenommen hatte, und fragte darum nach der Art
und Weise, zweifelte aber nicht an Gottes Allmacht. Was ist das
für eine Art und Weise, nach welcher diess geschehen wird? Du
verkündigest mir einen Sohn, meine Seele ist bereit, aber sag mir
die Art und Weise. Es konnte die heilige Jungfrau den Rathschluss
Gottes, nach welchem sie einen Sohn haben sollte, fürchten oder
doch missverstehen , gleich als wenn er ihr Gelübde der Jungfrau¬
schaft missbilliget hätte. Wie denn, wenn der Engel sagen würde:
Heirathe, verbinde dich mit dem Manne! Es war diess allerdings
Ü Sermo 215, 4. Den Glauben Mariens preist Augustin auch Sermo 69, c. 2;
214; Quaest. in heptat. IV, 19; de peccat. mer. II, c. 24; contra Faust. XXIX, 4 u. s. vv.
167
nicht zu besorgen, denn Gott hatte das Gelübde der Jungfrau an¬
genommen: er hatte es angenommen, weil er selbst es gewährt
hatte. Sag mir also, Bote Gottes, wie wird dieses geschehen? Ihr
seht, der Engel weiss es, jene fragt, zweifelt aber nicht. Weil also
der Engel sie fragen, aber nicht zweifeln sah, verweigerte er seine
Auskunft nicht. Höret wie. Deine Jungfräulichkeit wird fortbestehen,
glaube du nur die Wahrheit, erhalte die Jungfräulichkeit, empfange
die Unverletztheit. Weil dein Glaube unverletzt ist, wird auch deine
Keuschheit unangetastet sein. Höre also, wie diess geschehen wird.
Der heilige Geist .... überschatten. Eine solche Ueberschattung
kennt den Brand der Lust nicht, desswegen weil .... du durch
Glauben empfängst, weil du durch Glauben, nicht durch Beiwohnen
schwanger sein wirst . . . .«
Nach dieser Paraphrasirung des Verkündigungsdialogs apo-
strophirt Augustinus die Jungfrau folgendermassen : »Was bist du,
die du nachher gebären wirst? Woher hast du es verdient, woher
hast du dieses empfangen, woher wird der in dir werden, der dich
erschaffen hat, woher, frag’ ich, wird dir ein so grosses Gut zu
Theil? Du bist Jungfrau, du bist heilig, du hast ein Gelübde ge-
than; viel ist, was du verdient hast, aber sehr viel ist, was du
empfangen hast. Woher hast du dieses verdient? Es wird in dir
derjenige, durch welchen du erschaffen worden bist, ja durch
welchen Himmel und Erde, durch welchen Alles erschaffen worden
ist. Es wird in dir das Wort Gottes Fleisch, indem er das Fleisch
annimmt, die Gottheit nicht verliert. Und das Wort wird mit dem
Fleisch verbunden, und das Wort wird mit dem Fleisch vermählt,
und das Brautgemach dieser so hohen Vermählung ist dein Leib, da¬
her es heisst: der Bräutigam geht hervor aus seinem Brautgemach *).
Es findet dich als Jungfrau der Empfangene, es entlässt dich als
Jungfrau der Geborene. Er gibt Fruchtbarkeit und hebt nicht auf
die Unversehrtheit. Woher dir das? Frech scheineich die Jungfrau
zu fragen und fast unverschämt die züchtigen Ohren durch meine
Worte zu erschüttern. Aber ich sehe die Jungfrau erröthen und
doch antworten und mich erinnern: Du fragst, woher mir das?
Ich scheue mich, dir das mir gewordene Gut zu rühmen. Höre
den Gruss des Engels und erkenne in mir dein Heil. Glaube, dem
ich geglaubt habe. Woher mir das, fragst du? der Engel mag
J) Ps. 18, 6.
168
antworten. Sag mir, Engel, woher hat Maria das? Ich habe es
schon gesagt mit dem Grusse: sei gegrüsst; voll der Gnaden1).«
In seinem Buch »über die heilige Jungfräulichkeit« (geschrieben
ca. 401) behandelt Augustinus dasselbe Thema, nur in etwas andern
Wendungen. »Glückseliger war Maria dadurch, dass sie den Glauben
an Christus erfasste , als dadurch , dass sie das Fleisch Christi
empfing .... Die mütterliche Verwandtschaft hätte Maria nichts
genützt, wenn sie Christum nicht glücklicher im Herzen, als im
Fleische getragen hätte . . . .«
»Ihre Jungfräulichkeit war desswegen um so wohlgefälliger und
willkommener, weil Christus durch seine Empfängniss dieselbe nicht
der Verletzung durch einen Mann entzog, um sie zu erhalten, sondern
vor seiner Empfängniss eine schon Gott geweihte Jungfrau erwählte,
um von ihr geboren zu werden. Das zeigen die Worte an, welche
Maria dem Verkündigungsengel erwiderte. Wie wird dieses ge¬
schehen .... So würde sie wahrhaftig nicht sprechen, wenn sie
nicht vorher schon sich Gott als Jungfrau geweiht hätte. Aber
weil dieses die Sitten der Israeliten noch nicht gestatteten, wurde
sie einem gerechten Manne verlobt, der das, was sie schon gelobt
hatte, nicht mit Gewalt ihr entreissen, sondern vielmehr gegen jede
Gewalt schützen würde .... Es hätte ihr ja auch (von Gott)
befohlen werden können, Jungfrau zu verbleiben, damit Gottes
Sohn in ihr durch ein entsprechendes Wunder Knechtsgestalt an¬
nehme; aber um heiligen Jungfrauen zum Beispiel zu werden und
nicht den Schein auf sich zu laden, dass sie allein hätte Jungfrau
sein müssen, die auch ohne Beiwohnung ein Kind zu empfangen
verdient hätte, hat sie ihre Jungfrauschaft Gott geweiht, als sie
noch nicht wusste, was sie empfangen werde, damit in einem
irdischen und sterblichen Körper die Nachahmung himmlischen
Lebens durch ein freies Gelübde werde, nicht durch einen
Befehl, durch die Liebe des Wählens, nicht durch die Nothwendig-
keit des Müssens 2) . . . .«
»Die Jungfrauen Gottes haben also keinen Grund, zu trauern,
weil sie durch Erhaltung ihrer Jungfräulichkeit nicht Mütter dem
Fleische nach werden können. Denn jenen allein konnte die Jung¬
fräulichkeit schicklicher Weise gebären, welcher in seiner Geburt
b Sermo 290 u. 291 in natal. Joh. Bapt.
2) Ueber das Keuschheitsgelübde vgl. auch Sermo 225, c. 2.
169
keinen gleichen haben konnte. Doch jene einzige Geburt der heiligen
Jungfrau ist eine Zierde aller heiligen Jungfrauen. Auch sie sind
mit Maria Mütter Christi, wenn sie den Willen seines Vaters thun.
Denn aus diesem Grunde ist auch Maria viel glorreicher und glück¬
seliger Christi Mutter nach dem Ausspruch: wer immer den Willen
meines Vaters thut, der im Himmel ist, ist mir Bruder, Schwester
und Mutter *). Alle diese Verwandtschaften erwirbt er sich geistiger
Weise in dem Volke, welches er erlöst hat; zu Brüdern und Schwestern
hat er die heiligen Männer und Frauen, weil sie beim himmlischen
Erbe seine Miterben sind. Seine Mutter ist die ganze Kirche, weil
sie seine Glieder, d. h. die an ihn Glaubenden durch Gottes Gnade
ja selbst gebiert. Dessgleichen ist seine Mutter auch jede fromme
Seele, welche den Willen seines Vaters thut, durch die fruchtbare
Liebe in denen, welche sie gebiert, bis er selber in ihnen gebildet
wird 2). Maria also ist, indem sie den Willen Gottes thut, körper¬
lich nur Mutter Christi, geistig aber sowohl seine Schwester als
seine Mutter 3).«
Auf die Tugend des Gehorsams, die »den Willen des Vaters
thut«, kommt Augustinus öfters zurück. So unterlässt er nicht bei
den Worten Christi »ja glücklich diejenigen , welche das Wort
Gottes hören und beobachten« die Anmerkung zu machen: »das
will sagen : auch meine Mutter , welche ihr glücklich preiset , ist
darum glücklich, weil sie das Wort Gottes beobachtet, nicht weil
in ihr das Wort Fleisch geworden ist ... ., sondern weil sie das
Wort Gottes selbst, durch welches sie gemacht ist und welches in
ihr Fleisch geworden ist, beobachtet 4).«
Ihre Demuth erkennt er auch in der formellen Unterordnung
unter ihren Mann. »Es darf, sagt er, insbesondere wegen der Zucht
der Frauen, unserer Schwestern, die heilige Bescheidenheit der Jung¬
frau Maria nicht übergangen werden. Sie hatte verdient, den Sohn
des Höchsten zu gebären, und war doch die demüthigste und gab
sich nicht einmal in der Reihenfolge des Namens den Vorrang vor
ihrem Manne, so dass sie gesagt hätte ,ich und dein Vater1, sondern
,dein Vater und ich‘ sagte sie. Sie legte nicht das Gewicht auf
9 Matth. XII, 50.
2) Galat. IV, 19.
3) De sancta virginitate 3, 4, 5.
4) In evang. Joh. cap. 2, tract. X, 3.
170
die Würde ihres Mutterleibes, sondern auf den Rang in der Ehe.
Denn Christus, der Demüthige, hätte seine Mutter nicht gelehrt,
stolz zu sein. Dein Vater und ich suchten dich mit Schmerzen,
dein Vater und ich, sagte sie, weil der Mann des Weibes Haupt ist x).«
Die völlige Sündenlosigkeit Mariens endlich lehrt Augustin
in seinem Buch über die Natur und Gnade gegen Pelagius (geschr. 415).
Pelagius hatte nemlich behauptet, eine grosse Anzahl »Gerechter«
von Abel bis Joseph, dem Verlobten Marias, hätten ohne Sünde ge¬
lebt und dann »auch die Mutter unseres Herrn und Heilandes selbst,
von welcher die fromme Liebe (pietas) annehmen müsse, dass sie
ohne Sünde gewesen sei«. Hierauf erwidert Augustin: »die heilige
Jungfrau Maria nehme ich aus, welche wegen der Ehre Gottes gar
nicht in Frage kommen kann, wenn es sich um die Sünde handelt.
Denn wir wissen, dass ihr mehr Gnade (als allen übrigen Menschen)
zu theil geworden ist, um die Sünde in jeder Beziehung zu besiegen,
da sie verdient hat, denjenigen zu empfangen und zu gebären, von
welchem bekannt ist, dass er keine Sünde gehabt habe. Diese
Jungfrau also ist ausgenommen . . . . * 2)« —
Mit der Ausnahme von der allgemeinen Sündhaftigkeit, wie sie
sich in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts zuerst ange¬
deutet oder in allgemeinere Ausdrücke gefasst, im Anfang des
fünften aber förmlich und unzweideutig ausgesprochen darstellt, hat
sich die Vorstellung von dem Geistesleben Mariens vollendet. Sie
ist auch hierin dem Menschenmaasse entwachsen, sie ist Ideal ge¬
worden.
Ihre geistige Höhe wird einerseits durch die göttliche Gnade,
die ihr nicht bloss eine bevorzugte Naturanlage verlieh, sondern sie
auch durch specielle Akte unterstützte, andererseits durch ihr eigenes
Verdienst bedingt.
Ihre Intelligenz ist nicht durch glänzende weltliche Weisheit
repräsentirt, sondern sie ist die Weisheit des Gläubigen, dem
weltliches Wissen Thorheit ist ; sie ist die Einsicht in die Geheim¬
nisse der Religion. Ihr Charakter ist die personificirte Tugend.
Diese Vorstellung von ihrer intellektuellen und sittlichen Voll¬
kommenheit hat sich, wie wir gesehen haben, auch nur allmälig
J) Sermo 51 de concord. Matth, et Luc. C. XI, 18.
2) De nat. et grat. c. 36. Die Stelle bat ihre Schwierigkeiten , auch ver¬
schiedene Lesearten. Im Sinne glauben wir nicht geirrt zu haben.
171
gebildet. Sie hat sich zwar nicht gerade durch Kämpfe mit gegen¬
teiligen Aufstellungen hindurchzuarbeiten und in denselben zu
befestigen gehabt, wie die Vorstellung von ihren körperlichen
Eigenschaften, aber es ist unverkennbar, dass die mehr realistische
Anschauung von ihrem geistigen Wesen, welche an gewissen mensch¬
lichen Unvollkommenheiten keinen Anstoss nahm, doch wohl auch
im Zusammenhang mit den angedeuteten Kämpfen in den Hinter¬
grund trat und der idealistischen Anschauung das Feld räumte.
Das geht schon daraus hervor, dass dieselben Gewährsmänner,
welche ihre körperliche Ausnahmestellung verteidigen, auch ihre
geistige Vollkommenheit verkündigen.
Ein kurzer Rückblick auf die Entwickelung zeigt uns, dass
auf Grundlage der biblischen Stellen zuerst und von Anfang an
ihr Glaube und Gehorsam — die Fundamentaleigenschaften des
Christen — gepriesen werden. Hiezu gesellt sich die nicht minder
ächt christliche Tugend der Demuth. Dann wird ihr Wesen mehr
im Einzelnen entfaltet. Es wird nach der intellektuellen Seite hin
ihr Verstand, ihre Einsicht, Klugheit, Lernbegierde hervorgehoben;
nach der moralischen Seite hin ihr Verhalten zu Gott durch ihre
Gottergebenheit, Frömmigkeit, Andächtigkeit; ihr Verhalten zu Andern
durch ihre Bescheidenheit, Leutseligkeit, Verträglichkeit, Dienstbe¬
flissenheit, Wohlthätigkeit, Opferwilligkeit, Selbstlosigkeit: ihr Ver¬
halten in Beziehung auf sich selbst durch ihre Eingezogenheit,
Züchtigkeit, Sittsamkeit, Keuschheit, Schweigsamkeit, Arbeitsamkeit,
asketische Strenge charakterisirt. Insbesondere wird die Jungfräu¬
lichkeit ihrer Seele mit zarten Farben ausgemalt und das Verdienst
derselben dadurch erhöht, dass sie eine bewusste, durch das Keusch¬
heitsgelübde von vornherein geheiligte und geweihte Qualität ist.
Das gesammte innere Leben wird schliesslich durch die, einer be¬
sonderen göttlichen Begnadigung verdankte, Sündenlosigkeit gekrönt
und hiemit in eine höhere, überirdische Sphäre erhoben. —
Antheil am Erlösungswerke.
Als Christi Mutter hat Maria auch ihr Theil an dem Werke
ihres Sohnes, an dem Erlösungswerke.
Schon das Evangelium legt den Gedanken nahe. Bei Matthäus
verkündet, der Engel dem Joseph, dass der Sohn Mariens Jesus
(d. h. Heiland, Erlöser) genannt werden müsse, weil er sein Volk
erlösen werde. Bei Lukas befiehlt Gabriel der Jungfrau selbst, sie
solle ihren Sohn Jesus nennen. Ist damit der passive Antheil an
dem Werke des Sohnes wenigstens angedeutet, so lässt sich ebenso
die Aktivität, welche in der gehorsamen Zustimmung der Jungfrau
— »sieh, ich bin eine Magd des Herrn u. s. w.« — hegt, auch auf
die Mission des Sohnes erstrecken.
Von den Kirchenvätern werden diese Consequenzen in ziemlich
früher Zeit gezogen. Der älteste, der den Gedanken bereits in seiner
ganzen Prägnanz ausspricht, ist Irenäus. Wir müssen hier auf die
inhaltschweren Stellen, die wir im ersten Abschnitt (S. 29) mitzu-
theilen hatten, noch einmal zurückkommen. Wie man sich erinnert,
wird dort (wie auch schon bei Justin) Maria der Eva gegenüber¬
gestellt und gesagt: »Eva sei für sich und das ganze Menschen¬
geschlecht zur Ursache des Todes, Maria aber für sich und das ganze
Menschengeschlecht zur Ursache des Heiles geworden.« Und nach
dem wunderlichen Bild mit den Knoten kommt der Satz: »der
Knoten des Ungehorsams der Eva habe seine Lösung erhalten durch
den Gehorsam Mariens« und »was Eva durch Unglauben gebunden
habe, habe Maria durch Glauben gelöst«. Eine dritte Wendung be¬
sagt: »Wie jene durch die Rede des Engels (des bösen Engels, der
Schlange) verführt worden ist, Gott zu entfliehen durch Uebertretung
seines Wortes; so erhielt auch diese durch die Rede des Engels die
gute Botschaft, dass sie Gott tragen sollte, indem sie seinem Worte
173
gehorchte. Wie jene Gott ungehorsam war, so Hess sich diese zum
Gehorsam gegen Gott rathen, damit die Jungfrau Maria die Bei-
steherin der Jungfrau Eva werde. Und wie das Menschengeschlecht
durch eine Jungfrau an den Tod gefesselt ist, so wird es durch eine
Jungfrau errettet, indem jungfräulicher Ungehorsam durch jungfräu¬
lichen Gehorsam aufgewogen wird 1).« Diese Aeusserungen dürfen
natürlich nicht missverstanden werden. Für Irenäus ist begreiflich,
wie für alle Kirchenväter, Christus der Erlöser. Dass aber hier der
Mutter Christi ein gewisser Antheil an dem Werke ihres Sohnes
zugesprochen wird, ist nicht zu verkennen. Dieser Antheil ist zu¬
nächst passiv und besteht eben darin, dass Maria die Jungfraumutter
des Erlösers ist; aber es ist entschieden auch aktives Verdienst
dabei, dieses wird durch die Tugenden des Glaubens und Gehorsams
erwiesen.
Beide Elemente des Antheils am Erlösungswerke, das passive und
aktive kehrt ebenso Tertullian bei seiner Gegenüberstellung von
Eva und Maria hervor. Er sagt oben (S. 32): Was durch das weib¬
liche Geschlecht verloren gegangen, sei durch das weibliche Geschlecht
gerettet worden, und fährt dann fort: »Geglaubt hatte Eva der
Schlange, geglaubt hat Maria dem Gabriel; was jene durch Glauben
verbrochen, hat diese durch Glauben getilgt 2).«
In diesen Wendungen also hat sich am Ende des zweiten und
am Anfänge des dritten Jahrhunderts die Vorstellung von einer ge¬
wissen Mitwirkung der Mutter des Erlösers an dem Werke ihres
Sohnes bei zwei hervorragenden Vertretern der christlichen Wissen¬
schaft niedergeschlagen. Hiebei bleibt es nun auch für lange Zeit.
Denn aus dem dritten Jahrhundert haben wir nur noch die beiden
Aeusserungen des Origenes hieherzuziehen, von denen oben (S. 95
und 148) die Rede war, nemlich: Maria sei »zum Dienste des
Wortes auserwählt worden« und »wie die Sünde von dem Weibe
angefangen habe . . . ., so habe auch der Anfang des Heiles
(nach dem Griechischen: das Gute) seinen Ausgang von den Frauen
genommen«. Auch aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts wissen
wir nur den Vers des Juvencus (um 330) beizubringen: »du
wirst der Welt helfen durch den heilsamen Sprössling 3).« Dagegen
9 S. oben und Haer. V, 19, 1, 2.
2) De carne Chr. 17.
8) S. unten bei der Poesie.
174
gibt die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts wieder reichere Aus¬
beute.
Zeno von Verona z. B. vergleicht die Mission Elisabeths und
Marias und wendet sich dann an die Frauen: »Jubelt ihr Frauen
und erkennet die Rangerhöhung eures Geschlechtes! Nach Tilgung
der alten Schuld werden wir durch euch mit dem Himmel ver¬
bunden, denn die Alte (Elisabeth) gebar den Engel (Johannes) und
die Jungfrau Gott *).« Die Nennung der Elisabeth in einem Athem
mit Maria rechtfertigt Zeno damit, dass er ihren Sohn einen Engel
heisst, wobei man zunächst an die eigentliche Bedeutung des Wortes
als eines himmlischen Wesens denkt. Als Mutter eines himmlischen
Wesens hätte dann auch Elisabeth uns in analoger Art, wie Maria,
mit dem Himmel verbunden. Dass aber Zeno die Sache nicht so
verstanden wissen will, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung.
Für die übrigen Väter des vierten Jahrhunderts bildet haupt¬
sächlich die alte Antithese von Eva und Maria den beliebten Anlass,
um das Verhältniss der heiligen Jungfrau zum Erlösungswerke zu
zeichnen. So äussert sich Cyrill von Jerusalem in aller Kürze:
durch Eva sei der Tod, durch Maria das Leben erschienen (S. 33).
Ephräm der Syrer behandelt das Thema in verschiedenen Varia¬
tionen: »Durch Eva ist die ehrbare und liebenswürdige Zierde des
Menschen ertödtet worden, durch Maria jedoch wieder aufs Neue
aufgeblüht;« »den Fall der alten Mutter hat Maria endlich wieder
gutgemacht;« »den Verlust der (Stamm-)Mutter hat die Tochter, die
Jungfrau, wieder ausgeglichen dadurch, dass sie für sie den Heiland
gebar* 2);« »Eva verhüllte sich mit Blättern, um ihre Scham zu
decken , deine (Christi) Mutter aber zog ein Kleid der Herrlichkeit
an, das Allen hinreichenden Schutz gewährt3).«
Epiphanius begnügt sich nicht damit, den Contrast der Mission
beider Frauen hervorzukehren, sondern er bezieht auch ein der Eva
beigelegtes Prädikat in höherem Sinne auf Maria mit den Worten:
»Maria ist eigentlich unter der Eva verstanden, wenn diese in Form
eines Räthsels den Titel , Mutter der Lebendigen4 erhält. Denn diese
wird Mutter der Lebendigen genannt nach dem Sündenfalle, nach¬
dem sie schon gehört hatte: Erde bist du und sollst zur Erde werden.
b Lib. II, Tract. 7.
2) Ephr. Opera ed. Rom. 1740. Tom. II, syr. et lat. p. 318, 321, 396.
3) Sermo XII, de nativ. Tom. II, syr. et lat. p. 430 ff.
175
Und es war ein Wunder , dass sie nach dem Sündenfall diesen
grossen Beinamen erhielt. In physischem Sinne stammt allerdings
von jener Eva das ganze Menschengeschlecht auf der Erde; in
Wahrheit aber wurde von Maria das Leben selbst x) für die Welt
geboren, damit es Lebendiges zeuge und Maria die Mutter der Leben¬
digen würde. Es ist also Maria, welche durch ein Räthsel Mutter
der Lebendigen genannt worden ist.« .... Weiter sagt er: der
Eva sei auferlegt worden, dem Mann, den sie entblösst habe, Kleider
zu weben, um den nackten Körper zu bedecken, Maria aber habe
von Gott die Aufgabe erhalten, uns das Lamm zu gebären, aus
dessen Herrlichkeit, wie aus einem Vliess, das Kleid der Unsterblich¬
keit uns werde * 2). Schliesslich kommt dann noch der gewöhnliche
Gegensatz von Eva als dem Grund des Todes und Maria als dem
Grund des Lebens (s. oben S. 34).
Ambrosius sieht in der »leichten Wolke« bei Jesaias 3), »auf
welcher sitzend der Herr kommt« , eine Prophezeiung des Antheils
Mariens am Erlösungs werke. »Ja wohl, sagt er, leicht ist die Wolke,
welche diese Welt um die schwere Schuldenlast der Sünden er¬
leichterte; leicht ist sie, welche die Nachlassung der Sünden im Leibe
trug.« Dasselbe bedeutet ihm die Psalmenstelle: »Moab ist der Topf
meiner Hoffnung 4)« , welche er so erklärt : »auch ein Topf ist der
Mutterleib Mariens, welcher mit dem glühenden Geiste, der auf sie
herabkam, den Erdkreis erfüllte, da sie den Erlöser gebar5).« An
einem andern Orte geht er mit der Antithese von Eva und Maria
rhetorisch in die Breite. Ausser der oben (S. 34) ausgezogenen
Stelle haben wir folgende Wendungen von ihm: »Durch das Weib
kam das Uebel, durch das Weib das Gute; weil wir durch Eva ge¬
fallen sind, stehen wir durch Maria; durch Eva sind wir zu Boden
gestreckt, durch Maria aufgerichtet; durch Eva zur Sklaverei ver-
urtheilt, durch Maria freigemacht. Eva entzog uns die Lebensdauer,
Maria gab uns das ewige Leben zurück; Eva übergab uns der Ver-
dammniss durch die Frucht des Baumes, Maria erlöste uns durch
das Geschenk des Baumes, weil auch Christus am Holze hing, wie
J) Nach der Leseart: aurrj.
2) Haer. 78, 18.
3) 1s. 19, 1.
4) Ps. 59, 10.
5) De inst. virg. 79, 81.
176
eine Frucht .... Alles was durch Adam verschuldet wird, wird
durch Maria rein gewaschen. Glücklich daher Eva, durch welche die
Gelegenheit gegeben, glücklich vielmehr Maria, durch welche die Hei¬
lung ertheilt ist ... . Durch Eva wachsen wir, durch Maria herrschen
wir; durch Eva sind wir zur Erde gezogen, durch Maria zum Himmel
erhoben und um das ganze Geheimniss des Gesetzes kurz ans Licht
zu bringen und zu zeigen, dass zwei in einer waren, wie alle in ihr
sind: in Eva war damals Maria, durch Maria ist nachher Eva
geoffenbart worden x).« Hiemit gibt Ambrosius den Gedanken des
Epiphanius nur mit anderen Worten wieder. Auch ihm ist Maria
die eigentliche Mutter des Lebens, die Mutter des ewigen Lebens,
die zweite Stammmutter, die Stammmutter der erlösten Menschheit,
in welcher also die erste Stammmutter, die Mutter der gefallenen
Menschheit erst recht zum Durchbruch gekommen ist. Uebrigens
finden wir schon bei Zeno von Verona den nemlichen Gedanken:
»Du,« apostrophirt er die göttliche »Liebe«, »hast die Eva in der Maria
wieder erneuert* 2),« und von dem syrischen Diakon Cyrillonas
(um 400) werden wir im Abschnitt über die Poesie Aehnliches ver¬
nehmen. Auch dieser meint, dass Maria »den ursprünglichen Glanz
der Eva wieder zurückgebracht habe« , indem sie die Schuld der
Ahnfrau wieder gut gemacht habe.
Gleichzeitig mit dem letztem schreibt Severianus, Bischof von
Gabala, der Rivale des Chrysostomus: »Wie nun, ist das weibliche
Geschlecht dem Fluch verfallen und verbleibt es in Trübsal, und
werden die Fesseln nicht gelöst? Es kam Christus, der die Fessel
löste , es kam entgegen die Gebärerin des Herrn , das Geschlecht
vertheidigend , die heilige Jungfrau statt der Jungfrau; denn Jung¬
frau war auch Eva, da sie fehlte. Sie hob auf das Leid und das
Seufzen der Verurtheilten. Denn wie jemand, wenn er in die Königs¬
burg berufen wird, sich bemüht, seine Angehörigen zu Ehren zu
bringen und, wenn sie in Noth sind, zu befreien; so bittet auch
die heilige Jungfrau, die in die Königsburg berufen wurde, um der
göttlichen Geburt zu dienen, .... zuerst um diese Gnade, oder
empfängt sie vielmehr. Da es sich nicht ziemte, dass das ver-
urtheilte Weib den Unschuldigen gebäre, kommt der, der zuerst das
Leid der Eva durch Freude aufhebt, es kommt der Engel, der zur
0 Sermo 45, 2 — 5.
2) Lib. I, Tract. 2, n. 9. Siehe oben S. 34 Anm. 3.
177
Jungfrau spricht: freue dich Gnadenvolle. Durch das Wort , freue
dich4 löst er die Fessel des Leides .... Mit jener ist die Schlange
in Trübsal; freue dich, mit dir ist Gott 1).«
Dass Augustinus in Betreff unserer Antithese sich an die
Vorgänger anschliesst, haben wir auch schon im ersten Abschnitt
vernommen (S. 34); es ist nur noch die neue bildliche Einkleidung
der Sache nachzutragen, die sich bei ihm an einem anderen Orte
findet. »Durch ein Weib ist dem Menschen Gift zugetrunken worden,
um ihn zu bethören, durch ein Weib soll dem Menschen Heil zu¬
getrunken werden zu seiner Wiedererneuerung2).«
Wie Sedulius den Gedanken in Verse fasst, werden wir
unten sehen.
Doch wir wollen den Gegenstand nicht weiter in’s fünfte Jahr¬
hundert hinein verfolgen. Die Vorstellung ist jetzt geläufig und es
begegnen uns ohnehin noch verschiedene Varianten in den Fragmenten
von Predigten zu Ehren der h. Jungfrau, die wir im nächsten
Abschnitt vorführen müssen.
Dass aber der Antheil Mariens am Erlösungswerke die gehörige
Grenze nicht überstieg, beweist Ambrosius. Er meint, wie wir oben
vernommen haben (S. 116), Maria habe unter dem Kreuze stehend
vielleicht mit ihrem Sohne zu sterben gewünscht, um auch dadurch
etwas zur Welterlösung beizutragen, und fährt dann fort: »Aber
Jesus bedurfte keines Helfers zur Erlösung Aller . . . . , er nahm
zwar die Liebe der Mutter an, suchte aber nicht, die Beihilfe eines
Menschen 3 4).«
Zum Schlüsse jedoch ist zu erwähnen, dass gegen Ausgang des
vierten Jahrhunderts auch noch die Bibel selbst sich ausdrücklich
daran betheiligt, der heiligen Jungfrau die Mitwirkung am Erlösungs¬
werke zu sichern. Wenigstens für die abendländische Welt. Die
berühmte Stelle nemlich im ersten Buche Mosis4), die man oft
als Vorevangelium bezeichnet, und die im Urtext, in der griechischen
Uebersetzung der LXX, in allen orientalischen Uebersetzungen, auch
in der alten lateinischen also lautet: »Gott sprach zur Schlange
ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen
*) Sever. de mundi creatione orat.. VI. In den Werken des Ghrysostomus
von Montfaucon, Tom. VI, p. 508 n. 509.
2) Sermo 51, c. 2.
3) Exp. in Luc. 1. X, n. 132.
4) C. III, 15.
Lehn er. Die Marien Verehrung.
12
178
deinem Samen und ihrem Samen. Derselbe soll dir den Kopf zer¬
treten, und du wirst ihn in die Ferse stechen (oder: du wirst seiner
Ferse nachstellen),« — diese Stelle ist in der Vulgata mit der
Variante gegeben:.... »sie wird deinen Kopf zertreten und du
wirst ihrer Ferse nachstellen.« Hieronymus zwar kennt die
Variante nicht, aber schon Ambrosius1) und dann2) Augustinus
und die folgenden gebrauchen sie, und der Zeitgenosse Prudentius
verwendet sie poetisch zweimal in einem und demselben Hymnus.
Nach Erwähnung des Sündenfalls und seiner Folgen für das erste
Menschenpaar fährt er fort: »Auch die Urheberin des Betrugs, die
arge Schlange wird gestraft dadurch, dass das Weib den drei-
züngigen Hals mit der Ferse treten soll. So schaut die Schlange
mit Bangen nach der Sohle des Weibes auf3)« .... Nach kurzem
Hinweis auf die Folgen des Sündenfalls für die ganze Nachkommen¬
schaft der Stammeltern geht er auf die Erlösung über, welche durch
die Menschwerdung Gottes aus der Jungfrau bewerkstelligt werde,
und sagt dann weiter: »diess war jener alte Hass und Krieg
zwischen der Schlange und den Menschen, dass jetzt die kopfüber¬
stürzende Schlange von weiblichen Füssen zertreten wird. Denn
die Jungfrau, welche verdient hat, Gott zu gebären, bändiget alle
Gifte (der Schlange) . . . . 4)« Diese Verse, welche wir unten im
Metrum des Prudentius zu übersetzen versuchen, bilden die älteste
Ausdeutung der biblischen Prophezeiung auf Maria und zwar offen¬
bar in dem von uns angegebenen Sinne. Dadurch, dass Maria die
Mutter Gottes wird, zertritt sie der Schlange den Kopf und bändiget
ihr Gift, d. h. sie vereitelt die ferneren Bestrebungen des Teufels,
die Menschen in’s Verderben zu stürzen, und hilft dadurch, so weit
es an ihr ist, dieselben erlösen. Als Besiegerin des Teufels wird
übrigens Maria schon von Ambrosius ausdrücklich aufgeführt. In
seiner Leichenrede auf Theodosius den Grossen a. 395 lässt er die
Kreuzesfinderin Helena gegen den Teufel sprechen: »besiegt hat dich
Maria, welche den Triumphator geboren, welche ohne Verletzung
der Jungfrauschaft denjenigen hervorgebracht hat , der gekreuzigt
dich besiegen und gestorben dich unterjochen sollte 5).«
9 De fuga seculi, c. 7, n. 43.
2) De genesi cont. Manich. 1. II, c. 18; de genesi ad litt. 1. XI, c. 36.
3) Cathem. III, 126—130.
4) Ibid. 146 ff.
5) De obitu Theodos. n. 44.
179
An diese Vorstellung von dem Antheil Mariens am Erlösungs¬
werke knüpft sich dann die öfters vorkommende Vergleichung ihrer
Persönlichkeit mit der Kirche, der von Christus gestifteten Erlösungs¬
anstalt. Und zwar ist es vornemlich ihre wunderbare Qualität als
Jungfrau-Mutter, welche den Vergleichungspunkt abgibt. Die Kirche
wird nemlich auch unter dem Bilde einer jungfräulichen Mutter vor¬
gestellt, wie wir schon von Clemens von Alexandrien vernommen
haben (S. 122). Darum ist Maria ihr Vorbild. Wir finden den
Gedanken zuerst bei Irenäus angedeutet, indem er sie »für die
Kirche (oder im Namen der Kirche) prophezeiend« ihr Magni-
fikat sprechen lässt Q, dann bei Ambrosius in verschiedenen Wen¬
dungen durchgeführt. Er sagt: »Maria ist das Vorbild (typus) der
Kirche, welche unbefleckt aber vermählt ist. Die Kirche hat uns
als Jungfrau empfangen vom Geiste, sie gebiert uns als Jungfrau
ohne Schmerzenslaut. Und desswegen vielleicht ist die heilige Maria
einem Andern vermählt, von einem Andern erfüllt (repleta, d. h.
mit ihrem Kinde gesegnet), weil auch die einzelnen Kirchen vom
Geiste zwar und seiner Gnade erfüllt, andererseits aber an die
Person eines zeitlichen Priesters gebunden sind * 2).« Später findet
er etwas »Mystisches« darin, dass Maria (unter dem Kreuze) dem
Johannes, der jünger war, als die übrigen, empfohlen werde. Das
sei wieder ein Geheimniss der Kirche, welche früher an das ältere
Volk (Judenthum) gebunden war, jetzt aber dem jüngeren Volke
(Christenthum) angehöre 3). Zu demselben Zwecke deutet er die
Braut des hohen Liedes sowohl auf die Kirche, als auf Maria und
führt diess im Einzelnen typologisch durch in seinem Buch »über die
Unterweisung einer Jungfrau« 4). Die »Tritte in den Schuhen« 5)
sind »entweder die Tritte Mariens oder der Kirche«, die »Gelenke
der Hüften«, der »Nabel«, der »Bauch«, der »wie ein Weizenhaufen
ist, von Lilien umlagert« u. s. w. geht Alles sowohl auf die Kirche,
als auf Maria.
Diese Vergleichung der Kirche mit Maria ist bei dem ältern
Zeitgenossen des Ambrosius, bei Zeno von Verona, sogar zu einer
9 Haer. III, 10, 2.
2) Expos, ev. sec. Luc. 1. II, 7.
3) Ibid. 1. X, 134.
4) De inst. virg. n. 87 fl'.
5) Cant. VII, 1 ff.
180
völligen Stellvertretung geworden. Nach einer Gegenüberstellung
von Adam und Christus, Eva und Maria sagt er schliesslich (anstatt,
wie oben S. 176 zu sagen, Eva sei durch Maria erneuert worden)
»Eva sei durch die Kirche erneuert worden« !).
Sehr häufig finden wir schliesslich die Vergleichung beim
heiligen Augustin, von dem wir noch einige Stellen mittheilen wollen.
»Da die ganze Kirche als Jungfrau Einem Manne, nemlich Christo
verlobt ist, wie der Apostel sagt* 2) ; wie grosser Ehre würdig sind
die Glieder derselben, welche dasjenige auch selbst im Fleische be¬
wahren, was die ganze Kirche im Glauben bewahrt, die die Mutter
ihres Mannes und ihres Herrn nachahmt! Denn auch die Kirche ist
sowohl Mutter als Jungfrau .... Maria hat körperlich das Haupt
dieses Körpers geboren, die Kirche gebiert geistig die Glieder jenes
Hauptes. Bei beiden ist die Jungfräulichkeit kein Hinderniss für
die Fruchtbarkeit, bei beiden ist die Fruchtbarkeit nicht die Räuberin
der Jungfräulichkeit 3).«
»Jungfrau ist die Kirche .... Jungfrau ist sie und gebiert doch.
Sie ahmt Maria nach , welche den Herrn geboren hat. Hat nicht
die heilige Jungfrau Maria geboren und ist Jungfrau verblieben ?
So auch die Kirche, sie gebiert und ist Jungfrau. Und wenn du
wohl erwägst ; sie gebiert Christus , weil diejenigen , welche getauft
werden, seine Glieder sind. Ihr seid, sagt der Apostel4), Leib und
Glieder Christi. Wenn sie also die Glieder Christi gebiert, ist sie
Marien sehr ähnlich 5).«
»Die Kirche also, nachahmend die Mutter ihres Herrn, ist, weil
sie es körperlich nicht konnte, doch im Geiste Mutter und Jungfrau.
Auf keine Weise hat daher Christus durch die Geburt seiner Mutter
die Jungfräulichkeit entrissen, er, der seine Kirche zur Jungfrau ge¬
macht hat, indem er sie von der Buhlerei der Dämonen errettete6).«
»Die Jungfrau also, die heilige Kirche, feiert heute die Geburt
der Jungfrau. Dieser nemlich sagt der Apostel: ich habe euch ver¬
lobt einem Manne, euch, als keusche Jungfrau Christo darzustellen 7).
Lib. II, Tract. 13, n. 10.
2) II. Gor. XI, 2.
3) De s. virg. Tom. VI, p. 342.
4) I. Gor. 12, 27.
5) Epist. 213. In trad. symb. II, Tom. V, p. 941.
6) Sermo 191 in nat. dom. Tom. V, p. 894.
7) II. Gor. 11. 2.
181
Woher eine keusche Jungfrau bei so vielen Völkern beiderlei Ge¬
schlechtes, bei so vielen nicht bloss Jünglingen und Jungfrauen,
sondern auch verheiratheten Vätern und Müttern? Woher, sage
ich, eine keusche Jungfrau, wenn nicht in der Unversehrtheit des
Glaubens, der Hoffnung und der Liebe? Christus hat daher, um
der Kirche die Jungfräulichkeit im Herzen zu schaffen, vorher Marien
dieselbe im Körper bewahrt. Denn durch das menschliche Eheband
wird das Weib dem Bräutigam übergeben, um nicht mehr Jungfrau
zu sein; die Kirche aber könnte nicht Jungfrau sein, wenn sie
nicht den Bräutigam, dem sie übergeben wurde, als Sohn der Jung¬
frau erfunden hätte 1).«
Auch in der Poesie erscheint Maria als Typus der Kirche und
zwar zuerst bei Sedulius, wie wir unten sehen werden.
Vom fünften Jahrhundert ab wird diese Vorstellung immer ge¬
läufiger, darum wird Maria bald auch in dem apokalyptischen Weib
mit dem Sternenkranze 2) erkannt , unter welchem man in den
ersten Jahrhunderten immer nur die Kirche verstand. Wir wenigstens
haben bei Epiphanius den ersten Versuch gefunden, diese Vision
auf Maria zu deuten, wie uns das Kapitel der Poesie zeigen wird;
darum haben wir weiter nichts darüber zu sagen, als dass in unserer
Periode nach dem Obigen alle Vorbereitungen getroffen sind, die
namentlich für die spätere Kunst so fruchtbare apokalyptische
Gestalt mit Maria zu identificiren.
Indem wir hiemit dieses Kapitel abschliessen , wollen wir nur
noch die verschiedenen Wendungen, in welchen der Hauptgedanke
zum Ausdruck kommt, kurz zusammenstellen.
Maria hat, als Mutter des Erlösers, einen gewissen Antheil am
Erlösungswerke, denn sie ist
1. die zweite Stammmutter der Menschheit, die reine Stamm¬
mutter der erlösten Menschheit;
2. sie verbindet die Menschen mit dem Himmel, indem sie
Gott gebiert;
3. sie zertritt der Schlange den Kopf und zerstört damit die
Macht des Feindes der Erlösung;
4. sie ist Vorbild der Kirche, der von Christus gestifteten
Erlösungsanstalt.
') Sermo 188, 4, Tom. V, p. 889. S. auch noch Sermo 215, c. 7 u. s. w.
2) Apocal. XII, 1.
Verehrung.
In dem Bisherigen haben wir nachzuweisen versucht, wie das
Bild Mariens, dessen Grundlinien wir den Evangelien entnahmen,
in der Vorstellung der Christen sich nach und nach mit Farbe ge-
gefüllt hat. Es ist damit eigentlich kein neues Bild geworden, aber
es verhält sich zu dem evangelischen Umrisse, wie das Gemälde zur
Skizze.
Aus der einfachen Thatsache jungfräulicher Empfängniss ist die
nothwendige Grundbedingung der Welterlösung geworden, aus Josephs
Frau die jungfräuliche Gattin eines mit ihr und durch sie jungfräu¬
lichen Gatten, aus der Mutter Jesu die immerwährend jungfräuliche
Gottesgebärerin, aus dem klugen, frommen, sittsamen Weibe das
mit allen Tugenden geschmückte, vollkommen sündenlose, unerreich¬
bare Menschenideal. Maria ist Vermittlerin zwischen Gottheit und
Menschheit, sie ist Werkzeug und Gehülfm der Erlösung. Sie ist
dem Naturgesetz entrückt, sie gehört der Welt des Wunders, dem
Reich der Gnade an.
Aber sie hört darum nicht auf, Mensch zu sein. Alle die ge¬
nannten Qualitäten sind ihr nicht einfach von Gott geschenkt oder
auferlegt, sondern sie muss sie ebenso verdienen. Sie bereitet sich
auf eigenen Antrieb für ihre Bestimmung vor, entscheidet sich mit
freier Wahl für dieselbe und bleibt ihr treu in strenger Selbstzucht.
Sie ist hiedurch auch praktisches Ideal, nachahmungswürdiges Bei¬
spiel für die Menschen, deren Bestimmung es ebenfalls ist, durch
Glauben und Leben mit Gott sich zu vereinigen. Hiedurch ist sie
wieder ganz ein Kind der Erden weit, zeigt aber stets hinüber nach
dem Himmel.
Dieses Doppelwesen, das zwei Welten angehört, ist jedoch
Maria nicht geworden auf dem Wege stiller friedlicher Entfaltung,
183
sondern im heissen Kampfe entgegengesetzter Meinungen. Ihr Bild
ist das Siegeszeichen über Unglauben und falschen Glauben, das
Erkennungszeichen der Rechtgläubigkeit und darum mit unverwisch¬
baren Zügen in die Herzen der Gläubigen eingeschrieben. Es ist
aber kein Abstraktum, sondern ein lebensvolles Menschenbild, das
auf Erden gewandelt ist und im Himmel ewig fortleben wird, dessen
man mit Bewunderung, Liebe und Dankbarkeit gedenken kann und
mit welchem man einst die Seligkeit zusammen zu gemessen hofft,
— es ist Gegenstand der Verehrung.
Die Marienverehrung fusst auf demselben Grunde, wie die
Heiligen Verehrung überhaupt. Es ist diess ein doppelter, ein all¬
gemein menschlicher und ein specifisch christlicher Grund. Den
allgemein menschlichen Grund zeigt die Thatsache, dass überall und
zu allen Zeiten den Verstorbenen ein Andenken bewahrt wird.
Waren die Verstorbenen hervorragende Menschen, so ist auch ihr
Andenken von hervorragender Art. Es bildet sich eine Legende um
ihren Namen, man forscht ihrem Werden und Wachsen nach, man
schreibt ihre Biographieen, man preist sie in Gedichten, verherrlicht
sie in Kunstwerken , errichtet ihnen Denkmale , stiftet Gedächtniss¬
tage, sammelt Reliquien u. s. w. Der specifisch christliche Grund
theilt mit diesem die psychologische Unterlage, nur handelt es sich
zunächst um die Frage: wer war dem Christen der ersten Jahr¬
hunderte ein ausgezeichneter und des Andenkens besonders würdiger
Mensch ?
Dem Christen als solchen, dem alle weltlichen Grössen vorüber¬
gehende, nichtige Schatten sind, geht das Ideal vollständig in der
Religion auf. Der Held ist ein religiöser Held. Besondern An¬
denkens würdig ist nur der, der sich in der Religion hervorgethan
hat durch erleuchtetes Lehren, durch heiliges Leben und Sterben,
durch Leiden oder Tod für die Religion. Aber auch die Art des
Andenkens ist eine specifische. Zu den psychologisch begründeten
Faktoren der Bewunderung, Liebe und Dankbarkeit kommt noch
der lebendige Unsterblichkeitsglaube. Die selig Vollendeten leben
fort in ewiger Herrlichkeit mit dem Herrn, sie »werden das Reich
besitzen, welches seit Grundlegung der Welt ihnen bereitet ist« x),
»sie werden leuchten wie die Sonne im Reiche ihres Vaters« * 2),
q Matth. 25, 34.
2) Ibid. 13, 43.
184
aber sie bleiben auch in dauernder Beziehung zu den auf Erden
wandelnden Gläubigen. »Wenn man von allen Heiligen, welche aus
diesem Leben geschieden sind, behauptet, dass sie aus fortgesetzter
Liebe gegen die, welche noch auf dieser Welt sind, Sorge für das
Heil derselben tragen und sie mit ihren Bitten und ihrer Vertretung
bei Gott unterstützen , so wird das nicht ungereimt sein ,« sagt
Origenes 1). Und diese thätige Liebe der Vollendeten zu den Hinter¬
bliebenen begründet er durch den organischen Zusammenhang
der Erlösten hier und dort. Er überträgt das Bild, welches der
Apostel Paulus im eisten Korintherbrief für das Verhältniss Christi
zu der Kirche gebraucht, das Bild eines Körpers, dessen Haupt
Christus ist, dessen Glieder die Gläubigen bilden 2), auf alle Anhänger
Christi im Diesseits und Jenseits und sagt: »es ist ein Leib, der
die Rechtfertigung erwartet, einer, der auferstehen soll beim Ge¬
richte3).« Der Tod bildet keine Schranke, der Zusammenhang der
Glieder des Organismus unter sich und mit dem Haupte ist dadurch
nicht unterbrochen, die Funktionen laufen trotz der Trennung un¬
gehindert herüber und hinüber. Es konnte darum die Vorstellung,
dass die Gläubigen, »welche noch auf dieser Welt sind«, in conse-
quenter Gegenseitigkeit auch »Bitten« hinüberschicken und zwar
Bitten um »Vertretung bei Gott« , ebenfalls »nicht ungereimt sein«.
Doch es bedarf dieser Schlussfolgerung nicht; wir haben historische
Beweise, dass das Andenken an die Helden der Religion in obigem
Sinn, d. h. dass die Heiligen Verehrung schon im zweiten Jahrhundert
bestand und dass die Märtyrer die ersten waren, denen ein be¬
stimmter Cultus zu Theil wurde. Man erbaute sich nicht bloss
an ihrem Beispiel und pries sie in R.eden und Gesängen , sondern
man sammelte auch ihre Ueberreste, hielt den Gottesdienst an ihrem
Grabe, worüber man Altäre, später Kirchen errichtete, feierte ihren
Geburtstag für den Himmel d. h. den Jahrestag ihres Martyriums,
und rief sie an um ihre Fürbitte. Das sind bekannte Dinge, wie
nicht minder , dass diese Verehrung sich ebenfalls schon in früher
Zeit auf andere gottselige Entschlafene, Bekenner, Jungfrauen,
Bischöfe, namentlich auf die Apostel erstreckte.
Wie aber verhält es sich nun mit Maria?
*) Comm. in Cant. cant. L. III, p. 75; vgl. Exhort, ad mart. c. 30; hom. 16,
in Josue c. 5; c. Cels. 5, c. 34; liorn. 4 in Lev. c. 4.
2) I. Cor. 12, 12 ff.
3) In Levit. hom. 7, n. 2; cfr. de orat. c. 11, 12.
185
Offenbar gebührt ihr unter den Personen, welche Verdienste uni
die neue Religion haben, eine hohe Stelle als Mutter des Religions¬
stifters. Als solche genoss sie ohne Zweifel schon zu ihren Leb¬
zeiten bei den Anhängern ihres Sohnes diejenige Hochachtung und
Liebe, welche ihr Sohn selbst gegen sie an den Tag legte. Dass
sie nach ihrem Tode nicht vergessen wurde, haben unsere bisherigen
Untersuchungen gezeigt. Ja, diese Untersuchungen geben eigentlich
schon einen Abriss des Werdens und Wachsens ihrer Verehrung,
wenn man sich gegenwärtig hält, dass die allmäligen Entfaltungen
ihres Wesens nicht nach und nach ins Bewusstsein getretene nähere
Bestimmungen eines abstrakten Begriffs sind, sondern vervollstän¬
digende Retouchen eines und desselben Porträts, das der Gläubige
von Anfang an im Herzen aufgehangen hatte und das er als An¬
denken an das drüben wohnende Original in Ehren hielt. Dieses
wachsende in Ehren Halten wird insbesondere ersichtlich, wenn
man sein Augenmerk auf Form und Ton richtet, in welchen die
altchristlichen Schriftsteller das, was sie über Maria zu sagen haben,
vortragen. Ausserdem aber haben wir noch verschiedene andere
Zeugnisse beizubringen, welche Licht auf die Sache werfen. Doch
es ist von vorn anzufangen.
1) Der älteste Schriftsteller, der den Namen Mariens nennt, der
Evangelist Matthäus, welcher wahrscheinlich nicht lange nach ihrem
Tode schrieb, stellt sie zwar schon als lebendiges Wunder dar, aber
er referirt ihre Begnadigung als blosse Thatsache, ohne irgend
welche glorificirende Bemerkung daran zu knüpfen. Sein Nach¬
folger Lukas, der vielleicht etliche Lustren später schrieb, steht be¬
reits auf dem Standpunkt verklärender Ferne. Er schöpft, wie er
selbst sagt, aus mehreren (wohl schriftlichen und mündlichen)
Quellen, gibt jedenfalls die Anschauungen seiner Zeit, zunächst der
Kreise, denen er angehört, wieder und ist das erste Organ des
verherrlichenden Gedenkens. Er hat für Maria die Epitheta
»Gnadenvolle«, »Gebenedeite unter den Weibern«. Elisabeth ordnet
sich ihr unter , findet sich durch den Besuch der Gebenedeiten
geehrt und preist sie selig. Maria selbst prophezeit, dass sie von
allen Geschlechtern werde selig gepriesen werden, und diese Pro¬
phezeiung beginnt schon bei ihren Lebzeiten in Erfüllung zu
gehen, indem das Weib aus dem Volke zu Jesus spricht: Selig
ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du ge¬
sogen hast.
186
In dieser Weise also gedachte man der heiligen Jungfrau ein
paar Decennien nach ihrem Tode, d. h. es bestand schon in dieser
Zeit eine Verehrung im allgemeinen Sinne, eine verherrlichende Er¬
innerung an die abgeschiedene und drüben die Seligkeit geniessende
Mutter des Herrn.
Beschränken wir nun auch diese Verehrung zunächst auf die
Kreise des Lukasevangeliums, auf die Kreise seiner Entstehung, so¬
wie seiner Wirkung, so haben wir dieselbe auf die ganze Christen¬
heit auszudehnen, sobald der Evangelienkanon als geschlossen gelten
kann; d. h. von der Mitte des zweiten Jahrhunderts ab gedachte
der Christ der Mutter des Erlösers mit den Worten des Lukas.
Dass dieses der Fall war, dass dieses glorificirende Andenken an
Maria fortbestand und wie es fortbestand, geht aus den früheren
Kapiteln hervor. Es geht ferner daraus hervor, dass jede Reaktion
dagegen es nur zu neuer und hellerer Flamme anfachte. Es liesse
sich nun dieses durch eine Rekapitulation darthun und zwar nach
zwei Seiten , nach Inhalt und Form. In Betreff des ersteren wäre
daran zu erinnnern, dass Maria als lebendiges Wunder in körper¬
lichem und geistigem Sinne sich immer tiefer und detaillirter dem
Gedächtniss eingeprägt habe, in Betreff der letzteren wäre darauf
hinzuweisen, dass der Ton der aufgeführten Zeugnisse sich immer
ehrfürchtiger und wärmer gestaltet, es wäre das immer häufigere
Vorkommen der schmückenden Beiwörter aufzuzählen, wie: die heilige,
reine, keuscheste, makellose, unbefleckte, vor Gott und Menschen
grosse, vorherbestimmte, aus den Myriaden Israels erlesene, die selige,
die erhabene u. s. w. ; doch ist dieses überflüssig. Wir begnügen
uns daher, nur noch einige wenige bezeichnende Stellen aus den
Werken der altchristlichen Schriftsteller beizubringen, welche direkt
mit dem höheren persönlichen Rang, den Maria im Gedächtnisse
der Christen einnahm, sich beschäftigen.
Eine ganz kurze Hindeutung finden wir schon in der frühesten
Zeit in den »Testamenten der zwölf Patriarchen«, einem Apo¬
kryph , das aus dem ersten Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts
stammt1). Es heisst dort nemlich: »Und ich sah (im Traume), dass
in Juda eine Jungfrau geboren ward, angethan mit einem Kleide
von Byssus, und aus ihr ging hervor das unbefleckte Lamm 2)« ....
1) Nitzsch, Grundr. der Dogmengesch. S. lll.
2) C. XI, Test. Jos. 19.
187
Eingehender handelt hievon Origenes, indem er Maria mit
Elisabeth vergleicht. »Die besseren, sagt er, kommen zu den ge¬
ringeren, um ihnen durch ihre Ankunft zu nützen. So kam der
Heiland zu Johannes, um die Taufe desselben zu heiligen, und sobald
Maria die Verkündigung des Engels vernommen hatte, dass sie den
Heiland empfangen habe und dass Elisabeth, ihre Verwandte,
schwanger sei, stand sie auf, ging eilig ins Gebirge und trat ins
Haus der Elisabeth 1).« Noch ausdrücklicher lässt er durch Elisa¬
beth selbst, die Stelle des Lukas paraphrasirend , Marias höhere
Würde anerkennen. »Elisabeth .... sprach zur Jungfrau: , Gesegnete
du unter den Weibern! Denn einer solchen Gnade war nie eine
theilhaftig und kann keine theilhaftig sein; denn einzig ist die gött¬
liche Empfängniss, einzig die göttliche Geburt, einzig diejenige, welche
den Gottmenschen gebiert. Warum also grüssest du mich zuerst?
Bin ich es, die den Heiland gebiert? Ich musste zu dir kommen,
denn du bist über alle Weiber gesegnet , du bist die Mutter meines
Herrn, du bist meine Herrin, die du die Erlösung der Verdammten
trägst.1 Sie stimmt mit ihrem Sohne überein, denn Johannes nannte
sich unwürdig, vor Christus zu stehen, jene erklärt sich der Gegen¬
wart der Jungfrau unwürdig 2).« Origenes findet also hier das Ver¬
hältnis Mariens zu Elisabeth analog dem Verhältnis Christi zu
Johannes dem Täufer. Die Sache darf natürlich nicht im strengsten
Sinne genommen werden, als hätte er gemeint: so hoch Christus
über Johannes stehe, ebenso hoch stehe Maria über Elisabeth. Aber
dass in diesen Aussprüchen der heiligen Jungfrau mit grosser Ehr¬
furcht gedacht wird, ist offenbar. Und zwar nicht von Origenes allein.
Man muss sich nemlich gegenwärtig halten, dass diese Bemerkungen,
wie überhaupt sehr Vieles, was wir ihm entnommen haben, nament¬
lich auch das, was er über den Charakter Mariens gesagt hat, nicht
aus einem gelehrten Werke stammen, sondern aus Homilien, münd¬
lichen Vorträgen für das christliche Volk, oder auch für solche,
welche Christen werden wollten, — Vorträgen, die also zur Be¬
lehrung und Erbauung dienten, die in seinen spätem Jahren durch
Schnellschreiber nachgeschrieben wurden 3) , und die bei der ge¬
waltigen Wirkung des Origenes beinahe als Stimme seiner Zeit be-
b Hom. in Luc. VIII; Bd. III, p. 939.
2) Ibid. p. 979, 980.
3) Euseb. hist, eccles. VI, 36.
%
188
trachtet werden dürfen, was z. B. für Tertullians gelehrte Streitschriften
nicht zutrifft.
Dieser Stimme aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts
reihen wir die höchst bezeichnende Betrachtung an, welche der
h. Athanasius an den vielgenannten Abschnitt des Evangelisten
Lukas knüpft: »Wenn die Eltern der heiligen Märtyrer, sagt er, hoch
angesehen sind wegen der Tapferkeit ihrer Söhne, wenn sich Sara
freut, dass sie den Isaak geboren, und wenn diejenigen glückselig
sind, welche Samen in Sion und Verwandte in Jerusalem haben,
wie der Prophet sagt; — wie hoch kann sich die heilige und gott¬
ähnliche x) Jungfrau Maria rühmen, dass sie Mutter des Wortes ward
nach der Herkunft seines Fleisches und so sich nennen lässt! Denn
diese göttliche Geburt hat die Engelschaar gepriesen und ein Weib
erhob seine Stimme und sprach: selig der Leib u. s. w. , und die
Gebärerin des Herrn, die immerwährende Jungfrau Maria, welche
wusste, was in ihr ward, sprach: von nun an werden mich alle
Geschlechter glücklich preisen * 2).«
Durch solche Vergleichungen oder Zusammenstellungen mit
andern Persönlichkeiten, hauptsächlich aus der heiligen Geschichte,
wird von noch mehreren Schriftstellern des vierten 'Jahrhunderts
die höhere Stellung Mariens im Andenken der Christen dargethan.
Ephräm der Syrer z. B. sagt: es hätte sich unter der Frauen¬
welt das Gerücht verbreitet gehabt , dass einmal eine als Jungfrau
gebären werde, und es hätten die vornehmen, die schönen, kurz alle
gehofft, dieses Vorzugs theilhaftig zu werden, »der Herr aber, der
dafür gepriesen sei, hatte eine arme Mutter erwählt«. Er gedenkt
sodann der Sara, Bachei, Bebekka, Elisabeth und sagt, im Vergleich
mit diesen sei Maria glückselig, wahrhaftig glückselig (wegen des an
ihr geschehenen Wunders), und ruft aus: »wrann hat jemals eine
Mutter existirt, die Marien ähnlich war?« 3)
Chrysostomus hat einen ähnlichen Gedanken. »Wie viele
Weiber, sagt er, priesen jene heilige Jungfrau glückselig und ihren
Mutterleib, und hätten gewünscht, solche Mütter zu werden!« 4) In
höchst eigentümlicher Weise zieht ebenderselbe aus einer Begeben¬
heit im Leben der heil. Jungfrau, ihrer Bückkehr aus Aegypten,
*) UeoeiSyk.
2) Fragm. comment. in Luc. Gallandi T. V, p. 187. Ed. Maurin. T. I, p. 1270.
3) De nat. sermo VI; Tom. II, Syr. et lat. p. 420.
4J Horn, in Matth. 44, al. 45, n. 2; Edit. Montf. Tom. VII, p. 469.
189
einen Titel ihrer Verherrlichung. Er meint, das jüdische Volk habe
sich etwas Besonderes darauf zu gute gethan, dass es aus Aegypten
gekommen sei, und darum sei die Rückkehr Mariens mit dem Kinde
aus Aegypten nichts Zufälliges gewesen, »sondern auch dieses macht
die Jungfrau herrlich und ausgezeichnet, denn was das ganze Volk
als Verherrlichung ansah, das durfte auch ihr nicht vorenthalten
bleiben, .... sie musste auch diesen Vorzug haben« x). An einem
andern Orte sagt er, Gott selbst »habe sie von Anfang an geehrt,
indem er in ihr die Gesetze der Natur veränderte« * 2), und wie hoch
ihr Sohn sie geehrt habe , gehe daraus hervor , dass er auf ihre
Bitte, wenn er dieselbe auch ungelegen gefunden habe, doch das
Wunder zu Kana gewirkt habe 3), und dann besonders daraus, dass
er seinen Jünger Johannes durch die Anempfehlung der Mutter so
sehr habe ehren wollen. »Siehe dein Sohn! Ha! welche Ehre!
Mit wie grosser Ehre hat er den Schüler geehrt!« 4) — Aus diesen
Aeusserungen kann man, beiläufig bemerkt, ersehen, dass den
nüchtern-praktischen Ghrysostomus seine oben dargelegte realistische
Auffassung der innern Entwickelung Mariens nicht hinderte, der
Vollendeten ein verherrlichendes Gedächtniss zu bewahren.
Von Ambrosius hier etwas anzuführen, ist eigentlich nach dem
Frühem vollkommen überflüssig ; wir beschränken uns daher auf
zwei Stellen. Bei einer Zusammenstellung mit Zacharias sagt er
von Maria: »Sie verdient zu hören: selig bist du, die du geglaubt
hast. Ja wahrhaft selig ist sie, die vorzüglicher ist, als der Priester;
da dieser nein sagte, verbesserte sie den Irrthum5).« An einem
andern Orte stellt er sie über alle Menschen. »Man möchte ein¬
werfen, sagt er, wie kannst du nur Maria als Beispiel aufstellen,
als ob jemand gefunden werden könnte , der die Mutter des Herrn
nachahmen könnte 6)?«
Epiphanius vergleicht sie mit »der heiligen Thekla« und be¬
merkt: sie sei »mehr in Ehren gehalten als diese« wegen des an
ihr geschehenen Wunders 7).
9 Hom. VIII, Tom. VII, p. 125.
2) De fut. vitae delic. Tom. III, p. 341.
3) Hom. in Matth. 44, al. 45, n. 2.
4) Hom. 85, Tom. VIII, p. 506.
5) Expos, ev. sec. Luc. I. II, n. 17.
6) De virg. 1. II, e. III, 21.
7) Haer. 79, 5.
190
Hieronymus setzt Zacharias und Elisabeth »tief unter die
Heiligkeit der seligen Maria«, wie wir oben (S. 164) gesehen haben,
und an einem andern Orte sagt er: »ich schweige von Anna und
Elisabeth und den andern heiligen Frauen, deren Sternfünkchen das
helle Licht Mariens verdunkelt *).«
Wir brauchen die Sache nicht weiter zu verfolgen; wir haben
ohnehin noch ein paar Fragmente von Predigten mitzutheilen, die
weiter gehen als das Aufgeführte. Es ist ja hiedurch wohl zur
Genüge dargethan , namentlich wenn man das in den früheren
Kapiteln Abgehandelte hereinzieht, dass die Persönlichkeit Mariens
nach ihrem Tode von den ersten Zeiten an in hervorragender
Weise im Gedächtniss der Christen nicht bloss haften blieb, sondern
stetig eine höhere Stufe bewundernden und verehrenden Andenkens
erstieg.
Es ist nun von den intimeren Faktoren der Verehrung zu
reden. Bei der Betrachtung derselben befolgen wir kein strenges
System, wir suchen nicht einmal die allgemein menschlichen und
die specifisch christlichen Bestandtheile scharf auseinanderzuhalten.
Es Hesse sich dieses auch nicht wohl durchführen , denn beide
Arten spielen bei unserem Gegenstände , wie wir schon gesehen
haben, in einander; auch die allgemein menschlichen Faktoren haben
eine christliche Färbung.
2) Zuerst weisen wir auf einen ferneren Punkt hin, welcher in
den früheren Abschnitten enthalten ist, wir meinen die Thatsache,
dass Maria als nachahmungswürdiges Beispiel aufgestellt worden
ist; denn wenn ein Verstorbener wegen seiner Vorzüge den Ueber-
lebenden als Muster vor Augen gestellt wird, beweist das schon
eine innigere Verehrung. Jedoch wir haben nicht mehr näher da¬
rauf einzugehen. Dass und wie es geschehen, wie Maria insbesondere
den Jungfrauen als Spiegel vorgehalten, wie und von welcher Zeit
an sie als Anfängerin der Jungfräulichkeit gepriesen worden, ist zur
Genüge abgehandelt. Wir haben darum nur beizufügen, dass diess
mit noch manchen Stellen aus den Kirchenvätern belegt werden
könnte, die wir aber unterdrücken, weil die Sache durch das Obige
klar gelegt ist.
3) Der Unsterblichkeitsglaube, sagten wir ferner, verleiht der Ver¬
ehrung der Verstorbenen bei den alten Christen einen specifischen
') Prol. zu Explan, in Sophon. Tom. III, p. 1642.
191
Charakter. Man weiss sich in fortdauerndem organischen Zusam¬
menhang und der praktische Verkehr besteht im Gebet, wie er schon
auf Erden bestand. Er unterscheidet sich aber von letzterem wieder
in einem wesentlichen Punkte, indem die auf Erden lebenden Christen
gegenseitig für einander beten, die Vollendeten und im Himmel
Befindlichen aber des Gebetes der Hinterbliebenen nicht mehr für
sich bedürfen. Darum vertreten die Seligen ihre irdischen Brüder
bei Gott, letztere aber bitten jene um diesen Beistand. Wir haben
gesehen, dass in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts hievon
als von einem allgemeinen Verhältnisse die Rede ist, und müssen
daher auch Maria daran theilnehmen lassen. Aber diess genügt
nicht, es sind positive Zeugnisse aufzusuchen, ob und wie dieses
allgemeine Verhältniss auch speciell auf Maria seine Anwendung findet.
Die älteste Hinweisung hierauf sieht man häufig in der oben
(S. 173) mitgetheilten Stelle des Irenäus, wo er sie »Beisteherin der
Eva« nennt. Massuet, der treffliche ältere Herausgeber des Irenäus,
macht den Ausdruck zum Gegenstand einer eingehenden Unter¬
suchung. Das ursprünglich griechisch geschriebene Buch des Irenäus
existirt zum grössten Theil nur noch in einer beinahe gleichzeitigen,
sklavisch treuen lateinischen Uebersetzung. Diese Uebersetzung hat
hier den Ausdruck »advocata Evae«. Es könnte nun die Frage
entstehen, welches griechische Wort zu Grunde liegt? Etwa jiapa'xX/jrog,
was nicht bloss »Fürsprecherin«, sondern auch »Trösterin« bedeuten
kann, oder ovvrjopog, was dem advocata ganz entspricht, und was
auch später Ephräm der Syrer in der syrisirten Form sengiro für
Maria braucht? x) Massuet hält die Untersuchung, wie das griechische
Original gelautet habe, für überflüssig. Er zieht die Parallelstellen
des Werkes herbei, die dasselbe Wort — advocatus — enthalten,
um aus dem Zusammenhang die Bedeutung herauszubringen, welche
der Uebersetzer damit verband. Diese Bedeutung ist an den übrigen
Stellen augenscheinlich = defensor oder etwas Synonymem. Da
nun der gewissenhafte Uebersetzer immer dasselbe griechische Wort
mit demselben lateinischen wiedergegeben haben wird, so hat das
»advocata« unserer Stelle ebenfalls den Sinn von defensor oder so
etwas, d. h. Beistand, Fürsprecherin. Folglich nennt Irenäus Maria
Fürsprecherin, Fürbitterin. — Was uns betrifft, so sehen wir in der
*) Sermo de nat. Chr. IV, p. 416; XIII, p. 435. S. Augusti, Denkwürdig¬
keiten, Bd. III, S. 16.
192
Stelle keinen zwingenden Beweis, dass Irenaus Maria gerade speciell
als Fürbitterin der Eva, oder weil Eva hier die Repräsentantin der
ganzen unerlösten Menschheit ist, als Fürbitterin für die Menschheit
habe bezeichnen wollen; wir glauben, dass damit zunächst nichts
anderes gemeint ist, als mit den übrigen verwandten Aussprüchen,
dass nemlich Maria in ihrer Eigenschaft als Mutter des Erlösers
der Menschheit eben Bestellerin der Eva, d. h. der Menschheit ge¬
nannt wird, und dass ihr dadurch ihr Theil am Erlösungswerke
gesichert ist. Doch bleibt der Ausdruck des Uebersetzers an sich
sehr merkwürdig, da er zum liturgischen Ehrentitel geworden ist,
der bis heute in Anwendung steht. »Advocata nostra« heisst Maria
in den kirchlichen Gebeten und Gesängen. Indessen wollen wir
nicht gesagt haben, dass darum Irenäus der heiligen Jungfrau nach
ihrem Tode die fortdauernde Bethätigung ihrer Liebe zu den Menschen
vorenthalten haben müsse, um so weniger, als ein anderes ungefähr
gleichzeitiges Produkt der altchristlichen Literatur sie in dieser
Thätigkeit erblickt.
In dem zweiten und wiederholt in dem achten Buche der
»Sibyllinischen Orakel« nemlich, welche beiden Bücher nach
Friedlieb aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts stammen1), findet
sich folgender Passus: Gott werde beim Gerichte sein Angesicht von
den Sündern abwenden , »denn sieben Zeitalter der Busse hat er
gegeben den irrenden Menschen durch die Hand der heiligen (reinen,
ayvTjg) Jungfrau«. Unter der »Hand« ist wohl auch hier die flehende
oder schirmende Hand zu verstehen, wie diess so häufig bei Homer
vorkommt. Wollte man übrigens diese Stelle in ihrer ganzen Prägnanz,
da Maria hier eigentlich als Intercedentin zwischen der göttlichen
Gerechtigkeit und der strafwürdigen Menschheit auftritt, für den
Ausdruck des allgemeinen Zeitbewusstseins halten, so würde man zu
weit gehen. Sie bleibt wichtig genug auch als Efflorescenz eines
visionär gestimmten Sinnes.
Das nächste Zeugniss für die Auffassung der Position , welche
Maria im Himmel einnimmt, stammt etwa aus dem Jahr 240. Es ist
die Vision Gregors des Wunderthäters. Gregor wurde um diese
Zeit zum Bischof von Neucäsarea erwählt. Um sich auf sein Amt
vorzubereiten, zog er sich in die Einsamkeit zurück und soll dort
die Erscheinung gehabt haben, die sein Biograph, Gregor von Nyssa,
9 Orac. sib. ed. Friedlieb, Lips. 1852. L. II, 312 u. 313; VIII, 357.
193
mit folgenden Worten erzählt: »Während er einmal nächtlicher
Weile über die Worte des Glaubens nachdachte und allerlei Er¬
wägungen pflog . . . . , erschien ihm in wachendem Zustande eine
Gestalt in menschlicher Bildung, als ein Greis anzusehen, in priester-
lieber Haltung und Kleidung, mit dem Ausdruck hehrer Tugend in
dem huldvollen Antlitz und in der ganzen Art seiner Erscheinung.
Erschreckt durch das Gesicht musste Gregor vom Bette aufstehen
und fragen, wer er sei und warum er komme. Da aber jener die
Bestürzung seiner Seele mit milder Stimme hob und sprach : er sei
ihm auf göttliche Anordnung erschienen um seiner Zweifel willen,
damit ihm enthüllt werde die Wahrheit des gottseligen Glaubens,
so hätte er wieder Muth bekommen und ihn angeschaut mit einer
gewissen freudigen Bestürzung. Da hierauf jener die Hand aus¬
streckte und gleichsam auf etwas von der Seite Erschienenes hin¬
zeigte, so hätte er den eigenen Blick nach der Richtung seiner
Hand gewendet und der ersten Erscheinung gegenüber eine andere
Gestalt gesehen in weiblicher Bildung von übermenschlicher Würde.
Aufs Neue erschreckt, habe er den Blick gesenkt, geblendet von der
Erscheinung und ausser Stande, sie anzuschauen. Denn das Wunder¬
bare des Gesichtes bestand besonders darin, dass trotz der tiefen
Nacht von den Gestalten ein Licht ausstrahlte, als ob sie ein
leuchtender Glanz umhülle. Da er nun nicht im Stande war, die
Erscheinung mit den Augen zu ertragen, hörte er, wie die Gestalten
in Wechselrede x) den Gegenstand seiner Untersuchung abhandelten,
wodurch er nicht nur über das wahre Verständniss des Glaubens
belehrt wurde, sondern auch die Namen der Gestalten kennen lernte,
indem eine die andere bei ihrem Eigennamen aufrief. Denn er soll
von der weiblichen Erscheinung die Aufforderung an den Evangelisten
Johannes vernommen haben, dem jungen Manne (Gregor) das Ge-
heimniss des Glaubens zu offenbaren; jener aber habe geantwortet,
gerne sei er auch hierin der Mutter des Herrn zu Willen, da es ihr
angenehm sei 2).« Johannes habe ihm nun das Glaubensbekenntniss
mitgetheilt, das Gregor nach dem Verschwinden der Gesichte so¬
gleich niederschrieb. Das Autograph dieses berühmten Glaubensbe¬
kenntnisses war zur Zeit des Gregor von Nyssa noch in Neucäsarea
!) Nach der Leseart der Pariser Ausgabe: itpo? a XX-qXou<;.
2) Greg. Nyss. V. Greg. Thaum. c. 8 u. 9.
Lehn er. Die Marienverehrung.
13
194
vorhanden 1). Seine und seines Bruders Basilius Grossmutter
Macrina war selbst von dem Wunderthäter darnach unterrichtet
worden und hatte es ihren Enkeln nach Cappadocien gebracht 2).
Diese Macrina, eine ebenso vornehme, reiche und hochgebildete,
als christlich fromme Dame, war für unsern Biographen ohne
Zweifel auch die nächste Quelle der mitgetheilten himmlischen Er¬
scheinung. Es ist daher an dem hohen Alter dieser Geschichte
wohl kaum zu zweifeln. Vielleicht finden wir sogar bei dem verehrten
Lehrer des Gregorius, bei Origenes, eine Spur davon. Wir erinnern
an dasjenige, was Origenes oben (S. 151) über das Verhältniss
Mariens zum Johannesevangelium sagt, dass nemlich dessen Sinn
Niemand fassen könne, wer nicht .... von Jesus Maria auch zur
Mutter erhalten habe. Gregor hörte den Origenes zu Cäsarea mehrere
Jahre lang zwischen 230 und 240. Origenes stand mit ihm im Brief¬
wechsel, denn es existirt noch ein Brief desselben an Gregor aus der¬
selben Zeit. Konnte er nicht von der Vision, die, wie gesagt, um das
Jahr 240 stattgefunden haben soll, gehört und infolge hievon jene
Wendung in seinem Commentar zum Johannesevangelium , den er
höchst wahrscheinlich erst nachher zu Athen vollendete 3), gebraucht
haben? Die Sache gewinnt um so mehr Scheinbarkeit, wenn man
sich erinnert, dass Origenes auch sonst viel auf Visionen hielt. So
sagt er einmal in seinem Buch gegen Celsus (verfasst im Jahre 247!):
»viele seien beinahe wider ihren Willen zum Christenthum gezogen
worden, nach Visionen im Schlaf oder Wachen4).« Diese Hin¬
deutung auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der erzählten
Vision und der Stelle aus Origenes soll jedoch nur als beiläufige
Bemerkung gelten.
Wenn man nun die Erzählung etwas näher betrachtet, so er¬
scheint Maria darin 1. als Himmelsbewohnerin im Allgemeinen, als
Heilige; 2. als solche, welche in ihrem himmlischen Wohnsitz von
den Bedürfnissen der Erdenbewohner nicht bloss Kenntniss hat,
sondern auch sich ihrer annimmt; 3. vikarirt sie gewissermassen für
ihren Sohn, denn es ist ihr darum zu thun, dass der rechte Glaube
verbreitet werde; 4. zeigt sie sich in erhabenerer Erscheinung, als
9 Ibid.
2) Basil. ep. 204, n. 6. Edit. Maurin; De spir. s. c. 29, n. 74.
s) Euseb. e. h. VI, 32.
9 C. Cels. I; T. I, p. 35.
195
ihr ebenfalls dem Himmel angehörender Adoptivsohn, in übermensch¬
licher Würde, und der Lieblingsjünger beugt sich mit Verehrung
ihrem Willen. Sie ist also hier nicht bloss Beisteherin, advocata,
im Allgemeinen , sie ist Mittlerin , Gehilfin ihres Sohnes an seinem
Werke auch vom Himmel aus, wie sie es auf Erden war, ja sie
zeigt bereits die erste Spur von ihrer spätem Würde als Königin
der Apostel und steht darum schon auf der ersten Stufe zum Throne
der künftigen Himmelskönigin. Von der Vision mag man denken,
was man will, man mag sie als äusseres oder inneres Erlebniss des
Gregorius nehmen, als Traum, oder gar als seine oder seiner Freunde
Erfindung, um seinem Glaubensbekenntniss ein höheres Ansehen zu
verschaffen; das ändert an dem für uns interessanten Resultate
nichts. Ja, wenn man darin ein erdichtetes Mittel der Propaganda
sieht, so verallgemeinert diess nur die eben gekennzeichnete An¬
schauung von Maria, denn es setzt voraus, dass man von der Wir¬
kung des Mittels in weiteren Kreisen überzeugt war.
Schliesslich ist über die Vision als solche noch ein Wort zu
sagen. Muttergotteserscheinungen — welche Rolle spielen sie nicht
in der Legende des Mittelalters, welche hohe Stelle nehmen sie nicht
in der Geschichte mystischer Frömmigkeit ein, und wie sind sie für
Dichter und Künstler ein hundertmal benützter Stoff geworden!
Obige Geschichte ist darum auch desswegen höchst merkwürdig,
weil sie uns den ältesten Fall einer Mariophanie überliefert. Diese
Mariophanie scheint auch für lange Zeit die einzige zu bleiben. Die
nächste, von welcher wenigstens wir wissen, ist diejenige, welche
Sulpicius Severus im Jahre 405 in seinen Dialogen erzählt. Er lässt
dort den heiligen Martin von Tours berichten, dass Agnes, Thekla
und Maria öfters bei ihm gewesen seien. Martin habe auch Züge und
Gestalt der Erscheinungen beschrieben x). Soviel über Gregors Vision.
Wir müssen nun noch einmal einen Blick auf die Stelle des
Origenes zurück werfen, die, wie gesagt, ungefähr aus derselben Zeit
stammt. Wenn sie auch nicht mit der eben erzählten Geschichte
zusammenhängt, so hat sie doch einen verwandten Inhalt. Auch
ihr liegt die Vorstellung zu Grunde, dass Maria als Himmelsbewohnerin
für die Menschen fortdauernd mütterlich besorgt sei, hauptsächlich
in Sachen des Glaubens.
So wäre denn die eine Seite des Verkehrs zwischen Maria im
9 Sulpic. Severi Dialog. II, c. 13. Gallandi T. VIII, pag. 414.
196
Himmel und den Menschen auf Erden , die Aktion von oben nach
unten, erwiesen. Es handelt sich jetzt darum, nach Zeugnissen für
die andere Seite, für die Aktion von unten nach oben, mit andern
Worten nach einem Gebet zu Maria sich umzusehen.
Das älteste uns bekannte findet sich bei Gregor von Nazianz
(f um 389) in seiner Lobrede auf den Martyr Cyprian erwähnt *).
Als Cyprian noch Heide war, entbrannte er in Liebe gegen die
schöne Christin Justina und bediente sich eines Dämons als Kuppler.
Justina nahm vor dem Versucher ihre Zuflucht zu Gott, welcher
Susanna und Thekla bewahrt habe, und zur Allmacht Christi, »und
flehte die Jungfrau Maria an, dass sie ihr, der in Gefahr schweben¬
den Jungfrau, zu Hilfe kommen möchte«.
Gregor confundirt in dieser Rede zwei - verschiedene Cypriane
mit einander, den berühmten Bischof von Carthago und einen Orien¬
talen, der unter Diocletian zugleich mit der heiligen Justina, durch
die er bekehrt worden, und deren Martyrium die Kaiserin Eudokia be¬
sang, den Martyrtod erlitten haben soll. Er verlegt also jenes Gebet
in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts, da der grosse Cyprian schon
um das Jahr 245 Christ wurde. Dem Ende dieses Jahrhunderts oder den
ersten Jahren des vierten kann das Gebet angehören, da die diocletia-
nische Verfolgung, welcher die beiden zum Opfer gefallen sein sollen, im
Jahr 303 begann. Ist aber die Notiz bei Gregor nicht streng historisch
zu nehmen , sondern nur als ein Motiv für die rhetorische Aus¬
malung der Gefahr und der dagegen ergriffenen Rettungsmittel zu
betrachten, so ist doch soviel klar, dass ihm selbst ein solches Gebet
als ganz in der Ordnung , vorkommt. Ja, es muss ihm sowie seinen
Zuhörern ein Gebet zur heiligen Jungfrau schon so geläufig gewesen
sein, dass er es ganz unbefangen in die Vergangenheit verlegen
konnte; denn er will offenbar mit der Notiz nichts Neues Vorbringen,
sondern etwas so Selbstverständliches, wie die Zuflucht zu Gott,
insbesondere für den speciellen Fall gefährdeter Jungfräulichkeit. Es ist
hiemit also wenigstens für die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts
auch die andere Seite des fortdauernden Verkehrs zwischen Maria
und den Gläubigen, das Beten zu Maria, urkundlich dargethan.
Für ihre Position im Himmel gibt der Zeitgenosse des Gregor
von Nazianz, der h. Ambrosius, einen weiteren Beitrag. Er schliesst
seine oben (S. 161 ff.) mitgetheilte Charakteristik Mariens mit folgen-
*) Or. 24; ed. Clemencet (ehemals or. 18; ed. Bill).
197
den Worten: »0 wie vielen Jungfrauen wird Maria entgegengehen,
wie viele wird sie umarmen und zum Herrn ziehen mit den Worten:
diese hat das Brautgemach, diese hat das Bett meines Sohnes in
unbefleckter Keuschheit bewahrt .... Welch ein Fest, welche
Freude der Beifall klatschenden Engel wird es sein , wenn diejenige
im Himmel zu wohnen für würdig erfunden wird, welche auf Erden
ein himmlisches Leben gelebt hat! Dann wird auch Maria die Hand¬
pauke ergreifen und die jungfräulichen Chöre aufrufen, die dem Herrn
singen, weil sie durch das Meer der Welt ohne weltliche Sturm-
fluthen hindurchgegangen 1)« . . . . Ambrosius bringt hienach die
Funktionen Marias im Himmel ebenfalls in besondere Beziehung zum
Jungfrauenstande. Sie begrüsst die im Himmel anlangenden jung¬
fräulichen Seelen und führt sie ihrem Sohne vor, und sie ruft die
jungfräulichen Chöre zum Preisgesange auf. Wie wir daher in der
Vision des Wunderthäters die erste Spur ihres späteren Titels
»Königin der Apostel« fanden, so sehen wir hier eine neue Krone
winken, die Krone der »Königin der Jungfrauen«.
Es begreift sich übrigens von selbst, dass das Urbild der Jung¬
fräulichkeit auf Erden auch im Himmel vorzugsweise als solches in
Thätigkeit ist, darum sagt ein weiterer Zeitgenosse, Cyrill von Jeru¬
salem: »Engel auf Erden sind die der Keuschheit Beflissenen. Die
Jungfrauen haben mit Maria, der Jungfrau, ihrTheil2).«
Auch Epiphanius meint, dass »ihre Krone bei den Jungfrauen«
sei, doch schwankt er, ob er sie nicht auch mit der Martyrkrone
geschmückt sich vorstellen soll, da das »Schwert Simeons« ihr viel¬
leicht einen gewaltsamen Tod prophezeit haben könnte. Am meisten
aber scheint er sich der Ansicht zuzuneigen, dass sie gar nicht ge¬
storben, sondern durch ein Wunder der Erde entrückt sei, und weist
ihr hiedurch offenbar eine eigene, ausgezeichnete Stellung im Himmel
an 3). Wir haben seine eigenen Worte im nächsten Kapitel in anderem
Zusammenhänge wiederzugeben.
Für die Vorstellung von Maria als Fürbitterin für die ganze
Menschheit haben wir aus dem Ende des vierten und dem Anfang
des fünften Jahrhunderts mehrere Belege. Da sie sich aber haupt¬
sächlich in Produkten der Poesie vorfinden, und daher im nächsten
9 De virg. I. II, c. 11, n. 16 u. 17.
2) Gatech. XII, 34.
3) Haer. 78, 11 u. 24.
198
Kapitel wörtlich Vorkommen, ist die Sache hier bloss zu erwähnen.
In einem dieser Produkte, dem Büchlein vom »Hingang Mariens«
erscheint sie nicht bloss nach ihrem Tode in dieser Rolle, sondern
schon vor demselben, wie wir sehen werden. Wir glauben, dass
die letztere Vorstellung nur ein Widerschein der ersteren ist.
Die nemliche Funktion, in welcher man Maria im Himmel sah,
wurde auch auf ihr Erdenleben übertragen. Sie war dieselbe hüben
wie drüben. Und darum sehen wir sie auch bei Gaudentius von
Brescia in dieser Funktion schon auf der Hochzeit zu Cana. Unter
dem fehlenden Wein, um welchen Maria dort bittet, ist nemlich
(s. oben S. 164) der heilige Geist zu verstehen, den Maria, wenn
auch verfrüht, für die Menschen erfleht. Merkwürdig ist, was dann
Gaudentius noch weiter hieran knüpft. »Die Mutter des Herrn, sagt
er, ist hiebei aber auch figürlich zu fassen, als das ganze Volk der
heiligen Patriarchen und Propheten und aller Gerechten, von denen
der Herr nach dem Evangelium den Ursprung seines Fleisches her¬
leitet (Matth. I, 1) ... . Diese Mutter des Herrn also, die Generation
der Patriarchen und Propheten, trat ein für uns Heiden beim ewigen
Sohne Gottes und ihrem Sohne nach dem Fleische, dass er uns
Darbenden die Fröhlichkeit des himmlischen Weines gebe 1 ).« Weiter
unten wiederholt er den Gedanken: ausser Maria, der eigentlichen
Mutter, habe hier das Volk der heiligen Patriarchen und Propheten,
das ja wegen der Abstammung Christi auch als seine Mutter er¬
kannt werde, »für unsere Nöthen ein Legatenamt verwaltet« 2).
Diese Wendung, in welcher Maria als Repräsentantin der Patriarchen
und Propheten erscheint, lässt offenbar wieder zwei ihrer späteren
Ehrentitel vorausahnen, die Titel: »Königin der Patriarchen« und
»Königin der Propheten«.
In das folgende Kapitel haben wir schliesslich auch einige Gebete
— und darunter welche von liturgischem Charakter — verwiesen,
weil sie in der Ursprache metrisch verfasst sind. Als Gebete und
in Prosa übersetzt, wie sie sind, könnten sie ebensogut hier stehen.
Doch es mag die vorläufige Bestätigung ihres Vorhandenseins im An¬
fang des fünften Jahrhunderts genügen. —
Ueber Stellung und Funktionen Mariens im Himmel und die
gegenseitigen Beziehungen zwischen ihr und den Menschen auf Erden
9 Sermo 9.
2) Ibid.
199
dürften die vorstehenden Zeugnisse, wenn sie auch nicht sehr zahl¬
reich sind, ein ziemlich deutliches Bild gegeben haben. Dieses Bild
wird aber noch schärfer ans Licht treten, wenn wir betrachten, wie
Epiphanius ein etwa im letzten Drittel des vierten Jahrhunderts auf¬
getauchtes Zerrbild jener Beziehungen , das übrigens nur von be¬
schränkter lokaler Bedeutung gewesen sein kann, behandelt. Wir
meinen die »Kollyridianerinnen«. Den Namen bildete offenbar
Epiphanius selbst von dem Worte xoXXvpig = Brödchen, Kuchen, weil
die von ihm gebrandmarkten Frauen der h. Jungfrau solche Kuchen
darbrachten. Doch hören wir den Kirchenvater selbst. Zunächst
sagt er am Schlüsse seiner Schrift gegen die Antidikomarianiten :
wie also Einige »diese heilige und selige immerwährende Jungfrau
zu schmähen gewagt haben, .... so haben wir wiederum mit Ver¬
wunderung das Gegentheil gehört. Denn wir haben vernommen,
dass wieder Andere sich eine thörichte Vorstellung von eben der¬
selben heiligen immerwährenden Jungfrau machen und an Gottes
Statt sie einzuführen sich bemüht haben und bemühen und von
einer Art Wahnsinn und Aberwitz hingerissen sind. Denn man er¬
zählt, dass gewisse Frauen von den Gegenden Thraciens diese nichtige
Lehre nach Arabien gebracht haben, dass sie auf den Namen der
immer Jungfräulichen einen Kuchen darbringen und an einem be¬
stimmten Ort Zusammenkommen und auf den Namen der heiligen
Jungfrau, das Maass überschreitend, eine frevelhafte und gottes¬
lästerliche Handlung unternehmen und auf ihren Namen durch
Frauenhand Opfer darbringen *).« In einem eigens gegen diese
Verirrung gerichteten Artikel ergänzt er die obigen Angaben, indem
er berichtet, der Irrwahn hätte sich aus Thracien und dem oberen
Scythien nach Arabien verbreitet, und fährt dann fort: »einige Frauen
schmücken einen Wagen oder viereckigen Stuhl, indem sie eine feine
Leinwand darüber ausbreiten und stellen an einem bestimmten (fest¬
lichen ?) Tage des Jahres (an etlichen Tagen) Brod darauf aus und
bringen es auf den Namen der Maria dar; alle aber geniessen von
dem Brode * 2 * *).« Epiphanius weiss dann später zwar nicht genau,
9 Haer. 78, 23.
2) Haer. 79, 1. xivei; yap -pvaix ec, xoopixöv xiva xoafj-oöoai, y jxoi Shppov zezpäjcuvov'
auXcoaaaat lit5 aüxöv ottovYjv, ev Yjpipa xivl cpavspqj xoö szooq, Iv Yjpipai«; xialv apxov
itpoxdHaai .... Den „xoupixöv“ erklärt der Thesaurus des Stephanus für ein
hölzernes Gefäss oder Geräth. Das „sv 4]pipat<; xialv“ ist wohl Glossem. Oder
sollte „sv YjjiEpa xivt yuvepä xoö l'xotx;“ Glossem sein?
200
ob »diese müssigen Weiber Maria selbst anbeten und derselben das
Brödchen opfern, oder ob sie diese vorbenannte faule Opfergabe
für1) dieselbe darzubringen unternehmen2)«, jedenfalls aber ver¬
gleicht er die Verirrung mit den heidnischen Todtenopfern und er¬
innert an die von Jeremias (VII, 18) gegeisselten Götzendienerinnen,
»die der Königin des Himmels Kuchen backen«. Er verurtheilt so¬
dann die Thorheit als Götzendienst und Teufels werk mit den stärksten
Ausdrücken.
Man hat verschiedene Vermuthungen über Ursprung und Wesen
der Sekte geäussert, man meint, die Frauen seien neubekehrte
Heidinnen gewesen und hätten vielleicht den Dienst der »grossen
Göttin der Syrer« oder einer ähnlichen weiblichen Gottheit auf
Maria übertragen, oder sie seien ursprünglich Christinnen gewesen
und hätten mit einer abergläubischen Karrikatur der Liebesmahle
oder des heiligen Abendmahls zu Ehren Mariens gegen die Anti-
dikomarianiten, die ja auch in Arabien zur selben Zeit sich bemerk-
lich machten, opponirt. Doch da wir nichts weiter über sie wissen,
als was Epiphanius mittheilt, so mag die Sache auf sich beruhen.
Für uns ist hauptsächlich von Interesse, wie Epiphanius die Gelegen¬
heit wahrnimmt, das christliche Maass der Marienverehrung zu
kennzeichnen. Ausser den oben ihm entnommenen Aussprüchen
mögen noch folgende hiezu dienen:
»Ueber Gebühr soll man die Heiligen nicht ehren, sondern ehren
soll man ihren Herrn .... denn nicht Gott ist Maria, noch hat sie
vom Himmel ihren Leib , sondern aus Empfängniss , durch Mann
und Weib3).« »Heilig fürwahr war Mariens Leib, aber nicht Gott;
Jungfrau fürwahr war die Jungfrau und hochgeehrt, aber nicht zur
Anbetung uns gegeben , sondern anbetend den aus ihr im Fleische
Geborenen4) . . . .« »Sie ist das auserwählte Werkzeug, aber ein
Weib und nicht von verschiedener Natur, ihrem Geist und ihrer
Gesinnung nach aber in grössten Ehren gehalten, wie die Körper
der Heiligen (und über dieselben, wie z. B. über Thekla, s. oben)5).«
»In Ehren sei Maria, aber angebetet werde der Vater und der Sohn
!) ÜTlSp a£>T7]?.
2) Haer. 79, 9.
3) Haer. 78, 24
4) Haer. 79, 4.
5) Haer. 79, 5.
201
und der heilige Geist, Marien bete Niemand an.« »Und wenn auch
Maria die beste ist, und heilig und hochgeehrt, so ist sie doch nicht
anzubeten x).« »Maria sei in Ehren, der Herr sei angebetet* 2).«
Man sieht, Epiphanius, wie hoch er sonst Maria preisen mag,
steht auf demselben Boden, wie die anderen Gewährsmänner und
weist nur jede Uebertreibung des andächtigen Verkehrs der Menschen
mit der Verklärten als heidnischen Frevel ab. Er hat aber hierin
auch noch andere Genossen. Ambrosius z. B. sagt ebenfalls: (die
Anbetung) »ist nicht auf die Jungfrau Maria zu beziehen. Maria
war der Tempel Gottes, nicht der Gott des Tempels, und darum ist
derjenige allein anzubeten, welcher in dem Tempel wirkte;«3) und
Cyrill, der Alexandriner, den wir bald auch als Panegyriker kennen
lernen werden, antwortet auf die Bemerkung des Nestorius:
»nur mache man die Jungfrau nicht zur Göttin« Folgendes: »wir
haben, indem wir sie Gottesgebärerin nennen , durchaus Niemand
vergöttlicht, der unter den Geschöpfen zählt, .... wir wissen, dass
die selige Jungfrau Mensch war, wie wir4).« Auch noch ein Aus¬
spruch des Bischofs Theodoret von Cyrus kann hier angezogen
werden, wenn er auch vielleicht über die von uns behandelte Zeit
hinausfällt, denn Theodoret starb erst im Jahr 458. Er sagt nem-
lich: »(Maria) wird wegen jenes (Christi) von den Gläubigen ge¬
priesen ; denn nicht der aus ihr (Geborene) ist ihretwegen verehrungs¬
würdig, sondern sie wird wegen des aus ihr (Geborenen) mit den
grössten Namen geschmückt5).«
Diese Limitationen ändern augenscheinlich an der Sache nichts,
sondern sie stellen das Verhältniss nur schärfer Umrissen dar. Die
Stellung Mariens im Himmel und ihre Beziehungen zu den Menschen
bleiben unangefochten; sie sind im Ganzen dieselben, wie bei den
übrigen Heiligen , wenn auch der jungfräulichen Mutter des Herrn
ein gewisser Vorrang zukömmt. Und hiefür ist schon die blosse
Existenz der Sekte bezeichnend. Wenn wir nemlich diese nur an
und für sich betrachten wollten, so wäre doch nicht anzunehmen,
dass die Thorheit der Kollyridianerinnen eine vollständig freie Er-
’) Haer. 79, 7.
2) Haer. 79, 9.
3) De spir. sancto lib. III, c. 11, n. 80.
4j Adv. Nestor. 1. I, c. 9.
5) Epist. ad monach. Gail. Tom. IX, p. 411.
202
findung der Frauen wäre. Geborene Heidinnen oder Christinnen,
fanden sie offenbar etwas Bestehendes vor, das sie verzerrten. Und
schliesslich hatten die Kirchenväter, namentlich der hierauf sehr auf¬
merksame Epiphanius, bei keinem anderen Heiligen eine ähnliche
»Uebertreibung« zu rügen, als bei Maria. Diess ist wohl zweifellos
ein weiterer Fingerzeig auf die intensivere Andacht zu ihr, als zu
den übrigen Heiligen, worauf endlich noch ein Ausspruch des uns
schon bekannten Severian von Gabala hinzudeuten scheint, wenn
er sagt: »Maria hört sich täglich von allen »selig« preisen
Was aber, könnte man sagen, hat sie davon, wenn sie es nicht
hört? Ja wohl hört sie es, weil sie am Ort des Lichtes ist, im Lande
der Lebendigen, die Mutter des Heiles, die Quelle des Lichtes . . . .
So also wird sie von der ganzen Welt selig gepriesen Q.«
4) Einen allgemein menschlichen Faktor der Verehrung eines Ver¬
storbenen sehen wir hinwiederum darin, dass man demselben be¬
stimmte Gedenktage hält. Gewöhnlich wird hiefür der Geburts¬
oder Todestag gewählt, oder auch beide. Die alten Christen ent¬
schieden sich für den Tag des Todes, als den Geburtstag für den
Himmel. Diess war zunächst bei den Märtyrern der Fall, wie wir
schon bemerkt haben. Doch lässt sich sogar das älteste Jahresfest
des Herrn selber, der ja auch ein Martyr, und zwar der erste
und oberste aller Märtyrer war, aus diesem Gesichtspunkt betrachten.
Das Osterfest als Auferstehungsfest ist ja auch der Geburtstag des
men sch gewordenen Gottessohns für den Himmel. Der Gebrauch,
die Todestage zu feiern, war so allgemein, dass Augustinus nur
zwei Ausnahmen kennt. »Bloss zwei (wirkliche) Geburtstage , sagt
er, feiert die Kirche , den Geburtstag des Johannes (des Täufers)
und den Geburtstag Christi* 2).«
Bei Maria hatte die Sache einen andern Verlauf. Ihren Todes¬
tag zu feiern, auch wenn man ihn hätte feiern wollen, war un¬
möglich, denn man kannte ihn nicht. »Ihr Ende kennt Niemand«
sagt Epiphanius, wie wir später sehen werden. Es musste darum
erst eine bestimmte Vorstellung über ihren Austritt aus dem Leben
nicht bloss sich gebildet haben , sondern schon in den allgemeinen
Glauben übergegangen sein, ehe man daran denken konnte, diesen
*) De rnundi creat. orat. VI. In der Ausgabe des Chrysostomus von Mont-
faucon, T. VI, p. 509.
2) Sermo 287.
203
Tag mit einer Feierlichkeit zu begehen. Und diess trat zu einer
Zeit ein, welche schon ausserhalb der Periode fällt, die wir behandeln.
Ebenso war es mit ihrem Geburtstage, obwohl sich über ihren Ein¬
tritt in das Leben viel früher eine Meinung zu bilden anfmg, als
über ihren Tod ; was wir Alles im nächsten Kapitel erfahren
werden. Wir glauben in diesen Umständen einen Hauptgrund er¬
blicken zu dürfen, dass wir erst verhältnissmässig spät von einem
Marienfest vernehmen. Ging es ja doch mit einigen Festen Christi
aus ähnlichen Gründen in ähnlicher Weise. Das Weihnachtsfest
z. B. wurde in der orientalischen Kirche erst im letzten Drittel des
vierten Jahrhunderts als eigenes, selbständiges Fest eingeführt, weil
erst zu dieser Zeit auch hier der 25. December als Geburtstag
Christi festgestellt wurde.
Wie aber war es denn nun mit Maria?
Der ganze Gang unserer Untersuchungen hat überall den innigen
Zusammenhang der Mutter mit dem Sohne gezeigt. Die Entfaltung
ihres Wesens hielt mit der Entfaltung des Wesens Christi gleichen
Schritt. Ihr Titel Gottesgebärerin, die Ueberzeugung von ihrer
immerwährenden Jungfräulichkeit, von ihrer Sündenlosigkeit flössen
aus der Vertheidigung der Göttlichkeit Christi. Ihre Verehrung
überhaupt verdankt sie der Verehrung ihres Sohnes. So lange es
daher bei ihr an dem Substrat für einen Gedenktag in der ge¬
wohnten Art (Geburts- oder Todestag) gebrach , wurde sie an den¬
jenigen Tagen, die zum Gedächtniss besonders wichtiger Ereignisse
oder Begebenheiten im Leben des Herrn, an denen sie mitbe-
theiligt war, nach und nach eingeführt wurden, mitgefeiert. Solche
Tage sind das Fest der Empfängniss oder Verkündigung , der Ge¬
burt, der Epiphanie, der Darstellung im Tempel.
Das älteste von diesen Festen ist wahrscheinlich das Epiphanien¬
fest, an welchem man aber in den verschiedenen alten Kirchen ver¬
schiedene Ereignisse des Lebens Christi zusammen feierte. Unter Epi¬
phanie verstand man die Offenbarung Christi im Allgemeinen. Hiemit
meinte man 1. seine Offenbarung im Fleische (Geburt) , 2. seine
erste Offenbarung vor der Heidenwelt (Anbetung der Magier),
3. seine erste Offenbarung als Gottes Sohn durch des Vaters Mund
(bei der Taufe), 4. seine Offenbarung als Wunderthäter (bei der Hochzeit
zu Cana oder auch bei der Speisung der Fünftausend). In einem
Theil der orientalischen Kirche feierte man namentlich Geburt und
Taufe zusammen bis in die Zeiten des Chrysostomus. In der
204
abendländischen Kirche concentrirte sich die Feier hauptsächlich auf
die Anbetung der Magier. Diess begann in sehr früher Zeit, wohl
schon im dritten Jahrhundert x).
Das Geburtsfest des Herrn, das Weihnachtsfest, wurde zuerst
in der abendländischen Kirche als eigenes , vom Epiphanienfest ge¬
trenntes Fest gefeiert ; in Rom jedenfalls lange vor Ghrysostomus’
Zeit, welcher in einer zu Antiochien im Jahr 386 gehaltenen Homilie
sagt, dass man in jener Stadt »von Alters her (aveodsv) und nach einer
alten Tradition« dieses Fest am 25. December begangen habe, und
dass es von dort vor kaum zehn Jahren nach dem Orient gekommen sei* 2).
Die Empfängniss Christi oder die Verkündigung finden wir für
den Monat März berechnet ebenfalls bei Chrysostomus in der nem-
lichen Homilie und zwar unter der Bezeichnung »Empfängniss
Mariä«, während Augustin schon den bestimmten Tag, den 25. März,
als alte Tradition angibt. »Wie die Autorität der Kirche, sagt er,
es als von den Vorfahren überliefert empfing und festhält , glaubt
man, dass Christus am 25. März empfangen worden sei3).« Ob
aber der Tag im vierten Jahrhundert schon festlich begangen wurde,
geht hieraus nicht hervor.
Von dem Fest der Darstellung im Tempel , welches von der
Begegnung mit Simeon auch den Namen »Fest der Begegnung«,
im Abendland dann mit hauptsächlichster Beziehung auf Maria
»Reinigung Mariä«, oder »Mariä Lichtmess« erhielt, ist vor dem
sechsten Jahrhundert keine Rede ; darum haben wir nichts weiter
damit zu schaffen.
Diess also sind die Feste, durch welche das Andenken an
solche Begebenheiten im Leben Christi gefeiert wird, an welchen
Maria mitbetheiligt war; darum konnte sich ihre Feier ganz natur-
gemäss auch auf Maria erstrecken. Wie dieses geschah, haben
wir nun nachzu weisen , indem wir einige Fragmente von Fest¬
predigten mittheilen, die am Weihnachtsfest oder auch am Epi¬
phanienfest im weiteren Sinn gehalten worden sind.
b S. hierüber ausser Augusti’s Denkwürdigkeiten: Zappert, Epiphania, in
den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Philosoph, histor. Klasse XXI. Bd.
III. Heft; dann Martigny, dictionn. des ant. ehret, »fetes immobiles«; Smith and
Cheetham, dict. of Christ, ant. »christmas«, »epiphany«, »Mary«; und immer
noch Benedict XIV., de festis.
2) Chrys. hom. in nat. Ghr. Tom. II, p. 354, ed. Montf.
3) De trin. 1. IV. c. 5.
205
Zuvor jedoch können wir nicht unterlassen , mit einem Wort
auf die Produkte der Poesie und Kunst hinzuweisen, welche Gegen¬
stand der folgenden Kapitel sein werden , und in welchen bei allen
Darstellungen der Geburt und Epiphanie Maria ihre natürliche Stelle
findet. Die Kunst führt Maria mit Vorliebe in Epiphanienbildern
vor und zwar schon im dritten Jahrhundert. Wenn wir nun auch
diese Bilder nicht als in die Kunst übersetzte Kirchenfeste betrachten
wollen, so dürfte doch ihr häufiges Vorkommen die Vermuthung
♦
unterstützen, dass das Epiphanienfest im Abendland, und speciell in
Rom, schon in dieser frühen Zeit vornehmlich als Fest der Magier
und daher mit gebührender Betheiligung Mariens gefeiert wurde.
Die Festpredigten sind ihrem Inhalt nach vielfach verwandt
mit den Homilien auch älterer Kirchenväter über die Evangelienab¬
schnitte, worin Maria vorkommt. Sie stellen sie ebenfalls insbesondere
als lebendiges WMnder dar ; nur nehmen sie begreiflich formell
einen höheren Schwung, indem sie nicht so fast lehren, als preisen
wollen. Von den betreffenden Reden des Basilius, des Gregor von
Nazianz u. s. w. haben wir in den früheren Kapiteln Veranlassung
gehabt, kleine Auszüge zu geben (s. S. 103). Auch den h. Augustin
hörten wir mehrmals am Weihnachtsfest sprechen. Wir wollen
nur an die Stelle oben S. 139 erinnern. Statt zu sagen : feiern
wir den Tag, an welchem uns Christus geboren ist, gebraucht er
die Wendung: feiern wir den Tag, an welchem Maria den Heiland
geboren hat, die Verehelichte den Schöpfer der Ehe, die Jungfrau
den Fürsten der Jungfrauen u. s. w. Aus einer andern Weihnachts¬
rede von ihm theilen wir noch folgenden charakteristischen Passus
mit, der dieselbe Wendung enthält:
»Ihr heiligen Jungfrauen, die ihr aus der unverletzten Jungfräu¬
lichkeit derselben (Mariä) hervorgegangen seid, die ihr die irdische
Ehe verachtend auch im Fleische Jungfrauen zu sein erwählt habt,
feiert denn nun mit Freuden am heutigen Tage festlich
die Geburt der Jungfrau. Denn jener ist aus dem Weibe ge¬
boren, der nicht vom Manne im Weibe gezeugt ist. Er, der euch
gebracht hat, was ihr lieben sollt, hat der Mutter nicht genommen,
was ihr liebet. Er, der in euch heilet, was ihr von Eva geerbt
habt, kann nicht verletzen wollen, was ihr in Maria geliebt habt.
»Jene also, deren Spuren ihr nachfolget, hat nicht mit dem
Manne gelebt, um zu empfangen, und als sie gebar, ist sie Jungfrau
verblieben. Ahmet ihr nach, so weit ihr könnt, nicht durch Frucht-
206
barkeit, weil ihr das nicht könnet unbeschadet der Jungfräulichkeit.
Sie allein konnte beides, da sie den Allmächtigen gebar, durch den
sie es konnte 1).«
Zu den ältesten aber, die wir für unsern Zweck verwenden
können, gehören die Reden des h. Ephräm, die er am Weihnachts¬
feste gehalten hat. Es sind diess freilich eigentlich keine Reden,
sondern vielmehr Hymnen, weil sie metrisch geschrieben sind, und
darum geben wir auch das Meiste von ihm in dem nächsten Kapitel.
Ein Specimen jedoch, das noch am ehesten sich wie eine Predigt
liest, und worin er sich auch zweimal an seine Zuhörer wendet,
wollen wir hier mittheilen, weil sich eben darin die Betheiligung
Mariens an einem Feste des Herrn besonders anschaulich darstellt.
Wir bedienen uns der Uebersetzung Zingerle’s (s. unten), der dem
Hymnus die Ueberschrift gibt:
Lobrede auf die Menschwerdung und die Jungfrau Maria.
»Höchst erstaunlich ist es für den Menschen, meine Geliebten,
die Wunder zu betrachten, wie Gott herabkam und in einem Mutter¬
leibe seine Wohnung nahm; wie ferner das höchste Wesen einen
menschlichen Leib anzog und neun Monate lang im Mutterschoosse
ohne Widerwillen wohnte; wie aber auch der Schooss von Fleisch
im Stande war, das Feuer zu tragen, und wie die Flamme im
weichen Mutterleibe wohnte, ohne dass er von Feuer verzehrt wurde.
Wie einst der Dornbusch auf dem Berge Horeb Gott selbst in der
Flamme trug, ebenso trug Maria Christum in ihrem jungfräulichen
Schoosse. Gott kam vollkommen durch das Ohr in den Mutterleib
und trat als Gottmensch auf reine Weise aus demselben in die Welt
hervor. Die Jungfrau empfing Gott, die Unfruchtbare (Elisabeth)
ward mit dem Jungfräulichen (Johannes) schwanger, und der Sohn
der Unfruchtbarkeit hüpfte (im Mutterleibe) vor der Leibesfrucht bei
der Heimsuchung der Jungfräulichkeit.
»Ein ganz neues Wunder wirkte also Gott unter den Erdbe¬
wohnern, dass er selbst ohne ehelichen Umgang geboren ward, sein
Herold (Johannes) aber gegen den gewöhnlichen Lauf der Natur.
Die Himmel misst er mit seiner Spanne 2) und liegt spannenlang in
der Krippe; das Meer fasst er mit seiner Handhöhle3), und seine
J) Aug. Sermo 191 in nat. Dom. T. V, p„ 894; Vgl, auch S. 140.
2) Jes. XI, 12.
3) Ibid.
207
Geburt fand in einer Höhle statt. Die Himmel sind seiner Herrlich¬
keit voll, und die Krippe ist voll seines Glanzes. Moses wünschte x)
seine Herrlichkeit zu schauen, vermochte aber nicht, sie so zu sehen,
wie sie ist. So mag er denn heute kommen; denn sie liegt in
Windeln eingehüllt in der Krippe. Einst wagte es kein Mensch zu
hoffen, Gott sehen zu können und am Leben zu bleiben* 2). Heute
lebten alle, die ihn sahen, vom zweiten Tode (der Verdammniss) zu
neuem Leben auf.
»Moses bildete, da er das Feuer im Dornbusch sah, das Ge-
heimniss (der Geburt Christi) vor; die Weisen (Magier) erfüllten das
geheimnissvolle Vorbild, weil sie das Licht in Windeln erblickten.
Gott rief mit seiner Stimme im Dornbusch dem Moses zu , er
solle seine Schuhe ausziehen ; der Stern aber berief schweigend die
Magier, an den heiligen Ort zu kommen. Moses konnte Gott nicht
schauen, wie er ist; allein die Magier traten ein und sahen Gott
als Mensch. Eine Höhle ist der andern ähnlich (die Höhle des
Moses3) und die Höhle bei Bethlehem) und Moses war das Vorbild
der Magier. Wenn aber ein Zuhörer einwendet, wo denn eine Ver¬
gleichung des Moses, des Hauptes der Propheten, mit den Magiern,
den Fürsten Persiens, stattfinde, so mag er sich von Gott selbst,
dem weisesten Beurtheiler, beruhigen lassen: denn hätte er sie nicht
schon vor aller Zeit auserwählt , seine Herolde zu sein , so hätte er
von ihren dann unheiligen Händen keine Geschenke angenommen.
Moses stellte geheimnissvolle Vorbilder dar , und unser Herr erfüllte
sie. So glänzte z. B. sein Antlitz, weil Gott mit ihm redete, und
ein Schleier verhüllte sein Angesicht, weil ihn sonst das Volk nicht
anschauen konnte. Ebenso hat auch unser Herr im Mutterleibe
mit dem Schleier des Fleisches sich bedeckt und erschien aus ihm
hervorkommend; dann sahen ihn die Weisen und brachten ihre
Geschenke dar.
»Gross ist das Wunder, das auf unserer Erde geschah, dass
nemlich der Herr des Alls sich zu ihr herabliess. Gott ward Mensch,
der Alte 4) wurde ein Kind. Der Herr machte sich den Knechten
gleich, und der Sohn des Königs ward wie ein Verächtlicher. Das
>) II. Mos. 33, 18.
2) II. Mos. 33, 20.
3) II. Mos. 33, 22.
<) Daniel VII, 9.
208
allerhöchste Wesen erniedrigte sich und liess sich zu unserer Natur
herab. Was seiner Natur fremd war , nahm er für uns alle auf
sich. Wer soll nicht auf diess Wunder aufmerksam horchen, dass
Gott sich herabliess, geboren zu werden? Wer soll nicht erstaunen,
wenn er betrachtet, dass der Herr der Wächter (Engel) geboren
ward? Ohne Grübelei glaube diess und sei überzeugt, dass es in
Wahrheit so ist.
»Richtet nun, o Geliebte, eure betrachtenden Blicke auf Maria!
Als Gabriel zu ihr eingetreten war, sprach sie forschend zu ihm:
Wie wird diess geschehen ? Und es erwiderte ihr der Diener des
h. Geistes: Für Gott ist dieses leicht; denn ihm ist Alles möglich.
Indem sie fest glaubte, was sie hörte, antwortete sie darauf: Ich
bin eine Magd des Herrn. Alsbald senkte sich dann das Wort,
weil dessen kundig, hernieder, schwebte herab, wie es ihm gefiel,
trat in sie ein und nahm in ihr seine Wohnung, ohne dass sie auf
sinnliche Weise diess merkte. Sie empfing ihn , ohne etwas zu
leiden, und er ward in ihrem Leibe ein Kind, während zugleich
die Erde seiner voll war. Er neigte sein Ebenbild herab, um das
veraltete Bild Adams zu erneuen. Hörst du also von der Geburt
Gottes reden, so verharre im Schweigen ! Was Gabriel gesprochen,
bleibe deinem Geiste eingeprägt! Denn es gibt nichts, was jener
hochgelobten Majestät, die sich unseretwegen herabliess und unter
uns aus uns geboren ward, zu schwer wäre.
»Heute ward uns also Maria zum Himmel, der Gott trug, denn
in sie liess sich die allerhöchste Gottheit herab und wohnte in ihr.
In ihr ward sie klein, um uns gross zu machen, da sie ihrer Natur
nach nicht klein ist. In ihr webte sie uns ein Kleid (des Heiles),
damit uns dadurch Erlösung zu Theil würde. In (an) ihr wurden
die Aussprüche der Propheten und Gerechten erfüllt; aus ihr ging
uns das Licht auf und verscheuchte die Finsterniss des Heidenthums.
Viele Namen trägt Maria, und es frommt mir, sie damit anzurufen.
Sie ist die Burg, worin der gewaltige König der Könige wohnte;
allein er kam nicht so, wie er in sie eingetreten ist, aus ihr hervor,
sondern er hatte von ihr sich mit Fleisch bekleidet und ging so
heraus. Sie ist auch ein neuer Himmel, weil in ihr der König der
Könige wohnte. In ihr ging er auf und trat dann in die Welt
hervor, ihr ähnlich gestaltet und bekleidet. Eine Rebe ist sie, die
eine Traube als Frucht auf übernatürliche Weise hervorbrachte,
und weil ihre (der Traube) Natur ihr nicht gleich war, so nahm
209
sie ihre Farbe (Menschennatur) an und ging aus ihr hervor. Sie
ist die Quelle, aus der lebendiges Wasser für die Dürstenden her¬
vorströmte, und die von ihrem Getränke kosteten , geben hundert¬
fältige Früchte.
»Dieser Tag (der Geburt Christi) gleicht daher dem ersten
Schöpfungstage ganz und gar nicht. An diesem wurden die Ge¬
schöpfe gebildet; an jenem ward die Erde erneuert und gesegnet
um Adams willen , dessentwegen sie einst verflucht worden war.
Eva und Adam brachten durch Sünden den Tod in die Welt; ihr
(der Welt) Herr aber gibt uns durch sie (die Welt, d. h. durch
seine Ankunft in derselben) aus Maria neues Leben. Der Böse ent¬
leerte sein Gift durch die Schlange in Evas Ohr; der Gute aber neigte
seine Erbarmung herab und ging durch das Ohr Mariens hinein.
Durch das nemliche Thor, durch welches der Tod eindrang , trat
auch das Leben ein, das den Tod tödtete. Ihn, den die Cherubim
tragen, trugen Marias Arme. Gott, den das All nicht umfasst, den
war Maria zu tragen im Stande. Der König, vor dem die Wächter
(Engel), diese feurigen Geisterwesen erzittern , liegt am Busen der
Jungfrau, und sie umfängt ihn liebkosend als ein Knäblein. Die
Himmel sind der Thron seiner Herrlichkeit und er sitzt auf Marias
Knieen. Die Erde ist seiner Füsse Schemel, und er trippelt auf ihr
als Knäblein herum. Seine hohle Hand misst den Staub x) , und
er geht als Knabe darauf herum * 2).«
In ähnlicher Weise wird Maria auch von andern Kirchenvätern
in ihren Weihnachtsreden verherrlicht. Wir wollen nur noch einige
Auszüge aus einem sonst weniger hervorragenden Schriftsteller, dem
Bischof Theodot von Ancyra mittheilen, von welchem drei solcher
Reden, die er früher in seiner Bischofsstadt gehalten hatte, auf dem
Ephesiner Concil vorgelesen wurden.
»Herrlich und wunderbar ist der Gegenstand des heutigen
Festes; herrlich, weil er den Menschen die allgemeine Erlösung
brachte; wunderbar, weil er das Naturgesetz überwand. Denn die
Natur kennt diejenige, welche geboren hat, nicht mehr als Jungfrau,
die Gnade aber zeigte sie als Gebärerin und bewahrte sie als Jung¬
frau. Sie machte sie zur Mutter und verletzte nicht die Jungfrau-
9 Jes. XI, 12.
2) Ephram. Tom. III, syr. et lat. p. 604 ff. Zingerle, Ephr. Bd. II, p. 51 ff.
in der Thalhofer’schen Kirchenväterübersetzung, Kempten.
Lehn er, Die Marienverehrung.
14
210
schaft; denn die Gnade behütete die Keuschheit. 0 unbesätes Land,
das du heilbringende Frucht hervorbrachtest; o Jungfrau, die du
selbst den Garten Eden übertrafest ! Denn jener brachte ein Geschlecht
gepflanzter Gewächse hervor, indem die Gewächse aus jungfräu¬
lichem Lande aufsprossten. Diese Jungfrau aber ist vorzüglicher
als jenes Land, denn sie brachte keine Obstbäume hervor, sondern
die Ruthe Jesse’s, welche die Frucht der Erlösung für die Menschen
trug. Jenes Land war jungfräulich, und diese war Jungfrau. Aber
dort liess Gott Bäume sprossen, dieser Jungfrau Spross aber ward
der Schöpfer selber nach dem Fleische. Jenes Land empfing keinen
Wurzelsprössling vor den Bäumen , diese Jungfrau verlor durch die
Geburt nicht die Jungfrauschaft. Die Jungfrau ist vornehmer, als
das Paradies. Jenes war der Acker Gottes, diese brachte nach dem
Fleische Gott selbst hervor .... Siehst du, wie wunderbar das Ge-
heimniss ist, welches das Naturgesetz verachtet! Siehst du das über¬
natürliche Ereigniss, das durch Gottes Kraft allein sich zugetragen
hat! .... Weil der Geborene das Wort Gottes ist, ist offenbar,
warum er die Jungfrauschaft nicht aufhob. Diejenige, welche blosses
Fleisch gebiert, verliert die Jungfrauschaft, aber da das Wort Gottes
im Fleische geboren ward, bewahrt es die Jungfrauschaft, indem es
sich als Wort Gottes zeigt *)« . . . .
»(Moses) sah aus dem Dornbusch Feuer flammen, das den
Dornbusch nicht verzehrte. Warum glaubst du nun nicht an den
aus der Jungfrau Geborenen , der die Jungfrauschaft nicht ver¬
letzte? .... Was ist einfacher, sage mir, ein Dornbusch oder eine
jungfräuliche Gebärmutter, rein von sündlichen Leidenschaften?
Siehst du nicht, dass das Alte (Alttestamentliche) eine Vorübung
des Neuen und jetzt Geschehenen ist? Denn die Geheimnisse (des
Christenthums) werden vorgebildet durch das Alte (im alten Testament
Erzählte). Desswegen flammt der Dornbusch auf, und es erscheint
Feuer, und die Kraft des Feuers hat keine Wirkung .... Siehst du
nun nicht in dem Dornbusch die Jungfrau ?
»Es ist demnach heute Gott durch die Jungfrau erschienen und
die Jungfrau blieb Jungfrau und wurde Mutter. Denn der Freund
der Unverdorbenheit wirkt kein Verderben, der Schöpfer der Unver¬
dorbenheit verdarb nichts. Da nun aber Photinus den Geborenen
einen blossen Menschen nennt, da er leugnet, dass er Gottes Frucht
’) Theod. hom. in diem nat. Christi; Gallandi, Tom. IX, p. 440.
211
sei, und den aus der Gebärmutter Hervorgekommenen als Menschen
hinstellt, abgesondert von Gott, so sage er mir nun, wie ein mensch¬
liches Wesen, das durch eine jungfräuliche Gebärmutter geboren ist,
die Jungfräulichkeit der Gebärmutter unverletzt aufrecht erhielt?
Denn keines Menschen Mutter ist Jungfrau geblieben *)« .... (Den
Schluss : — Beweis aus der immerwährenden Jungfräulichkeit der
Mutter für die Göttlichkeit des Sohnes — haben wir oben S. 142
mitgetheilt.)
Unter dem Namen des Theodot ist auch eine Predigt überliefert
mit der Ueberschrift »Rede auf die Gottesgebärerin und den Symeon«,
welche, wenn sie ächt ist, hiemit auf das spätere »Fest der Be¬
gegnung« bereits hinzeigt und den Beweis liefert, dass auch hie¬
bei der h. Jungfrau in ausgezeichneter Weise gedacht wird. Wir
theilen mit allem Vorbehalt Einiges daraus mit:
.... »Geboren hat die Jungfrau, die Prophetin nach Jesaias* 2),
den Emmanuel, ohne Mann, .... geboren hat die Prophetin, ohne die
Art und Weise der Empfängniss zu kennen. Neu ist das Wunder
und unerklärlich. Durch das Gehör empfing Maria , die Prophetin,
den lebendigen Gott ....
»Desswegen lasst uns, wie es sich gebührt, und als wohldenkende
Gottesknechte sowohl Gott dem Logos, als auch der Mutter das Ge¬
schenk des Logos nach Vermögen verdanken .... Schreiten wir
also nach heiligem Brauche zum Preisgesang, schreiten wir dazu mit
Freuden und mit guten Worten, rühmend und preisend das Ge-
heimniss, welches über Vernunft und Wort geht. Beginnen wir mit
dem göttlichen Brautgeschenk des Himmelsbürgers Gabriel und
sprechen wir: sei gegrüsst, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir.
Wiederholen wir mit ihm: sei gegrüsst, du unsere ersehnte Freude;
sei gegrüsst, du Jubel der Kirche; sei gegrüsst, du lieblich tönender
Name; sei gegrüsst, von Gott glänzendes, freudiges Angesicht; sei
gegrüsst, du allverehrtes Denkmal; sei gegrüsst, du heilbringendes
und geistiges Vliess; sei gegrüsst, lichtgekleidete Mutter, Heiligthum
des Lichtes; sei gegrüsst, ganz Unbefleckte, Mutter der Heiligkeit; sei
gegrüsst, durchsichtigste Quelle des belebenden Regens; sei gegrüsst,
neue Mutter und Bildnerwerkstatt der Neugeburt; sei gegrüsst,
unerklärliche Mutter der Unbegreiflichkeit; sei gegrüsst, neuer Ab-
') Theodot. hom. in nat. Chr. ; Gailandi, T. IX, p. 450 ff.
2) Is. VIII, 3.
212
schnitt der neuen Schrift nach Jesaias x), deren treue Zeugen Engel
und Menschen sind; sei gegrüsst, Alabastergefäss des geweihten
Balsams; sei gegrüsst, schöne Wechslerin des jungfräulichen Denars;
sei gegrüsst, einziges Bildwerk, das den Bildner umschliesst ; sei ge¬
grüsst, kleinstes Gefäss, die du den Allunfasslichen umfasstest* 2).
»Wer wird die Abkunft desjenigen auseinandersetzen, der älter
ist als alle Zeugung? Was sollen wir bewundern? Die göttliche und
unaussprechliche Frucht, oder die unerklärliche Niederkunft? Nicht
mit der Rede wird umschrieben, was über die Rede geht, nicht mit
dem Verstände wird erfasst, was über den Verstand geht. Denn
wenn auch ein Maler die Mutter der Heilsveranstaltung malt 3) , so
erklärt doch keine Rede die Art und Weise der Schwangerschaft.
Sollen wir der Leibesfrucht einen Anfang setzen? Aber sie besteht
nicht ohne den Anfangslosen. Sollen wir den Geborenen Kind
nennen? Aber den Alten der Tage hat er zum Urgrund und Ur¬
heber .... Solcherlei Güter führt uns immer die göttliche Mutter-
Jungfrau vor in ihrem heiligen Glanze, denn bei ihr ist die Quelle
des Lebens4), und die Brüste der geistigen und unverfälschten
Milch 5) . . . .
»Wenn nun Einer den Namen eines Christen führt, und über
den selbstverständlichen, wirksamsten und entscheidenden Namen
der Gottesgebärerin, der gottbesessenen Jungfrau unwillig und be¬
stürzt ist, — der gefällt sich eitel und fälschlich in dem Prädikate
der Heiligkeit, da er den Dogmen widerspricht .... Er, der einst
die Jungfrau (Eva) ohne Fehl erschaffen hat, derselbe hat auch zum
zweiten Male diese (Maria) untadelig gebildet; er, der das Aeussere
mit Anmuth gemacht, er hat auch das Innere heilig ausgeschmückt
zum Aufenthalt der Seele 6).«
b Is. VIII, l.
2) Im Griechischen: ytipr^a ycopYjaocaa tov zolq rcäaiv öcyaipmov.
3) ypafs: ‘(paytöz kann auch heissen »ein Schreiber beschreibt« = sucht
zu beschreiben; aber das gäbe doch keinen so guten Gegensatz gegen die »Rede«
im Nachsatz und im Vorausgehenden.
4) Ps. XXXV, 1.
5) I. Petr. II, 2. Diesen Absatz gaben wir nach dem besseren Text bei Pitra,
Spicil. Solesm. T. I, p. 349.
6) Gallandi T. IX, p. 460 ff. und Pitra a. a. 0. Andere Reden des Theodot,
welche Gallandi in der lat. Uebersetzung des Combefis abdrucken liess, berück¬
sichtigen wir nicht.
213
In dieser Weise also fiel bei der Feier gewisser Feste des Herrn
auch der Mutter ihr Theil zu. Dass dieser Theil kein unbedeutender
war, ist nicht zu verkennen. Wie wir nun die Erfahrung gemacht
haben, dass bei den dogmatischen Feststellungen über das Wesen
Christi schliesslich die Wendung eintrat, als ob es sich nicht mehr
so fast um den Sohn handelte, als um die Mutter (allerdings immer
dem Sohne zu liebe), so dass die Mutter in den Vordergrund trat;
so kann es nur naturgemäss erscheinen, wenn die bei den Festen
des Sohnes in solcher Weise mitgefeierte Mutter schliesslich ihre
eigenen Feste erhielt. Wir wissen denn auch, dass im Jahr 429 zu
Konstantinopel ein Marienfest begangen wurde. Das sagt uns Proklus,
indem er seine vielgenannte Predigt mit dem Worte beginnt: »ein
Jungfrauenfest« (navrjyvpLg napß-evix?}), und durch den Inhalt der Rede
darthut, dass eben die heilige Jungfrau gemeint sei.
Man hat nun sofort die Frage auf den Lippen, was das eigent¬
lich für ein Festtag gewesen sein möchte, d. h. welches Ereigniss
aus dem Leben Mariens dadurch festlich begangen worden sei. Doch
das lässt sich nicht ausmachen. Geburts- oder Todestag war es
nicht, denn es ist bekannt, dass diese erst später eingeführt wurden;
ebensowenig kann an eine Uebertragung des Weihnachts- oder
Epiphanienfestes gedacht werden, denn diese blieben immer ungetheilt
dem Herrn geweiht. Das Fest der Darstellung im Tempel, im
Abendland Reinigungsfest oder Lichtmess , kann gar nicht in Be¬
tracht kommen, denn abgesehen von der Zeit fand ja die Feier im
Orient statt, wo jenes Fest als Herrenfest aufkam und blieb. Sollte
nun der von Proklus gefeierte Tag nicht das Empfängniss- oder
Verkündigungsfest gewesen sein?
Von allen Erlebnissen Mariens, die sie mit ihrem Sohne theilte,
oder mit denen sie um seinetwillen beglückt wurde, ist es vorzugs¬
weise die Verkündigung, wobei sie die erste Rolle spielt. Denn
wenn auch »das Wort im Anfang war«, so begann es eben erst in
jenem Augenblicke »Fleisch zu werden«, als Maria ihre Zustimmung
aussprach. Der Verkündigungstag kann also eigentlich noch nicht
als Tag des Herrn betrachtet werden, wenn auch die Vermuthung
besteht, dass er ursprünglich als solcher gefeiert worden sei, als
»Fest der Empfängniss Christi«. Jedenfalls hat aber die Ansicht,
dass dieser Tag gleich vom Beginne seiner Feier an als Marienfest
gegolten habe, nicht minder viel für sich; heisst ja doch auch
Ghrysostomus das von ihm für den März berechnete Ereigniss »Em-
214
pfängniss Mariä«, nicht »Empfängniss Christi«. Die Festrede des
Proklus selbst enthält nicht nur nichts, was gegen die Annahme
einer Verkündigungspredigt spräche, sondern ihr Inhalt passte ganz
trefflich für diesen Tag, wie man aus den unten gegebenen Aus¬
zügen sofort erkennen wird. Die Wahrscheinlichkeit wächst, wenn
wir betrachten, wie der Redner im Anfang des fünften Absatzes,
den wir unten nicht geben, weil er nichts weiter von Maria enthält,
beim Beweise der Gottmenschlichkeit Christi auch plötzlich auf den
Namen des Gabriel kommt. Er sagt: »achte wenigstens, o Mensch,
den Namen des Erzengels. Denn derjenige, welcher Marien
jene frohe Botschaft brachte, hiess Gabriel. Was aber ver¬
stehst du unter Gabriel? Oeffne die Ohren und lerne: (der Name
bedeutet) Gott und Mensch1). Weil derjenige, welchen er ver¬
kündigte, Gott und Mensch war, anticipirt er, um dadurch leichter
von der Heilsveranstaltung zu überzeugen, in der Bedeutung seines
Namens das Wunder.« Im weitern Verlaufe ist dann ausführlich
von der Noth wendigkeit der Menschwerdung die Rede und es
werden prophetische Stellen aufgeführt, welche die Sehnsucht nach
dem Kommen des Erlösers ausdriicken u. s. w., kurz wir wüssten
kein Marienfest zu nennen , auf welches die Predigt so zuträfe, wie
eben auf das Verkündigungsfest. Jedoch wir wissen, wie gesagt,
nichts Gewisses und können auch das Fest von Proklus an bis zur
Zeit seiner allgemeinen Feier nicht sicher Schritt für Schritt ver¬
folgen, darum muss die Frage offen gelassen werden. Dass aber
das Verkündigungsfest wohl das früheste Marienfest war, dafür
dürfte auch der Umstand sprechen , dass von allen unterschobenen
Marienfestreden eben einige Verkündigungsreden an den ältesten
Namen geheftet wurden, an den Namen Gregors des Wunderthäters.
Vielleicht war der »bestimmte Tag«, den die Ivollyridianerinnen mit
götzendienerischem Unfug entweihten, eben dieses, möglicher Weise
in ihrer Heimat schon bestehende Fest, wenn auch Epiphanius nichts
davon ahnen lässt. Ja , schon der alte Victorinus von Pettau
(f 303) lässt erkennen, dass man ein Interesse daran fand, den
Verkündigungstag bedeutsam zu fixiren, wenn er in seinem »Traktat
über die Weltschöpfung« sagt: »an demselben Tage habe der Engel
Gabriel der Jungfrau Maria die frohe Botschaft gebracht, an welchem
der Drache die Eva verführt habe, an demselben Tage habe der
0 Gezwungen. Der Name bedeutet: Mann Gottes.
215
h. Geist die Jungfrau Maria überschattet, an welchem er das Licht
gemacht habe x).« Doch wir wollen uns nicht weiter in Hypothesen
ergehen, und geben jetzt einige Auszüge aus der Rede des Proklus,
um zu hören, wie er sein Fest beging.
»Ein Jungfrauen-Fest ruft heute, ihr Brüder, unsere Zunge zu
andächtiger Rede auf, ein Fest, das den Versammelten Nutzen
schaffen soll, und zwar mit vollem Recht. Denn dieses Fest hat
zum Gegenstand die Keuschheit, den Preis der Frauenwelt, den Ruhm
des ganzen weiblichen Geschlechtes von wegen ihr, die zu gleicher
Zeit Mutter und Jungfrau ist. Lieblich und wunderbar ist diese
Festversammlung. Denn siehe! Erde und Meer bringen Geschenke
dar der Jungfrau, dieses, indem es seinen Rücken den Lastschiffen
ruhig unterbreitet, jene, indem sie die Fusstapfen der Wanderer
sicher geleitet. Es juble die Natur, es jauchze das Menschengeschlecht,
dass auch die Frauen geehrt werden; es frohlocke die Menschheit,
dass auch die Jungfrauen verherrlicht werden. Denn wo die Sünde
überschwänglich ward, ist die Gnade noch überschwänglicher ge¬
worden * 2). Heute hat uns hier zusammengerufen die heilige Jung¬
frau und Gottesgebärerin Maria, das unbefleckte Kleinod der Jung¬
fräulichkeit, das geistige Paradies des zweiten Adam, die Werkstätte
der Vereinigung der Naturen, der Festplatz des Erlösungsvertrags,
das Brautgemach, in welchem das Wort sich mit dem Fleisch ver¬
mählte, der beseelte Dornstrauch der Natur, welchen das Feuer der
göttlichen Geburt nicht verbrannte , die in Wahrheit leichte Wolke,
welche den über den Cherubim Thronenden sammt dem Körper
trug, das von himmlischem Regen ganz gereinigte Vliess, aus
welchem der Hirte das Schaf kleidete. Maria ist die Magd und
Mutter, die Jungfrau und der Himmel, die einzige Brücke Gottes
zu den Menschen, der furchtbare Webstuhl der Heilsveranstaltung,
auf welchem auf unsagbare Weise das Kleid der Vereinigung ge¬
woben wurde, dessen Weber der heilige Geist, die Spinnerin die
aus der Höhe überschattende Kraft, die Wolle das alte Vliess des
Adam, der Einschlag das unbefleckte Fleisch aus der Jungfrau, die
Weberlade die unermessliche Gnade des Boten (Gabriel), der Künstler
das durch das Gehör eindringende Wort. Wer hat gesehen, wer
hat gehört, dass Gott den Mutterleib unumgrenzt bewohnt hat, und
b Tract. de fabr. mundi, c. VI.
2) Rom. V, 20.
216
dass denjenigen, welchen der Himmel nicht fasste, der Mutterleib
nicht beengte?
»Christus wurde geboren aus dem Weibe nicht als blosser
Gott, aber auch nicht als blosser Mensch, und zum Thore des Heiles
machte der Geborene die ehemalige Thüre der Sünde. Denn wo die
Schlange durch den Ungehorsam das Gift eingoss, dort baute das
Wort, durch den Gehorsam eindringend, sich den lebendigen Tempel;
wo Kain, der Erstling der Sünde, hervortauchte , dort sprosst
Christus, der Erlöser des Geschlechts, ohne Samen hervor. Der
Menschenfreund scheute nicht die Geburt aus dem Weibe. Denn
Leben war die Absicht. Nicht befleckt wurde er durch die Be¬
wohnung des Mutterleibs, welchen er selbst unversehrt gebildet hatte.
Denn wenn die Mutter nicht Jungfrau blieb, so war der Geborene
ein blosser Mensch und die Geburt nicht wunderbar; wenn sie aber
auch nach der Geburt Jungfrau blieb, wie ist der Geborene nicht
auch Gott und das Geheimniss unaussprechlich? Jener wurde auf
unaussprechliche Weise geboren, welcher auch durch verschlossene
Thiiren ungehindert einging, bei welchem die Verbindung der (gött¬
lichen und menschlichen) Naturen erblickend Thomas ausrief: mein
Herr und mein Gott!
»Nimm keinen Anstoss an der Geburt, o Mensch! denn diese ist
uns der Ausgangspunkt des Heiles geworden. Wenn er nicht vom
Weibe geboren ist, so ist er nicht gestorben ; wenn er nicht gestorben
ist, so hat er auch nicht durch seinen Tod dem die Macht ge¬
nommen, der des Todes Gewalt hat , das ist dem Teufel ]). Es ist
kein Schimpf für den Baumeister, das Haus zu bewohnen, welches
er selber gebaut hat; es beschmutzt der Thon den Töpfer nicht, der
das Gefäss erneuert, welches er gebildet hatte; so beschmutzt auch
den unbefleckten Gott nicht das Hervorgehen aus jungfräulichem
Leibe. Wie er nicht befleckt wurde bei ihrer Bildung, so wurde er
nicht beschmutzt beim Hervorgehen aus ihr. 0 Leib, in welchem
unser Freibrief aufgesetzt worden ist, o Leib, in welchem die Waffe
gegen den Teufel geschmiedet worden ist, o Feld, in welchem der
Ackerbauer der Natur die Aehre ohne Saat sprossen liess, o Tempel,
in welchem Gott selber Priester geworden ist ... .
»0 Geheimniss! .... Der Emmanuel hat zwar die Pforten der
Natur aufgethan, als Mensch, das Schloss der Jungfrauschaft hat er
x) Hebr. II, 14.
217
nicht verletzt und nicht zerrissen als Gott: Er ist so aus dem
Mutterleibe ausgetreten, wie er durch das Ohr eingetreten ist, er
ist so geboren, wie empfangen. Eingetreten ohne Leidenschaft, aus¬
getreten ohne Verderben, wie der Prophet Ezechiel spricht: (kommt
die Stelle von dem Thor des Heiligthums 44, 1, 2). Siehe, hier wird
die heilige Maria offenbar als Gottesgebärerin erklärt *) . . . .«
Durch das Fest, welches die vorstehende Rede feiert, und welches
also unter allen Umständen im ersten Drittel des fünften Jahrhunderts
bestand, ist dargethan, dass auch derjenige allgemein menschliche
Faktor der Verehrung eines Verstorbenen, welchen wir in der Ein¬
setzung von Gedenktagen erblickten, bei der altchristlichen Marien¬
verehrung ins Leben trat, allerdings auch er, wie sich von selbst
versteht, in specifisch religiösem Gewände. Dieser Faktor, der zum
wesentlichsten für die spätere Geschichte der Marienverehrung wurde,
hat sich verhältnissmässig spät gezeigt. Wie diess gekommen, haben
wir erfahren. Für seine reichere Entfaltung bedurfte es eines öffent¬
lichen Aktes, an welchem die gesammte Christenheit in ihren Ver¬
tretern theilnahm, und dieser Akt ist das Concil von Ephesus. Die
Wirkungen dieses Aktes liegen jenseits des Zieles, das wir uns gesteckt
haben. Aber die Begebenheit auf dem Concile selbst, die eine Per¬
spektive auf den für Einführung neuer Feste günstigen Boden er¬
öffnet, wollen wir kurz erwähnen. Während der ersten Sitzung, die
mit der Verurtheilung des Nestorius und also mit der officiellen Ein¬
führung des Titels »Gottesgebärerin« schloss, wartete die Bevölkerung
von Ephesus den ganzen Tag mit Spannung auf die Entscheidung.
Als diese bekannt wurde, entstand ein allgemeiner Jubel. Man
beleuchtete die Stadt und geleitete die Bischöfe, namentlich den
Cyrill, mit Fackeln und Rauchfässern nach Hause* 2).
Ausser diesem Vorfall sind es die nach dem Siege gehaltenen
Reden, welche dieselbe Perspektive eröffnen. Beispielsweise wollen
wir nur noch aus zweien solcher Reden des Hauptaktors Cyrill
kurze Auszüge geben. Wenn auch diese Auszüge im Grunde nichts
anderes enthalten, als panegyrische Variationen desselben Themas,
welches die früher mitgetheilten Reden tractiren, nemlich das für
die Erlösung nothwendige lebendige Wunder, welches Maria heisst,
so lässt sich doch auch aus ihnen der Triumphton heraushören, der
4 Procl. orat. I. Gallandi, T. IX, p. 614 ff.
2) Hefele, Conciliengesch. Bd. II, p. 173.
218
den Gesanimtinhalt dieser Reden begreiflicherweise kennzeichnet.
Das erste Fragment gehört der Rede an, welche Cyrill in Ephesus
nach dem Beitritt von sieben weiteren Bischöfen zur Synodalpartei
in der Marienkirche hielt, und lautet:
»Fröhlich sehe ich die Versammlung der Heiligen, welche alle
bereitwillig zusammengekommen sind, gerufen von -der heiligen Gottes¬
gebärerin Maria, der immerwährenden Jungfrau .... Sei daher
gegrüsst von uns, heilige, geheimnissvolle Dreieinigkeit, die du uns
alle zusammengerufen hast in diese Kirche der Gottesgebärerin Maria.
Sei gegrüsst von uns, Maria, Gottesgebärerin, ehrwürdiges Kleinod
der ganzen Welt, unauslöschliche Lampe, Krone der Jungfrauschaft,
Scepter der Rechtgläubigkeit, unzerstörbarer Tempel, Gefäss des Un-
erfasslichen, Mutter und Jungfrau, durch welche in den heiligen
Evangelien derjenige gebenedeit genannt wird, der da kommt im
Namen des Herrn. Sei gegrüsst, die du den Unbegrenzten begrenzest
in dem heiligen jungfräulichen Mutterschooss, durch welche die Drei¬
einigkeit verehrt wird, durch welche das verehrte Kreuz gepriesen
und auf der ganzen Welt angebetet wird, durch welche der Himmel
aufjubelt, durch welche die Engel und Erzengel sich freuen, durch
welche die Dämonen verjagt werden, durch welche der Teufel, der
Versucher, vom Himmel fiel, durch welche die gefallene Kreatur in
den Himmel aufgenommen wird, durch welche die ganze Schöpfung,
in Götzendienst befangen, zur Erkenntniss der Wahrheit gelangt ist,
durch welche die heilige Taufe den Gläubigen zu Theil wird, durch
welche das Oel der Freude kommt, durch welche in der ganzen
Welt die Kirchen errichtet worden sind, durch welche die Völker
zur Busse geführt werden, und, was bedarf es noch Vieles zu sagen,
durch welche der eingeborene Sohn Gottes als Licht leuchtete denen,
die in Finsterniss und Todesschatten sassen, wegen welcher die
Propheten geweissagt haben, durch welche die Apostel verkün¬
digen das Heil den Völkern, durch welche die Todten erweckt werden,
durch welche die Könige herrschen, durch die heilige Dreieinigkeit.
Wer von den Menschen ist im Stande, die vielgepriesene Maria zu
preisen? Ein jungfräulicher Mutterschooss! 0 Wunder! — Dieses
Wunder setzt mich in Erstaunen« u. s. w. 1).
Das folgende, zweite, Bruchstück ist aus einer späteren Rede.
»Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, Jungfrau-Mutter, Licht-
b Cyr. op. ed. Aubert, Paris 1638. T. V, pars 2, p. 355.
219
bringende, unbeflecktes Gefäss. Gegrüsst seist du, Maria, Jungfrau,
Mutter und Magd; Jungfrau wegen des aus dir, der Jungfrau, Ge¬
borenen; Mutter wegen des auf deinen Armen Getragenen, und mit
deiner Milch Genährten; Magd wegen dessen, der Knechtsgestalt
angenommen hat. Denn der König ist eingegangen in deine Stadt,
vielmehr in deinen Mutterleib, und ist wieder herausgegangen, wie er
wollte, und dein Thor war geschlossen. Denn du hast empfangen
ohne Samen und hast gotteswürdig geboren. Gegrüsst seist du,
Maria, gastlicher, vielmehr heiliger Tempel, wie der Prophet David
ruft mit den Worten: heilig ist dein Tempel, wunderbar in Gerechtig¬
keit. Gegrüsst seist du, Maria, Kleinod der Welt, gegrüsst seist du,
Maria, unbefleckte Taube, gegrüsst seist du, Maria, unauslöschliche
Lampe, denn aus dir ist geboren die Sonne der Gerechtigkeit. Ge¬
grüsst seist du, Maria, Gefäss des Unerfasslichen, die das eingeborene
Wort Gottes fasste, die die unverwelkliche Aehre ohne Pflug und
Samen sprossen liess. Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin,
wegen welcher die Propheten rufen, wegen welcher die Hirten
lobsingen, indem sie mit den Engeln jenen furchtbaren Hymnus
sprechen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, den
Menschen ein Wohlgefallen. Gegrüsst seist du, Maria, Gottesge¬
bärerin, wegen welcher die Engel Reigen tanzen, die Erzengel auf¬
springen, furchtbare Hymnen austönend. Gegrüsst seist du, Maria,
Gottesgebärerin, wegen welcher die Magier anbeten, vom leuchtenden
Sterne geführt. Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, wegen welcher
die zwölftheilige x) Pracht der Apostel auserwählt worden ist. Ge¬
grüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, wegen welcher Johannes, als
er noch im Mutterleibe war, aufsprang und als Leuchter das immer
brennende Licht anbetete. Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin,
durch welche die unaussprechliche Gnade hervorging, über welche
der Apostel laut verkündete: die heiligmachende Gnade Gottes ist
allen Menschen erschienen* 2). Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin,
durch welche hervorging das wahre Licht, unser Herr Jesus Christus,
der in den Evangelien spricht : ich bin das Licht der Welt. Gegrüsst
seist du, Maria, Gottesgebärerin, durch welche das Licht leuchtete
denen, die in Finsterniss und Todesschatten sassen. Denn das Volk,
*) So ist vielleicht zu vermuthen; Auberts Text hat hier ein wohl ver¬
dorbenes Wort.
2) Tit. 2, 11.
220
sagt (der Prophet)1), welches in Finsterniss sass, sah ein grosses
Licht. Welches Licht, wenn nicht unsern Herrn Jesus Christus,
das wahrhaftige Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in die
Welt kommt? Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, wegen
welcher in den Evangelien verkündet wird: Gebenedeit sei, der da
kommt im Namen des Herrn; wiegen welcher in den Städten, auf
den Dörfern, auf den Inseln die Kirchen der Rechtgläubigen gegründet
worden sind. Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, durch
welche hervorkam der Sieger des Todes und der Vernichter der
Hölle. Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, durch wrelche her¬
vorging der Bildner des zuerst Gebildeten und der Verbesserer seiner
Uebertretung und der Wegweiser ins Himmelreich. Gegrüsst seist
du, Maria, Gottesgebärerin, durch welche erblühte und hervorstrahlte
die Herrlichkeit der Auferstehung. Gegrüsst seist du, Maria, Gottes¬
gebärerin, durch welche das erstaunliche Taufbad der Heiligkeit im
Jordan erflossen ist; gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, durch
welche Johannes und der Jordan geheiligt und der Teufel verachtet
wird. Gegrüsst seist du, Maria, Gottesgebärerin, durch welche jede
gläubige Seele gerettet wird2).« —
5) Ein specifisches Moment der Heiligenverehrung ist endlich
die Weihung von Kirchen auf ihren Namen. Bei den Märtyrern
pflegte man dieselben womöglich über ihren Gräbern zu errichten.
Das Grab Mariens kannte man nicht und doch trug die Kathedrale
von Ephesus ihren Namen, wie wir aus der obigen Rede Cyrills
wissen und wie auch aus der Relation der Synode an den Pabst
Cölestin hervorgeht, wo es heisst: »es tagte die heilige Synode in
der grossen Kirche von Ephesus, zubenannt Maria3).« Indem wir
alle unverbürgten Nachrichten über frühere Marienkirchen nicht
berücksichtigen, haben wir also zu constatiren, dass es jedenfalls
im Anfang des fünften Jahrhunderts eine Kathedrale gab, die ihr
geweiht war.
6) Und nun kommen wir zu den letzten für uns in Betracht
kommenden Faktoren der Verehrung eines ausgezeichneten Verstor¬
benen, nemlich zu der Praxis, seiner Lebensgeschichte nachzu¬
forschen, durch die Sage ihn zu verklären, durch Werke der Poesie
b Is. 9, 2.
2) Cyr. op. T. V, pars 2, p. 380.
3) Unter den Briefen Cölest. bei Gallandi, Tom. IX, p. 329.
221
und Kunst ihn zu verewigen. Diese Faktoren sind es vorzüglich,
um deren willen wir bei der Betrachtung der bisher abgehandelten
ziemlich bunte Reihe machten, um jene, die für uns das haupt¬
sächlichste Interesse haben, an das Ende verschieben und in eigenen
Kapiteln behandeln zu können.
Biographische Forschung und Sagenbildung anlangend bemerken
wir hier nur, dass beide schon im ersten Jahrhundert Statt hatten,
was einestheils die Evangelien beweisen, anderntheils die in dem
öfters genannten Protevangelium bereits künstlerisch geformten Sagen
voraussetzen.
Die Poesie, welche der Gegenstand des nächsten Kapitels sein
wird, gibt in einigen epischen Produkten vielleicht auch noch einzelne
historische Daten, wie z. B. die Namen von Marias Eltern, die
Geburt Christi in einer Höhle, den Tod Mariens in Jerusalem u. dgl.,
jedenfalls aber einen reichen Sagenniederschlag.
Die Kunst, welche das letzte Kapitel bildet, zeigt sich in ihren
Darstellungen vom vierten, vielleicht schon vom dritten Jahrhundert
ab von der Poesie beeinflusst, was ganz naturgemäss ist; man
denke nur an das hiefür typische Verhältniss von Homer zur griechi¬
schen Kunst.
Beide Zweige der gestaltenden Phantasie bieten eine fortlaufende
Reihe von Denkmalen der wachsenden Marienverehrung. Beide,
namentlich die Poesie, stehen mit der religiösen Vorstellung von
Maria in Wechselwirkung. Sie empfangen ihre Impulse vom reli¬
giösen Zeitbewusstsein und wirken wiederum auf dieses zurück, wie
wir oben bei der ersten Erwähnung des Protevangeliums gesehen
haben. Die Kunst ist ja nach Boccaccio nur eine andere Art der
Theologie.
Poesie.
Die früheste dichterische Verklärung Mariens finden wir in den
»Neutestamentlichen Apokryphen«. Die Büchlein, welche mit diesem
Namen bezeichnet werden, sind zwar nach den Untersuchungen der
Theologen sämmtlich religiöse Tendenzschriften, aber durch die Art
und Weise, wie sie für bestimmte Lehrsätze oder Vorstellungen Propa¬
ganda machen, participiren sie an dem Gebiete der Dichtung. Es
sind nemlich bald mehr orthodox, bald mehr häretisch gefärbte
Legenden und zwar die ältesten Legenden, die wir besitzen. Der
Rang, den die Legende auf der Stufenleiter poetischer Produktion
bei den Aesthetikern einnimmt, ist zwar kein sehr hoher, doch wird
ihr im Bereich der epischen Poesie ein bescheidenes Plätzchen ein¬
geräumt. Man kann also sagen, dass, wie alle Poesie, auch die
Marienpoesie mit dem Epos beginnt.
Die Legenden, um die es sich handelt, nennen sich zum Theil
Evangelien. Man kann ihnen diesen Titel mit dem nöthigen Vor¬
behalt, etwa mit dem Beisatz Pseudo ganz wohl lassen; denn erstlich
machen sie den Anspruch, von Aposteln verfasst zu sein, dann han¬
deln sie von denselben Personen, wie die kanonischen Schriften dieses
Namens, und wollen eigentlich diese nur durch umständlichere Er¬
zählung und weitere Ausführung einiger Partieen ergänzen ; schliess¬
lich lehnen sie sich in der Form vollständig an die biblischen Bücher
an. Das Letztere begreift sich leicht. Die Verfasser mussten, wenn
sie Glauben finden wollten, in ungefähr demselbem Tone sprechen,
der durch die verehrten Glaubensurkunden geheiligt war. Sie konnten
aber auch gar nicht anders, denn die ersten unter ihnen, die ihren
Nachfolgern zum Vorbild dienten, waren Judenchristen und gehörten
223
daher von Hause aus derselben Culturwelt an, wie die meisten Ver¬
fasser der kanonischen Bücher.
Das älteste dieser Büchlein nun, das uns zu beschäftigen hat, ist das
»Protevangelium Jakobi«. Es stammt nach den Untersuchungen
der Gelehrten aus den ersten Decennien des zweiten Jahrhunderts l)
und reicht also noch nahe an die ächten Evangelien heran. Sein
dogmatischer Zweck ist augenscheinlich, gegenüber den ältesten
Häresieen der Ebioniten und Doketen, die wir oben kennen gelernt
haben, sowohl die wahre Gottheit, als auch die wahre Menschheit
des Erlösers darzuthun, und hiefür hat sein Verfasser kein dienlicheres
Mittel gefunden, als die Glorifikation der Mutter. Um die Göttlich¬
keit des Sohnes recht augenfällig zu machen, genügt ihm nicht etwa
bloss eine Erweiterung der Verkündigungs- und Geburtsscene und
was damit zusammenhängt, sondern er hält für nöthig, bis auf die
Herkunft der Mutter zurückzugehen und sowohl diese, als das ganze
Jugendleben derselben als etwas Ausserordentliches und mit beson¬
derer Begnadigung von Oben Ausgerüstetes darzustellen. Ebenso
lässt er sich angelegen sein, nichts von dem Erleben und Thun
Mariens zu verschweigen, was die wirkliche Menschheit des Erlösers
deutlich machen kann. Doch dieser dogmatische Grundgedanke drängt
sich nirgends in der Darstellung vor; diese gibt sich vielmehr einfach
als Biographie Mariens, die eben ihres wunderbaren Verlaufs wegen
erzählt wird. Für welche Grundzüge des Bildes der Jungfrau-Mutter
das Büchlein sich hiebei als älteste Quelle zeigt, haben wir oben
schon ausgeführt.
Wir geben im Folgenden eine Uebersetzung der neuesten Aus¬
gabe von Tischendorf nicht ohne Rückblick auf die frühere treffliche
Ausgabe Thilos und mit Benützung von Borbergs und Hofmanns
Uebersetzungen 2).
»I. 1. In den Geschichten (Geschlechtsregistern) der zwölf
Stämme Israels war (verzeichnet) Joachim, ein sehr reicher Mann,
und er brachte seine Opfergaben doppelt dar, indem er sprach:
mein Ueberfluss soll für das ganze Volk sein, und mein Sühnopfer
]) S. Tischendorf in den Proleg. seiner Ausgabe und in seiner Schrift: »Wann
wurden unsere Evangelien verfasst?« 4. Aufl., Leipz. 1866, S. 76.
2) Tischendorf, Evang. apocr. ed. 2, Lips. 1876. Thilo, Codex apocr.,
Lips. 1832. Borberg, Bibliothek der neutestam. Apokr., Stuttgart 1841. Hof¬
mann, Das Leben Jesu nach den Apokr., Leipzig 1851.
224
soll dem Herrn sein zur Sühnung für mich. 2. Es war aber ge¬
naht der grosse Tag des Herrn x) und es brachten die Söhne
Israels ihre Gaben dar. Und es stand ihm gegenüber Rüben und
sprach: es ist dir nicht erlaubt, zuerst deine Gaben darzubringen,
weil du nicht Samen erweckt hast in Israel. 3. Und es betrübte
sich Joachim sehr und ging weg zu den Geschlechtstafeln der zwölf
Stämme des Volkes und sprach: ich will betrachten die Geschlechts¬
tafeln Israels, ob ich allein keinen Samen erweckt habe in Israel.
Und er forschte und fand, dass alle Gerechten Samen erweckt haben
in Israel; und er gedachte des Patriarchen Abraham, dass in den
letzten Tagen ihm Gott einen Sohn gegeben, den Isaak. 4. Und
es betrübte sich Joachim sehr und zeigte sich nicht seinem Weibe,
sondern begab sich in die Wüste und schlug dort sein Zelt auf, und
fastete vierzig Tage und vierzig Nächte und sprach bei sich: ich
werde nicht hinabsteigen weder zu Speise noch zu Trank, bis mich
ansehen wird der Herr, mein Gott, und es soll das Gebet meine
Speise und mein Getränk sein. II. 1. Sein Weib Anna aber trauerte
zwiefache Trauer und klagte zwiefache Klage und sprach: ich will
beklagen meine Witwenschaft und ich will auch beklagen meine
Kinderlosigkeit. 2. Es nahte aber der grosse Tag des Herrn* 2) und es
sprach Judith, ihre Sklavin: wie lange erniedrigst du noch deine Seele?
siehe, es hat sich genaht der grosse Tag des Herrn, und es ist dir
nicht erlaubt zu trauern; auf, nimm dieses Kopfband, welches mir
die Vorsteherin der Arbeit gegeben hat; es ist mir nicht erlaubt, es
anzulegen, weil ich eine Sklavin bin, und es hat königliches Ansehen.
3. Und es sprach Anna: weiche von mir, diess thue ich nicht, der
Herr hat mich sehr erniedrigt; es hat dir doch nicht etwa ein Ver¬
führer diess gegeben und du bist gekommen, um mich deiner Sünde
theilhaftig zu machen? Judith sprach: was soll ich dir anwünschen,
nachdem der Herr deinen Schooss verschlossen hat, so dass du nicht
Frucht bringst in Israel? 4. Und es betrübte sich Anna sehr, und
legte ihre Trauerkleider ab und wusch ihr Haupt, zog ihr Brautkleid
an und ging um die neunte Stunde in den Garten, um zu lustwandeln.
b Wahrscheinlich meint der Autor den ersten Tag des Laubhüttenfestes,
s. Thilo, Codex apocr. S. 173; oder den Versöhnungstag, s. Hofmann, Das Leben
Jesu nach den Apokryphen, S. 10.
2) Wohl der letzte Tag des Laubhüttenfestes, s. Thilo; oder der erste,
s. Hofmann S. 25.
Und sie sah einen Lorbeerbaum, setzte sich unter denselben und
flehte zum Herrn und sprach: Gott meiner Väter, segne mich und
erhöre mein Gebet, gleichwie du gesegnet hast den Schooss der
Sarah und ihr einen Sohn gegeben hast, den Isaak. III. 1. Und
aufschauend zum Himmel sah sie ein Sperlingsnest auf dem Lorbeer¬
baum und brach in Klagen aus und sprach: weh mir, wer hat mich
gezeugt? welcher Mutterschooss hat mich hervorgebracht? dass ich
ein Fluch geboren bin im Angesicht der Söhne Israels und bescholten
bin, und sie haben mich hinausgespottet aus dem Tempel des
Herrn. 2. Weh mir, wem bin ich zu vergleichen? Nicht zu ver¬
gleichen bin ich den Vögeln des Himmels, denn auch die Vögel
des Himmels sind fruchtbar vor deinem Angesichte, o Herr. Weh
mir, wem bin ich zu vergleichen? Nicht zu vergleichen bin ich
den Thieren der Erde, denn auch die Thiere der Erde sind
fruchtbar vor deinem Angesichte, o Herr! 3. Weh mir, wem bin
ich zu vergleichen? Nicht zu vergleichen bin ich diesen Wassern,
denn auch diese Wasser sind fruchtbar vor deinem Angesichte,
o Herr! Weh mir, wem bin ich zu vergleichen? Nicht zu ver¬
gleichen bin ich dieser Erde, denn auch diese Erde trägt ihre
Früchte zu ihrer Zeit und preiset dich, o Herr! IV. 1. Und siehe,
ein Engel des Herrn stand bei ihr und sprach: Anna, Anna, erhört
hat der Herr deine Bitte, und du wirst empfangen und gebären,
und gepriesen wird sein dein Samen in der ganzen Welt. Und
Anna sprach: so wahr der Herr, mein Gott, lebt, wenn ich ge¬
bäre, sei es ein Knäblein oder ein Mägdlein, so will ich es dar¬
bringen als Weihgeschenk dem Herrn, meinem Gott, und es soll
sein zu seinem Dienste alle Tage seines Lebens. 2. Und siehe,
es kamen zwei Engel und sprachen zu ihr: siehe, Joachim dein
Mann, kommt mit seinen Heerden. Denn ein Engel des Herrn stieg
herab zu ihm und sprach: Joachim, Joachim, erhört hat Gott der
Herr dein Flehen, steige hinab von hier, denn siehe, dein Weib
Anna wird in ihrem Leibe empfangen. 3. Und Joachim stieg
herab und rief seine Hirten und sprach: bringet mir hieher zehn
fleckenlose und tadellose Lämmer, und sie sollen dem Herrn
meinem Gott sein ; und bringet mir zwölf zarte Kälber und sie
sollen den Priestern sein und den Aeltesten; und hundert Ziegen¬
böcke für das ganze Volk. 4. Und siehe, Joachim kam mit seinen
Heerden, und Anna stand an der Thiire und sah Joachim kommen
und sie lief und hing an seinem Hals und sprach: nun weiss ich,
Lehner, Die Marienverehrung. J5
226
dass Gott der Herr mich sehr gesegnet hat, denn siehe, die
Witwe ist nicht mehr Witwe und die Kinderlose wird empfangen
in ihrem Leibe. Und es ruhete Joachim den ersten Tag in seinem
Hause. V. 1. Tags darauf aber brachte er seine Gabe dar und
sprach bei sich: wenn Gott der Herr sich meiner erbarmt hat, so
wird das Stirnblatt1) des Priesters es mir offenbaren. Und Joachim
brachte seine Gaben dar und gab Acht auf das Stirnblatt des
Priesters, als er zum Altäre des Herrn trat, und er sah kein
Fehl an ihm. Und Joachim sprach: nun weiss ich, dass der Herr
sich meiner erbarmt und alle meine Sünden nachgelassen hat. Und
er stieg herab aus dem Tempel des Herrn gerechtfertigt und ging
in sein Haus. 2. Es hatten sich aber ihre Monate erfüllt und im
neunten Monate gebar Anna. Und sie sprach zur Hebamme: was
habe ich geboren? Diese sprach: ein Mägdlein. Und Anna sprach:
Mein Herz ist erhoben an diesem Tage; und sie legte sich nieder.
Nachdem aber die Tage erfüllt waren, ward Anna rein und sie gab
dem Kinde die Brust und nannte seinen Namen Maria. VI. 1. Von
Tag zu Tag erstarkte das Mädchen; als es aber sechs Monate alt
geworden war, stellte es seine Mutter auf den Boden, um zu ver¬
suchen, ob es stehe. Und es wandelte sieben Schritte und kam in
ihren Schooss zurück. Und sie hob es auf und sprach: so wahr
der Herr mein Gott lebt, du sollst nicht mehr wandeln auf dieser
Erde, bis ich dich gebracht habe in den Tempel des Herrn. Und
sie machte ein Heiligthum in ihrem Schlafgemach und nichts Ge¬
meines und Unreines Hess sie eingehen zu ihm ; und sie rief die
unbefleckten Töchter der Hebräer und sie warteten es. 2. Es
vollendete sich das erste Jahr des Mädchens und Joachim ver¬
anstaltete ein grosses Festmahl und rief die Priester und die
Schriftgelehrten und die Aeltesten und das ganze Volk Israel. Und
Joachim reichte das Kind den Priestern und sie segneten es und
sprachen: Du Gott unserer Väter, segne dieses Kind und gib ihm
einen Namen, genannt in allen Geschlechtern ewiglich. Und es
sprach das ganze Volk: Es geschehe, es geschehe, Amen. Und er
reichte es den Oberpriestern, und sie segneten es und sprachen:
Du Gott in der Höhe, schaue nieder auf dieses Kind, und segne
es mit dem höchsten Segen, der kein Ende hat. 3. Und die Mutter
nahm es hinweg in das Heiligthum des Schlafgemachs und gab ihm
') S. Exod. XXVIII, 36—38.
die Brust *). Anna sang einen Lobgesang Gott dem Herrn und sprach :
ich will singen einen Lobgesang dem Herrn, meinem Gott, weil er nieder¬
gesehen hat auf mich und hinweggenommen hat von mir den Schimpf
meiner Feinde; der Herr hat mir gegeben eine Frucht seiner Gerechtig¬
keit, einzig in ihrer Art, vielfältig vor seinem Angesichte. Wer wird
verkünden den Söhnen Rubens, dass Anna säuget? Höret, höret,
ihr zwölf Stämme Israels, dass Anna säuget. Und sie brachte es zur
R.uhe in dem Heiligthum des Schlafgemachs und kam heraus und
diente ihnen. Als das Mahl geendigt war, gingen sie fröhlich hin¬
weg und priesen den Gott Israels. VII. 1. Dem Kinde mehrten sich
seine Monate. Es wurde zweijährig; da sprach Joachim: lasst es
uns hinaufführen in den Tempel des Herrn, auf dass wir erfüllen
das Gelübde, das wir gethan haben, damit nicht etwa der Herr sich
von uns wende, und unsere Gabe unwillkommen werde. Anna sprach:
warten wir das dritte Jahr ab, damit das Kind nicht Vater oder
Mutter vermisse. Und Joachim sprach: warten wir. 2. Und das
Kind wurde dreijährig, und Joachim sprach: Rufet die Töchter der
Hebräer, die unbefleckten, und sie sollen nehmen jede eine Lampe
und diese sollen angezündet sein, damit das Kind sich nicht rück¬
wärts wende und sein Herz entfremdet werde dem Tempel des
Herrn. Und sie thaten so, bis sie hinaufkamen in den Tempel des
Herrn. Und der Priester empfing das Mädchen und küsste und
segnete es und sprach: Der Herr macht gross deinen Namen in
allen Geschlechtern; in dir wird am Ende der Tage der Herr offen¬
baren seine Sühnung den Söhnen Israels. 3. Und er setzte sie auf
die dritte Stufe des Altares, und Gott der Herr goss seine Gnade
auf sie, und sie tanzte mit ihren Füssen, und es bewillkommnete sie
das ganze Haus Israel. VIII. 1. Ihre Eltern gingen weg voll Ver¬
wunderung und lobten Gott den Herrn, weil das Kind sich nicht
rückwärts gewendet hatte. Maria wurde in dem Tempel des Herrn
wie eine Taube aufgezogen und empfing ihre Nahrung aus Engels
Hand. 2. Als sie zwölf Jahre alt ward, wurde ein Rath der Priester
gehalten, welche sprachen : siehe, Maria ist zwölfjährig geworden im
Tempel des Herrn. Was sollen wir nun mit ihr thun, damit sie
nicht etwa das Heiligthum des Herrn (durch die Ivatamenien) beflecke?
Und sie sprachen zum Oberpriester: du stehest vor dem Altäre des
Herrn, gehe hinein und bete über sie, und was dir der Herr often-
i) Wohl zum letzten Mal; es ist ein Entwöhnungsfest. Vgl. Genes. 21, 8.
228
baren wird, das wollen wir thun. 3. Und der Oberpriester legte
das Zwölfschellenkleid x) an und ging ins Allerheiligste und betete
über sie. Und siehe, ein Engel des Herrn stand bei ihm und sprach:
Zacharias, Zacharias, gehe hinaus und versammle die Witwer des
Volks und sie sollen je einen Stab bringen, und welchem der Herr
ein Zeichen geben wird, dessen Weib soll sie sein. Da gingen die
Herolde aus durch die ganze Umgegend Judäas; es ertönte die
Posaune des Herrn, und alle liefen herzu. IX. 1. Joseph warf das
Zimmerbeil weg und kam zu ihrem Stelldichein; versammelt gingen
sie zum Oberpriester, die Stäbe in der Hand. Dieser nahm die
Stäbe Aller und ging in den Tempel und betete. Nachdem er das
Gebet vollendet hatte, nahm er die Stäbe und kam heraus und gab
sie ihnen. Und es war kein Zeichen an denselben. Den letzten
Stab aber empfing Joseph, und siehe, eine Taube kam aus dem
Stab hervor und flog dem Joseph auf das Haupt. Und der Priester
sprach zu Joseph: Du bist durch das Loos erwählt, die Jungfrau
des Herrn zur Behütung zu dir zu nehmen. 2. Und Joseph ant¬
wortete und sprach: ich habe Söhne und bin ein Greis, diese aber
ist so jung; ich würde wohl zum Gespötte werden bei den Söhnen
Israels. Und es sprach der Priester zu Joseph: fürchte den Herrn,
deinen Gott, und gedenke, was Gott gethan an Dathan, Abiron und
Korah, wie die Erde sich spaltete, und sie verschlungen wurden wegen
ihrer Widerspenstigkeit. Und nun fürchte dich, Joseph, es könnte
dieses auch in deinem Hause geschehen. 3. Und Joseph fürchtete
sich und nahm sie zur Behütung zu sich. Und Joseph sprach zu
Maria: siehe ich empfing dich aus dem Tempel des Herrn, und nun
lasse ich dich in meinem Hause und gehe hinweg, um meine Häuser zu
bauen, und ich werde wieder zu dir kommen ; der Herr behüte dich.
X. 1. Es fand aber ein Rath der Priester statt, welche sprachen:
lasst uns einen Vorhang machen für den Tempel des Herrn. Und
der Priester sprach : rufet mir unbefleckte Jungfrauen aus dem Stamme
Davids. Und die Diener gingen und suchten und fanden sieben
Jungfrauen. Und der Priester gedachte der Jungfrau Maria, dass
sie war aus dem Stamme Davids und unbefleckt war vor Gott.
Und es gingen die Diener und führten sie herbei. Und sie führten
J) Das unter Anderem auch mit Glöckchen von Gold verzierte amtliche
Oberkleid. Die Zahl der Glöckchen gibt das Alte Testament nicht an. Vgl.
Exod. XXVIII, 33, 34.
229
dieselben in den Tempel des Herrn. Und der Priester sprach:
looset mir, wer spinnen soll das Goldene und das Amiantene und
den Byssus und das Seidene und das Hyakinthene und das Scharlach-
rothe und den ächten Purpur. Und Maria traf der ächte Purpur
und der Scharlach und sie empfing es und ging in ihr Plaus. Zu
jener Zeit verstummte Zacharias, und es ward statt seiner Samuel
aufgestellt, bis Zacharias wieder redete. XI. 1. Und sie nahm den
Krug und ging hinaus Wasser schöpfen; und siehe, eine Stimme
sprach: gegrüsst seist du, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir,
gebenedeit bist du unter den Weibern. Und sie schaute umher
rechts und links, woher diese Stimme komme. Es befiel sie ein
Zittern, und sie ging hinweg in ihr Haus und stellte den Krug hin
und nahm den Purpur, setzte sich auf ihren Stuhl und spann ihn *).
2. Und siehe, ein Engel des Herrn stand vor ihr und sprach: fürchte
dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden vor dem Herrn der
Welt und du wirst empfangen von seinem Worte. Als sie das
hörte, erwog sie es hin und her und sprach: werde ich empfangen
von dem Herrn, dem lebendigen Gott, und werde ich gebären, wie
jedes Weib gebiert? 3. Und der Engel des Herrn sprach: nicht so
Maria, denn die Kraft des Herrn wird dich überschatten, desswegen
wird auch das Heilige, das aus dir geboren, Sohn des Höchsten
genannt werden. Und du wirst seinen Namen Jesus nennen, denn
er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden. Und Maria sprach:
siehe, ich bin eine Magd des Herrn vor ihm, mir geschehe nach
deinem Worte. XII. 1. Und sie machte den Purpur und Scharlach
fertig und brachte es dem Priester. Und es segnete sie der Priester
und sprach: Maria, Gott der Herr macht gross deinen Namen und
du wirst gesegnet sein in allen Geschlechtern der Erde. 2. Erfreut
ging Maria zu Elisabeth, ihrer Verwandten. Und sie klopfte an die
Thiire. Als Elisabeth es hörte, warf sie den Scharlach weg und
lief zur Thiire und öffnete, und als sie Maria sah, segnete sie sie
und sprach: woher mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir
kommt? denn siehe, das Kind in mir sprang auf und segnete dich.
Maria aber dachte nicht an die Geheimnisse, von welchen ihr der
Erzengel Gabriel gesprochen hatte, und schaute auf zum Himmel
9 v.a\ slXxsv a&rrjv = sie zog, zerrte ihn (aus dem Rocken?); darunter darf
man wohl verstehen: sie spann ihn, da die bildende Kunst Maria bei der Ver¬
kündigung auch spinnend darstellt, wie wir unten erfahren werden.
230
und sprach: wer bin ich, Herr, dass alle Geschlechter der Erde mich
segnen? 3. Und sie verbrachte drei Monate bei Elisabeth. Tag für
Tag aber schwoll ihr Leib an, und sich scheuend ging Maria hinweg
in ihr Haus und verbarg sich vor den Söhnen Israels. Sie war aber
sechszehn x) Jahre alt, als diese Geheimnisse sich zutrugen. XIII. 1. Sie
war aber im sechsten Monate, und siehe, Joseph kam von seinen
Häuserbauten, und beim Eintritt in sein Haus fand er sie gesegneten
Leibes. Und er schlug sein Angesicht und warf sich zur Erde auf
den Sack* 2) und weinte bitterlich und sprach: mit welcher Stirne
soll ich aufschauen zu dem Herrn, meinem Gott? was soll ich sagen
über dieses Mädchen? denn als Jungfrau empfing ich sie aus dem
Tempel des Herrn, meines Gottes, und habe sie nicht behütet. Wer
ist es, der mich überlistet hat? Wer hat diese Schandthat begangen
in meinem Hause und hat die Jungfrau geschändet? Hat sich nicht
an mir wiederholt die Geschichte des Adam? Denn wie in der Stunde
seiner Herrlichkeit die Schlange kam und Eva allein fand und betrog,
so ist auch mir geschehen. 2. Und Joseph stand auf von dem
Sack und rief Maria und sprach zu ihr: Schützling Gottes, warum
hast du das gethan? hast du vergessen des Herrn, deines Gottes?
warum hast du deine Seele erniedrigt, die du auferzogen worden im
Allerheiligsten und Speise empfangen hast aus Engels Hand? 3. Sie
aber weinte bitterlich und sprach : ich bin rein und weiss von keinem
Manne. Und Joseph sprach zu ihr: woher ist denn nun das in
deinem Leibe? Sie aber sprach: so wahr der Herr mein Gott lebt,
ich weiss es nicht, woher mir das ist. XIV. 1. Und Joseph erschrack
sehr und wandte sich von ihr und überlegte, was er mit ihr machen
solle. Und Joseph sprach: wenn ich ihren Fehltritt verberge, so
werde ich als Feind erfunden gegen das Gesetz des Herrn; und wenn
ich sie anzeige den Söhnen Israels, so fürchte ich, es möchte von
einem Engel sein, was in ihr ist, und ich würde erfunden als einer,
der unschuldig Blut überliefert zum Gerichte des Todes. Was soll
ich also mit ihr machen? Heimlich will ich mich von ihr scheiden.
Und die Nacht überraschte ihn. 2. Und siehe, ein Engel des Herrn
erschien ihm im Traume und sprach: Fürchte dich nicht wegen dieses
Mädchens, denn was in ihr ist, ist vom heiligen Geiste; sie wird
Nach der Pariser Handschrift des Thilo: fünfzehn.
2) Wie bei der Todtenklage. Die orthodoxen Juden haben heute noch diesen
Brauch. S. »Grenzboten« 39. Jahrg. 2. Quartal, S. 163.
231
einen Sohn gebären und du wirst seinen Namen Jesus nennen ; denn
er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden. Und Joseph stand
vom Schlafe auf und pries den Gott Israels, der ihm diese Gnade
gab und behütete sie. XV. 1. Es kam aber Annas, der Schrift¬
gelehrte, zu ihm und sprach zu ihm: was ist’s, dass du nicht er¬
schienst in unserer Versammlung? Joseph sprach zu ihm: weil ich
müde war von der Reise und den ersten Tag ausruhte. Und er
wandte sich um und sah, dass Maria schwanger war. 2. Und er
ging eilenden Fusses zu dem Priester und sprach zu ihm: Joseph,
für den du verantwortlich bist, hat sich schwer gegen das Gesetz
vergangen. Der Priester sprach: wie so? Jener antwortete: Die
Jungfrau, die er empfing aus dem Tempel des Herrn, hat er ge¬
schwächt und hat ihr Beilager erstohlen und nicht angezeigt den
Söhnen Israels. Und der Priester antwortete und sprach: Joseph
hat dieses gethan? Und Annas, der Schriftgelehrte, sprach: Schicke
Diener hin und du wirst finden, dass die Jungfrau schwanger ist.
Und die Diener gingen hin und fanden es, wie er gesagt hatte, und
führten sie sammt Joseph vor das Gericht. 3. Und der Priester
sprach: Maria, warum hast du das gethan? und hast dabei deine
Seele erniedrigt und vergessen des Herrn deines Gottes, die du auf¬
erzogen worden im Allerheiligsten und Speise empfangen hast aus
Engels Hand und gehört die Lobgesänge und getanzt hast vor seinem
Angesichte, warum hast du das gethan? Sie aber weinte bitterlich
und sprach: so wahr der Herr mein Gott lebt, ich bin rein vor
seinem Angesichte und weiss nichts von einem Manne. 4. Und der
Priester sprach zu Joseph: warum hast du das gethan? Und Joseph
sprach: so wahr der Herr mein Gott lebt, ich bin rein von ihr.
Und der Priester sprach: Gib nicht falsches Zeugniss, sondern rede
die Wahrheit; du hast das Beilager mit ihr erstohlen und nicht an¬
gezeigt den Söhnen Israels, und nicht dein Haupt gebeugt unter die
gewaltige Hand, damit dein Same gesegnet werde. Und Joseph
schwieg. XVI. 1. Und der Priester sprach: gib die Jungfrau ab,
welche du empfingst aus dem Tempel des Herrn. Und Joseph weinte
sehr. Und der Priester sprach: ich werde euch das Fluchwasser1)
des Herrn zu trinken geben, und er wird offenbaren eure Sünde in
euren Augen. 2. Und der Priester nahm es und gab es Joseph zu
trinken und schickte ihn in das Gebirge; und er kam ganz unver-
x) Num. V, 18.
232
sehrt zurück. Er gab es auch der Maria zu trinken und schickte
sie in das Gebirge, und auch sie kam ganz unversehrt zurück.
Und es wunderte sich das ganze Volk, dass keine Sünde an ihnen
offenbar wurde. 3. Und der Priester sprach: wenn Gott der
Herr eure Sünden nicht offenbar gemacht hat, so richte auch ich
euch nicht. Und er sprach sie los. Und Joseph nahm Maria und
ging in sein Haus voll Freude und lobpreisend den Gott Israels.
XVII. 1. Es erging aber ein Befehl vom Kaiser Augustus, Alle
in Bethlehem in Juda aufzuschreiben. Und Joseph sprach: ich
werde meine Söhne aufschreiben lassen , was soll ich aber mit
diesem Mädchen thun? wie soll ich sie aufschreiben lassen? als
mein Weib? ich schäme mich; als meine Tochter? aber alle
Söhne Israels wissen, dass sie nicht meine Tochter ist. Der Tag
des Herrn selbst wird es machen, wie der Herr will. 2. Und er
sattelte die Eselin und setzte sie darauf, sein Sohn leitete sie und
Joseph folgte. Und sie näherten sich bis auf drei Meilen (zu Beth¬
lehem). Und Joseph wandte sich und sah sie traurig und sprach
bei sich : vielleicht bedrängt sie das in ihrem Leibe. Und wiederum
wandte sich Joseph und sah sie lächeln. Und er sprach zu ihr:
Maria, was ist dir, dass ich dein Angesicht einmal lächeln, das
andere Mal trauern sehe? Und Maria sprach zu Joseph: weil ich
zwei. Völker sehe mit meinen Augen, das eine weinend und klagend,
das andere sich freuend und jauchzend *)• 3. Und sie hatten die Mitte
des Weges erreicht, da sprach Maria zu ihm: hebe mich von der
Eselin herab, weil das in mir mich drängt hervorzukommen. Und
er hob sie herab von der Eselin und sprach zu ihr: wohin soll ich
dich führen und verbergen die Unziemlichkeit? denn der Ort ist wüste.
XVIII. 1. Und er fand eine Höhle daselbst und führte sie hinein und
stellte daneben seine Söhne und ging aus, eine hebräische Hebamme
in der Gegend Bethlehems zu suchen. 2. Ich aber, Joseph, ging
umher und ging nicht umher, ich schaute in die Luft und sah die
Luft erstarrt, und schaute auf den Pol des Himmels und sah ihn
stillestehen und die Vögel des Himmels unbeweglich ; und ich schaute
zur Erde und sah eine Schüssel stehen und Arbeiter dabei liegen,
und ihre Hände wraren in der Schüssel; und die Kauenden kauten
nicht, und die Zugreifenden hoben nicht auf, und die zum Munde
Führenden führten nicht zu, sondern die Angesichter Aller schauten
3 Aehnlich Rebekka, Genes. XXV, 23.
233
nach oben; und siehe, Schafe wurden getrieben und sie gingen nicht
vorwärts, sondern standen, und der Hirte hob seine Hand auf, um
sie zu schlagen mit dem Stabe, und seine Hand stand empor; und
ich schaute auf das Strömen des Flusses und ich sah die Mäuler
der Böcke darauf liegen und nicht trinken, und Alles war plötzlich
in seiner Bewegung aufgehalten. XIX. 1. Und siehe, ein Weib kam
vom Berge herab und sprach zu mir: Mann, wohin gehst du? Und
ich sprach: ich suche eine hebräische Hebamme. Und sie antwortete
und sprach zu mir: bist du aus Israel? Und ich sagte zu ihr: ja.
Sie aber sprach: Und wer ist es, die in der Höhle zu gebären im
Begriffe steht? Und ich sprach: die mir Verlobte. Und sie sagte
zu mir: ist sie nicht dein Weib? Und ich sprach zu ihr: Maria ist
es, die in dem Tempel des Herrn Auferzogene, und ich habe sie als
Weib erloost; aber sie ist nicht mein Weib, sondern sie hat em¬
pfangen vom heiligen Geiste. Und die Hebamme sprach zu ihm:
Ist das wahr? Und Joseph sprach zu ihr: komm und siehe. Und
die Hebamme ging mit ihm. .2. Und sie standen an der Stelle der
Höhle. Und siehe, eine lichte Wolke überschattete die Höhle. Und
es sprach die Hebamme: Erhöhet ist meine Seele heute, weil meine
Augen Wunder sahen, denn das Heil Israels ist geboren. Und plötz¬
lich verzog sich die Wolke von der Höhle, und es erschien ein grosses
Licht in der Höhle, so dass es unsere Augen nicht ertrugen. Und
nach und nach schwand jenes Licht, bis das Kind sichtbar wurde
und kam und nahm die Brust von seiner Mutter Maria. Und die
Hebamme schrie auf und sprach: Gross ist mir der heutige Tag,
dass ich sah diesen neuen Anblick. 3. Und die Hebamme kam aus
der Höhle heraus, und es begegnete ihr Salome. Und sie sprach
zu ihr: Salome, Salome, ein neues Wunder habe ich dir zu erzählen;
eine Jungfrau hat geboren, was ihre Natur nicht fasst. Und Salome
sprach: so wahr der Herr mein Gott lebt, wenn ich nicht meinen
Finger anlege und ihre Natur untersuche, so werde ich nicht glauben,
dass eine Jungfrau geboren hat. XX. 1. Und die Hebamme kam
herein und sprach zu Maria: bereite dich, denn kein kleiner Streit
erhebt sich über dich. Und Salome legte ihren Finger an und schrie
laut auf und sprach: wehe über meine Frechheit und über meinen
Unglauben, dass ich den lebendigen Gott versucht habe, und siehe,
meine Hand fällt ab von mir durch Feuer. 2. Und sie beugte ihre
Kniee vor dem Herrn und sprach: o Gott meiner Väter, gedenke
mein, dass ich Same bin Abrahams, Isaaks und Jakobs; mache mich
234
nicht zum Beispiel den Söhnen Israels, sondern gib mich den Armen
wieder, denn du weisst, Herr, dass ich auf deinen Namen meine
Dienste darbrachte und meinen Lohn von dir empfing. 3. Und siehe,
ein Engel des Herrn stand da und sprach zu ihr: Salome, Salome,
der Herr hat dich erhört, lege deine Hand an das Kind und berühre
es, und es wird dir Heil und Freude werden. 4. Und Salome trat
herzu und berührte es und sprach: ich will es anbeten, denn ein
grosser König ist Israel geboren.- Und siehe, sogleich ward Salome
geheilt und ging hinaus aus der Höhle gerechtfertigt. Und siehe,
eine Stimme sprach: Salome, Salome, verkündige nicht die Wunder,
die du gesehen, bis dass das Kind nach Jerusalem gekommen ist.
XXI. 1. Und siehe, Joseph war bereit, auszugehen nach Judäa. Und
es entstand ein grosser Lärm in Bethlehem in Judäa ; denn es kamen
Magier und sprachen: wo ist der neugeborene König der Juden?
Denn wir haben seinen Stern gesehen im Morgenlande lind sind
gekommen, ihn anzubeten. 2. Und als Herodes das hörte, erschrack
er, und sandte Diener zu den Magiern; und er schickte auch nach
den Hohepriestern und forschte sie aus und sprach: wie steht ge¬
schrieben über Christus, wo wird er geboren ? Sie sprachen zu ihm :
in Bethlehem in Judäa, denn so steht es geschrieben. Und er ent-
liess sie. Und er forschte die Magier aus und sprach zu ihnen :
was für ein Zeichen habt ihr gesehen über den neugeborenen König?
Und die Magier sprachen: wir haben einen sehr grossen Stern ge¬
sehen unter den Sternen, und er verdunkelte sie, dass die Sterne
nicht erschienen; und wir haben so erkannt, dass ein König Israel
geboren ist, und sind gekommen, ihn anzubeten. Und Herodes sprach:
gehet hin und suchet, und wenn ihr ihn gefunden, so verkündiget
es mir, damit auch ich komme und ihn anbete. 3. Und die Magier
gingen hinweg. Und siehe, der Stern, welchen sie im Morgenlande
gesehen, ging vor ihnen her, bis dass sie in die Höhle kamen, und
stand über dem Eingang der Höhle. Und die Magier sahen das
Kind mit seiner Mutter Maria und zogen Geschenke hervor aus ihrem
Reisesack: Gold, Weihrauch und Myrrhe. 4. Und von dem Engel
verständigt, nicht nach Judäa hineinzugehen, reiseten sie auf einem
andern Wege in ihr Land. XXII. 1. Als aber Herodes merkte, dass
er von den Magiern getäuscht worden sei, ward er zornig und
schickte Mörder aus und befahl ihnen: die Kinder von zwei Jahren
und darunter tödtet! 2. Als Maria hörte, dass die Kinder ermordet
werden, nahm sie das Ivnäblein und wickelte es ein und legte es in
die Krippe der Rinder1). 3. Elisabeth aber, als sie hörte, dass
Johannes gesucht werde, nahm ihn und ging ins Gebirge und schaute
sich um, wo sie ihn verberge. Und es gab da keinen Schlupfwinkel.
Und seufzend sprach Elisabeth mit lauter Stimme: Berg Gottes,
nimm auf die Mutter mit dem Kinde. Denn Elisabeth konnte nicht
hinaufsteigen. Und plötzlich spaltete sich der Berg und nahm sie
auf. Und ein Licht schien für sie, denn ein Engel des Herrn war
mit ihnen, der sie bewachte. XXIII. 1. Herodes aber suchte den
Johannes und schickte Diener zu Zacharias und sprach: wo hast
du deinen Sohn verborgen? Der aber antwortete und sprach zu
ihnen: ich bin als Diener Gottes da und verweile im Tempel
des Herrn, ich weiss nicht, wo mein Sohn ist. 2. Und die Diener
gingen weg und verkündigten dem Herodes all das. Und Herodes
wurde zornig und sprach : sein Sohn gedenkt König zu werden in
Israel. Und er sandte zu ihm abermals und sprach: sage die Wahr¬
heit, wo ist dein Sohn? Denn du weisst, dass dein Blut in meiner
Hand ist. Und die Diener gingen hin und meldeten ihm all das.
3. Und Zacharias sprach: ich bin ein Zeuge Gottes, wenn du mein
Blut vergiessest; meinen Geist wird der Herr aufnehmen, denn un¬
schuldig Blut vergiessest du an den Vorthüren des Tempels des Herrn.
Und bei der Zwischenwand wurde Zacharias ermordet. Und es
wussten die Söhne Israels nicht, dass er ermordet war. XXIV. 1.
Aber die Priester kamen zur Stunde der Begrüssung, und es begegnete
ihnen nicht nach der Gewohnheit der Segen des Zacharias. Und es
standen die Priester wartend auf Zacharias, ihn zu begrüssen im
Gebete und zu preisen den Höchsten. 2. Als er aber zögerte, er-
schracken sie alle, einer aber aus ihnen fasste sich ein Herz und
ging hinein und sah neben dem Altäre geronnenes Blut, und eine
Stimme sprach : Zacharias ist ermordet worden und sein Blut wird
nicht abgewischt werden, bis sein Rächer gekommen ist. Und als
er die Rede hörte, erschrack er und kam heraus und verkündete es
den Priestern. 3. Und sie wagten es und gingen hinein und sahen,
was geschehen war, und die Decke des Tempels krachte, und sie
selber zerrissen ihre Kleider von oben bis unten. Seinen Leichnam
fanden sie nicht, aber sie fanden sein Blut zu Stein geworden. Und
entsetzt kamen sie heraus und verkündeten dem ganzen Volke, dass
Zacharias ermordet sei. Alle Stämme des Volkes hörten es, und sie
3 Nach Thilo’s Codex flieht sie mit Kind und Joseph nach Aegypten.
236
trauerten und klagten über ihn drei Tage und drei Nächte. 4. Nach
den drei Tagen aber beriethen sich die Priester, wen sie statt seiner
aufstellen sollen, und das Loos fiel auf Symeon ; denn dieser war
vom heiligen Geiste verständigt worden, dass er den Tod nicht sehen
werde, bis er Christus im Fleische gesehen hätte. XXV. 1. Ich,
Jakobus, aber, der diese Geschichte in Jerusalem schrieb, zog mich,
als bei dem Tode des Herodes Unruhen entstanden, in die Wüste
zurück, bis die Unruhen in Jerusalem beendigt waren, preisend Gott
den Herrn, der mir die Gabe und die Weisheit gab, diese Geschichte
zu schreiben. 2. Die Gnade aber sei mit denen , welche unsern
Herrn Jesum Christum fürchten, welchem Ehre sei von Ewigkeit zu
Ewigkeit, Amen.«
Das Protevangelium führt, wie wir eben gesehen haben, das
Leben Mariens nur bis zum Kindermord oder bis zu der Flucht
nach Aegypten, was ganz seinem Hauptzweck entspricht, die einer¬
seits wunderbare, andererseits wirkliche Geburt Christi den Häresieen
seiner Zeit gegenüber recht augenscheinlich und handgreiflich darzu¬
stellen.
Einen weiteren Abschnitt aus dem Leben Mariens erwartet man
in ein anderes Apokryph, welches dem Protevangelium an Alter
gleichkommt, wenigstens mitverwoben, nemlich in das Thomas¬
evangelium »von der Kindheit des Herrn«. Doch enthält dieses
Apokryph in der fragmentarischen Gestalt, in welcher wir es be¬
sitzen, eigentlich nur eine wilde Aneinanderreihung abenteuerlicher
Wunder, die der Christusknabe nach der Rückkehr aus Aegypten
zwischen seinem fünften und zwölften Lebensjahre verrichtet habe,
und seine Mutter wird kaum einige Mal nebenher erwähnt. Nur
im 19. Kapitel des griechischen Textes, den Tischendorf mit A.
bezeichnet, sowie im 15. Kapitel des hievon abhängigen lateinischen
Thomasevangeliums wird ihrer mit mehr als dem einen oder andern
Wort gedacht. Es fragen nemlich die Schriftgelehrten und Pharisäer
bei der Auffindung des zwölfjährigen Jesus im Tempel die herzu¬
tretende Mutter, die ihren Sohn wie bei Lukas anredet und von
ihm auch dieselbe Antwort bekommt: »Du bist die Mutter dieses
Kindes? Diese sprach: ich bin es. Da erwiderten sie ihr: selig
bist du unter den Weibern, weil Gott die Frucht deines Leibes ge¬
segnet hat u. s. w.«
Das alte Thomasevangelium ist nemlich entschieden schon sehr
frühe durch eine doketische Hand gegangen, welche den natürlichen
237 —
Zusammenhang zwischen Mutter und Kind, den der ursprüngliche
Text wohl gezeigt hatte, möglichst auszumerzen suchte 1).
Die Lücke zwischen dem Ende des Protevangeliums und dem
Anfang des Thomasevangeliums, wie es uns erhalten ist, muss
übrigens auch schon in sehr alter Zeit durch einige Erzählungen
ausgefüllt gewesen sein, welche die Flucht nach Aegypten, den Auf¬
enthalt der heiligen Familie daselbst und die Rückkehr nach Palä¬
stina zum Gegenstand hatten. Diess geht unter Anderem daraus
hervor, dass z. B. der Kirchenhistoriker Eusebius im Anfang des
vierten Jahrhunderts an zwei Stellen 2) und der h. Athanasius etwas
nach der Mitte desselben in einer zu Alexandrien verfassten Schrift 3)
eine Begebenheit aus der Flucht nach Aegypten als geschichtlich
darstellen. Sie erzählen nemlich, beim Einzug der heiligen Familie
in eine ägyptische Stadt seien die Götzenbilder zusammengestürzt.
Cyrill von Jerusalem (f 386) erklärt sogar als eigentlichen Zweck
der ägyptischen Reise die Vernichtung der Götzenbilder 4). Auch
Sozomenus, der Fortsetzer des Eusebius, berichtet im Anfang des
fünften Jahrhunderts Aehnliches als Tradition der Aegypter und noch
ausserdem, dass ein hoher Baum (bei ihm ists ein Pfirsichbaum),
als Jesus zu der Stadt Hermopolis gekommen sei, sich zur Erde ge¬
neigt und ihn angebetet hätte 5).
Solcherlei Erzählungen, die wohl den Anfang des ursprünglichen,
unverkürzten »Kindheitsevangelium« gebildet haben 6), finden sich in
einer dritten, lateinisch verfassten, apokryphi sehen Schrift, in dem
»Buche über die Herkunft der seligen Maria und die Kindheit des
Heilandes«, welches Tischendorf unter dem Titel »Evangelium des
Pseudo-Matthäus« veröffentlicht hat. Dieses Büchlein erscheint als
eine freie Ueberarbeitung und Zusammenschweissung des Protevan¬
geliums und Thomasevangeliums, aber es stammt erst aus dem Ende
des fünften oder dem Anfang des sechsten Jahrhunderts 7) und fällt
b S. Tischendorfs Proleg.
2) Dem. ev. 1. VI, 20 u. IX, 2.
3) De incarn. verbi, Tom. I, p. 89.
4) Catech. X, 10.
5) Hist, eccles. V, 21.
6) Vgl. hierüber Tischendorfs Proleg.
7) Schade, lib. de infant. Mar. et Chr. salv. Halis Sax, 1869, p. 3. Den
Stuttgarter Codex Schade’s berücksichtigte Tischendorf in der 2. Ausg. der Ev.
ap. unter der Bezeichnung E; S. p. 51 ff.
238
also eigentlich ausserhalb des Zeitabschnittes, den wir in Betracht
ziehen. Allein es enthält auch sonst noch einige charakteristische
Details, die älter sind, als seine Abfassungszeit, z. B. die Verehrung
des neugeborenen Heilandes durch Ochs und Esel, eine Scene, deren
künstlerische Verwendung zu Rom im Jahr 343 n. Gh. inschriftlich
beglaubigt ist, wie wir unten sehen werden. Wir dürfen daher an¬
nehmen, dass ihm eine ältere lateinische Uebersetzung, resp. Be¬
arbeitung und Erweiterung der griechischen Originale, zu Grunde
liegt, und erlauben uns desswegen, wenigstens einen Auszug aus
seinem ersten Theile zu geben , wobei wir besonders die nennens¬
wertesten Abweichungen vom Protevangelium betonen, ohne freilich
feststellen zu können , wie viel oder wie wenig der zu Grunde lie¬
genden Schrift oder der letzten Redaktion angehört. Diese lateinischen
Bearbeitungen sind auch darum von grossem Interesse, weil begreif¬
licher Weise aus ihnen, und nicht aus den griechischen Originalen
die mittelalterlichen »Marienleben« u. dg]., wovon wir später ein
Wort sagen, geflossen sind.
Der Inhalt des »Pseudomatthäus« ist folgender:
I. Joachim, aus dem Stamm Juda, lebt zu Jerusalem, theilt seit
seinem fünfzehnten Jahr das Seinige in drei Theile, den einen Theil
verwendet er zu wohlthätigen Zwecken, den zweiten zum Gottes¬
dienst, den dritten für sich. Mit zwanzig Jahren heirathet er Anna,
die Tochter des Ysachar aus seinem Stamme, »d. h. aus dem Ge-
schlechte Davids«, und lebt mit ihr zwanzig Jahre kinderlos. II. Sein
Opfer weist der »Tempelschreiber« Rüben zurück. Er geht ins Ge¬
birge und lässt seine Frau fünf Monate lang nichts von sich hören.
Diese jammert im Garten unter dem Sperlingsnest. Ein Engel ver¬
kündet ihr glorreiche Nachkommenschaft. Sie zieht sich erschrocken
ins Haus zurück und betet. Nachher ruft sie ihre Magd (ohne
Namen) und wird von ihr gehöhnt. III. Der Engel erscheint dem
Joachim und sagt ihm , dass seine Frau »aus seinem Samen eine
Tochter empfangen habe« , deren künftige Herrlichkeit er andeutet.
Er fordert ihn auf heimzukehren. Joachim entschliesst sich hiezu
nach wiederholter Engelserscheinung. Er braucht mit Hirten und
Heerden dreissig Tage und wird von Anna bei der »goldenen
Pforte« Jerusalems erwartet. IV. Geburt Mariä. Nach drei Jahren
wird sie in den Tempel gebracht, um unter die Tempeljungfrauen
aufgenommen zu werden. Sie steigt die fünfzehn Stufen allein hin¬
auf. V. Anna spricht ein Lob- und Dankgebet. VI. Maria erregt
239
durch ihr frühreifes Wesen allgemeine Bewunderung. Sie macht
sich eine bestimmte Tageseinteilung, indem sie mit Gebet und Arbeit
(Weberei , opus textrinum) abwechselt. Sie empfängt Besuche von
Engeln, von einem derselben ihre tägliche Nahrung. Dann folgt eine
Charakteristik, die mit der des h. Ambrosius (S. 161) manche Ver¬
wandtschaft zeigt. Sie wirkt Heilwunder. VII. Abiathar verlangt
sie zur Frau für seinen Sohn. Sie weigert sich, weil sie das Ge¬
lübde der Keuschheit abgelegt habe. VIII. Vierzehnjährig soll sie
den Tempel verlassen. Es wird eine allgemeine Versammlung be¬
rufen. Der »Oberpriester« Abiathar schlägt vor, nachdem Maria
Keuschheit gelobt, durch ein Gottesurtheil zu erforschen, wem sie
zur Behütung übergeben werden solle. Es wird über die zwölf
Stämme das Loos geworfen, es trifft den Stamm Juda. Aus diesem
wird jeder, »der ohne Frau ist«, herbeigerufen. Joseph wird nach
vielen Umständlichkeiten auserlesen, nachdem an seinem Stab das
Wunder mit der Taube geschehen. Er weigert sich, lässt sich aber
schliesslich bestimmen, wie im Protevangelium. Maria wird ihm über¬
geben und es werden zu ihrer Gesellschaft fünf andere Jungfrauen
bestimmt. Sie erhalten die verschiedenen Stoffe zur Arbeit für den
Tempel Vorhang. Weil Maria der Purpur trifft, wird sie von ihren
Genossinnen Königin der Jungfrauen genannt. IX. Maria empfängt
zuerst beim Brunnen, dann nach drei Tagen zu Hause, als sie mit
dem Purpur beschäftigt ist, die Verkündigung. X. Joseph kommt
nach neunmonatlicher Abwesenheit in Kapernaum zurück und jammert
über die Schwangerschaft seiner Schutzbefohlenen. Die Jungfrauen
betheuern ihre Unschuld und vermuthen, dass sie durch einen der
besuchenden Engel schwanger geworden sei. Josephs Bedenken
werden hiedurch nicht gehoben. XI. Er wird im Traum aufgeklärt.
XII. Probe mit dem Fluchwasser. Man hat nicht ins Gebirge zu
gehen, sondern den Altar siebenmal zu umschreiten. Maria erklärt
vor dem ganzen Volk , dass sie von Kindheit an Keuschheit gelobt
habe, wird gerechtfertigt und gepriesen. XIII. Pteise nach Bethlehem.
Die Vision mit den beiden Völkern wird von einem Engel gedeutet;
das weinende Volk ist das Judenvolk, das fröhliche das Heidenvolk.
Der Engel gebietet Halt und schickt Maria in die Höhle, wo sie
gebiert. Joseph kommt mit den zwei Hebammen Zelomi und Salome.
Salome ist auch hier die ungläubige. Anbetung der Flirten. Ein
grosser Stern steht vom Abend bis zum Morgen über der Höhle, er
wird von den Propheten in Jerusalem für das Zeichen der Geburt
240
Christi erklärt. XIV. »Am dritten Tage aber nach der Geburt des
Herrn schritt Maria aus der Höhle und trat in einen Stall und legte
den Knaben in die Krippe, und Ochs und Esel beteten ihn an. Da
ward erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jesaias x), der da
spricht: Erkannt hat der Ochse seinen Besitzer und der Esel die
Krippe seines Herrn. Die Thiere selber aber, die ihn in der Mitte
hatten, beteten unaufhörlich ihn an. Da ward erfüllt, was gesagt
ist durch den Propheten Abakuk * 2), der da spricht: Inmitten zweier
Thiere wirst du bekannt werden.« XV. Am sechsten Tage gehen
sie nach Bethlehem, beschneiden den Knaben am achten, und nach
der Reinigungszeit gehen sie zum Tempel. Symeon und Anna.
XVI. Nach zwei Jahren kommen die Magier über Jerusalem, wie bei
Lukas, »treten ins Haus und finden das Kind auf dem Schoosse
der Mutter sitzend«. Sie überschütten Maria und Joseph mit Ge¬
schenken und ein jeder gibt auch dem Kinde Goldstücke. »Hierauf
brachte einer Gold, ein anderer Weihrauch, ein anderer Myrrhe dar.«
XVII. Kindermord, Flucht nach Aegypten. XVIII. Joseph nimmt
drei Diener, Maria ein Mädchen mit. Die heilige Familie kommt zu
einer Höhle und will ausruhen. Maria steigt von ihrem Thier und
setzt sich nieder, den Jesusknaben auf dem Schooss. Da kommen
Drachen aus der Höhle und beten vor Jesus an. Maria fürchtet sich,
aber Jesus spricht ihr Muth zu. XIX. Bei der Weiterreise gesellen
sich Löwen, Pardel, Wölfe zu der kleinen Karawane. Auch vor
diesen hat Maria Angst, aber das Jesuskind schaut sie fröhlich an und
verscheucht ihre Furcht. XX. Maria ist müde und hungrig, darum
lässt sich die heilige Familie unter einer Palme nieder. Auf den
Wunsch seiner Mutter, von den Früchten zu gemessen, befiehlt Jesus
der Palme, sich niederzubeugen, so dass seine Mutter die Früchte
bequem langen kann. Unter den Wurzeln des Baumes lässt er eine
Quelle hervorsprudeln. XXI. Jesus schickt durch einen Engel einen
Zweig der Palme in das Paradies. XXII. Jesus verkürzt auf wunder¬
bare Weise den Weg. Sie kommen in das Gebiet von Hermopolis
und treten in einen Tempel der Stadt Sotinen. XXIII. Als Maria
mit dem Kinde eintritt, stürzen alle Götzenbilder zur Erde. XXIV. Der
Statthalter Affrodisius tritt an Maria heran, betet das Kind an, das sie
am Busen trägt, und bekehrt sich mit der ganzen Bevölkerung3).
0 Is. I, 3.
2) Habac. III, 2; nach der Septuag.
3) Pseudo-Matth, ev. c. 1 — 24 bei Tischendorf, ev. ap. ed. II. 1876, p. 54—92.
241
Hiemit endet der erste Tlieil des Pseudo-Matthäus. Der zweite
Theil erzählt die Wunder des Jesusknaben von seinem vierten Jahre
an nach der Rückkehr aus Aegypten in ebenso wild phantastischer
Weise wie das Kindheitsevangelium, wenn er auch mit diesem nicht
übereinstimmt. Für uns hat er hier kein weiteres Interesse.
Ein viertes Apokryph, das unsern Stoff behandelt, ist das
arabische »Evangelium der Kindheit des Heilandes«. Es fusst eben¬
falls theils auf dem Protevangelium (beginnt aber erst mit der Ge¬
burt Christi), theils auf dem Thomasevangelium, stammt jedoch aus
dem siebenten Jahrhundert 4). Ein fünftes Apokryph, das lateinische
»Evangelium von der Geburt Mariens«, ist noch jünger* 2). Diese
beiden Schriften kommen daher für uns nicht mehr in Betracht.
Dagegen haben wir uns mit der ursprünglich koptisch geschrie¬
benen »Geschichte Josephs des Zimmermanns« zu befassen,
welche, aus dem vierten Jahrhundert3 4) stammend, in ihrem ersten
Theile etwa denselben Inhalt hat, wie das Protevangelium, und in ihrem
weiteren Verlauf noch einige charakteristische Züge aus dem späteren
Leben Mariens bringt. Den ersten Theil, welchen Thilo für den
Rest eines sehr alten Pseudepigraphums hält4), geben wir im Auszuge:
Maria (deren Eltern nicht genannt werden) kommt mit drei
Jahren in den Tempel und bleibt neun Jahre dort. Nun berathen
sich die Priester, wie ein gerechter Mann ausfindig zu machen sei,
dem sie bis zu ihrer Verheirathung übergeben werden könnte, weil
sie den Tempel verlassen müsse. Zwölf Greise aus dem Stamme
Juda werden herbeigerufen. Das Loos soll entscheiden. Es trifft
den Witwer Joseph, einen Priester und Zimmermann aus dem Hause
Davids, der von seiner ersten Frau die oben (S. 97) genannten
sechs Kinder hat. Maria folgt ihm in sein Haus und erzieht den
Jakohus (den Jüngern), daher sie »Mutter Jakobi« genannt wird.
Joseph geht seinem Handwerk nach und Maria wird vierzehnjährig.
Sie empfängt Christus. Drei Monate darauf kehrt Joseph heim und
gedenkt die Schwangere heimlich zu entlassen. Das wird durch
Gabriels Erscheinen, der mitten im Tage zu dem Schlafenden kommt,
verhindert. Reise nach Bethlehem infolge der von Augustus an-
9 Schade a. a. 0. p. 5.
2) S. Tischendorfs Proleg.
3) S. Tischendorf, Ev. ap. ed II, pag. XXXIV; Schade p. 6.
4) Cod. apocr. p. XX.
Lehn er, Die Marienverehrung.
16
242
geordneten Conscription des ganzen Erdkreises; Geburt Christi in
einer Höhle nahe bei dem Grabe der Rachel. Der Satan zeigt die¬
selbe dem Herodes an, der das Kind sucht. Joseph, im Traume
gewarnt, flieht nach Aegypten und Salome begleitet die heilige
Familie. Nach Herodes Tode kehrt diese zurück und wohnt zu
Nazareth. Justus und Simeon, die älteren Söhne Josephs, heirathen;
ebenso seine beiden Töchter. In Josephs Hause bleiben zurück:
Judas, Jakobus und Maria mit Jesus, den sie und Joseph erziehen 1).
Hieran schliesst sich nun die ausführliche Erzählung des Todes
Josephs. Als die Agonie beginnt, »stand meine Mutter, die unbe¬
fleckte Jungfrau auf (erzählt Christus, dem die ganze Geschichte
Josephs in den Mund gelegt wird), trat zu mir und sprach: o mein
geliebter Sohn, jetzt stirbt dieser fromme Greis Joseph. Und ich
antwortete ihr: o meine geliebteste Mutter, allen Wesen, welche in
dieser Welt geboren werden, ist dieselbe Nothwendigkeit des Sterbens
auferlegt; denn der Tod hat auf das ganze Menschengeschlecht ein
Recht. Auch du, meine Jungfrau-Mutter, hast denselben Lebens¬
ausgang, wie die übrigen Sterblichen zu erwarten. Jedoch dein Tod,
wie auch der Tod dieses Frommen ist kein Tod, sondern immer¬
währendes Leben in Ewigkeit. Ja auch ich muss sterben in Retreff
des Körpers, den ich von dir genommen habe. Aber steh auf, o
meine verehrungs würdige Mutter, komm und trete herein zu dem
gesegneten Greise Joseph, damit du sehest, was seiner vom Körper
aufsteigenden Seele begegne. Es ging also Maria, meine reine Mutter,
und betrat den Ort, wo Joseph war. Und ich sass zu seinen
Füssen .... und legte die Hand auf seine Brust .... Als meine
Jungfrau-Mutter mich seinen Körper berühren sah, berührte auch
sie seine Füsse. Und da sie dieselben schon erstorben und der
Wärme beraubt fand, sprach sie zu mir: o mein geliebter Sohn,
seine Füsse fangen schon an zu erkalten und sind wie Schnee.
Dann rief sie seine Söhne und Töchter herbei und sprach zu ihnen:
kommet alle und tretet zu eurem Vater, denn nun ist es gewiss am
Ende. (Alle weinen.) Ich aber und meine Mutter weinten auch
zugleich mit ihnen 2)« ....
Diese vereinzelte Scene aus dem späteren Leben Mariens ist
insbesondere auch desswegen von Interesse, weil sie uns die Vor-
b C. 2-11.
2) Cap. 18-20,
243
Stellung des Verfassers von dem Tode Mariens mittheilt. Der Ver¬
fasser nimmt augenscheinlich an , sie sei eines sanften natürlichen
Todes gestorben, ungefähr so, wie der Held seiner Geschichte.
Wie die Kirchenschriftsteller des vierten Jahrhunderts darüber
dachten, ist nicht auszumachen. So sagt Eusebius in seinem Chro-
nikon zum Jahre 48 n. Ch.: »Die Jungfrau Maria, die Mutter Christi,
wird zu ihrem Sohne in den Himmel aufgenommen, wie Einige
schreiben, dass ihnen geoffenbart worden sei.« Wenn dieser Satz
keine spätere Interpolation ist, wofür ihn Viele halten, so kann er
einfach eine fromme, ehrerbietige Wendung sein, statt des eigentlichen
Ausdrucks : sie stirbt nach einigen Nachrichten. Aber das Wort
»Aufnehmen«, und die Berufung auf Offenbarungen statt auf historische
Berichte könnte doch schon auf die Vorstellung eines ausserordent¬
lichen, wunderbaren Vorgangs hindeuten. Epiphanius spricht zwei¬
mal von der Sache. Im 11. Kapitel seiner Schrift gegen die Anti-
dikomarianiten *) sagt er : In der heiligen Schrift finde sich keine
Spur von ihrem Tode, »weder ob sie gestorben, oder nicht gestorben,
ob sie begraben oder nicht begraben sei ... . Ich wage es nicht
zu entscheiden, sondern mache mir in der Stille meine eigenen Ge¬
danken. Vielleicht finden wir irgendwo Spuren jener Heiligen und
Seligen, ob auch ihr Tod nicht zu finden ist. Einestheils sagt zwar
Symeon von ihr: auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen
Anderntheils heisst es in der Offenbarung Johannis * 2), dass der Drache
sich auf das Weib stürzte, welche ein Knäblein geboren hatte, und
es wurden ihr Adlerflügel gegeben, und sie wurde in die Wüste
entrückt, damit sie der Drache nicht ergreife. Vielleicht kann das
an ihr erfüllt sein. Doch erkläre ich das nicht bestimmt und sage
nicht, dass sie unsterblich blieb, aber ich bin auch nicht sicher, ob
sie gestorben ist 3).« Weiter unten im 24. Kapitel desselben Buches
heisst es: »Entweder ist die heilige Jungfrau gestorben und begraben,
so ist ihr Schlaf in Ehren, ihr Ende in Beinigkeit, ihre Krone bei
den Jungfrauen; oder sie ist getödtet worden, wie geschrieben steht:
auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen, so ist bei den
Märtyrern ihre Herrlichkeit, und in Glückseligkeit ihr heiliger Leib,
3 Haer. 78, 11.
2) Apocal. XII, 13 ff.
3) Diess ist, beiläufig gesagt, die früheste Beziehung des apokalyptischen
Weibes auf Maria, die wir gefunden haben.
244
durch welchen der Welt das Licht aufgegangen. Oder endlich sie
ist geblieben x). Denn Gott ist möglich, Alles zu thun, was er will.
Kurz, ihr Ende kennt Niemand.«
Epiphanius scheint hienach immerhin mehr dem Glauben an
irgendwelche wunderbare Vorgänge sich zuzuneigen, obwohl er »ihr
Ende nicht kennt«.
Dieses Ende kennt nun ein Büchlein, das in verschiedenen Be¬
arbeitungen in griechischer, lateinischer und arabischer Sprache auf
uns gekommen ist und von Melito, Bischof von Sardes, der im
zweiten Jahrhundert lebte, oder vom Apostel Johannes verfasst sein
will. Dieses Büchlein ist aber wohl erst am Ende des vierten Jahr¬
hunderts, also immerhin noch bei Lebzeiten des Epiphanius ent¬
standen und trägt den Titel »Ueber den Hingang Mariens«.
Wir geben im Folgenden die Uebersetzung des von Tischendorf ver¬
öffentlichten, den Johannes als Verfasser nennenden, griechischen
Textes, der den übrigen Redaktionen zu Grunde liegt* 2), ohne übrigens,
sowenig als beim Protevangelium , behaupten zu wollen , dass diess
der ganz reine, ursprüngliche Text ohne jeden späteren Zusatz sei.
»1. Die hochheilige, herrliche Gottesgebärerin und immerwährende
Jungfrau Maria kam nach ihrer Gewohnheit zum heiligen Grabe
unseres Herrn, um zu räuchern, und beugte ihre heiligen Kniee und
bat demiithig den aus ihr geborenen Christus, unsern Gott, sie auf¬
zulösen. 2. Die Juden aber, welche sie an dem göttlichen Grabe
verweilen sahen, kamen zu den Hohepriestern und sprachen: Maria
kommt täglich zu dem Grabe. Die Hohepriester riefen die Wächter,
die von ihnen dazu aufgestellt waren, um Niemand an dem heiligen
Grabe beten zu lassen, und fragten über dieselbe, ob sich das in
Wahrheit so verhalte. Die Wächter antworteten, sie hätten nichts
dergleichen gesehen, da Gott es nicht zuliess, dass sie ihre An¬
wesenheit bemerkten. 3. Eines Tages, an einem Rüsttage, kam die
heilige Maria wieder nach ihrer Gewohnheit zu dem Grabe, und
während sie betete, geschah es, dass die Himmel sich öffneten und
der Erzengel Gabriel zu ihr herabkam und sprach: gegriisst seist
du, die du geboren Christus, unsern Gott; dein Gebet drang in die
Himmel zu dem aus dir Geborenen und ist angenommen, und fortan
3 Vgl. Johann. XXI, 22, 23-
2) S. Tischendorf, Apocalypses apocr. Lips. 1866, p. XXXIV ff. und 95 ff.
Max. Enger, Joannis ap. de transitu B. M. V. über. Elberfeld 1854. Praef.
245
wirst du nach deinem Gebete die Welt verlassen und in den
Himmel zu deinem Sohne eingehen ins wahre und ewige Leben.
4. Als sie diess von dem heiligen Erzengel hörte, kehrte sie zurück
ins heilige Bethlehem und nahm drei Jungfrauen mit, die ihr dienten.
Nach kurzer Ruhe richtete sie sich auf und sprach zu den Jung¬
frauen: bringet mir ein Rauchfass, damit ich bete. Und sie brachten
das Verlangte. 5. Und sie betete und sprach: mein Herr, Jesus
Christus, der du geruht hast durch deine äusserste Güte aus mir
geboren zu werden, höre meine Stimme und sende mir deinen Apostel
Johannes, damit, wenn ich ihn sehe, meine Freude beginne, und
sende mir auch deine übrigen Apostel, sowohl die schon bei dir
wohnen, als die noch hienieden sind, wo immer sie auch weilen,
durch deinen heiligen Befehl, damit ich diese erblickend deinen viel¬
gepriesenen Namen segne; denn ich bin getrost, dass du deine
Magd in Jeglichem erhörest. 6. Als sie noch betete, kam ich,
Johannes, indem der heilige Geist mich in einer Wolke von Ephesus
dahinraffte und mich dahin stellte, wo die Mutter meines Herrn
lag. Zu ihr eintretend und den aus ihr Geborenen preisend sprach
ich: sei gegrüsst, Mutter meines Herrn, die du geboren hast
Christus unsern Gott, freue dich, dass du in grosser Herrlichkeit
aus diesem Leben gehest. 7. Und die heilige Gottesgebärerin pries
Gott, weil ich, Johannes, zu ihr kam, gedenkend der Stimme des
Herrn, welche sprach: siehe deine Mutter und siehe dein Sohn. Und
es kamen die drei Jungfrauen und beteten an. 8. Und die heilige
Gottesgebärerin sprach zu mir: bete und streue Weihrauch. Und
ich betete so: Herr Jesu Christe, der du Wunder wirktest, wirke
auch jetzt Wunder im Angesichte der, die dich geboren, und deine
Mutter gehe aus diesem Leben, und es fürchten sich, die dich ge¬
kreuzigt und nicht an dich geglaubt haben. 9. Und nachdem ich
das Gebet geendigt, sprach zu mir die heilige Maria: bring mir das
Rauchfass. Und sie streute Weihrauch und sprach: Preis sei dir,
mein Gott und mein Herr, dass erfüllt worden an mir, was du mir
gewährtest, bevor du in den Himmel auffuhrst, dass, wenn ich aus¬
gehe aus dieser Welt, du kommen werdest und das Heer deiner
Engel mit Herrlichkeit zu mir. 10. Und ich, Johannes, sprach zu ihr:
es kommt unser Herr und Gott Jesus Christus und du siehst ihn,
gleichwie er dir gewährt hat. Und die heilige Gottesgebärerin ant¬
wortete und sprach zu mir: die Juden haben geschworen, wenn ich
vollendet, meinen Leib zu verbrennen. Und ich antwortete und
246
sprach zu ihr: nicht soll die Vernichtung sehen dein heiliger und
ehrwürdiger Leib. Sie aber antwortete und sprach zu mir: bring
das Rauchfass, wirf Weihrauch hinein und bete. Und es erscholl
eine Stimme vom Himmel und sprach: Amen. 11. Und ich, Johannes,
hörte diese Stimme und es sprach zu mir der heilige Geist: Johannes,
vernahmst du diese Stimme, welche im Himmel erscholl, nachdem
du das Gebet beendigt? Und ich antwortete und sprach: Ja, ich
hörte sie. Und es sprach zu mir der heilige Geist: diese Stimme,
die du gehört hast, zeigt an die bevorstehende Anwesenheit deiner
Brüder, der Apostel und der heiligen Mächte, denn heute kommen
sie hieher. 12. Ich, Johannes, betete hierauf. Und der heilige Geist
sprach zu den Aposteln: alle zusammen erhebet euch in Wolken
aus den Enden der Welt und versammelt euch zum heiligen Beth¬
lehem im Sturme wegen der Mutter unseres Herrn Jesu Christi:
Petrus von Rom, Paulus aus Tiberia1), Thomas aus dem inneren
Indien, Jakobus von Jerusalem. 13. Andreas, der Bruder des Petrus,
und Philippus, Lukas und Simon, der Kananite, und Thaddäus, die
Entschlafenen, wurden vom heiligen Geiste aus den Gräbern geweckt.
Zu ihnen sprach der heilige Geist: glaubet nicht, dass die Auf¬
erstehung jetzt ist, sondern dess wegen steht ihr aus euren Gräbern
auf, damit ihr kommet zur Begrüssung bei der wunderbaren Ver¬
herrlichung der Mutter unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi,
denn es ist der Tag ihrer Auflösung gekommen , ihres Hingangs in
den Himmel. 14. Markus aber, der auch noch lebte, kam ebenfalls
von Alexandrien mit den Uebrigen aus allen Landen, wie gesagt
worden. 15. Petrus aber, umschlossen von der Wolke, stand mitten
zwischen Himmel und Erde, da der heilige Geist ihn festhielt, bis
die übrigen Apostel, welche ebenfalls in Wolken entführt waren,
mit Petrus sich zusammenfanden, und so kamen durch den heiligen
Geist, wie gesagt, alle zu gleicher Zeit an. 16. Und hineintretend
zu der Mutter unseres Herrn und Gottes beteten sie an und sprachen:
fürchte dich nicht und betrübe dich nicht, Gott der Herr, der aus
dir geboren, wird dich wegnehmen aus dieser Welt mit Herrlichkeit.
Und frohlockend in Gott, ihrem Heilande, richtete sie sich auf im
Bette und sprach zu den Aposteln: eben glaubte ich, dass unser
Lehrer und Gott vom Himmel kommt, und ich ihn sehe und so aus
diesem Leben scheide, wie ich euch kommen sah. Und ich will,
x) Nemlich dem römischen Tiberia.
247
dass ihr mir saget, woher ihr wusstet, dass ich scheide, und zu mir
kamt, und von welchen Gegenden und wie weit ihr hieher kämet,
dass ihr so schnell vor meinen Augen erscheinet. Denn nicht hat
es mir verborgen der von mir Geborene, unser Herr Jesus Christus,
der Gott der Welt, denn ich habe auch jetzt geglaubt, dass dieser
es ist, der Sohn des Höchsten. 17. Und Petrus antwortete und
sprach zu den Aposteln: lasst uns alle nacheinander der Mutter
unseres Herrn Auskunft ertheilen , wozu der heilige Geist uns auf¬
gerufen und befohlen hat. 18. Und ich, Johannes, antwortete und
sprach: eben als ich eintrat, um am heiligen Altäre zu Ephesus des
Amts zu walten, sprach der heilige Geist zu mir: die Zeit der Auf¬
lösung der Mutter deines Herrn hat sich genahet, fahre nach Beth¬
lehem zu ihrer Begrüssung. Und eine Lichtwolke entführte mich,
und an der Thüre stellte sie mich nieder. 19. Es antwortete auch
Petrus: ich weilte in Rom und hörte um Tagesanbruch eine Stimme
durch den heiligen Geist, welche zu mir sprach: die Mutter deines
Herrn ist dem Augenblick ihrer Auflösung nahe, fahre nach Beth¬
lehem zu ihrer Begrüssung. Und siehe, eine Lichtwolke entführte
mich, und ich sah auch die übrigen Apostel in Wolken zu mir
kommen und hörte eine Stimme sagen: gehet alle nach Bethlehem.
20. Auch Paulus antwortete und sprach: ich weilte in einer Stadt,
welche von Rom ziemlich entfernt liegt, Tiberia heisst die Gegend,
als ich den heiligen Geist mir sagen hörte: die Mutter deines Herrn
verlässt diese Welt und macht durch die Auflösung die Fahrt zum
Himmel, auf, gehe ebenfalls nach Bethlehem zu ihrer Begrüssung.
Und siehe , eine lichte Wolke entführte mich und brachte mich
hieher, wie euch. 21. Es antwortete auch Thomas und sprach:
ich reiste durch das Land der Inder, da die Verkündigung (des
Wortes) durch die Gnade Christi Macht gewann und der Sohn der
Schwester des Königs, mit Namen Labdanes, im Begriffe stand von
mir besiegelt zu werden x) im Palaste, da sprach plötzlich der heilige
Geist zu mir: auch du, Thomas, gehe nach Bethlehem zur Begrüssung
der Mutter deines Herrn, denn sie macht die Wanderung zum
Himmel. Und eine Lichtwolke entführte mich und stellte mich zu
euch. 22. Auch Markus antwortete und sprach: als ich das Gebet der
dritten Tagesstunde verrichtete in der Stadt Alexandria, entführte
mich, während ich betete, der heilige Geist und führte mich zu euch.
») Vgl. If. Cor. I, 22; Eph. I, 13; IV, 30.
248
23. Auch Jakobus antwortete und sprach: ich war in Jerusalem, da
befahl mir der heilige Geist und sprach: gehe nach Bethlehem, denn
die Mutter deines Herrn geht ihrer Auflösung entgegen. Und siehe,
eine Lichtwolke entführte mich und stellte mich zu euch. 24. Auch
Matthäus antwortete und sprach: ich pries und preise den Herrn,
denn als ich im Schiffe war und vom Sturme bedrängt wurde, da
das Meer mit Wellen wüthete, überschattete mich plötzlich eine
lichte Wolke und vertrieb die Sturm wellen durch Meeresstille, mich
aber entführte sie und stellte mich zu euch. 25. Und es antworteten
die vorher Abgeschiedenen in gleicher Weise, und erzählten, wie sie
herbeigekommen. Und Bartholomäus sprach: ich sass in der Thebais,
das Wort verkündigend, und siehe, der heilige Geist sprach zu mir:
die Mutter deines Herrn geht ihrer Auflösung entgegen, gehe nun
zu ihrer Begrüssung nach Bethlehem. Und siehe, eine Lichtwolke
entführte mich und brachte mich zu euch. 26. Dieses Alles sagten
die Apostel zu der heiligen Gottesgebärerin, woher sie kamen und
auf welche Weise; und sie streckte die Hände zum Himmel aus
und betete und sprach: ich bete an und singe und preise deinen
herrlichen Namen, Herr, dass du angesehen hast die Niedrigkeit
deiner Magd und Grosses an mir gethan hast, du Mächtiger, und
siehe, es werden mich selig preisen alle Geschlechter. 27. Und
nach dem Gebete sagte sie zu den Aposteln: streuet Weihrauch und
betet. Und als sie beteten, erscholl Donner vom Himmel und es
kam ein furchtbares Geräusch wie von Streitwagen, und sieh, es er¬
schien die Heerschaar der Engel und Mächte. Und eine Stimme wie
eines Menschensohnes wurde gehört, und die Seraphim bildeten einen
Kreis um das Haus, wo die heilige unbefleckte Mutter Gottes und
Jungfrau lag, so dass alle Leute in Bethlehem alle die Wunder sahen
und nach Jerusalem gingen und alle die geschehenen Wunder ver¬
kündigten. 28. Es geschah aber, als die Stimme ertönt war, erschien
plötzlich die Sonne und der Mond um das Haus , und die Kirche
der erstgeborenen Heiligen stand bei dem Hause, wo die Mutter des
Herrn lag, zu ihrer Ehre und ihrem Ruhme. Und ich sah auch
viele Zeichen geschehen, Blinde sahen, Taube hörten, Lahme gingen,
Aussätzige wurden rein und die von bösen Geistern Besessenen
wurden geheilt. Und jeder, der an Krankheit und Schwachheit
darniederlag und von aussen die Mauer des Hauses berührte, wo
sie lag, und schrie: heilige Maria, die du Christum, unsern Gott,
geboren hast, erbarme dich unser, der wurde sofort geheilt. 29. Viele
249
Volkshaufen aber aus allen Landen, welche in Jerusalem des Gebetes
halber weilten und von den in Bethlehem durch die Mutter des Herrn
geschehenen Zeichen hörten , kamen zu dem Ort und baten um
Heilung verschiedener Krankheiten und erhielten sie. Es entstand
eine unaussprechliche Freude an jenem Tage bei der Menge der
Geheilten sowie der Zuschauer, welche Christus unsern Gott und
seine Mutter lobten; ganz Jerusalem feierte ein Fest in Bethlehem
mit Psalmen und geistlichen Liedern. 30. Die Priester aber der
Juden sammt dem Volke derselben entsetzten sich über das Ge¬
schehene, wurden vom heftigsten Eifer ergriffen und hielten mit
thöriehter Berechnung einen Rath und beschlossen gegen die heilige
Jungfrau und die dort weilenden heiligen Apostel nach Bethlehem
zu ziehen. Als nun der Haufe der Juden etwa eine Meile weit gegen
Bethlehem aufgebrochen war, da geschah es, dass sie ein schreck¬
liches Gesicht sahen, und es waren ihre Fiisse gebunden und sofort
kehrten sie um zu den Volksgenossen und erzählten das ganze
fürchterliche Gesicht den Hohepriestern. 31. Jene aber brausten
noch mehr auf in ihrem Gemüthe und gingen zu dem Präfekten, und
schrieen und sprachen: Das Volk der Juden geht zu Grunde durch
dieses Weib, verjage sie von Bethlehem und der Provinz Jerusalem.
Der Präfekt erstaunte ob der Wunder und sprach zu ihnen: ich
vertreibe sie weder von Bethlehem noch von einem andern Orte.
Die Juden aber blieben und schrieen und beschworen ihn beim Leben
des Kaisers Tiberius, dass er auch die Apostel aus Bethlehem ver¬
treiben solle; wenn du diess nicht thust, so melden wir es beim
Kaiser. Und so genöthigt schickte er einen Chiliarchen gegen die
Apostel nach Bethlehem. 32. Der heilige Geist aber sprach zu den
Aposteln und der Mutter des Herrn: siehe der Präfekt schickte einen
Chiliarchen nach euch auf Betreiben der Juden. Gehet also von
Bethlehem weg und fürchtet euch nicht; denn siehe, ich führe euch
in einer Wolke nach Jerusalem, denn die Kraft des Vaters und des
Sohnes und des heiligen Geistes ist mit euch. 33. Es erhoben sich
also die Apostel sofort und verliessen das Haus, indem sie das Bett
der Herrin Gottesgebärerin trugen, und brachen auf gegen Jerusalem.
Sofort aber wurden sie, gleichwie der heilige Geist gesagt hatte, von
einer Wolke aufgenommen und fanden sich in Jerusalem im Hause
der Herrin. Und sie erhoben sich und sangen fünf Tage lang unauf¬
hörlich Lobgesänge. 34. Als aber der Chiliarch nach Bethlehem
gelangte und dort die Mutter des Herrn und die Apostel nicht fand,
250
ergriff er die Bethlehemiten und sprach zu ihnen: seid nicht ihr ge¬
kommen und habt dem Präfekten und den Priestern all die ge¬
schehenen Zeichen und Wunder gesagt, und dass die Apostel aus
aller Welt herbeigekommen seien? wo sind sie nun? Wohlan, kommt
mit zum Präfekten nach Jerusalem. Denn der Chiliarch wusste
nicht um die Versetzung der Apostel und der Mutter des Herrn nach
Jerusalem. Der Chiliarch nahm also die Bethlehemiten mit und kam
zum Präfekten und sagte, er habe Niemand gefunden. 35. Nach
fünf Tagen aber wurde es dem Präfekten und den Priestern und
der ganzen Stadt bekannt, dass die Mutter des Herrn mit den Aposteln
im eigenen Hause in Jerusalem sei, aus den dort geschehenen Zeichen
und Wundern. Eine Menge Männer, Frauen und Jungfrauen hatten
sich versammelt und riefen: heilige Jungfrau, die du Christus, unsern
Gott, geboren hast, vergiss nicht des Menschengeschlechtes ! Als diess
geschah, kam das Volk der Juden sammt den Priestern noch mehr
in Aufruhr, und sie brachten Holz und Feuer herbei und wollten das
Haus anzünden, wo die Mutter des Herrn lag mit den Aposteln.
Der Präfekt aber stand und betrachtete von ferne das Schauspiel.
Als das Volk der Juden an die Thüre des Hauses gelangte, siehe,
da kam plötzlich durch einen Engel Feuersgewalt aus dem Innern
und verbrannte eine grosse Menge Juden. Und es entstand durch
die ganze Stadt ein grosser Schrecken und sie priesen Gott, der aus
ihr geboren ist. 36. Als aber der Präfekt das Geschehene sah,
schrie er auf über das ganze Volk und sprach: in Wahrheit ist
Gottes Sohn der aus der Jungfrau Geborene, die ihr zu verjagen
gedachtet, denn das sind Zeichen des wahrhaftigen Gottes. Es erhob
sich aber eine Spaltung unter den Juden, und viele glaubten an den
Namen unseres Herrn Jesus Christus auf die gewordenen Zeichen.
37. Nachdem aber alle diese Wunder durch die Gottesgebärerin und
immerwährende Jungfrau Maria , die Mutter des Herrn , geschehen
waren, als wir Apostel mit ihr in Jerusalem waren, sprach zu uns
der heilige Geist: ihr wisst, dass am Sonntag die Jungfrau Maria die
Verkündigung von dem Erzengel Gabriel erhielt, dass am Sonntag
der Heiland in Bethlehem geboren wurde, dass am Sonntag die Kinder
Jerusalems herauskamen mit Pahnzweigen dem Herrn entgegen und
sprachen: Hosianna in der Höhe, gepriesen sei der da kommt im
Namen des Herrn, dass am Sonntag er von den Todten auferstand,
dass am Sonntag er kommen wird zu richten die Lebendigen und
die Todten und dass am Sonntag er kommen wird vom Himmel
251
zu Ruhm und Ehren der Auflösung der heiligen herrlichen Jung¬
frau, die ihn geboren. 38. Und an demselben Sonntag sprach die
Mutter des Herrn zu den Aposteln: streuet Weihrauch, denn Christus
kommt mit dem Engelsheer. , Und siehe, Christus war da, sitzend
auf dem Cherubimthrone. Und da wir alle beteten, erschienen un¬
zählbare Engelschaaren und der Herr auf Cherubim thronend in
grosser Macht; und siehe, ein Lichtglanz strahlte auf die heilige
Jungfrau durch die Anwesenheit ihres eingeborenen Sohnes, und
niederfallend beteten ihn an alle die Himmelsmächte. 39. Und der
Herr erhob seine Stimme gegen seine Mutter und sprach: Maria.
Und sie antwortete und sprach: siehe, hier bin ich, Herr. Und es
sprach zu ihr der Herr: betrübe dich nicht, sondern dein Herz freue
sich und frohlocke, denn du hast Gnade gefunden zu schauen die
Herrlichkeit, die mir von meinem Vater gegeben ist. Und aufblickend
sah die heilige Mutter Gottes eine Herrlichkeit an ihm, welche Menschen¬
mund nicht im Stande ist auszusprechen oder zu erfassen. Der
Herr aber fuhr fort zu ihr zu reden: siehe, von nun an wird dein
ehrwürdiger Leib versetzt sein in das Paradies, deine heilige Seele
aber in dem Himmel, in dem Schatzhause meines Vaters in über¬
schwänglichem Glanze, wo Friede und Freude der heiligen Engel
ist unermesslich. 40. Die Mutter des Herrn antwortete und sprach
zu ihm: lege mir deine Rechte auf und segne mich. Und der Herr
reckte seine reine Rechte aus und segnete sie. Sie aber ergriff seine
reine Rechte, küsste sie und sprach : ich bete an diese Hand, welche
erschaffen hat den Himmel und die Erde, und ich rufe an deinen
vielgepriesenen Namen, Christus, Gott, König der Ewigkeit, Ein¬
geborener des Vaters, nimm auf deine Magd, der du geruht hast, durch
mich, die Niedrige, geboren zu werden, um zu erlösen das Menschen¬
geschlecht nach deinem unaussprechlichen Rathschluss. Jedem
Menschen, der anruft oder bittet oder nennt den Namen deiner
Magd, lass zukommen deine Hilfe. 41. Als sie dieses sagte, warfen
sich die Apostel ihr zu Füssen und sprachen anbetend: Mutter des
Herrn, gib der Welt deinen Segen, da du von ihr gehst. Denn du
hast sie gesegnet und aufgerichtet die verlorene, indem du das Licht
der Welt gebarst. Die Mutter des Herrn betete und sprach in ihrem
Gebet also: Gott, der du in deiner grossen Güte aus dem Himmel
sandtest deinen eingeborenen Sohn, um zu wohnen in meinem
niedrigen Körper, der du geruht hast aus mir, der Niedrigen, geboren
zu werden, erbarme dich der Welt und jeder Seele, die anruft deinen
252
Namen. 42. Und sie betete wiederum und sprach : Herr, König der
Himmel, Sohn des lebendigen Gottes, nimm auf jeden Menschen,
der deinen Namen anruft, damit deine Geburt verherrlicht werde.
Und wiederum betete sie und sprach: Herr Jesu Christe, der du
Alles vermagst im Himmel und auf Erden, mit dieser Bitte rufe ich
demuthig deinen Namen an: zu jeder Zeit und an jedem Orte, wo
man meines Namens gedenkt, heilige jenen Ort und verherrliche,
die dich verherrlichen durch meinen Namen, indem du aufnimmst
von diesen jede Gabe, jedes Flehen , jedes Gebet. 43. Als sie so
betete, sprach der Herr zu der eigenen Mutter: freue dich und es
juble dein Herz; denn jede Gnadengabe ist dir gegeben von meinem
Vater in dem Himmel und von mir und dem heiligen Geiste; jede
Seele, die deinen Namen anruft, wird nicht zu Schanden werden,
sondern wird Erbarmen finden und Trost und Beistand und An¬
sprache sowohl in dieser Welt als auch in der künftigen vor dem
Angesichte meines Vaters in dem Himmel. 44. Der Herr wandte
sich und sprach zu Petrus: die Zeit ist gekommen, den Lobgesang
zu beginnen. Als aber Petrus den Lobgesang begann, stimmten
alle himmlischen Mächte ein mit dem Alleluja. Und da leuchtete
das Angesicht der Mutter des Herrn heller als das Licht, und auf¬
stehend segnete sie mit eigener Hand jeden der Apostel, und alle
gaben Gott die Ehre und der Herr breitete seine reinen Hände aus
und empfing ihre heilige und unbedeckte Seele. 45. Bei dem Aus¬
tritt ihrer reinen Seele wurde der Ort mit Wohlgeruch und unbe¬
schreiblichem Licht erfüllt und siehe, eine Stimme erscholl vom
Himmel und sprach: selig bist du unter den Weibern. Und Petrus
und ich, Johannes, und Paulus und Thomas liefen herzu und umfassten
ihre ehrwürdigen Füsse, um sie zu verehren; die zwölf Apostel aber
legten ihren ehrwürdigen und heiligen Leib auf eine Bahre und
trugen ihn. 46. Und siehe, beim Wegtragen stürzte ein Hebräer von
edler Abkunft, Namens Jephonias, auf den Leichnam zu und legte
Hand an die Bahre, während die Apostel sie trugen, und siehe, mit
unsichtbarer Macht hieb ein Engel des Herrn mit einem feurigen
Schwert ihm beide Hände von den Schultern ab und liess sie an
der Bahre in der Luft hängen. 47. Als dieses Wunder geschah,
schrie das ganze Volk der Juden auf, welche erkannten, dass wirk¬
lich wahrhaftiger Gott ist der von dir Geborene, o Gottesgebärerin,
immerwährende Jungfrau Maria. Und Jephonias selbst stellte sich,
da Petrus ihm befahl, um die Wunder Gottes zu zeigen, hinter die
253
Bahre und schrie; heilige Maria, die du Gott Christum geboren
hast, erbarme dich mein. Und Petrus wandte sich und sprach zu
ihm: im Namen des von ihr Geborenen werden die dir abgehauenen
Hände wieder angefügt werden. Und sogleich bei Petrus Rede
lösten sich die an der Bahre der Herrin hängenden Hände und
wurden dem Jephonias wieder angefügt; und auch er glaubte und
pries Christum, den aus ihr geborenen Gott. 48. Als dieses Wunder
geschehen war, trugen die Apostel die Bahre weiter und legten ihren
ehrwürdigen und heiligen Leib in Gethsemane in ein neues Grab.
Und siehe, Wohlgeruch stieg auf aus dem heiligen Grab unserer
Herrin , der Gottesgebärerin , und drei Tage lang wurden unsicht¬
barer Engel Stimmen gehört, welche den aus ihr geborenen Christus,
unsern Gott, priesen. Und als der dritte Tag erfüllt war, wurden
die Stimmen nicht mehr gehört, und hieraus erkannten fortan alle,
dass ihr unbefleckter und ehrwürdiger Leib ins Paradies versetzt
sei. 49. Als diess geschehen war, siehe, da schauten wir Elisabeth,
die Mutter des heiligen Johannes, des Täufers, und Anna, die Mutter
der Herrin, und Abraham, Isaak, Jakob und David, der Alleluja sang,
und alle die Chöre der Heiligen anbeten vor dem ehrwürdigen Ueber-
bleibsel der Mutter des Herrn und den Ort lichtglänzend von einem
Lichte, über das kein helleres ist, und eine Fülle von Wohlgeruch
kam aus jenem Orte, wo ihr ehrwürdiger und heiliger Leib in das
Paradies versetzt war, und ein Lied derer, die den aus ihr Geborenen
priesen, ein solches süsses Lied, welches den Jungfrauen allein ge¬
geben ist zu hören, und dessen keine Sättigung ist. 50. Wir Apostel
nun, die wir die plötzliche herrliche Versetzung ihres heiligen Leibes
geschaut hatten, priesen Gott, der uns seine Wunder gezeigt hatte
bei der Auflösung der Mutter unseres Herrn Jesu Christi, durch
deren Bitten und Vermittlung wir alle gewürdigt werden mögen,
unter ihrem Schirme Beistand und Vertretung zu erlangen sowohl
in dieser Welt als in der künftigen, indem wir preisen zu aller Zeit
und an jedem Ort ihren eingeborenen Sohn zugleich mit dem Vater
und dem heiligen Geiste von Ewigkeit zu Ewigkeit; Amen.« —
So ist also Maria schon in den ersten vier Jahrhunderten die
Heldin einiger bescheidenen epischen Dichtwerke geworden. Haupt¬
sächlich hat der Anfang und das Ende ihres Daseins die Phantasie
angeregt. Es ist diess auch ganz naturgemäss. Die Sage weiss aus
dem ruhigen Dahinfliessen stiller, verborgener Häuslichkeit wenig zu
machen; es muss etwas Besonderes sich ereignen oder gethan werden,
254
das Ungewöhnliche, das Ausserordentliche ist ihr Feld. Was nun
die Geburts- und Jugendgeschichte Mariens betrifft, so entrollt der
Dichter des Protevangeliums im ersten Theil desselben ein Bild alt-
testamentlich patriarchalischen Lebens und verpflanzt es unbefangen
in die späteste Zeit der jüdischen Geschichte. Ausser der evange¬
lischen Kindheitsgeschichte dienen ihm die Erzählungen von der
Geburt Isaaks, Josephs, Simsons, Samuels, insbesondere die letztere,
als Vorlagen. Für die Darstellung der Empfängniss und Geburt
Christi schlägt er den Bericht des Evangeliums breit und verwebt
damit Geschichten eigener Erfindung oder solche, welche im Volks¬
mund umgingen. Ueberall spielen alttestamentliche Reminiscenzen
und jüdische Institutionen und Bräuche herein. Aus diesen Elementen,
die bei Thilo und Hofmann ausführlich nachgewiesen sind, baut der
Verfasser ein anmuthiges Ganzes auf, das nur im 18. und 19. Kapitel,
wo die Erzählung plötzlich aus der dritten in die erste Person um¬
springt, ein unorganisch eingeschobenes, auf ältere, bereits geformte,
Sagen hindeutendes Stück hat. Das Büchlein bietet ohne Frage viele
hochpoetische Schönheiten, die ganz wohl an ihre biblischen Vorbilder
heranreichen; die befremdlichen und unser modernes Gefühl ver¬
letzenden Partieen sind aus seiner Zeit und Herkunft zu erklären.
Aesthetisirend weiter darauf einzugehen, liegt ausserhalb unseres
Zweckes.
Von des Pseudomatthäus Büchlein als Ganzem reden wir nicht;
er ist nicht Erfinder, nur Bearbeiter, auch wissen wir ja nicht, was
dem letzten, jenseits unserer Periode liegenden Redakteur, was
der ältern lateinischen Vorlage (oder Vorlagen) angehört. Ebenso¬
wenig ist noch etwas über die andere Variante zu sagen, die in
der Geschichte Josephs vorliegt. Sie liefert uns nur den Beweis,
dass Maria schon in der frühesten Zeit mehr als einmal Gegenstand
epischer Produktion war.
Die vereinzelten nicht im Protevangelium enthaltenen Anekdoten
aus dem Leben Mariens nach der Geburt ihres Sohnes, die wir
diesen Varianten verdanken, haben die Bedeutung poetischer Bau¬
steine, auf deren nächste Verwendung zu künstlerischen Gebilden
wir schon hingewiesen haben. Wir kommen noch einmal mit einem
Wort darauf zurück.
Die Erzählung vom Hingang Mariens aber ist wieder schon
ein einheitliches Ganzes und zwar diess in höherem Grade als das
Protevangelium. Sie ist viel mehr aus Einem Guss, von überlegterer
255
Composition mit berechneter Steigerung der Effekte und von drama¬
tischer Lebendigkeit der Darstellung. Sie erscheint noch mehr als
eine freie Erfindung, wenn sie auch wohl einem dunklen, nach Ge¬
staltung ringenden Drang des Volksglaubens entgegengekommen ist.
Von der Sprache abgesehen klingt sie zwar auch in manchen Details
an verschiedene Partieen des neuen Testaments an. Das Grab Christi
ist noch bewacht, Maria bedient sich der Worte des »Magnifikat«,
der Präfekt erinnert einestheils an Pilatus, anderntheils an den
gläubigen Hauptmann unter dem Kreuze, die Verfolgungswuth der
Juden ist dieselbe, wie in der Leidensgeschichte, die Erscheinung
Christi, die Blicke ins Paradies sind apokalyptisch u. s. w. , aber
über alle diese Elemente, sowie über die traditionellen Apostel¬
schicksale verfügt der Verfasser mit grosser Freiheit als über einen
vererbten Schatz des allgemeinen Bewusstseins und verwendet sie
als conventioneiles Ornament für sein selbständiges Kunstwerkchen.
Die eintönigen Wiederholungen und dgl. hielt der Dichter gewiss für
poetische Schönheiten.
Dass die Glorifikation der heiligen Jungfrau in diesem Gedichte
eine viel höhere Stufe erstiegen hat, als im Protevangelium , liegt
am Tage. Der Ehrentitel Gottesgebärerin, die Unterordnung der
Apostel, die Mittlerinrolle zwischen Christus und der Menschheit
u. s. w. lassen deutlich erkennen, dass ihr Bild in der Seele des
Dichters schon ganz in jener Verklärung lebte, welche ihm durch
die verschiedenen Entwickelungskämpfe des vierten Jahrhunderts
geworden war.
Nun könnte noch die Frage aufgeworfen werden, wie es denn
gekommen sei, dass das Jugendleben Mariens schon so frühe, ihr
Ende aber erst verhältnissmässig spät Gegenstand dichterischer Bear¬
beitung geworden sei. Die Antwort ist nicht schwer. Abgesehen
von der verdeckten dogmatischen Tendenz des Protevangeliums, das
für seine Zwecke eigentlich bloss ihr Jugendleben brauchte, wurde
ja Maria erst etwa dreissig Jahre nach der Geburt ihres Sohnes eine
bekanntere Persönlichkeit; ihre Jugend, ihre Begnadigung war und
blieb das Geheimniss von ganz wenigen ihr zunächst Stehenden;
da war bald tabula rasa für die Erfindung, und die Dichtung konnte
sich wenige Decennien nach ihrem Tode schon frei ergehen. Anders
war es mit ihrem Ende. Sie starb von Vielen gekannt, verehrt,
betrauert. Da mussten alle historischen Nachrichten längst verloren
sein, es musste, wie Epiphanius sagt, ihr Ende Niemand mehr kennen,
256
ehe die Dichtung es wagen durfte, ihre Erfindung an die Stelle der
Geschichte zu setzen. Und diess konnte natürlich nur viel später
eintreten, als bei ihrem Jugendleben. Endlich musste auch die Ver¬
ehrung der heiligen Jungfrau im Allgemeinen schon zu jenem Grade
gediehen sein, wie sie sich im Verlauf des vierten Jahrhunderts dar¬
stellt, ehe das gläubige Gemüth einen mit ihrem Eintritt in die Welt
und mit ihrer hohen Stellung über dem Naturgesetz harmonirenden
Lebensabschluss verlangte.
Diese Dichtungen fanden im christlichen Alterthum einen aus¬
gebreiteten Leserkreis, sie wurden nicht bloss in verschiedene
Sprachen übersetzt, sondern auch erweitert und umgebildet, und
gewannen bei Vielen die Autorität geschichtlicher Erzählungen, wo¬
gegen verschiedene Kirchenväter z. B. Hieronymus und Augustinus
sich ereiferten, — was wir Alles schon gesehen haben. Im Jahr 405
wurden sie darum von Pabst Innocentius I. und wiederholt im
Jahr 496 von Pabst Gelasius verurtheilt 1). Trotzdem blieben sie
eine Lieblingslektüre der Gläubigen und verwandelten sich schliesslich
im Mittelalter in die Marien-Epen der Roswitha, des Pfaffen Wernher,
Meisters Heinrich, Konrads von Fuessesbrunnen , des Karthäusers
Philipp, Walthers von Rheinau u. s. w. Wir nehmen begreiflich
auch hier das Wort Epos nur im allgemeinen, die ganze Gattung
bezeichnenden Sinne. —
Epischen Charakter mit etwas panegyrischem Anstrich, der ja
der Erzählung des Evangelisten Lukas selber nicht fehlt, haben nun
noch einige Bearbeitungen der Verkündigungsscene. Es sind diess
keine selbständigen Gedichte, sondern Fragmente grösserer Werke.
Sie haben auch keinen sonderlichen poetischen Werth, da sie nur
aus mehr oder weniger freien Versifikationen des evangelischen
Berichts bestehen.
Das älteste und gewissermassen freieste Beispiel findet sich in den
»Sibyllinischen Orakeln«, und zwar im achten Buch derselben,
welches nach Friedlieb 2) aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts
stammt. Das Fragment lautet nach der an einigen Stellen etwas
abgeänderten Uebersetzung Friedliebs folgendermassen:
»Und in der Fülle der Zeiten verändert’ die Erd’ er, als Kind kam
Er aus der Jungfrau Leib, hell ging ein neues Gestirn auf.
9 S. Tischendorf, Evang. apocr. ed. 2, pag. XXIII u. XXIV.
2) Orac. Sibyll. Lips. 1852. Vorrede, S. LX.
257
Aber vom Himmel er kam und hüllte in Menschengestalt sich.
Gabriel zeigte zuerst sich in starker und heiliger Bildung;
Drauf anredend er sprach als Bote selber zur Jungfrau:
Nimm, o Jungfrau, Gott in den unberühreten Schooss auf.
Sprachs, Gnad’ winkete Gott, doch die immerwährende Jungfrau —
Schrecken befiel sie zumal und Furcht, als dieses sie hörte;
Und so stand sie erbebend, die Seele von Aengsten erfüllet,
Und es pochte das Herz ihr von wegen der fremden Verkündung.
Aber nachher war erfreut und heiter ihr Herz durch die Rede,
Und es lächelt’ das Mägdlein mit hocherröthenden Wangen,
Von der Freude erquickt und von Scham nicht minder befangen.
Doch bald kehrte der Muth ; und es flog das Wort in den Leib ein.
Fleischgeworden zur Zeit und erzeuget im Leibe der Mutter
Ward in Menschengestalt es gebildet und wurde ein Knäblein
Durch der Jungfrau Gehurt, zwar ein grosses Wunder den Menschen,
Aber bei Gott dem Vater und Gott dem Sohne kein grosses1).«
Weitere Versifikationen derselben Scene in Verbindung mit der
s Heimsuchung« liefern zwei lateinische Dichter. Der ältere, Juvencus,
der um 330 blühte, hält sich in seiner »Evangelischen Geschichte«
(einer Art Evangelienharmonie in Hexametern) ziemlich streng, bei¬
nahe wörtlich, an den evangelischen Text. Wir haben uns daher
bei der Uebersetzung des betreffenden Abschnitts bemüht, wenn
auch etwas auf Kosten des Verses, so wortgetreu als möglich zu
verfahren, um nicht den Schein zu erwecken, als hätten wir selbst
den evangelischen Text zu versificiren unternommen. Der Ab¬
schnitt lautet:
»Dann bracht’ ebenderselbe Gesandte von oben den grossem
Auftrag, nieder sich lassend zum Ohre Mariens, der Jungfrau.
Die war ihrem Verwandten verlobt auf sichere Zeitfrist,
Reifte verborgen heran, keusch, im jungfräulichen Dache,
Und erwartet’ den Tag, gehorsam der Eltern Befehlen.
Zu ihr tretend begann der Bote mit ruhiger Rede:
Gruss dir! Helfen der Welt wirst du mit heilsamem Sprössling.
Lass dir den Geist nicht verwirren durch meinen befremdlichen Anblick,
Denn dein Leib wird empfangen den Sohn nach himmlischem Auftrag,
Der auf Gottes Befehl und zu Gottes Freude regieren
Wird auf ewige Zeit, und als Gottes Sohn wird geglaubt sein.
Wenn du diesen gebracht ans Licht, sei Jesus sein Name.
o Vers 456 ff.
L ebner, Die Marienverehrung
17
258
Zu ihm begann hierauf mit schüchternem Munde die Jungfrau:
Ohne Gatten geschieht, wie man sagt, ja keine Empfängniss;
Nun, woher soll hoffen ich, dass mir komme ein Sprössling?
Gegen dieses erklärte mit eiliger Rede der Bote:
Gottes erhabene Kraft wird dich überschattend umflattern,
Und der heilige Geist wird kommen, erlesene Jungfrau,
Und mit keuschem Gebot wird bald er befehlen, dass in dir
Wachse ein Knabe, den Völkern ein Stolz, an welchen, als Heil’gen,
Glauben man muss, den nennen man muss Sohn Gottes des Höchsten.
So hat deine Verwandte, die allen unfruchtbar geschienen,
Des Zacharias Weib vor kurzem mit sterblichem Keime
In dem Schoosse, dem alterbetagten, die Wunder vermehret.
Schon sechs Monate sinds; so Alles gehorcht den Befehlen.
Drauf die Jungfrau : schau, dem befehlenden Herren als Magd siehst
Du mich zu dienen bereit, wie deine Worte ertönen.
Scheidend entzog sich der Bote sofort in die Lüfte, die leeren.
Drauf sie hastigen Schritts drang in die jüdische Stadt ein,
In Zacharias Haus, die schwang’re Elisabeth grüssend.
Ihr bewegt der im eigenen Schoosse verschlossene Sprössling
Bebend plötzlich die Glieder und hüpft in grosser Erregung,
Und die Mutter zugleich springt auf von der göttlichen Stimme
Donnerklange getroffen, erfüllet von heiligem Anhauch
Rufet sie laut: glückseliges Weib, o sei mir gegrüsset,
Die in der Rundung des Leibes du trägst glückseligen Samen.
Woher wollte der gütige Gott mit so herrlichen Ehren
Mir verklären das Haus, dass mich der erhabenen Gottheit
Mutter besucht, schau wie in meinem Innern der Sprössling
Froh aufhüpfet, als kaum er vernahm die Anrede Mariens.
Glücklich, die du geglaubt, dass bald den Worten Erfüllung
Werde, die Gott zu den Dienern gesprochen in grosser Erbarmung.
Jene, badend die Seele in Freuden, gemischt mit Verschämtheit,
Wälzt mit verhaltener Stimme hervor die erbebenden Worte:
Herrlichen Preis und Dank nun singet die Seele dem Herren
Der unermesslichen Welt; kaum fasst mein Geist die so grossen
Freuden, weil er geruht, mich stolz in die Höhe zu heben,
Da so niedrig ich war. Dass selig gepriesen von allen
Völkern und Zeiten ich werde, der gütige Gott hat gewollt es.
Schau, den Gewaltigen nahm er den Thron und die Stolzen zerbrach er
Mit reichfliessendem Schätz macht reich er die niedrigen Armen. —
Dann blieb sie drei Monate dort nach einander und kehrte
Heim zum eigenen Hause darauf, schon sicher der Zukunft1)«.
J) Juvenc. hist. ev. lib. I, pag. 76—84. Ed. Arev.
259
Der zweite Lateiner ist der Bischof Paulinus von Nola (f 431).
Der betreffende Abschnitt, den wir wiederum möglichst wörtlich über¬
setzen, steht in seinem sechsten »Gedichte«, welches das Leben und
die Thaten des heiligen Johannes, des Täufers, feiert.
»Gabriel machet sich auf, der Heil’ge, der Bote gewesen
Dem Zacharias einst, doch höhere Ziele verfolgt er,
Zu Maria plant er den Weg, die, verlobt dem Gemahle,
Aber erlesen von Gott, um der Welt das Heil zu gebären,
Wahrte als Jungfrau rein sich unbefleckete Keuschheit.
Als nun jener mit Würde und glänzend in himmlischer Schönheit
Vor den Augen ihr stand, schlug nieder den züchtigen Blick sie,
Färbend mit untergossenem Blut die erröthenden Wangen.
Mägdlein, sprach er, o glücklicher du, als sämmtliche Jungfraun,
Welche gewesen dereinst, und sind, und fernerhin folgen
Auf der ganzen Welt, die der Sonnencirkel umschwebet,
Auserlesen von Gott, um Mutter dessen zu heissen,
Dessen Vater er ist. Glückauf! empfange die Bürde,
Unbefleckt von dem Mann und frei von aller Umarmung,
Schwanger mit Gottes Wort; dein Schooss soll geben den Leib ihm,
Der den Himmel, die Erde, das Meer und die Sterne gemacht hat,
Der da immer gewesen und ist und in ewigen Zeiten
Sein wird immer. Der Herr der Welt und der Schöpfer des Lichtes,
Selber des Himmels Licht, wird durch dich sterbliche Glieder
Anthun, um zu ertragen der Menschen Augen und Andrang.
Ohne Verwirrung erhebe die Seele zum Preise so grossen
Vorzugs; jener wird dir verleihen die Kraft und den Glauben,
Welcher geruht dein Sohn zu sein, da er Sohn ist des Herren,
Denn er regieret das All und lenket das All mit dem Winke.
Sprachs, und wie er erschien, so verliess er wieder die Erde,
Schwebend mit leichtem Schwung in den Aether hinauf, den gewohnten.
Gottes Anordnungen werden erfüllt und es glaubet das Mägdlein
Stracks, und der plötzliche Glaube erhöht ihr früheres Leben
Und ihr Verdienst. Der verborgene Keim mit verschwiegenem Grunde
Bildet den göttlichen Leib, die verehrungswürdige Bürde
Wächst, und den himmlischen Herrn ernähret der heilige Schooss nun.
Unter der Zeit treibt schon das Kind, bevor es geboren,
Fort die heilige Mutter Marie zum Besuch der betagten
Base Elisabeth, die, obschon ehrwürdig von Alter,
Schwanger ging, um den Knaben, den Liebling des Herrn, zu gebären.
Und die Gebärerin hört auf den Sohn, so stark ist ihr Glaube,
Und folgt seinem Befehl. Es springet im Leibe der Mutter
Auf Johannes und füllet mit göttlichem Sinne die Brust ihr,
2(30
Schon ein Seher, bevor er geboren, im Leibe verschlossen
Schon Prophet sah er, was früher geschehen, was künftig.
Als nun jene erblickt von weitem glänzen Maria
Von dem empfangenen Licht, da geht sie hastig entgegen
Eiligen Schrittes und spricht, mit Verehrung breitend die Arme:
Mutter des Herrn sei gegrüsst, sei gegrüsst, o heilige Jungfrau,
Unbekannt mit dem Bett und frei von des Mannes Umarmung,
Mutter Gottes jedoch; so erhabenen Werths war die Keuschheit,
Dass der Jungfrau Titel du trägst und den Preis der Vermählten.
Sage, woher wird mir, die solcher Begnadung unwerth ist,
Deines Beistands Ehre zu Theil? Was bringst du des Himmels
Ruhm zu unserem Herde, zu unserem niederen Dache,
Und trägst solch ein Licht in unsere dunklen Gemächer?
Doch der Mildsanftmüthige sei bei seinen Verehrern,
Und es gewähre der Sohn auch heut’ uns Gnade, wie vorher.
Sprachs und schloss in die Arme Maria und drücket sie an sich,
Küssend den heiligen Leib, um so schon Gott zu verehren.«
Ausser der Verkündigungs- und Heimsuchungsscene Messen sich
aus der vorhin vorgeführten »Evangelischen Geschichte« des Juvencus
zwar noch mehrere kleine Partieen wiedergeben, worin, wie im
Evangelium, von Maria die Rede ist ; doch wir wollen uns begnügen,
nur noch den Anfang der »Hochzeit zu Cana« zu übersetzen:
»Nun bereitete man ein festliches Mahl für die Hochzeit
In der Gegend Canan1), wo die Mutter des herrlichen Jesus
Nebst dem Sohne zugleich mitfeierte gastlich das Festmahl.
Doch im Verlaufe begann zu fehlen der Wein den Genossen.
Alsdann bat die Mutter den Sohn mit folgenden Worten:
Siehst du, wie es bereits gebricht an dem Safte der Freude!
Möge er, Sohn, durch dich dem festlichen Tische geschenkt sein.
Ihr antwortete Christus darauf, die Wonne der Welten:
Mutter, du eilest ja sehr, noch nicht jetzt dränget die Zeit mich,
Zu der Leute Bedarf solch eine Gabe zu schenken.
Fortan rufet die Mutter erfreut die Besorger der Tische
Her und weiset sie an, des Sohnes Befehl zu gehorchen2).«
Dieselbe Scene hat auch der griechische Dichter Nonnus von
Panopolis, der am Ende des vierten Jahrhunderts lebte, in seiner
poetischen Paraphrase des Johannesevangeliums in Hexametern be-
*) »In regione Canan.«
2) Hist, evang. lib. II.
261
arbeitet, sowie auch die Scene unter dem Kreuze (Joh. XIX, 25 ff.).
Da die panegyrischen Epitheta für Maria in beiden Abschnitten etwa
dieselben sind, so bringen wir zur Abwechselung von diesem Dichter
lieber die letztere Partie.
»Auch Maria war da, die Gottesgebärerin, .... als nun
Christus die göttliche sah und den Jünger, welchen er liebte,
Sprach er zur Mutter das Wort: o Weib, jungfräuliche Mutter!
Sieh den jungfräulichen Sohn. Und wiederum sprach er zum Jünger:
Sieh, Jungfräulicher, diess ist deine jungfräuliche Mutter
Ohne Geburt. Und kaum nach Verfluss der geflügelten Stunde
Hatte der Jünger auch schon die Jungfrau-Mutter im Hause
Als Genossin und war ihr Sohn, in ihr nicht gezeuget,
Nicht geboren von ihr, der geburtsunkundigen Herrin.«
Ausser diesen Versifikationen evangelischer Abschnitte findet
sich nichts Episches mehr vor. —
Die ältesten Verse lyrischen Tones, denn sie lesen sich wie ein
schwungvoller Ansatz zu einem Hymnus, würden ebenfalls die »Si-
byllinen« liefern, wenn das »Mägdlein« (x'öp7j) im Buch III, 784,
welches Buch aber grösstentheils der Mitte des 2. Jahrhunderts vor
Christus angehört, mit etlichen Gelehrten auf Maria bezogen werden
dürfte. Schürer freilich deutet die xopYj auf Jerusalem. Da jedoch die
auf Jes. XI, 6—9 ruhenden Verse 784 — 794 nicht nur (nach Friedlieb)
der berühmten 4. Ecloge Vergils zu Grunde liegen, sondern wohl auch
die S. 240 mitgetheilte Fluchtanekdote von dem zuthulichen Wesen
der reissenden Wüstenthiere veranlassten, so mögen sie hier stehen *):
»Freue dich, Mägdlein, und schmück’ dich, denn Er hat auf ewige Zeiten
Frohen Sinn dir verlieh’n, der Himmel und Erde gegründet,
Und er wird wohnen in dir und dir ein unsterbliches Licht sein.
Und der Wolf mit dem Lamm wird auf den Bergen zusammen
Weiden, und Gras mit dem Böckchen zugleich der Pardel verzehren,
Bären zusammengepfercht mit Kälbern sind auf der Weide,
Und der reissende Leu wird Spreu in der Krippe zerkauen
Gleichwie ein Stier; und ganz unmündige Kinder — an Fesseln
Führen sie ihn; denn zahm wird das Thier auf Erden Er machen.
Und es werden vereint die Drachen mit Säuglingen liegen
Und nicht beschädigen sie; denn Gottes Hand wird sie schützen«.
9 Friedlieb, Einleitung, S. XXXIX; Schürer, Gesch. des jüd. Volks etc.,
2. Aufl. 1886, 2. Theil, S. 428.
262
Weitere Verse lyrischer Art, sowie auch etliche Fragmente von
didaktischer oder gemischter Natur lassen sich den Werken der
Dichter des ausgehenden vierten und beginnenden fünften Jahrhunderts
entnehmen. Es sind, wie gesagt, auch blosse Fragmente, längere
oder kürzere Stellen aus grösseren oder kleineren religiösen Dich¬
tungen anderweitigen Inhalts, auch anderweitigen Tons; ein eigenes,
selbständiges lyrisches oder didaktisches Gedicht, das Maria aus-
schiesslich zum Gegenstand hätte, findet sich bei ihnen nicht.
So enthält das zweite »Gedicht von Christus« des Pabstes
Damasus (366 — 384) folgende Verse:
». . . . Marien
Schwoll der jungfräuliche Schooss und die unverehlichte Mutter
Staunte, wie von geheimer Frucht sich fülle der Leib an.
Ihren Schöpfer, den wird sie gebären. Das sterbliche Herz hat
In sich geborgen den Künstler des Pols; der Erfinder des Weltalls
Ward ein Theil des Menschengeschlechts; und unter dem Herzen
Lag er versteckt, der umfasst den weit sich breitenden Weltkreis1).«
Von den vier durchaus unbezweifelten Hymnen des heiligen
Ambrosius lässt sich derjenige herbeiziehen, auf welchen sich oben
(S. 83) Pabst Cölestin beruft:
»Erlöser du der Völker, komm
Und zeige uns der Jungfrau Frucht;
Die ganze Welt vervvundre sich:
Ein solcher Ursprung ziemet Gott.
Nicht aus dem Samen von dem Mann,
Nein, durch geheimnissvolien Hauch
Ist Fleisch geworden Gottes Wort
Und ist des Leibes Frucht erblüht.
Es schwillet auf der Jungfrau Leib,
Das Schloss der Keuschheit bleibt versperrt,
Der Tugend Fahne blinkt hervor,
In seinem Tempel weilet Gott.
Er tritt aus seinem Schlafgemach,
Der Keuschheit königlicher Burg u. s. w.«
Der fünfte Hymnus des Bischofs Synesius von Ptolemais
(f um 414) fängt so an:
»Singt Preis dem Sohn der Jungfrau,
Der Jungfrau, nicht vermählet
Dem Mann im Ehebette.
Unnennbar — Gottes Rathschluss!
b Gallandi, Tom. VI, p. 345, v. 7 ff.
263
Spät ist geboren Christus;
Verehrt der Jungfrau Wehen,
Die Menschenleib ihm gaben.«
u. s. w.
Der grösste Dichter des christlichen Alterthums, Prudentius
(f um 413) gewährt reichere Ausbeute. Wir geben die Auszüge
nach der Ordnung der Gedichte,- wie sie die älteste Handschrift aus
dem 10. Jahrhundert und nach ihr Dresse! in seiner Ausgabe ein¬
hält. In seinem dritten Hymnus »Vor dem Essen« singt er:
»Lebendes Fleisch wird das göttliche Wort,
Das, von der strahlenden Gottheit erfüllt,
Nicht in dem Brautgemach, nicht in dem Bett,
Nicht in hochzeitlichen Wonnen erzeugt,
Ohne Versehrung das Mädchen gebiert.
Diess war der alteingewurzelte Hass,
Diess war der Schlang’ und des Menschengeschlechts
Ohne Versöhnung fortwüthender Krieg,
Weil nun die Viper von weiblichem Fuss,
Stürzend kopfüber, zertreten erliegt.
Sie, die uns Gott zu gebären verdient,
Bändiget jegliches teuflische Gift,
Das in verworrener Windung die Schlang’
Speiet entwaffnet, die schwache, nun aus,
Grünlich sie selbst in dem grünenden Gras 0-«
Aus dem neunten Hymnus »Zu allen Stunden« halbiren wir
die betreffenden langen achtfüssigen Verse und gewinnen hiedurch
folgende sechszeilige Strophe:
»0 glückselig jene Herkunft,
Da die Jungfrau-Wöchnerin,
Von dem heil’gen Geist befruchtet,
Unser Heil hervorgebracht,
Und der Knab’, der Welterlöser,
Sein geheiligt Haupt gezeigt * 2)!«
Aus dem »Weihnachtshymnus« entnehmen wir folgende zwei
Strophen :
»0 edle Jungfrau, fühlest du,
Dass bald die schwere Zeit vorbei,
Der Keuschheit unberührte Zier
Wächst durch die Ehre der Geburt?
0 Cathemerinon III, v. 141 — 155.
2) Cathemerinon IX, v. 19—21.
264
0 welche Freuden übergross
Umfasst der keusche Mutterleib,
Aus welchem eine neue Zeit
Hervorgeht und ein goldnes Licht1)!«
Aus dem polemischen Gedichte »Apotheosis« heben wir zwei
Stellen aus. Bei der zweiten schliessen wir uns etwas mehr an die
Uebersetzung von Brockhaus 2) an. Die erste umfasst folgende Verse:
»Göttliche Kraft befruchtet die Magd, unkundig des Ehbetts,
Segnend mit reinem Hauche die Eingeweide, die keuschen.
Unerhörte und neue Geburt! sie gebietet zu glauben,
Gott sei Christus, der so erzeugte. Die nimmer vermählte
Jungfrau vermählt sich dem Geist und fühlt nicht die Sünde der Liebe.
Fest versiegelt verbleibet der Schooss ihr, innerlich schwanger,
Aeusserlich unversehrt, und blüht von keuscher Befruchtung.
Mutter und Jungfrau doch, des Gemahls unkundige Mutter.
Leugnest du diess, und schüttelst das Haupt, Ungläubiger, thöricht?
Diess verkündet mit heiligem Munde der Engel. Gefällt es
Dir zu vertraun und zu öffnen das Ohr den Worten des Engels?
Glaubte die heilige Jungfrau selbst doch des glänzenden Dieners
Mahnwort, und sie empfing desshalb als Gläubige Christum3).«
Die zweite Stelle schliesst eine Betrachtung des Dichters über
den Besuch der Magier mit den Versen:
»Was war Grund, was Ursach’ nur, den Nacken zu beugen
Vor den Füssen Mariens4) und vor des Kindeleins Spielzeug,
Wenn nur sterblich es war und wenn die höchste Gewalt nicht
Füllete an mit göttlichem Hauch die zärtlichen Glieder?
Lassen wir aber die Weisen, das Gold, die Myrrhe, den Weihrauch,
Was wahrhaftig als Gott ihn bezeugt, auch die Krippe, die Windeln,
Auch den verehreten Schoo ss der Mutter5), vom Sterne beleuchtet, —
Seiner Wunder Gewalt soll selbst als Gott ihn bezeugen6)«.
In dem allegorischen Gedichte der »Psychomachie«, das den
Kampf von Tugenden mit entsprechenden Lastern darstellt, ruft die
»Keuschheit« der »Unzucht« zu:
’) Cathemerinon XI, v. 53 — 60.
2) Aurelius Prudentius Clemens. Leipz. 1872.
8) Apoth. v. 568-580.
4) »Submittere colla ante pedes Mariae«.
5) »Matris adoratum gremium«.
6) Apoth. v. 642 — 649.
265
»Bleibt dir nach der Geburt der unberühreten Jungfrau
Irgend ein Recht? nach der Jungfrau Geburt, seit welcher auf immer
Ist genommen vom menschlichen Leib der sündliche Ursprung,
Und ein neues Fleisch durch die Kraft von oben gepflanzt ist,
Und das unvermählete Weib Gott Christum empfangen,
Mensch von der sterblichen Mutter, doch Gott mit Gotte dem Vater:
*
* *
Nein, du bist nicht im Stand zu brechen mein Recht nach Maria1)«.
Von den poetischen Bildererklärungen des Buches »Dittochäon«
endlich gehören folgende drei hieher: 2)
Die Verkündigung.
»Als Gott nahete, stieg der Bote Gabriel nieder
Von dem Throne des Vaters, dem hohen, und trat in der Jungfrau
Haus urplötzlich und sprach: Maria, vom heiligen Geiste
Schwanger wirst du gebären den Heiland, heilige Jungfrau!«
Die Anbetung der Magier.
»Christus liegt an der Jungfrau Brust, die Magier bringen
Hier die köstlichen Gaben dem Kind, Gold, Myrrhe und Weihrauch.
Staunend schauet die Mutter des keuschen Leibes Verehrung,
Staunt, dass Gott sie gebar, der auch Mensch und oberster König.«
Die Anbetung der Hirten.
»Kraft des himmlischen Lichtes erfüllet der wachenden Hirten
Augen, es preist den Messias, den eben geboren die Jungfrau.
Windelnbedeckt, so finden sie ihn, er liegt in der Krippe,
Statt in der Wiege, sie jubeln froh anbetend die Gottheit.«
Der Dichter Sedulius lässt sich allerdings nicht genau datiren.
Einige lassen die Möglichkeit offen, dass er schon am Ende des
vierten Jahrhunderts gelebt habe3), andere (wie uns scheint, mit
mehr Recht) setzen seine Bliithe unter Theodosius II. und Valen-
tinian III. , also zwischen 408 — 455. Wenn wir daher ein paar
Stellen aus seinen Gedichten mittheilen, so geschieht es freilich auf
die Gefahr hin, über die von uns gewählte Zeitschranke hinauszu¬
greifen. Doch kann auf alle Fälle nicht viel gefehlt sein4).
0 Psycbom. v. 70—75 und v. 80.
2) Dittoch. Nr. 25, 27, 28.
3) Vgl. Fessler, Patrolog. Bd. II, pag. 482.
4) Vgl. Ebert, Gesch. der christl. lat.ein. Literatur. Leipz. 1874, S. 358 Anm. 1
und S. 365; Huemer, De Sedulii vita etc. Vindob. 1878, p. 23 ff.
266
Sein grösseres »Lied vom Opferlamm« x), worin »die göttlichen
Wunder Christi, der als unser Pascha geopfert ist«, besungen werden,
gehört allerdings im Ganzen der christlichen Epik an, jedoch haben
die wenigen Partieen, die wir demselben zu entnehmen haben, einen
mehr betrachtenden, didaktischen oder lyrischen Charakter.
Das zweite Buch dieses »Carmen paschale« enthält in Vers
28 — 40 folgende Betrachtung:
»Wie aus dorniger Staude die zarte Rose emporsteigt,
Nichts Verletzendes hat und die Mutter an Ehre verdunkelt,
So aus dem Stamme der Eva Maria, die Heilige, kommend
Sühnte der alten Jungfrau Frevel die Jungfrau, die neue.
Auf dass, weil die Natur, die ursprüngliche, krankte verdorben
Unter des Todes Gewalt, der Mensch könnt’ wieder geboren
Werden durch Christi Geburt und die Makel des Fleisches verlieren.
Dieses, was die Propheten, die alten, als künftig gesungen,
Kündet’ als fällig der Engel der unberührten Maria.
Und sein Wort fand Glauben, und bald erfüllte des Mägdleins
Leib die himmlische Last, und es stellt sich der Schöpfer der Dinge
Unter des Werdens Gesetz. Die Unvermählte erstaunet
Ueber den schwellenden Schooss, erfreut zu gebären den Schöpfer.“
Von rein lyrischem, hymnenartigem Schwung sind die Verse
63 — 69 desselben Buches:
»Heilige Wöchnerin, sei mir gegrüsst, die den König geboren,
Welcher Himmel und Erde erhält auf ewige Zeiten,
Dessen Gottheit Alles umfasst in ewigem Kreislauf,
Dessen Reich ohn’ Ende besteht. In seligem Leibe
Hast du die Freuden der Mutter vereint mit den Ehren der Jungfrau.
Keine erscheinet dir gleich, sei’s vor dir, oder auch nach dir,
Ohne Beispiel allein hast du, Weib, Christo gefallen.«
Die Verse 358—364 des fünften Buchs symbolisiren in Maria
die Kirche und nehmen an, dass Christus nach seiner Auferstehung
der Mutter, als Repräsentantin der Kirche, zuerst erschienen sei:
»Christus hat sich verbunden in schöner Liebe der Kirche,
Letztere strahlet umher in der sichtbaren Ehre Mariens,
Welche mit herrlichem Namen auf immer heisset die Mutter,
Immer auch Jungfrau bleibt ; ihr zuerst erscheinend vor Augen
Zeigte sich offen der Herr am Tag, dass verbreite die gute
Mutter die Wunder, die grossen, dass sie, die einstens der Weg war
Für den Ankommenden, sei Wegzeiger des Wiedergekehrten.«
') Carmen paschale.
267
Aus der »Elegie« stammen die beiden folgenden Distichen, welche
in ihrer Vereinzelung ganz als selbständige Epigramme wirken. Wir
haben in der Uebersetzung die Figur der Epanalepsis möglichst
nachzuahmen gesucht.
»Einzig war es ein Weib, die dem Tode geöffnet die Pforte,
Und die das Leben gebracht, einzig auch war es ein Weib« *)•
»Jungfrau berühmt sich Marie, da Keiner verletzet die Keuschheit;
Nach des Knaben Geburt Jungfrau berühmt sich Marie* 2).«
Schliesslich ist noch der Anfang des »Hymnus« mitzutheilen,
bei dessen Uebersetzung wir aber sowohl auf die alphabetische
Reihenfolge der Anfangsbuchstaben jeder Strophe, als auch auf den
schon verwendeten Reim, und zwar der Worttreue wegen, verzichten.
»Von Sonnenaufgangs Angelpunkt
Bis zu der Erde letzter Mark
Dem Fürsten Christus singet Preis,
Mariens Sohn, der Jungfrau Sohn.
Der sel’ge Schöpfer dieser Welt
Zog eines Knechtes Körper an,
Befreit durch Fleisch das Fleisch, um nicht
Zu Grund zu richten, was er schuf.
In den verschloss’nen Mutterschooss
Des Himmels Gnade gehet ein,
Der Leib des Mägdleins trägt in sich
Geheimnisse, die er nicht kennt.
Das Haus der zücht’gen Mutterbrust
Wird Gottes Tempel auf einmal,
Vom Mann nichts wissend, unberührt,
Durch’s Wort empfing sie einen Sohn.
Geboren hat die Wöchnerin,
Den Gabriel vorhergesagt,
Den, in der Mutter Leib versperrt,
Johannes fühlt und springt empor.
Er trägt’s zu liegen in dem Heu,
Hat vor der Krippe keine Scheu,
Er nährt sich von geringer Milch,
Durch den kein Vöglein hungern darf.«
u. s. w.
b Vers 7 u.*8.
2) Vers 53 u. 54.
268
Wir bemerken nur noch, dass dieser Hymnus, wie der des
Ambrosius und der »Zu allen Stunden« des Prudentius ins Brevier
übergegangen sind.
Eine eigene Klasse bilden die syrischen Dichter. Wir lassen
sie daher zum Schlüsse nach einander auftreten, obwohl einige der
Zeitfolge nach vor die zuletzt aufgeführten Lateiner fallen. Der
älteste von denselben ist der heilige Ephram, den wir schon mehr¬
fach kennen gelernt haben. Die Kritik ist mit ihm noch keineswegs
fertig, namentlich ist man mit den bloss in griechischer Uebersetzung
unter seinem Namen laufenden Schriften noch nicht im Reinen.
Wir halten es daher für das Gerathenste, diese gar nicht zu berück¬
sichtigen und nur unter den syrischen eine kleine Auswahl zu treffen,
die wir nach Zingerle’s Uebersetzung geben.
Ephram übertrifft alle bekannten Dichter des christlichen Alter¬
thums, so weit diese Maria poetisch verherrlichten, durch die Menge
seiner einschlägigen Dichtungen. Insbesondere sind seine Weihnachts¬
hymnen beinahe ebensoviele Preisgesänge auf Maria als auf Christus,
selbstverständlich das Erstere immer nur in zweiter Linie. Dabei
hat er das Eigenthümliche , dass er Maria selbst öfters redend ein¬
führt und zur Trägerin seiner Gedanken und Gefühle wählt, oder,
wie er sie selber sagen lässt, dass »ihr Kind sie zur Harfe seiner
Lieder macht«. Diese Lieder nehmen nun ohne Frage oft einen
hohen dichterischen Anlauf, enthalten aber auch ebensoviel poetisch
verarbeitete Dogmatik, eine Eigenschaft, die mit ihnen auch die
übrigen Syrer mehr oder weniger theilen. Es ist aber diess wiederum
eine neue, wenn auch nicht durchaus dichterische, Verherrlichung
Mariens, dass Ephräm eben durch ihren Mund diese dogmatischen
Lehren in poetischer Einkleidung vortragen lässt.
Zingerle hat die Hymnen in Prosa übersetzt. Einen Abschnitt
des vierten Weihnachtshymnus hat er aber auch in poetischer Form,
wohl in einer Nachahmung der im Vergleich mit unsern abend¬
ländischen Versmassen sehr freien syrischen Versifikation in seine
»Marienrosen aus Damaskus« x) aufgenommen. Da diese Versifikation
von der prosaischen Uebersetzung sich grossentheils nur durch Um¬
stellungen von Worten , durch Synonymen u. dgl. Kleinigkeiten
unterscheidet, also im Ganzen ebenso treu erscheint, so wollen wir
derselben den Vorzug geben. Sie mag als Beispiel dienen, wie die
*) Zweite Ausgabe. Innsbruck 1855; S. 58 ff.
269
übrigen syrischen Gedichte ungefähr sich ausnehmen würden, wenn
bei ihnen auf das einheimische Versmaass Rücksicht genommen wäre.
Was übrigens das letztere betrifft, so verweisen wir für die späteren
Sachen auf die Vorreden Bickells zu den übrigen Syrern (s. unten).
Der genannte Hymnusabschnitt ist folgender:
»Zu beneidenswerthen Tönen erglühte auch Maria und sang
ihm ein süsses Lied:
Wer machte die Jungfrau
Empfangen, gebären
Den Einen, Vielfachen,
Den Kleinen und Grossen,
Der ganz ist bei mir,
Und ganz bei dem All V
Der Tag, an dem Gabriel
Erschienen mir Armen,
Verwandelte plötzlich
Zur Herrin die Magd.
Magd deiner Gottheit
Bin ich, und Mutter
Zugleich deiner Menschheit,
0 Herr und Sohn!
Wie schnell ward die Magd
Zur Königstochter,
Durch dich, o des Königs Sohn!
Siehe, die Niedrige
Ward Enkelin Davids
Durch dich, o Davids Sohn!
Die Tochter der Erde
Erhebt durch den Himmlischen
Sich zu dem Himmel.
Wie soll ich erstaunen!
Da liegt vor mir
Ein greises Kind,
Erhoben sein Auge
Zum Himmel ganz,
Nie ruhet das Lallen seines Mundes,
Auch wenn es mir scheint,
Dass sich mit Gott nur
Bespreche sein Schweigen.
Wer sah je ein Kind,
Das Alles durchschaut?
270
Sein Schauen verräth
Es als den Lenker
Aller Geschöpfe,
Sein Blick ist der Blick
Des Allgebieters!
Wie öffn’ ich dir, Urquell,
Die Quelle der Milch?
Wie geh’ ich dir Nahrung,
Ernährer des Weltalls,
An deinem Tische?
Wie leg ich dir Windeln an,
Strahlenumhüllter ?
Wie soll ich dich nennen?
Nicht weiss es mein Mund,
0 Sohn des Lebendigen !
Wag’ ich’s, zu nennen
Dich Josephs Sohn,
So beb’ ich; du bist
Nicht erzeuget von ihm.
Seinen Namen zu leugnen
Fürcht’ ich mich auch,
Er ward mir verlobt.
0 Sohn nur des Einen,
Soll ich dich nennen
Auch Mehrerer Sohn?
Dich sprechen nicht aus
Myriaden von Namen;
Denn Gottes- und Menschensohn
Bist du, zugleich
Auch Davids Sohn,
Und Herr der Maria.
Wer machte dich sprachlos
0 Herr der Sprachen?
Ob deiner Empfängniss,
Der reinen, verleumdeten
Böswillige mich;
Heiligster, rette
Die Ehre der Mutter,
Zeig’ deine Macht,
Damit sie es sehen,
Woher ich dich empfing!
Ich bin nun verhasst nur deinetwegen,
Der du liebest das All!
Sieh, man verfolgt mich,
Weil ich empfing und gebar
Die eine Zuflucht der Menschenkinder.
271
Adam erfreu’ sich;
Denn du bist der Schlüssel
Zum Paradies.
Sieh, wüthend empört sich
Gegen deine Mutter ein Meer,
Wie gegen den Jonas.
Siehe, Herodes —
Eine tobende Fluth —
Strebt zu ersäufen den Herrn der Meere.
0 wohin flieh ich?
Lehre mich du es
Herr deiner Mutter!
Mit dir will ich fliehen,
Durch dich zu gewinnen
Das Leben an jeglichem Ort.
Bei dir ist der Kerker
Kein Kerker mehr;
Denn himmelwärts steiget
Durch dich der Mensch.
Bei dir ist das Grab auch
Nimmer ein Grab;
Denn die Auferstehung bist du *).«
Der zehnte Hymnus auf die Geburt Christi fängt also an:
»Durch dich will ich anfangen zu sprechen, o Anfang, der
allen Geschöpfen den Anfang gegeben. Oeffnen will ich meinen
Mund; du aber erfülle meinen Mund! Land bin ich für dich, du
aber der Landmann. 0 du, der sich selber in den Schooss seiner
Mutter gesäet hat, säe in mich dein Wort! Ueber mich erstaunen
alle die keuschen Töchter der Hebräer und die Jungfrauen , die
Töchter der Häupter des Volks. Durch dich ist die Tochter der
Armen beneidenswerth; deinetwegen sieht man mit Eifersucht auf
die Tochter der Niedrigen. Wer hat dich mir gegeben? 0 Sohn
des Reichen (Gottes) , der den Schooss der reichen Frauen ver¬
schmähte, was hat dich zu den Armen gezogen? Denn Joseph ist
arm und ich bin dürftig. Deine Handelsleute (die Magier) trugen
und brächten allerdings Gold in das Haus der Armen. Sie sah die
Magier; da wurde sie freilich durch die Gaben derselben zu vielen Preis¬
gesängen angeregt. Deine Anbeter standen rings um mich her; auch
deine (die dir gegebenen) Geschenke umgaben mich von allen Seiten.
J) Ephr. S. IV. de nativ. Tom. II, Syr. et lat. p. 415. Ed. Assemani.
Zingerle, Ausgew. Schriften Ephräms; Kempten, Bd. II, S. 24 ff.
»Gepriesen sei das Kind, welches seine Mutter zur Harfe für
seine Lieder machte. Weil die Harfe auf ihren Herrn (der auf ihr
spielt) harret, so harret mein Mund auf dich, dass dein Wille die
Zunge deiner Mutter errege, und weil ich durch dich eine ganz neue
Empfängniss kennen gelernt habe, so möge durch dich auch mein
Mund als neues Erzeugnis einen neuen Lobgesang lernen. Wenn
die schwersten Dinge für dich nicht schwer sind, so bleiben die für
dich leichten Dinge doch schwer (unbegreiflich), dass nemlich der
Schooss dich ohne Begattung empfing, und dass ohne Samen der
Mutterleib dich gebar. Ist es für einen armen Mund leicht, deine
grosse Glorie zu erhöhen?
»Siehe, ich bin bedrängt, verleumdet und doch fröhlich. Voll
sind meine Ohren von Schmähung und Spott; allein gering scheint
mir, wie viel ich auch immer leiden muss; denn ein Trost von dir
kann Myriaden von Leiden vertreiben. Weil ich von dir, o mein
Sohn, nicht verachtet bin, hege ich volles Vertrauen. Wenn ich
auch verleumdet werde, dass ich empfangen habe, ich habe aber
die Wahrheit geboren, die siegreich meine Unschuld vertheidigt.
Wenn nemlich die Thamar x) durch Juda gerechtfertigt ward, um
wie viel mehr werde ich durch dich siegreich dastehen!
»Dein Ahnherr David sang, bevor du kamst, einen Psalm auf
dich, dass dir Gold von Saba werde dargebracht werden* 2). Der
Psalm, den er gesungen, ging an dir als Knabe in Erfüllung; siehe,
in der That ist vor dir Myrrhe und Gold aufgehäuft. Die hundert¬
fünfzig Psalmen, die er gesungen, haben durch dich ihre Würze
bekommen ; denn alle Worte der Propheten bedürfen deines lieblichen
Geschmacks, weil ohne dein Salz alle Arten von Weisheit geschmack¬
los sind3).«
Hieran schliesst sich der elfte Hymnus über denselben Gegenstand:
»Ich empfinde, o mein Sohn, keinen Neid darüber, dass du
sowohl bei mir als auch bei allen Menschen bist. Zeige dich als
Gott dem, der dich bekennt, und als Herrn dem, der dir dient, und
sei Bruder dem, der dich liebt, damit du dir alle zu eigen machst!
Da du in mir wohntest, weiltest du in und ausser mir, und nach-
I. Mos. 38, 11-16.
2) Ps. 71, 10.
3) Ephram, S. X. de nat. Tom. II, Syr. et lat. p. 428 ff. Zingerle II. Bd,
S. 38 ff.
273
dem ich dich geboren, war deine verborgene Macht sichtbar nicht
fern von mir. Du bist in mir und ausser mir und versetzest die
Mutter in Erstaunen. Während ich deine äussere Gestalt vor meinen
Augen sehe, ist dein verborgenes Bild in meinem Geiste gebildet,
o Heiliger! In deiner sichtbaren Gestalt sah ich Adam, und in deiner
verborgenen schaute ich deinen mit dir innigst vereinten Vater.
Hast du wohl mir allein in zwei Bildern deine Schönheit gezeigt?
»Im Brod und Geist zeige sich dein Bild! Wohne im Brode
und den dasselbe Essenden! Im Unsichtbaren und Offenbaren schaue
ich deine Kirche wie deine Mutter! Wer dein Brod als verächtlich
hasst, gleicht Jenem, der deinen Leib hasst; allein der auch weit
Entfernte, welcher dein Brod liebt, ist dir nahe, weil er dein Bild
liebt. Im Brode und Fleische schauten dich die Ersten und die
Letzten. Ja dein sichtbar Brod ist wohl geehrter als dein Leib;
diesen nemlich sehen auch die Ungläubigen, dein lebend Brod aber
sehen sie nicht. Es freuten sich die Entfernten, weil ihr Loos das
der Nahen übertraf. Deine Gestalt ist in dem Traubenblute auf
dem Brode abgebildet, auf dem Herzen aber ist sie mit dem Finger
der Liebe durch die Farben des Glaubens abgebildet. Gepriesen sei
er, der die gemeisselten Bilder durch das Bild seiner Wahrheit ver¬
schwinden machte.
»Du bist nicht (ein blosser) Mensch, dass ich dir ein einfaches,
gewöhnliches Lied singen dürfte; denn deine Empfängniss ist eine
völlig neue, und deine Geburt ist ein Wunder. Wer kann ohne
Geist dich im Psalmentone preisen? Ein neuer leiser Gesang der
Prophezeiung erglüht in mir. Wie soll ich dich nennen , o uns
Fremder, der Einer aus uns geworden? Nenne ich dich Sohn, oder
nenne ich dich Bruder?. Soll ich dich den Verlobten oder Herrn
heissen? Du erzeugst ja aus dem Wasser die Mutter als neue
Geburt. Doch — deine Schwester bin ich aus dem Hause Davids,
der unser beider Stammvater ist. Mutter bin ich ebenfalls wegen
deiner Empfängniss, und Verlobte wegen deiner Heiligkeit; Magd
und Tochter aus dem Blut und Wasser durch dich erkauft und
getauft.
»Der Sohn des Allerhöchsten kam und nahm in mir seine
Wohnung; so ward ich seine Mutter. Wie ich ihn gebar, so machte
er mich zu einem neuen Geschöpfe, einer zweiten Schöpfung. Weil
er das Kleid seiner Mutter, ihr Fleisch annahm, kleidete sie sich in
seine Herrlichkeit. Die Thamar, welche aus Davids Hause war,
Lehner, Die Marienverehrung. |g
274
entehrte Ammon x); so verloren beide ihre jungfräuliche Reinigkeit.
Meine Perle ging nicht verloren, sie ist in deinem Schatze hinter¬
legt, weil du sie angezogen hast. Aus (der anderen) Thamar* 2)
duftete der Geruch ihres Schwiegervaters, weil sie seine Wohlgerüche
stahl. Aus den Kleidern der Verlobten Josephs duftete aber sein
Geruch nicht, weil sie Balsam (Jesus) empfangen hatte. Eine feurige
(Schutz-)Mauer ward mir, o Sohn des Heiligsten, deine Empfängniss.
Die Blüthe ward geruchlos, weil der Duft der Lilie der Herrlichkeit
gewaltiger war. Der Schatz aller Wohlgerüche bedurfte der Blüthe
und ihrer Düfte nicht. Fern blieb das Fleisch, da es im Mutterleib
die Frucht des Geistes sah.
»Das Weib dient sonst vor dem Manne, weil er sein Haupt
ist ; Joseph aber machte sich auf, um vor seinem Herrn zu dienen,
der in Maria war. Als Priester diente er vor deiner Bundeslade
um deiner Heiligkeit willen. Moses trug einst die steinernen Tafeln,
die sein Herr geschrieben hatte, und Joseph ehrte feierlich die reine
Tafel, worin der Sohn des Schöpfers wohnte. Die Tafeln verloren
ihre Bedeutung, weil die Erde mit deiner Lehre erfüllt ward3).«
Ganz denselben Ton schlägt der zwölfte Weihnachtshymnus an:
»Maria sprach: Empor trug mich das Kind, welches ich ge¬
tragen; er liess seine Schwingen herab, hob mich auf, legte mich
zwischen seine Fittige, schwebte in der Luft hin und her und ver¬
sprach mir: die Höhe und die Tiefe gehören einst deinem Sohne.
»Gabriel sah ich, der ihn Herrn und hohen Priester nannte;
auch sah ich den greisen Diener (Simeon), der ihn aufhob und trug.
Ich sah die Magier tiefgebeugt vor ihm sich niederwerfen, und den
Herodes verwirrt darob, dass der König gekommen. Satan, der die
Knaben (in Aegypten) ersäufen liess, damit auch Moses zu Grunde
gehen möchte, liess auch Ivnäblein (in Bethlehem) ermorden, damit
der Lebendige sterben sollte. Nach Aegypten floh Er, der nach
Juda gekommen war, um bis zur Ermüdung herumzuziehen, weil er
seinen Jäger (die Juden) zu erjagen (erlösen) suchte.
»Eva verhüllte sich in ihrem noch jungfräulichen Zustande mit
Blättern, um ihre Scham zu decken; deine Mutter aber zog in
ihrer Jungfräulichkeit ein Kleid der Herrlichkeit an, das Allen hin-
4 II. Könige, (Sam.) 13.
2) Genes. 38, 14 ff.
3) Ephr. 11. Ges. üb. die Geb. Christi, Zingerle, Bd. II, S. 41 ff.
reichenden Schutz gewährt. Sie gab des Fleisches geringe Hülle
dem, der Alles bekleidet. 0 wie selig ist sie, in deren Herzen und
Geist du wohnest! Eine königliche Burg ist sie durch dich, o Königs¬
sohn, und ein Allerheiligstes durch dich, o Hoherpriester ! Sie berührt
keine Sorge und keine Mühe für Blaus und Mann.
»Eva ward ferner zur Höhle und zum Schlupfwinkel für die
verfluchte Schlange, weil der böse Rath derselben in sie Eingang
fand und in ihr wohnte. Dann ward sie ihr zum Brode, weil sie
Staub wurde. Du aber bist unser Brod und unser Adel und das
Gewand unserer Glorie.
»Wer im Besitze der Heiligkeit ist, den bewachst du, wenn er
behutsam wandelt. AVer Schulden auf sich hat, dem erlassest du
sie. Wer von einem bösen Geiste besessen ist, dem vertreibst du
denselben. Die von Schmerzen Gequälten heilst du von ihren Leiden.
»Wer einen Sohn hat, lasse ihn kommen, damit er Bruder
meinem Liebling werde! Wer eine Tochter oder Verwandte hat, lasse
sie kommen, um Verlobte meines Theuren zu werden. Wer aber
einen Knecht hat, lasse ihn frei, damit er komme und Diener seines
Herrn werde. Der Freie, der dein Joch, o mein Sohn, auf sich
genommen, hat nur einen Lohn; allein der Knecht, der zwei Joche
trägt, das des obern und des untern Flerrn, empfängt einst die
doppelte Seligkeit und doppelten Lohn, weil er zwei Lasten getragen.
Die Freie ist deine Magd auch, wenn sie dir dient, o mein Sohn.
Die Unterjochte (Sklavin) aber wird durch dich frei, durch dich
getröstet, weil sie befreit ward. Verborgene Aepfel *) legt man ihr
in den Schooss, wenn sie dich liebt.
»0 ihr keuschen Seelen, sehnt euch nach meinem Geliebten,
dass er in euch seine Wohnung nehme. Auch ihr Befleckten tragt
Verlangen nach ihm, damit er euch heilige! Sehnt euch nach ihm
auch ihr Kirchen (Gemeinden), auf dass er euch schmücke! Des
Schöpfers Sohn, der da kam, um alle Geschöpfe wiederherzustellen,
versetzte in einen neuen Zustand die Thörichten, die alle Gestirne
anbetend verehrten. Er erneute die Erde, welche durch Adam alt
geworden war, weil er sündigte und veraltete. Ein neu Gebilde
ward die ganze Schöpfung durch ihren Wiederhersteller, der Alles,
die Körper mit den Geistern, wieder in die rechte Ordnung zu bringen
im Stande ist.
’) Cant. II, 5.
276
»Kommt denn, o Blinde, und nehmt unentgeltlich das Licht der
Augen wieder! Kommt, o ihr Lahmen, nehmt eure Füsse! Taub¬
stumme kommt und bekommt wieder eure Sprache! Die aber einer
Hand beraubt sind, sollen ihre Hände empfangen. Der Sohn des
Schöpfers hat seine Schätze voll Heilmittel. Wer also der Augen
bedarf, komme zu ihm! Er macht ein wenig Lehm1), verwandelt
denselben und macht ihn zu Fleisch und gibt den Augen das Licht
wieder. Durch das bischen Lehm zeigte er an, dass durch seine
Hand Adam gebildet worden. Ferner gab die Auferweckung des
Todten 2) Zeugniss, dass durch ihn dem Menschen der Athem des
Lebens eingehaucht worden. Die letzten Zeugen beglaubigten ihn
als den Sohn des Ersten fGottes).
»Versammelt euch und kommt herbei, o Aussätzige, kommt
herbei und empfanget ohne Mühe die Reinheit wieder! Er reinigt
nicht, wie Elisäus, der (dem Naaman) befahl, siebenmal im Flusse
sich zu waschen3). Er macht auch nicht Mühe, wie die Priester
(des Alten Testaments) mit ihren Besprengungen. — Fremde und
Weitentfernte nehmet auch eure Zuflucht zum grossen Arzte! Bei
dem Sohne des Königs ist für das Fremdsein kein Raum, wie auch
kein Herr seinen Dienern fremd ist. Er ist ja der Herr Aller4)«.
Von Ephräm nehmen wir Abschied mit den beiden folgenden
kleinen Fragmenten, welche Zingerle in einer Anmerkung mittheilt.
»Niemand weiss, o Herr, wie er deine Mutter nennen solle.
Soll er sie Jungfrau heissen? Es steht aber ja ihr Kind da. Verehe¬
licht? Allein Niemand wohnte ihr bei. Ist nun deine Mutter schon
uns unbegreiflich, wer vermöchte dich zu fassen? Allein nemlich
ist sie deine Mutter, zugleich mit allen deine Schwester. Sie war
dir Mutter, sie war dir Schwester, aber auch deine Braut mit den
Keuschen. Mit jedem Vorzüge schmücktest du sie, o Zierde deiner
Mutter. Wunderbar ist sie5)«.
»Die Mutter, welche ihn geboren, ist würdig des Andenkens,
preiswürdig der Schooss, welcher ihn getragen. Mehr als alle, die
*) Job. IX, 6.
2) Lazarus oder der Jüngling von Nain.
3) IV. Reg. V, 1.
4) Ephräm, De nat. Ghr. XII. Ges. Zingerle II, S. 45 ff. Tom. II, Syr. et
lat. p. 430 ff.
5) De nativ. S, VIII; T. II. Syr. lat. p. 423-24. Zingerle II, S. 55, Anm. 2.
277
von ihm geheilt wurden, erfreute er mich (Maria), weil ich ihn em¬
pfing. Vor allen, die durch ihn- verherrlicht wurden, verherrlichte
er mich, weil ich ihn gebar. In sein lebensvolles Paradies werde
ich einziehen; denn er wählte mich nach seinem Wohlgefallen vor
allen Menschen zu seiner Mutter und ward mein Sohn, weil es ihm
so wohlgefällig war1)«.
Dem h. Ephräm zunächst in der Zeitfolge steht der Diakon
Cyrillonas, der um das Jahr 400 dichtete2). In seinem »Hymnus
über die Bekehrung des Zachäus« feiern die folgenden Strophen, die
wir nach Bickells Uebersetzung geben, die heilige Jungfrau3):
»Eva unterlag, als der böse Rath, der sie zur Fremden machte,
bei ihr Eingang fand. Als aber die heilige Maria erschien, brachte
diese den ursprünglichen Glanz jener wieder zurück. Die Schlange
mischte heimlich die Sünde mit dem Blute des Todes und reichte der
Eva die Mischung; damit aber jene nicht vor dem Tranke zurück¬
schaudere, tränkte sie dieselbe mit Sündenschuld unter dem Scheine
der Freundschaft. Unser Herr mischte den Wein mit seinem Blute,
versetzte ihn mit der Arznei des Lebens und goss ihn ein; die
Schuldlose kostete davon, stieg herab und überwand das mörderische
Salz des Todes. Im Paradiese heftete sich die Sünde an Eva und
trieb sie aus dem Garten, als sie unterlegen war; weil sie der
Schlange geneigtes Ohr geliehen hatte, ward sie jenem Garten ent¬
fremdet. Die fusslose Schlange lähmte auch Evas Gang; da diente
Maria ihrer Mutter statt des Fusses. Die Jüngere trug die ältere,
auf dass sie in ihrer ursprünglichen Wohnstätte das Leben einathme.
Eva alterte und ward gekrümmt, da gebar sie Maria und ward
wieder verjüngt; denn die Geburt ihrer Tochter übernahm es, die
Schuld der Ahnfrau wieder gut zu machen.
»Eva hatte dort in unser Gebilde den Sauerteig des Todes und
des Jammers verborgen; da erschien Maria und nahm ihn hinweg,
damit nicht die ganze Schöpfung verderbt werde. Gott verbarg seine
Fluthen in der Jungfrau, das Leben strömte aus von der Glorreichen ;
seine Ströme flössen aufwärts zu den Bergen und erhöhten die
Tiefen und Thäler über jene .... Die Gnadenreiche trug das Heil,
0 Ephräm, Zingerle, Ibid.
2) S. Bickell, Ausgew. Gedichte der syr. Kirchenväter, Cyrillonas etc. Ein¬
leitung. (Thalhofer’sche Uebersetzung der Kirchenväter.)
3) Ibid. S. 29.
278
ihre Hände legten es in die Krippe; die Völker genossen es, und
durch seinen Genuss ward der Schlangenbiss geheilt«.
Der Landbischof Baläus, dessen Gedichte vor das Ephesiner
Concil fallen *), hat in seinem »Gedicht zur Einweihung einer neuen
Kirche« folgende Stelle:
»Auch Maria mochte wohl von Staunen ergriffen werden, weil
allerlei Unerhörtes auftauchte und sie umringte. Denn ihr als Jung¬
frau war ein Sohn geworden, und gleich einem Könige strömten
ihm Geschenke zu. Einsam war die Höhle und angefüllt die
Krippe« .
Das »Gebet zu Ehren der heiligen Mutter Gottes«, welches Bickell
ebenfalls mittheilt* 2), wäre vielleicht besser an einem andern Orte
gestanden, dort nemlich, wo von der Anrufung der h. Jungfrau die
Rede war. Allein es ist metrisch 3) verfasst und kann dess wegen
ebensogut hier stehen , wie die lateinischen Sachen , die ins Brevier
übergegangen sind.
»Glückselig bist du, o Maria, weil durch dich die von den Pro¬
pheten verkündeten Geheimnisse und Räthsel erklärt sind. Moyses
malte dich im Dornbusch und in der Wolke, Jakob in der Leiter,
David in der Bundeslade, Ezechiel in der verschlossenen und ver¬
siegelten Pforte. Siehe, heute sind ihre Geheimnissreden durch deine
Geburt erfüllt worden. Ehre sei dem Vater, welcher seinen ein¬
geborenen Sohn gesandt hat, um aus Maria zu erscheinen, uns vom
Irrthum zu erlösen und ihr Andenken im Himmel wie auf Erden
zu verherrlichen.«
Die Vorbemerkung zu dem voranstehenden »Gebet« gilt noch
mehr für die nachstehenden, ebenfalls von Bickell übersetzten »Litur¬
gischen Hymnen zu Ehren der Mutter Gottes« des Bischofs Rabulas
von Edessa (f 435) 4), insbesondere für die Nummern 4 und 5, wo¬
mit wir die syrische Poesie, sowie die Marienpoesie überhaupt ab-
schliessen.
1. »Gegrüsst seist du, in jeder Beziehung heilige Gottesmutter
Maria, wunderbares und ehrwürdiges Schatzhaus der ganzen Welt,
hellstrahlende Leuchte, Wohnstätte des Unbegreiflichen, reiner Tempel
b Bickell, Einleitung zu Bai. S. 68.
2) S. 107.
3) Ibid. S. 103 ff.
4) Bickells Uebersetzung, S. 259 ff.
279 -
des Schöpfers aller Kreatur ! Gegrüsset seist du, denn durch dich ist
uns derjenige kund geworden, welcher die Sünden der Welt hinweg¬
genommen und sie erlöst hat!«
2. »Auf dem Berge Horeb sah dich der staunenswerthe Prophet
Moyses, o heilige Jungfrau, als das Feuer im Dornstrauche weilte
und loderte, ohne dass dieser verbrannt wurde. Dich bezeichnet
auch die von dem gerechten Jakob in der Einöde gesehene Leiter,
auf welcher die Engel des Himmels hinauf- und herabstiegen. Der
Sohn Isais ergriff gleichfalls seine geistliche Cither und begann
dazu zu singen, dass Gott gleich einem sanften auf die Erde nieder¬
fallenden Regen herabsteigen und in der Jungfrau wohnen werde x).
Es mögen nun kommen die hebräischen Mädchen und Jungfrauen,
ihre Handpauken schlagen im heiligen Geiste vor dem Königssohne
und zu dir sagen: Selig bist du, Maria, denn welch einen Sohn hast
du geboren!«
3. »Wie sollen wir dich preisen, o Demüthige, die du allein
in jeder Beziehung heilig bist, die du allen Gläubigen ins-
gesammt Hilfe und Stärke verleihst? Denn wir alle in dieser Welt
schauen aus und erwarten die Hoffnung des Heiles von dir, o
Demüthige! Stärke unseren Glauben und verleihe Frieden der ganzen
Welt! Dafür wollen wir Gläubige dich preisen als den cherubischen
Thron und das Ruhegemach Gottes in der Zeit. Bitte und flehe für
uns alle, auf dass unsere Seelen von dem künftigen Zorne errettet
werden.«
4. »0 reinste Mutter, hilf uns Armen, wie du gewohnt bist.
Du siehst ja, wie wir Erdenkinder uns dem Ende nähern und zu
Grunde gehen. So erwirb uns also Gnade durch deine Fürbitte,
reine und heilige Jungfrau; flehe stets für uns, auf dass wir nicht
wegen unserer Bosheit verloren gehen! 0 Gesegnete, verwende dich
für uns, indem du deinen eingeborenen, aus dir entsprossenen Sohn
bittest, dass er sich unser erbarme um deiner heiligen Gebete willen!
Sei uns gegriisst, o Schiff, welches den Menschen das neue Leben
zuführt! Sei uns gegrüsst, heilige Burg, in welche der König der
Könige herniederstieg, um darin zu wohnen! Sei uns gegrüsst,
demüthige Jungfrau, Mutter Gottes! Heil dir, Gesegnete, Heil dir,
Selige! Bring für uns alle Fürbitten dar deinem eingeborenen, aus
9 Vgl. II. Sam. 23 4.
280
dir entsprossenen Sohne, dass er sich unser erbarme um deiner
heiligen Gebete willen!«
5. »0 Heilige, bitte bei deinem Eingeborenen für die Sünder,
die zu dir ihre Zuflucht nehmen! Denn alle Zuchtruthen, mit welchen
die früheren Generationen gestraft wurden, sind jetzt für uns auf¬
gespart und dringen auf uns ein. Sieh’ doch, wie der Verderber
seinen Bogen gespannt hat und den Pfeil auf die Sehne legt, um
nach seiner Gewohnheit zu treffen ! Siehe auch die Zeichen aller Art
am Himmel und auf Erden, sowie die herzerschütternden Schläge!
Desshalb nehmen wir unsere Zuflucht zu dir, damit wir zu deinem
Sohne rufen und sagen können : 0 du Züchtiger thörichter Herzen,
Christus, der du schlägst und wieder heilst, züchtige uns in deiner
Barmherzigkeit, erwirb uns für dich durch deine Gnade, schone unser
und erbarme dich über uns.« — —
Das Moment der Dichtung spielt nach dem Voranstehenden bei
der Verehrung der heiligen Jungfrau offenbar eine bedeutende Rolle
und zwar nach zwei Seiten. Die Dichtungen sind einerseits Produkte
der Verehrung, andererseits förderten sie hinwiederum die Ver¬
ehrung Mariens. Namentlich mussten die Apokryphen auf die Aus¬
gestaltung des Marienideals einen wesentlichen Einfluss üben. Sind
sie auch nicht als Glaubensquelle betrachtet worden, so konnte doch
ihre Lektüre nicht verfehlen, eine erbauliche Wirkung hervorzubringen
und das Herz ebenso nachhaltig zu befruchten, wie die christliche
Wissenschaft den Geist. Ja, wir haben die Erfahrung gemacht, dass
die Vertreter der Wissenschaft selbst sich von ihnen bestimmen
Hessen. Die Apokryphen sind aber, wie gesagt, nicht bloss Förde¬
rungsmittel der Verehrung, sie sind in erster Linie schon Denkmale
der Verehrung. Das Protevangelium vor Allem eröffnet eine inter¬
essante Perspektive nach rückwärts und beweist, dass das Wunder¬
weib, als welches Maria in den Evangelien erscheint, von Anfang
an die Phantasie mächtig angeregt haben muss. Wie schon oben
bemerkt, ist nemlich das Protevangelium seinem Inhalt nach keines¬
wegs die freie Erfindung eines einzelnen Dichters, sondern enthält
ausser den evangelischen Partieen einen wohlgeformten Sagenschatz,
der in seinen Elementen wohl schon im ersten Jahrhundert in ge¬
wissen Kreisen umgegangen war. Darum ist das Protevangelium
ebenso schon ein Produkt der Marienverehrung, als es dieser Ver¬
ehrung Vorschub leistete. In ähnlicher Weise verhält es sich mit
den übrigen Apokryphen, namentlich dem Gedichte vom Hingang
281
Mariens, nur dass die Sagen, die letzterem zu Grunde liegen, natur-
gemäss späteren Ursprungs sind.
Die versificirten evangelischen Abschnitte, welche formell über
den Werth der poetischen Paraphrase nicht hinausgehen, tragen
deutlich den Ton ihrer Zeit zur Schau und legen in den unterschied¬
lichen panegyrischen Wendungen, in welche sie den Namen Mariens
verflechten, den Tribut ihrer Verehrung zu den Füssen der h. Jung¬
frau nieder. Die lyrischen und didaktischen Fragmente zeigen das
tiefe Sichversenken ihrer Verfasser in das wunderbare Geheimniss
jungfräulicher Mutterschaft, in die hohe Mission Mariens, in ihre Mit¬
wirkung bei der Erlösung; sie bringen manche innige oder feierliche
Apostrophe an die Gebenedeite; auch an zarten Bildern fehlt es
nicht, wie der Rose ohne Dorn des Sedulius, während die alt-
testamentlichen Typen ebenso in den gelehrten oder praktischen
Schriften sich vorfinden. Bei Ephräm preist sie sich selber und
ist die Verkündigerin der Herrlichkeit ihres Sohnes, sowie die
Lehrerin der Religionsgeheimnisse. Bei dem letzten Syrer, der
an der Grenze unserer Periode steht, klingt ihr Lob in inbrünstigen
§
Gebeten aus.
Welche Früchte die altchristliche Mariendichtung in den poe¬
tischen Produkten des Mittelalters getragen hat, ist oben schon an-
gecleutet.
Von noch grösserer Bedeutung ist sie für die Kunst, weil nicht
bloss das Mittelalter, sondern auch die Renaissance, ja noch unsere
Zeit, soweit sie religiöse Stoffe pflegt, unter ihrem Einflüsse steht.
Es will damit natürlich nicht gesagt sein, dass z. B. die Künstler,
welche eine oder mehrere Scenen aus dem »Marienleben« darstellten
und darstellen, unmittelbar aus den Apokryphen schöpfen. Die
Künstler kennen den Inhalt nicht aus den ersten Quellen, sondern
aus den zahlreichen mittelalterlichen oder späteren, poetischen oder
prosaischen Umarbeitungen. Aber es ist gewiss von Interesse, dass
die meisten Motive schon in den ersten Jahrhunderten des Christen¬
thums gegeben sind. Die Darstellungen von Joachim und Anna mit
ihren Erlebnissen, die Geburt Mariens, die kleine Maria im Tempel,
ihre Vermählung, gewisse Züge bei der Verkündigung und Geburt
Christi, bei der Anbetung der Magier und der Flucht nach Aegypten,
die »Ruhe auf der Flucht«, unter wilden Thieren, bei der Palme,
unter Tempeltrümmern und Statuentorsen, Maria beim Tode Josephs,
endlich Tod und Begräbniss Mariens — all diess verdanken wir
282
schliesslich den Apokryphen. — Maria, als Symbol der Kirche, als
Fürbitterin der Menschheit ist dem darstellenden Künstler auch in
Versen eingeprägt. Und hat nicht ein Maler, der Maria als Teufels¬
besiegerin bilden will, dem Prudentius einfach nachzufahren, der die
grünliche Schlange im grünen Grase unter dem Fusse der Jungfrau
sich winden lässt?
Jedoch mit diesem flüchtigen Ausblick in die spätere Kunst¬
entwicklung mag es sein Bewenden haben, wir müssen Maria nun
in der Kunst unserer Periode aufsuchen.
Kunst.
Prudentius hat, wie wir gesehen, einige religiöse Bilder be¬
schrieben, in welchen auch Maria einen Platz fand: die Verkündigung,
die Anbetung der Hirten und die Anbetung der Magier. Diese Dar¬
stellungen gehörten also am Ende des vierten oder am Anfang des
fünften Jahrhunderts zu den Bildercylden, mit welchen man Kirchen
oder Gräber zu schmücken pflegte.
Doch die Kunst hat sich schon viel früher des Marienbildes be¬
mächtigt.
Es ist seit ein paar Decennien nicht mehr nothwendig, die An¬
sicht zu bekämpfen, als seien die ersten Christen von einem be¬
sonderen Hass gegen die Kunst erfüllt gewesen. Nachdem die
Kunstforschung mit Vorliebe sich auch auf die altchristliche Periode
geworfen hat, ist jene Ansicht infolge vieler neuer und durch ein¬
gehendere Würdigung früherer Entdeckungen von selbst gefallen.
Man hat auch in unbefangener Erwägung der Verhältnisse eingesehen,
dass ein solcher allgemeiner Hass geradezu unmöglich war. Sobald
nemlich das Christenthum seine palästinensische Geburtsstätte über¬
schritten hatte und sich in der griechisch-römischen Kulturwelt aus¬
breitete, gewann es Anhänger, bei denen die Kunst von alten Zeiten
her mit dem Leben verwachsen war. Die antike Welt war ja in
allen Gebrauchsgegenständen, in allem Thun und Treiben des Tages
so an künstlerische Formen gewöhnt, dass sogar das unbedeutendste
Hausgeräthe sich künstlerisch gestaltete. Die Lampe, der Topf, der
Becher, das Gewicht an der Waage, die Theatermarke waren in
ihrer Art Kunstwerke. Dieses Verwachsensein mit Kunstformen
wurde natürlich durch das Christenthum, das ja bloss auf Umgestal¬
tung des innersten Menschen drang, nicht gelöst; Brauch und Sitte
blieben. Wie schwer es überhaupt ging, diese zu christianisiren,
284
dafür dienen Tertullians Schriften »Ueber die Schauspiele« und
»Ueber den Bilderdienst« zum Beweise. Machten sich doch viele
christlich gewordene Künstler und Handwerker kein Gewissen dar¬
aus, nach wie vor nicht bloss ihr gewohntes Gewerbe zu treiben,
sondern sogar die Anfertigung und den Verkauf von Götzenbildern
u. dgl. fortzusetzen, um ihr Brod zu verdienen. Wegen dieser Aus¬
schreitungen richtet sich der Eifer der Kirchenväter allerdings manch¬
mal gegen die Kunst überhaupt; wo sich diese jedoch von An¬
klängen an die Idololatrie frei erhielt, blieb sie unangefochten. Es
_ #
ist darum natürlich, dass Tertullians Rath an die Bildhauer, »sich
mit Möbelschnitzereien und dgl. zu befassen« , und an die Maler,
»mit Anstreicherarbeiten ihren Lebensunterhalt zu erwerben«, nicht
durchaus befolgt wurde. Daher blieb nicht bloss die antike Ge¬
wohnheit, Haus- und gottesdienstliches Geräthe mit Symbolen und
Bildern zu zieren, wie uns Clemens von Alexandrien von den Siegel¬
ringen 1), Tertullian von den Messkelchen 2) berichtet, sondern auch
die, das ganze Wohnhaus, den Versammlungssaal , die Kirche, das
Grab künstlerisch zu schmücken, und gerade die Gräber sind es, die
uns die Belege für die älteste Kunstthätigkeit der Christen erhalten
haben.
Die Katakomben nun (denn um diese handelt es sich zunächst,
und zwar, wie wir sehen werden, nicht hloss um die römischen)
liefern uns unter den mancherlei tröstlichen und herzstärkenden
Darstellungen aus der biblischen Geschichte, womit die Ruhestätten
der Entschlafenen geschmückt wurden, auch eine ziemliche Anzahl
von Marienbildern.
Die frühesten sind Freskomalereien auf Wänden und Decken von
Grabkammern; später, als auch die Skulptur in den Dienst der neuen
Religion trat, findet Maria sehr häufig eine Stelle unter den Reliefs
der Sarkophage, und ungefähr zu gleicher Zeit bildet sie auch für
das Kleinkunstgewerbe einen Vorwurf.
Alle diese Kunstleistungen wollen wir der Reihe nach kennen
lernen. Und weil die Malerei den Reigen der Mariendarstellungen
eröffnet, so wollen auch wir zuerst in dem genannten Kunstzweige
diese Darstellungen verfolgen und hierauf mit den übrigen Kunst¬
zweigen ebenso verfahren.
*) Pädag. 1. III. Ed. Potter I, p. 289.
2) De pudic. c. 7 u. 10.
285
Das Material liefern uns ausser den älteren Katakombenwerken
von Bosio1), Aringhi2), Bottari3), welche beide letzteren die Kupfer¬
platten Bosio’s wieder abdrucken Hessen, namentlich G. B. de Rossi,
der im Jahre 1863 eine kleine Auswahl von Marienbildern aus den
Katakomben mit vortrefflichem Text herausgab4), sowie in seiner
»Roma Sotteranea« und in seinem »Bulletino di archeologia cristiana«
manches Neue bekannt machte, und dann R. Garrucci, der in seinem
sechsbändigen Foliowerke »Storia della arte cristiana« auf 500 Tafeln
die altchristliche Kunst (mit Ausnahme der Baukunst) beinahe er¬
schöpfend zur Anschauung bringt. Neuerlich hat Viktor Schultze in
seinen »Archäologischen Studien über altchristliche Monumente« (Wien
1880) auch eine Abhandlung über die »Marienbilder der altchristlichen
Kunst« veröffentlicht, der ein »Verzeichniss der altchristlichen Marien¬
bilder« beigegeben .ist (das erste umfassende Verzeichniss der Art),
worauf wir gebührende Rücksicht nehmen. Andere Werke zu nennen,
woraus wir geschöpft haben, ist überflüssig und hier nicht der Ort;
manche werden gelegentlich citirt werden. Von den Originalen
haben wir vor einer Reihe von Jahren auf einer Reise durch Süd¬
frankreich und Italien mehrere, aber bei weitem nicht alle gesehen.
Was wir an Photographieen nach Originalen uns verschaffen konnten,
ist für die Abbildungen verwendet. Die Abbildungen führen die
Nummern der Beschreibungen; bei letzteren ist immer die Tafel an¬
gegeben, auf der sich die Zeichnung befindet.
Malerei.
Das älteste Marienbild erkennt Rossi in einem Freskogemälde
in der Katakombe der heil. Priscilla, das er im Jahre 1851 zum
ersten Male sah. Das Bild befindet sich auf der rechten Seite der
Wölbung einer Grabnische. Links darüber ist der gute Hirte dar¬
gestellt; die Malerei der linken Hälfte der Wölbung ist zerstört.
An der Wand unterhalb dieses Bogens ist rechts von dem Grabe ein
»zeigender Mann« kaum noch erkennbar, links von dem Grabe drei
Figuren neben einander, ein Mann, eine Frau und ein Kind, gemalt,
0 Roma Sotterranea, herausgeg. von Severano. Rom 1632.
2) Roma Subterranea. Rom 1651.
3) Sculture e Pitture Sacre etc. Rom 1737 — 1754.
4) Imagines selectae Deiparae Virginis. Rom 1863.
286
von welch letzterem die obere Hälfte zerstört ist. Der Mann und
die Frau sind in der Gebetstellung (mit aufgehobenen und aus¬
gebreiteten Händen). Rossi liess die Malerei durch einen geschickten
Künstler copiren, die Gruppe der Gottesmutter mit dem Propheten
noch extra in natürlicher Grösse, und gab sie in Farbendruck heraus.
Unsere Abbildung ist nach einer photographischen Reduktion dieses
Farbendruckes angefertigt.
1.
Freskogemälde in der Katakombe der h. Priscilla. (Taf. I.)
Maria, ohne Zweifel sitzend zu denken (die untere Partie des
Rüdes ist grösstentheils zerstört), hält das nackte Kind an der Brust.
Sie ist in eine weisse Tunika mit kurzen Aermeln gekleidet und trägt
einen weissen Schleier über den gescheitelten braunen Haaren. Vorn
über ihrem Haupte ist der Stern sichtbar. Links steht ein junger
Mann mit braunen Haaren, nur mit dem weisslichen Pallium be¬
kleidet, aber so, dass die rechte Schulter und der rechte Arm frei
bleibt. In der linken Hand hält er eine Rolle, mit der rechten zeigt
er sowohl auf die Jungfrau als auch auf den Stern, wie Rossi er¬
klärt, oder er begleitet damit seine Anrede, wie Garrucci will. Es
ist der Prophet Jesaias, der mehrmals auf das neue Licht hinweist,
das aufgehen wird x). So erklärt Rossi 2). Garrucci dachte anfangs
an eine Personifikation der Prophetie des Bileam: »Ein Stern geht
auf aus Jakob u. s. w.« 3), lässt aber diese Deutung fallen in An¬
betracht dessen, dass der Prophet eigentlich nicht den Gestus des
Zeigens (namentlich nicht auf zwei Dinge zu gleicher Zeit) mache,
sondern des Redens. Schultze 4) erkennt in der Figur den h. Joseph
und sieht in dem Bilde eine »innerhäusliche Scene«.
Das Gesicht Mariens bildet ein liebliches Oval und hat edle,
regelmässige Züge. Die grossen Augen sind von schön geschwungenen
Brauen überwölbt, unter der geraden Nase scheint sich der kleine
Mund zu einem leisen Lächeln verziehen zu wollen, wenn anders er
nicht dem rasch arbeitenden Freskomaler oder auch dem Kopisten
ein wenig schief gerathen ist. Ein milder Ernst spricht aus diesen
*) Is. IX, 2; LX, 2, 3, 19.
2) Imagines sei., Text, p. 8.
3) IV. Mos. XXIV, 17.
4) S. 191.
287
Zügen und das gedankenvolle, etwas repräsentative Herausschauen
aus dem Bilde lässt die Annahme nicht zu, dass sie in traulichem
Gespräche mit dem anredenden Mann begriffen sei. Ihr Oberkörper
ist leise vorn übergeneigt, und diese Haltung erinnert in ganz un¬
gesuchter Weise an die Haltung mancher Madonnen aus der Blüthe
der Renaissance. Rossi war entzückt über die klassische Schönheit
des Bildes, dessen Original von der Copie, so gut sie auch sei, nicht
erreicht werde, und macht eine Reihe von Gründen geltend, welche
zu hoher Wahrscheinlichkeit erheben, dass das Kunstwerk der ersten
Hälfte des zweiten, wenn nicht gar dem ersten Jahrhundert angehöre.
Schultze glaubt es zwischen 150 und 170 setzen zu müssen. So
viel ist sicher, dass das Bild nicht bloss das älteste, sondern auch,
und gerade desswegen, das schönste Marienbild der Katakomben ist.
Es zeigt unter allen noch am meisten die klassische Tradition 1).
Diesem ältesten Bilde reihen wir ein anderes, längst bekanntes
an, das zwar chronologisch nicht das nächste ist, aber eine Eigen-
thümlichkeit mit ihm theilt, welche sich bei den Fresken sonst nicht
mehr findet. Es ist nemlich der Mutter mit dem Kinde hier eben¬
falls eine Prophetenfigur beigegeben.
2.
Freskogemälde in der Katakombe der h. Domitilla, auf einer
Wand über einem Arkosolium (Grab unter einem Bogen), auf dessen
Lünette Orpheus dargestellt ist. (Taf. I.)
Maria sitzt auf einem Lehnsessel, gegen rechts gewendet. Sie
ist mit Tunika und Mantel bekleidet und hat blossen Kopf und
blosse Füsse. Auf dem Schoosse hält sie den mit Tunika bekleideten
Christusknaben, der die rechte (jetzt zerstörte) Hand erhebt. Was
unmittelbar rechts von der Gruppe gemalt war (wahrscheinlich die
mit ihren Geschenken herbeikommenden Magier), ist zerstört. Auch
der oberste Theil des Kopfes der Maria ist durch ein später ein¬
gebrochenes Grab zerstört. Hinter Maria ist ein Bauwerk, wohl die
0 Rossi, Imag. sei. T. 1; Garrucci, Storia etc. Prato 1872 ff. Tav. 81, 2;
Schultze, Verz. Nr. 1. Das Bild ist sonst noch mehrfach veröffentlicht, z. B. von
der Chromolithographia Pontificia in kleinem Format, darnach von Kraus, Roma
Sotter. Taf. IV, 1; von Martigny, Dictionn. des antiq. ehret, »la Ste. Vierge« ;
Rossi, bullet. 1865, p. 27 u. s. w. Auch der grösste Theil der folgenden Bilder
ist in verschiedenen Büchern veröffentlicht. Wir werden aber immer nur ein
oder das andere Hauptwerk citiren.
288
Stadt Bethlehem bedeutend, durch ein paar Striche angedeutet. Links
hinter der Gruppe steht eine langhaarige bärtige Figur in Tunika und
Pallium, welche die rechte Hand, die Rede begleitend, erhebt. In
dieser Figur sehen Rossi und Garrucci einen Propheten, wahrschein¬
lich Jesaias :), oder auch Micha, von dem das bekannte Wort stammt:
»du Bethlehem im Lande Juda, du bist nicht die geringste u. s. w.« * 2)
Dem Propheten gegenüber, rechts von der zerstörten Partie ist Moses,
das Wasser aus dem Felsen schlagend, dargestellt.
Das Bild stammt aus dem dritten Jahrhundert. Es ist, wie
oben angedeutet, schon von dem ersten Katakombenforscher Bosio
entdeckt worden und in den alten Katakombenwerken auch abge¬
bildet. Doch macht die Abbildung bei Garrucci , nach welcher die
unserige angefertigt ist, den Anspruch grösserer Treue. Es muss
übrigens jetzt von dem Oberkörper sowohl der Mutter als des Kindes
überhaupt nicht mehr viel zu sehen sein, wesswegen auch Rohault
de Fleury in seinem Werke über die heilige Jungfrau diese Partieen
mit punktirten Linien behandelt 3).
Ehe wir zu einer Reihe von Darstellungen übergehen, welche
dieselbe Scene aus dem Leben der h. Jungfrau, die Anbetung der
Magier, vorführen, die höchst wahrscheinlich auch auf dem eben be¬
sprochenen Bilde ursprünglich zu sehen war, müssen wir noch ein¬
mal zu der Katakombe der heiligen Priscilla zurückkehren , wo in
zwei verschiedenen Grabkammern noch zwei eigenthiimliche Bilder
zu betrachten sind. Das ältere derselben, das dem zweiten, höchstens
dem Anfang des dritten Jahrhunderts angehört, ist das folgende:
3.
Freskogemälde in der Katakombe der h. Priscilla. (Taf. I.)
Auf der linken Seite sitzt ein bärtiger Mann, mit der Dalmatika
und dem Pallium darüber bekleidet, auf einem hohen Lehnstuhl, im
Begriffe, einem jungen Mädchen zuzureden, welches rechts von ihm
steht und ihm zuhört. Sie hält mit beiden Händen eine Binde.
Rechts hinter ihr steht ein Mann mit Tunika und Pallium bekleidet,
der in den Händen einen Schleier ausgespannt hält. Der Mann auf
!) Rossi, Imag. p. 8.
2) Mich. V, 1; Matth. II, 6.
3) Bosio, p. 255; Aringhi I, p. 563; Bottari, T. 71; Garrucci, Tav. 30;
Schultze, Nr. 3; Rohault de Fleury, La sainte Vierge, 2 vol. in 4°, Paris 1878, pl. 80-
289
dem Lehnstuhl zeigt mit der rechten Hand auf eine junge Frau, die
gegenüber auf der rechten Seite des Bildes auf einem niederen Lehn¬
stuhl sitzt, mit der Dalmatika bekleidet ist und ein nacktes Kind
am Busen hält. In der Mitte steht eine betende Frau im Vorder¬
gründe, bekleidet mit Tunika, Dalmatika und Schleier, dessen eines
Ende über die linke Brust fällt und mit Fransen besetzt ist. Von
diesen Personen ist nur die junge Mutter barfuss. Sie ist unverschleiert
und trägt die Haare gescheitelt und nach rückwärts genommen, wie
auch das junge Mädchen, das vor dem Greise steht. Dieser Greis
ist ein Pabst, der einer Jungfrau den Schleier verleiht und sie er¬
mahnt, in ihrem neuen Stande die heilige Jungfrau nachzuahmen. Der
Mann, der hinter dem Mädchen steht, ist der Archidiakon , der den
Schleier bereit hält. Die jungfräuliche Binde oder Mitra will das
Mädchen sich selber um den Kopf binden. Die in der Mitte stehende
Frau könnte wohl für dieselbe gehalten werden, deren Consecration
das Bild darstellt. So Garrucci. Schon Bosio hält die Mutter mit
dem Kinde für Maria und Jesus, ebenso Aringhi, während Bottari
darin die Abbildung einer hier Begrabenen erblickt. Rossi sagt,
Bottari habe sehr unrecht, hier einfache Familienporträts zu erblicken,
die Grabkammern im Coemeterium der h. Priscilla enthalten keine
häuslichen Scenen der Art, sondern heilige und symbolische, daher
sei in der jungen Mutter die Gottesmutter zu erblicken x). Die
Schüler Piossis, überhaupt die neueren Archäologen stimmen dieser
Ansicht bei. Wohl mit Becht. Wir haben ja auch oben gesehen,
dass Maria von den Kirchenvätern häufig den Jungfrauen als nach¬
ahmungswürdiges Beispiel vorgestellt wird. Freilich hatten wir keine
Stelle aufzuführen, die älter oder auch nur so alt wäre, als unser
Bild. Doch ist der Gedanke im vierten Jahrhundert ein so ge¬
läufiger, dass es nicht allzusehr auffallen könnte, denselben auch
früher bildlich dargestellt zu sehen. — Schultze glaubt, das Mädchen
vor dem Greise habe keine Binde, sondern eine Buchrolle in der
Hand und der junge Mann hinter ihr halte keinen Schleier, sondern
einen Zipfel seines eigenen Gewandes. Er meint, das Gemälde stelle
irgend eine Familienscene dar, die zu verstehen uns freilich die Mittel
fehlen * 2). Der neueste Erklärer , Abbe V. Davin sieht darin drei
9 Imag. sei. p. 10 u. 11.
2) S. 183.
Dehner, Die Marienverehrung.
19
290
Scenen aus der Geschichte der Susanna 1). Auch Kraus lässt neuestens
die Beziehung auf Maria fallen 1).
Unsere Abbildung ist der Abhandlung Davin’s, welche eine
Photographie Parker’s reproducirt, entnommen.
Etwas jünger, etwa der Mitte des dritten Jahrhunderts ange¬
hörend, ist das andere
4.
Freskogemälde in der Katakombe der h. Priscilla (Decken¬
gemälde). (Taf. I.)
Auf einem Lehnstuhl mit Fussbänkchen sitzt eine junge Frau,
mit Tunika und Pallium bekleidet und den Schleier tragend. Sie
ist nach rechts gewendet, lässt die rechte Hand auf der Stuhllehne
ruhen und bewegt leicht die linke. Sie schaut zur Erde. Rechts
vor ihr steht ein junger Mann, mit Dalmatika und Pallium bekleidet,
das er mit der linken Hand heraufhält, während er die rechte gegen
die Frau ausstreckt.
Schon Bottari vermuthete in dem Bild eine Darstellung der
Verkündigung. Unter den Neueren »zweifelt« Garrucci »nicht daran«,
und mit ihm stimmen Rossi 2) und die übrigen Katakombenkenner
überein mit Ausnahme von Schultze3), der auch hier eine einfache
Familienscene sieht, und Davin, der darin Susanna und Christus
erkennt 4).
Wir geben die Abbildung nach Bosio, der auch bei Garrucci
copirt ist 5).
Wir haben nun, wie oben angedeutet, eine Reihe von Dar¬
stellungen zu betrachten, die die Anbetung der Magier zum Gegen¬
stand haben. Sie haben alle das Gemeinsame, dass die Figur der
h. Jungfrau im Allgemeinen überall in der nemlichen Stellung vor¬
kommt. Sie ist sitzend gemalt, und hat das Kind auf dem Schooss.
Bei den Magiern finden sich Varianten. Allermeistens zwar sind
9 Bosio p. 549; Aringhi II, p. 305; Bottari T. 180; Garrucci Tav. 78, 1.
Abbe V. Davin in der Revue de l’art chretien, 1880, Tome 29, p. 151, pl. XIV.
Kraus, Recension von Schultze’s Buch in der »Literarischen Rundschau« von
Stamminger 1881, Nr. 2, Spalte 50.
2) Imag. sei. p. 11.
3) S. 184.
4) Revue de l’art ehret. 1880, Tome XXIX, p. 145.
5) Bosio p. 541; Aringhi II, p. 297; Bottari, T. 176; Garrucci Tav. 75, 1.
291
es ihrer drei und diese Zahl hat sich ohne Zweifel nach den dreierlei
Geschenken, von welchen im Evangelium die Rede ist, dem Golde,
dem Weihrauch und der Myrrhe gerichtet. So präsentirt sich die
Composition schon in einer der ältesten Grabkammern der Kata¬
komben überhaupt, in dem unseres Wissens nicht edirten, weil
mangelhaft erhaltenen
5.
Freskogemälde in der sogenannten »griechischen Kapelle« der
Katakombe der heil. Priscilla.
Maria sitzend mit dem Kinde auf dem Schoosse ; dabei die drei
Magier, ihre Geschenke bringend 1).
Doch schwankt die Anzahl der Magier auf den ältesten Bildern.
Auf dem folgenden, welchem Rossi in seinem Text zu den »Aus¬
gewählten Bildern« Mariens die zweite Stelle anweist und das er
etwa der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts zutheilt 2), während
Schultze 3) es in den Anfang des vierten Jahrhunderts versetzt, sind
es ihrer vier. Jedoch merkt man noch an gewissen in den Stuck
eingeritzten Linien, dass der Künstler anfänglich drei zu malen im
Sinne hatte, wobei dann auf die eine Seite der heiligen Jungfrau
zwei, auf die andere einer zu stehen gekommen wäre. Offenbar
kam ihm dann die Composition zu unsymmetrisch vor und er ent-
"warf sie noch einmal in der noch erhaltenen Weise.
6.
Freskogemälde in der Katakombe der heiligen Domitilla, auf
einer Wand zwischen zwei Gräbern. (Taf. II.)
Maria sitzt mit dem Kinde auf dem Schoosse auf einem Lehn¬
stuhl in der Mitte zwischen vier Magiern, von denen zwei auf jeder
Seite herankommen. Die Magier haben die »phrygische Tracht« —
kurze Tunika, Mantel, Hosen, phrygische Mütze — , welche mit
geringen Modifikationen auf allen ähnlichen Darstellungen wiederkehrt.
Maria ist in eine gelbe Dalmatika mit purpurblauen Streifen gekleidet
und hat einen weissen Schleier. Das Kind hat eine gelbe Tunika
9 Rossi, Imag. sei. p. 10; Garrucci, Text zu Tav. 80, p. 85, a; Davin, »la
capella greca« in Corblet, revue de l’art chretien, Tome XXI, p. 289 ff,
2) Imag. sei. p. 21.
3) p. 201.
292
mit dunklem Saume an den Aermeln und vier dunklen Scheibchen,
»calliculae« (auf den Schultern und über dem untern Saume) besetzt.
Der Lehnsessel ist roth. Maria sitzt beinahe en face, doch etwas
nach links gewendet, die rechte Hand zum Grusse ausstreckend.
Auch das Kind streckt das rechte Händchen aus. Die Züge der
h. Jungfrau sind natürlich nach der beigegebenen Zeichnung nicht
zu beurtheilen. Auf der zweiten Tafel der Rossi’schen Publikation
aber ist die Gruppe der Mutter mit dem Kinde in Originalgrösse
copirt und da lässt sich denn erkennen, dass die Gesichtszüge nicht
minder edel gemeint sind, als auf dem ältesten Bilde. Aber dem
Künstler stand weder das Talent noch die Geschicklichkeit seines
Vorgängers zu Gebot. Ganz anders ist die Haltung und der Aus¬
druck. Maria wirft den Kopf ein wenig zurück und schaut halb
überrascht, halb erwartungsvoll den Dingen entgegen, die da kommen
sollen, obwohl sie offenbar von dem bevorstehenden Besuche schon
unterrichtet war und sich für denselben in eine gewisse feierliche
Positur gebracht hat. Unsere Abbildung ist nach der Rossi’schen
Tafel III angefertigt x).
Nur zwei Magier zeigt ein anderes Bild, dessen Entstehung
Rossi etwa in die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts setzt,
Schultze dagegen für bedeutend früher erklärt, als das vorhergehende.
Es ist ein
7.
Freskogemälde in der Katakombe der HH. Marcellinus und
Petrus. (Taf. II.)
In der Mitte sitzt Maria, ohne Schleier, in weisser, dunkel¬
gestreifter Tunika auf einem gelblich -bräunlichen Lehnsessel, nach
links gewandt, und hält das bekleidete Kind in den Armen. Ihre
bräunlichen Haare sind über der Stirne in zwei Knoten geschlungen
und nach rückwärts genommen. Sie kreuzt die nackten Fiisse auf
dem Boden. Die Stellung des Oberkörpers ist beinahe en face. Von
jeder Seite kommt ein Magier herbei mit einer Platte in den Händen.
Auf der einen scheint unter andern Dingen auch eine Puppe zu
liegen. Ueber Gesichtszüge und Ausdruck der jungen Mutter ist bei
der Kleinheit der Copie wenig zu sagen. Es scheinen regelmässige
Züge und ernste Milde beabsichtigt zu sein ; auch scheint Maria den
9 Rossi, Imag. sei. Tab. II et III; Garrucci Tav. 36, 1; Schultze Nr. 7.
293
Blick zu Boden zu schlagen (letzteres auf Garruccis Abbildung
nicht). Unsere Zeichnung ist nach der Rossi’schen Tafel V ange¬
fertigt J).
Die gewöhnliche Anzahl von drei Magiern zeigen die folgenden
Bilder, von denen die zwei ersteren schon von Bosio entdeckt wurden.
Die Stellung der h. Jungfrau hat mit dem vorhergehenden Bilde
grosse Aehnlichkeit. Sie sitzt überall in gleicher Weise nach links
gewendet und hat die Füsse gekreuzt. Bei den beiden zunächst
folgenden ist auch die Frisur der Maria beinahe die gleiche, wie bei
dem vorhergehenden. Diese Frisur tragen übrigens auch die Frauen
auf den Gastmahlsbildern der Petrus-Marcellinuskatakombe* 2) und
andere Frauenbilder, so dass man auf den Gedanken geräth, die
Künstler hätten sich bei diesen Darstellungen, welche chronologisch
nicht weit von einander entfernt sind, nach einer herrschenden Mode
gerichtet. Einige Erklärer glauben, dass durch den Mangel des
Schleiers die Jungfräulichkeit der Mutter habe betont werden wollen.
8.
Freskogemälde auf der rechten Seite der Wölbung eines Arko-
soliums in der Katakombe der h. Domitilla. Oben, in der Mitte
des Bogens ist der gute Hirte zwischen vier Scenen aus der Ge¬
schichte des Jonas, links unten, unserem Bilde gegenüber, sind die
drei ebräischen Jünglinge vor der Büste des Nabuchodonosor 3) dar¬
gestellt. (Taf. II.)
Maria sitzt auf der rechten Seite auf einem Lehnstuhl, nach
links gewendet. Sie ist mit Tunika und Mantel bekleidet und be¬
schuht. Der Kopf ist unbedeckt, das Haar über der Stirn in zwei
Knoten geschlungen und fällt gelockt über den Nacken. Sie neigt
das Haupt leicht nach vorn. Auf dem Schooss hält sie den nackten
Knaben, der mit dem rechten Händchen nach dem geschlossenen
Kästchen greift, das der vorderste der drei Magier darbietet. Auch
die beiden übrigen Magier tragen ähnliche Kästchen. Sie sind ohne
Mantel und haben Sporen an den Stiefeln. Das Bild stammt aus
dem Ende des dritten Jahrhunderts. Unsere Abbildung ist Rossi’s
Roma Sotteranea entnommen; deren Tafel 10, 2 des dritten Bandes
9 Rossi, Imag. T. V; Garrucci Tav. 58, 2; Schultze Nr. 2.
2) Garrucci T. 45, 1; 47, 1; 56, 1, 2; 57, 2.
3) Daniel III, 12.
294
mit Garruccis Zeichnung übereinstimmt, und von der älteren bei
Bosio u. s. w. sich wesentlich unterscheidet x).
9.
Freskogemälde an der rechten Seite des Eingangs in eine Grab¬
kammer der Katakombe der HH. Marcellinus und Petrus. Unterhalb
der Gruppe ist Moses, das Wasser aus dem Felsen schlagend, dar¬
gestellt. Gegenüber auf der linken Seite des Eingangs eine betende
Frau zwischen zwei ihre Arme unterstützenden (?) Männern, darunter
der Sündenfall. (Taf. II.)
Rechts sitzt Maria, gekleidet in eine lange, die gekreuzten Ftisse
beinahe ganz verdeckende, Dalmatika mit Purpurstreifen, auf einem
Lehnsessel und hält das nackte Kind auf dem Schoosse. Das Haupt
ist unbedeckt, das Haar über der Stirne in zwei Knoten geschlungen
und nach rückwärts genommen. Die Stellung ist halb en face, halb
nach links hin, gegen die drei Magier gewendet. Diese (ohne Mantel)
kommen von links her, einer hinter dem andern und bringen ihre
Gaben auf Platten. Der vorderste trägt einen (goldenen?) Kranz
auf seiner Platte. Das Bild stammt aus dem Ende des dritten oder
dem Anfang des vierten Jahrhunderts. Die Madonna erinnert an
Nr. 7. Unsere Zeichnung ist den alten Katakomben werken ent¬
nommen * 2).
10.
Freskogemälde auf der Wand einer Grabkammer in dem Coe-
meterium des Thraso und Saturninus. (Taf. II.)
Maria sitzt rechts auf einem hohen Lehnstuhl mit Fussbänkchen.
Sie ist in die Tunika gekleidet und trägt den Schleier, der über den
Rücken fällt. Auf dem Schoosse hält sie das in die Tunika gekleidete
Kind und streckt die rechte Hand den von links her kommenden drei
Magiern, die hier wieder mit dem Mantel bekleidet sind, entgegen.
Die Gruppe ist von mehreren andern biblischen Scenen um¬
geben. Unmittelbar links davon Christus, die Brode vermehrend,
weiterhin oben Moses, Wasser aus dem Felsen schlagend, darunter
0 Bosio p. 279; Aringhi I, p. 587; Bottari T. 82; Rossi, R. S.. Bd. III,
T. 10, 2; Garrucci Tav. 35, 2; Schultze Nr. 5.
2) Bosio p. 389; Aringhi II, p. 117; Bottari T. 126; Garrucci Tav. 55, 2;
Schultze Nr. 4.
295
Daniel in der Löwengrabe. Rechts hinter Maria ein Mann zwischen
zwei Knaben in Gebetstellung (ohne Zweifel die hier Begrabenen
vorstellend), weiterhin Noah im Kasten, darunter die Auferweckung
des Lazarus. Unterhalb der Anbetung der Magier zwei Scenen aus
der Geschichte des Tobias. Die Malerei stammt aus dem Ende des
dritten oder dem Anfang des vierten Jahrhunderts. Unsere Abbildung
nach Garrucci 1).
11.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Soteris. (Taf. II.)
Rechts sitzt Maria mit gekreuzten Beinen auf einem Lehnstuhl;
gekleidet in eine bräunlich-gelbliche Dalmatika, mit zwei dunklen
Streifen der Länge nach und am Saume der Aermel geschmückt,
und mit weissem Schleier. Sie hält das in eine Tunika von ähn¬
licher Farbe gekleidete Kind auf dem Schoosse. Die rechte Hand
streckt sie grüssend nach den Magiern aus, welche von links her
schreitend ihre Geschenke auf Platten bringen. Das Gemälde befindet
sich links unten an der Wölbung eines Arkosoliums.
Ihm gegenüber am rechten Ende des Bogens ist Christus mit der
Samaritin (wie Rossi will), oder Christus mit Maria auf der Hochzeit zu
Kana (wrie es uns scheint. S. Nr. 19). In der Mitte, oben am Bogen,
ist der gute Hirte zwischen zwei Schafen zu sehen. Das Gemälde ist
nicht gut erhalten. Martigny gibt es in Holzschnitt nach einer ver¬
schönernden Copie des Lateranmuseums in seinem Dictionnaire des
antiquites chrdtiennes 2). Es stammt nach Rossi 3) aus dem Ende
des dritten oder dem Anfang des vierten Jahrhunderts. Unsere
Zeichnung ist nach dem Farbendruck bei Rossi angefertigt4).
Rossi gibt nun noch von mehreren Darstellungen ähnlicher Art
Nachricht. Wir wollen sie kurz aufzählen.
12.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Balbina.
9 Garrucci, Tav. 78, 2; Schultze Nr. 6.
2) Neue Ausgabe 1877, S. 442.
3) R. S. Bd. III, p. 66.
4) Rossi R. S., Bd. III, Tav. 8; Schultze Nr. 8.
Rohault de Fleury gibt in grösserem Format die Mutter mit dem Kinde ohne
die Magier. In derselben Weise gibt er auch die Madonnen Nr. 1, 2, 6, 7.
S. Table 78—82.
296
Maria mit dem Kinde und die drei Magier; aus dem vierten
Jahrhundert. Rossi bringt keine Abbildung * 2 3 4).
13.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Domitilla.
Rechts sitzt Maria mit dem Kinde auf einem Lehnstuhl, nach
links gewendet. Von links her kommen die drei Magier hinter ein¬
ander mit ihren Gaben. Sehr verwischt, insbesondere Maria, wess-
halb wir Rossi’s Abbildung nicht copiren Hessen 2).
14.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Domitilla.
Maria mit dem Kinde und die drei Magier. Schlecht erhalten 3).
15.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Domitilla.
Maria mit dem Kinde und den drei Magiern. Bis zur Unkennt¬
lichkeit verwischt. Aus dem Ende des vierten oder dem Anfang
des fünften Jahrhunderts stammend4).
Vielleicht ist eine der beiden letzten Nummern mit Nr. 13
identisch.
Schliesslich haben wir noch zwei fragmentarische Darstellungen
zu erwähnen.
16.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Gyriaca.
Es ist noch ein Magier zu sehen, der auf den Stern deutet.
Wahrscheinlich war die Mutter mit dem Kinde hier abgebildet.
Stammt aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts5).
17.
Freskogemälde in einer Katakombe zu Fünfkirchen in Ungarn.
Die vorhandenen Spuren lassen auf eine Anbetung der Magier
schliessen. Es sind noch die Reste von drei lebhaft nach rechts
9 Rossi, bullet. 1867, p. 4 u. 5.
2) Rossi, bullet. 1879, p. 95, Tav. I. u. II; Vgl. bullet. 1877, p. 132.
3) Rossi, Imag. sei. p. 12.
4) Rossi, Imag. p. 12.
5) Rossi, bullet. 1863, p. 76 u. 79. Garrucci, Tav. 59, 2.
297
hinter einander schreitenden Männern (wahrscheinlich den Magiern)
zu sehen. Das Gemälde stammt etwa aus der Mitte des vierten
Jahrhunderts *).
Von weiteren, die Anbetung der Magier darstellenden, Fresko¬
gemälden ist uns bis jetzt nichts bekannt geworden.
Wir kommen nun zu jenem Bilde, welches in den vierziger
Jahren durch P. Marchi, den Lehrer Rossi’s, eine gewisse Berühmt¬
heit erlangte, obwohl es schon bei Bosio und dessen Nachfolgern
abgebildet ist. Es ist das
18.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Agnes. (Taf. I.)
Auf der Rückwand eines Arkosoliums ist eine junge Frau mit
einem Kinde dargestellt. Sie trägt einen weissen Schleier mit bläu¬
lichen Schatten über den gescheitelten braunen Haaren, die über
den Ohren nach rückwärts genommen und im Nacken in Knoten
zusammengefasst sind. Den Hals schmückt ein reiches Collier.
Ueber der gelblichen Tunika trägt sie eine weite blaue Stola, die
symmetrisch über die Unterarme fallend zwei weite Aermel zu bilden
scheint. Die Hände breitet sie betend aus. Der Knabe ist auf
ihrem Schoosse sitzend zu denken. Man sieht heute nur noch den
Oberkörper der Frau und den Kopf und die rechte Schulter des
Kindes, da die untere Hälfte des Gemäldes durch ein später einge¬
brochenes Grab zerstört ist. Auf beiden Seiten der Gruppe ist das
Monogramm Christi angebracht und zwar so, dass sich beidemal
der Bogen des P gegen die Gruppe kehrt.
Auf der Wölbung über diesem Bilde findet sich in der Mitte
in einem Rund die Büste eines Jünglings mit gescheitelten und in
Locken auf die Schultern fallenden Haaren. Die Kleidung besteht
in gestreifter Tunika und Pallium. Links anscheinend dieselbe weib¬
liche Figur, wie an der Rückwand, aber ohne Kind, als Kniestück.
Rechts das Kniestück eines bärtigen Mannes in Dalmatika gekleidet,
auch in der Gebetstellung.
Garrucci findet sehr wahrscheinlich, dass die drei Figuren am
Gewölbe die heil. Familie: Maria, den jugendlichen Christus und
Joseph vorstellen.
9 Mittheilungen der K. K. Centralcommission für Erforschung der Bau¬
denkmale, Wien, Bd. 18, S. 62 u. Taf. I; Bossi, bullet. 1874, p. 151 u. Tav. VII.
298
Die Erklärung der jungen Frau mit dem Kinde als Maria mit
Jesus ist beinahe allgemein angenommen; von den älteren Erklärern
theilt Bottari x) diese Ansicht nicht, neuestens wird sie von Schult ze
bekämpft* 2).
Das Bild gehört dem vierten Jahrhundert an und zwar dessen
erster Hälfte, wie Rossi glaubt3). Unsere Abbildung ist nach einer
photographischen Reduktion des Farbendrucks angefertigt, welchen
Rossi in seinen »Ausgewählten Marienbildern« veröffentlicht hat.
Dieser Farbendruck macht den Anspruch grosser Treue, er unter¬
scheidet sich z. B. wesentlich von dem idealisirenden Abbild in
Perret’s 4) Katakombenwerke.
Es ist ein ziemlich naturalistisch behandeltes, porträtartiges
Gesicht mit niedriger Stirne und sehr grossen Augen, das sogar an
den heutigen römischen Typus anklingt. Diese Porträthaftigkeit ist
auch einer der Gründe, welche gegen die Annahme, hier ein Marien¬
bild zu haben, vorgebracht werden. Schwächer ist ein anderer
Grund, nemlich der, dass die Christen des fünften Jahrhunderts nicht
durch Anlage eines Grabes die Hälfte der Gruppe zerstört hätten,
wenn sie darin ein Marienbild gesehen hätten. Denn die nemliche
geringe Rücksicht auf die ältere Wandmalerei begegnete uns ja schon
bei Nr. 2 und dann sehen wir ja auch die Figur des guten Hirten
durch später eingebrochene Gräber zerstört 5). Doch auch die Porträt¬
haftigkeit hat nichts Zwingendes. Die Sache lässt sich ja auch wohl
so fassen, dass der Künstler des Bildes, den antiken Traditionen
bereits etwas entfremdet, nicht mehr im Stande war, eine Ideal¬
gestalt zu schaffen, und daher, um die Würde der Gottesmutter aus¬
zudrücken, seine ziemlich naturalistisch gerathene Figur mit vor¬
nehmem Gewand und kostbarem Schmucke ausstattete 6). Ein grosser
Künstler war er so wie so nicht, sonst hätte er besser zeichnen
können (besonders die PJände). Das Bild gewährt auch desswegen
ein hohes Interesse, weil viele byzantinische Madonnen des Mittel¬
alters in ähnlicher Haltung sich zeigen.
9 III, p. 83.
2) S. 185 ff.
s) Imag. sei. p. 20.
4) Catacombes de Rome, Paris 1851 ff., Bd. II, pl. VI.
5) Z. B. Rossi, Roma sott. Bd. III, Tav. 9.
°) Bosio p. 471; Aringhi, Bd. II, p. 209; Bottari Tav. 153; Rossi, Imag.
Tab. VI; Garrucci Tav. 66, 1.
V
299
Diesem in seiner Art einzigen Katakombenbilde (es lässt sich
nur noch ein mehrere hundert Jahre jüngeres in der Katakombe
des h. Valentin J) damit vergleichen) reihen wir ein anderes an,
welches ebenfalls einzig in seiner Art wäre, wenn unsere Deutung
zutreffend gefunden würde. Zu dieser Deutung ermuthigt uns ausser
den in dem Bilde selbst liegenden Gründen auch die darauf folgende
Nummer, die einigermassen als Parallele angesprochen werden könnte,
da auch dort bei dem Weinwunder Maria anwesend ist.
19.
Freskogemälde in der Katakombe der heil. Soteris. (S. Nr. 11.)
(Taf. I.)
In der Mitte steht eine männliche Figur halb en face, halb
nach rechts gewendet und streckt, ein wenig streng nach einer links
stehenden Frauengestalt sich umschauend, mit gebieterischem Gestus
die rechte Hand gegen mehrere auf dem Boden stehende Gegenstände
aus. Die weibliche Figur mit etwas vorgeneigtem Oberkörper gesti-
kulirt mit der linken Hand gegen den Mann, mit der rechten gegen
die Dinge auf dem Boden hin. Rossi ist geneigt, hier die Scene
mit der Samaritin am Brunnen zu sehen. Allein, wenn die Copie
richtig ist, so lässt sich in den auf dem Boden befindlichen Dingen,
die allerdings zu drei Vierteln zerstört sind, nicht der Brunnen,
sondern eher die Krüge von der Hochzeit zu Kana erkennen. Auch
Haltung und Bewegung der Figuren sprechen eher für den Verweis
an die bittende Mutter, als für die Bitte um einen Trunk. Das
Weinwunder kommt ja sehr häufig theils auf Fresken, theils auf
Sarkophagreliefs vor. Wir sind daher geneigt, in der Frauengestalt
die Mutter des Herrn zu erkennen, die den Sohn auf den Mangel an
Wein aufmerksam macht* 2). Unsere Abbildung ist nach dem Farben¬
druck bei Rossi angefertigt.
Zum Schlüsse ist noch ein
20.
Freskogemälde in einer Katakombe zu Alexandrien zu erwähnen,
welches aber, etwa im sechsten Jahrhundert, zum Theil übermalt
worden ist.
9 Bosio p. 579; Aringhi II, p. 353; Bottari T. 191; Garrucci Tav. 84, 1.
2) Rossi, Roma sott. Bd. III, Tav. 8. Text p. 65.
300
Rossi erkennt darauf unter anderen Scenen auch die Hochzeit
zu Kana. Neben einer fast ganz zerstörten Figur der ursprünglichen
Malerei findet sich die Inschrift: H ATIA MAP1A (die heilige
Maria). Rossi glaubt, dass das Gemälde ursprünglich dem vierten
Jahrhundert angehöre1).
Mit dieser Nummer verlassen wir die unterirdischen Grabstätten
und thun noch einen Schritt an das helle Tageslicht, indem wir uns
einem Werke der Malerei zuwenden, das in den nächsten Jahren
nach dem Concil von Ephesus entstanden ist. Wir meinen die
Mosaiken des Triumphbogens in der Basilika Santa Maria
Maggiore, welche bis auf einige Restaurationen noch aus derZeit
Sixtus III. (432 — 440) herrühren2). (Taf. III.)
Die Mitte über dem Scheitel des Bogens nimmt der Thron Gottes
zwischen Petrus und Paulus und den vier Evangelistensymbolen ein.
Auf beiden Seiten sind je drei Scenen aus der Kindheitsgeschichte
des Herrn angebracht, von denen wir nur diejenigen näher betrachten,
in welchen Maria vorkommt. Es sind deren vier: links Verkündigung
mit einer Nebenscene, darunter die Anbetung der Magier; rechts
die Darstellung im Tempel, darunter die Auffindung des zwölf¬
jährigen Jesus.
21.
Die Verkündigung ist so dargestellt: Links steht ein Gebäude
mit geschlossener Pforte, über welcher ein Schild aufgehangen ist.
Dann folgen zwei geflügelte und nimbirte Engel mit Dalmatika und
Pallium bekleidet und mit Sandalen an den Füssen; hierauf Maria
ohne Nimbus in reich gesticktem Kleide mit einem Kleinod auf der
Brust, ein edelsteingeschmücktes Diadem auf dem Kopf und Ringe
in den Ohren, auf einem polsterbelegten Sitz mit Fussbänkchen, den
Spinnrocken an der rechten Seite und eine lange Flocke von Wolle
in den Händen haltend, aufmerksam und erstaunt aufhorchend.
Rechts neben ihr steht ein dritter Engel in derselben Erscheinung,
wie die beiden andern. Alle drei sind theils segnend, theils be¬
wundernd, theils zuredend mit dem Wunder beschäftigt, das eben
vor sich geht; denn über dem Haupte Mariens schwebt von links
her die Taube als Symbol des heiligen Geistes, von rechts her ein
0 Rossi, bullet. 1865, p. 57 ff.; Garrucci Tav. 105, B, 5; Schultze Nr. 9.
2) Garrucci, Tav. 211 — 214.
301
vierter Engel, der ebenso gekleidet ist, wie die übrigen, nur dass er
blosse Füsse hat, in den Wolken. Diess scheint uns der eigentliche
Verkündigungsengel, während die drei stehenden die gewöhnliche
himmlische Gesellschaft ausmachen, die z. B. der heil. Ambrosius
(s. oben S. 163) und schon das Protevangelium der Jungfrau beigibt.
Von dieser Scene abgekehrt wenden sich zwei andere Engel nach
rechts zu einem bärtigen Mann in Tunika und Pallium, der in der
linken Hand einen Stab trägt, die rechte nach oben hält und mit
dem Zeigefinger derselben auf seinen Kopf deutet. Rechts von diesem
Mann schliesst wieder ein Gebäude, in dessen offenem Thor ein
Vorhang zu beiden Seiten zurückgeschlagen ist und eine Ampel
herunterhängt, die Scene ab. In dieser Nebenscene erkannte Bianchini 1)
und mit ihm neuestens Wolttnann2) die Verkündigung an Zacharias,
während Garrucci darin die Mittheilung des Wunders an Joseph sieht.
Für Joseph spricht ihm die weltliche Tracht des Mannes, sowie der
Stab in seiner Hand, den ihm die bekannte Erzählung des Prot-
evangeliums gibt, allerdings bei einer andern Gelegenheit. Garrucci
schliesst aus dieser Anspielung auf das Protevangelium, sowie dar¬
aus, dass Maria ein Stück Stoff (die purpurgefärbte Wolle) in den
Händen hat, dass die Mosaiken von einem orientalischen Künstler
herrühren, weil zu dieser Zeit die apokryphischen Legenden noch
nicht im Occident verbreitet, ja vielleicht noch nicht einmal ins
Lateinische übersetzt gewesen seien. Da lässt sich nun freilich ein¬
wenden, dass der Künstler, von seiner Nationalität ganz abgesehen,
da er im Auftrag des Pabstes arbeitete, wohl jedenfalls für Rom
verständlich zu sein suchen musste. Wenn also die Figur mit dem
Stab den Joseph bedeuten soll, wenn die »Wolle« in den Händen
Marias, wenn ihre Engelsgesellschaft an die Apokryphen erinnert,
so sollte von hieraus eher der Schluss gemacht werden, dass letztere
in Rom bekannt gewesen sein müssen. Dass sie römischen Gelehrten
längst bekannt waren, wissen wir ja auch sonst. Man denke nur
an Hieronymus (s. oben S. 138) und den Pabst Innocentius I.
(s. oben S. 256).
22.
Um die »Darbringung i m Tempel« vorzunehmen, ist Maria
in den mit einer Kolonnade umgebenen Vorhof eingetreten. Sie hat
Ü Ad Anastas, p. 261.
2) Geschichte der Malerei, S. 164.
ungefähr dieselbe Tracht, wie in dem Verkündigungsbilde und trägt
den Jesusknaben auf den Armen, der bekleidet und mit dem Nimbus,
auf dessen Scheitelpunkt ein Kreuzchen steht, ausgezeichnet ist. Ihre
Begleitung besteht wieder aus drei Engeln, von denen einer voraus¬
schreitet, die beiden anderen folgen. Auch Joseph geht voran. Die
heilige Gesellschaft wird zunächst von der Greisin Hanna und dem
Greise Simeon empfangen, an die sich zwei Oberpriester und mehrere
Priester zum Willkomm angeschlossen haben. Rechts am Ende
steht der Tempel, vor dem sich nach rechts hin ursprünglich noch
eine Scene abgespielt haben muss, die jetzt grösstentheils zerstört ist.
Man sieht noch einen eilig sich entfernenden Engel, die rechte Hand
wie schützend über einer Figur erhoben, deren obere Hälfte fehlt.
Die Gestalt ist ähnlich bekleidet, wie Maria. Garrucci glaubt, dass
hier die Flucht nach Aegypten dargestellt gewesen sei.
23.
Bei der »Anbetung der Magier« sitzt der Ghristusknabe auf
einem reichgeschmückten Throne. Er ist in Tunika und Mantel ge¬
kleidet und hat die rechte Bland segnend erhoben. Das Haupt ist
durch den Nimbus ausgezeichnet, innerhalb dessen diessmal zum
Unterschied vom vorhergehenden Bilde das Kreuzchen unmittelbar
auf seinem Scheitel angebracht ist. Ueber ihm in der Luft der
Stern und hinter dem Throne vier Engel. Auf der rechten Seite
des Jesusknaben sitzt Maria in reicher Gewandung auf eigenem
Sessel, hält die rechte Hand an die Brust und stützt die linke auf
ein Büchlein, das neben ihr auf dem Polster liegt. Links neben
Christus sitzt eine verhüllte Frauengestalt ebenfalls auf eigenem
Sessel, in welcher Garrucci eine Art Haushofmeisterin des, als vor¬
nehm dargestellten , Hauswesens der Tochter Davids erkennen will.
Rechts von der Gruppe nahen sich zwei Magier in reichgeschmückter
phrygischer Tracht mit ihren Gaben auf grossen Platten. Der dritte
Magier füllte ohne Zweifel ursprünglich die vorhandene Lücke aus,
ging aber bei einer Restauration zu Grunde. Das Bild ist rechts
durch die Stadt Bethlehem abgeschlossen.
24.
Auf dem letzten Bilde finden Maria und Joseph, die in
Begleitung der drei Engel von rechts herkommen, den verlorenen
Jesusknaben vor einer Versammlung Gesetzesgelehrter. Die äussere
303
Erscheinung des Knaben ist ganz dieselbe, wie auf dem vorher¬
gehenden Bilde. Die Schriftgelehrten u. s. w. sind verschieden ge¬
kleidet, der vorderste erscheint in der Tracht eines Philosophen in
blossem Mantel, der die rechte Schulter frei lässt, und mit einem
Stock in der Hand. Links hinter der gelehrten Gesellschaft die Stadt
Jerusalem x).
Skulptur.
Von Monumenten der altchristlichen Skulptur, auf welchen
Maria vorkommt, sind uns viel mehrere bekannt, als von Monumenten
der Malerei. Es sind fast durchaus Reliefs von Sarkophagen, von
denen ein grosser Theil schon bei Bosio und dessen Nachfolgern
abgebildet ist. Sie gehören grösstentheils dem vierten oder der ersten
Hälfte des fünften Jahrhunderts an, wie wir überhaupt kaum einen
Sarkophag mit specifisch christlichen Reliefdarstellungen besitzen,
der älter als das vierte Jahrhundert wäre. Das begreift sich leicht.
Das Urchristenthum gewann seine Anhänger hauptsächlich aus den
ärmeren Klassen, und diese besassen nicht die Mittel, für ihre Todten
die theuren Sarkophage anzuschaffen. Später, als auch schon viele
Reiche und Vornehme, die eine luxuriösere Bestattung zu bezahlen
*) Wir haben die Abbildungen nach den Tafeln bei Garrucci gegeben und
sind auch seinen Beschreibungen gefolgt mit Ausnahme der »Verkündigung«,
wobei wir uns einige Abweichungen erlaubten. Das ältere Werk von Giampini
(Vetera Monumenta) war uns nicht zur Hand. Nun finden wir in dem Diction.
of Christ. Antiq. by W. Smith and Cheetham, London 1875, Artikel »Angels«
Bd. I, p. 84 einen Holzschnitt, welcher die Anbetung der Magier von Sa. Maria
Maggiore nach einer Abbildung des Triumphbogens gibt, die vor der Restauration
dieser Mosaiken unter Benedikt XIV. (1740—1758) angefertigt ist und sich jetzt
in der Kgl. Bibliothek zu Windsor befindet. Dieser Holzschnitt zeigt wesentliche
Verschiedenheiten. An der Stelle der Frauengestalt, welche Garrucci für Maria
erklärt, sitzt eine männliche Figur (Joseph? oder einer der Magier?); die zwei
stehenden Magier füllen den Raum zwischen der verhüllten weiblichen Figur
(Maria?), welche Garrucci für eine Art Haushofmeisterin nimmt, und dem Stadt¬
thor vollständig aus und lassen keinen Raum für einen dritten u. s. w. Wir
gaben uns Mühe, Copien von diesen älteren Abbildungen zu erhalten, es ist uns
aber bis jetzt nicht gelungen. Wahrscheinlich zeigen diese auch bei den übrigen
drei Scenen ähnliche Verschiedenheiten. Eines ist übrigens sicher, dass die vier
aufgeführten Compositionen (Verkündigung, Darbringung, Magierbesuch, Auf¬
findung) jedenfalls von Anfang an den Triumphbogen von Sta. Maria Maggiore
schmückten und im Ganzen sich ungefähr ebenso präsentirten, wie heute. Und
diess bleibt die Hauptsache.
304
vermochten, der neuen Religion anhingen, konnte es, so lange die
Verfolgungen dauerten oder drohten, nicht ohne Schwierigkeit und
Gefahr geschehen, in den Bildhauerwerkstätten sich ein so umfang¬
reiches Geräthe machen zu lassen, das die Kennzeichen der gehassten
Religion offen zur Schau trug, oder dieses Geräthe mit Hilfe vieler
Menschen durch die Strassen der Stadt nach den Begräbnissplätzen zu
schaffen. Diese Verhältnisse änderten sich, nachdem das Christen¬
thum zur Herrschaft gelangt war, und darum kann eigentlich erst nach
Konstantin von einer christlichen Skulptur die Rede sein. Welcher
künstlerische Werth ihren Produkten innewohnt, ist hiemit schon ge¬
sagt; sie gehören sämmtlich der Zeit des Niedergangs der Kunst an,
wenn auch manche noch durch Geschick und Sorgfalt sich auszeichnen.
Diess und der Umstand, dass die meisten, namentlich diejenigen, auf
welchen Maria dargestellt ist, zeitlich nicht sehr weit auseinander liegen
(die grosse Mehrzahl stammt aus den letzten Jahrzehnten des vierten
oder aus den ersten Jahrzehnten des fünften Jahrhunderts), macht
jedes Bestreben, die einzelnen Monumente in streng chronologischer
Reihe aufzuzählen, vergeblich. Daher stehen wir von einem solchen
Versuch ganz ab und ordnen die einzelnen Darstellungen nach den
Unterschieden der Composition, indem wir innerhalb dieses Rahmens
auf die Reihenfolge bei Schultze, gegen die im Allgemeinen nicht
viel einzuwenden sein wird, gebührende Rücksicht nehmen.
Wir beginnen mit der am häufigsten vorkommenden Scene, der
Anbetung der Magier und lassen hier die einfachste Composition,
die nur die Mutter mit dem Kinde und die Magier aufweist, wie
wir sie bei den Fresken kennen gelernt haben, vorangehen, ohne
damit sagen zu wollen, dass diese einfachste Composition zugleich
auch die älteste in der Skulptur sei.
25.
Relief von einem Sarkophage, der unter St. Peter gefunden
wurde und jetzt im Lateran-Museum ist, mit zwei Reihen von Dar¬
stellungen über einander. (Taf. IV.)
In der Mitte der untern Reihe sitzt Maria auf einem Lehnstuhl mit
Fussbänkchen, nach rechts gewendet, und hält das nackte Kind auf
dem Schoosse, das sein rechtes Händchen den Magiern entgegenstreckt.
Maria ist mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet. Von rechts kommen
die drei Magier, einer hinter dem andern, mit ihren Geschenken.
Oberhalb dieser Gruppe befindet sich die Porträtbüste des Be-
305
grabenen in einem Runde. Links hievon der Einzug Christi in
Jerusalem und die Brodvermehrung, rechts der Untergang des Pharao
und die Rettung der Israeliten aus dem rothen Meere. Die untere
Abtheilung zeigt links von unserer Gruppe den Moses, Wasser aus
dem Felsen schlagend, die Gefangennehmung des Moses oder Petrus,
die Verleugnung Christi durch Petrus; rechts Daniel zwischen den
Löwen, den Sündenfall, das Opfer Abrahams und Noah im Kasten.
Die Abbildung nach Aringhi mit Berücksichtigung einer Photographie
in kleinerem Maasstabe 1).
26.
Relief von einem Sarkophag im Lateranmuseum. (Taf. IV.)
Auf der linken Seite sitzt Maria auf einem Lehnstuhl mit Fuss-
bänkchen, nach rechts gewendet, und hat das nackte Kind auf dem
Schoosse. Sie ist in Tunika und Stola gekleidet. Auch vom Kopf¬
tuch sieht man noch Spuren. Der Kopf ist zerstört. Ihre Füsse
sind nackt. Von rechts kommen die drei Magier.
Rechts von der Gruppe Moses, das Wasser aus dem Felsen
schlagend, dann ein Rund mit der Büste des Begrabenen, darunter
Jonas unter der Kürbisstaude schlafend , weiterhin das Opfer Abra¬
hams, die Gefangennehmung des Moses oder Petrus, Daniel zwischen
den Löwen. Die Abbildung nach Garrucci 2).
27.
Relief von einem kleinen Sarkophage, der im Vatikan gefunden
wurde, mit zwei Reihen von Darstellungen übereinander. (Taf. IV.)
Auf der linken Seite der unteren Abtheilung sitzt Maria, in
Tunika, Stola und Kopftuch gekleidet, auf einem durch flochtenen
Lehnsessel ohne Fussbänkchen und hat das stehende, in Tunika
gekleidete, Kind auf dem Schooss, dem von rechts her die drei Magier
zuschreiten. Sie sind ohne Kopfbedeckung und haben lange Tuniken.
Der erste trägt ein gedeckeltes, pokalartiges Gefäss, der zweite und
dritte haben die übrigen Geschenke auf Platten.
Auf der obern Abtheilung zeigen sich von links angefangen
folgende Scenen: Moses, Wasser aus dem Felsen schlagend, die
Brodvermehrung , die Gefangennehmung des Moses oder Petrus, die
6 Bosio p. 99 ; Aringhi I , p. 331 ; Bottari T. 40 ; Garrucci T. 358 , 1 ;
Schultze Nr. 13.
2) Garrucci T. 359, 1.
Lehner, Die Marienverehrung.
20
306
Figur der betenden Frau, der Sündenfall, das Opfer Abrahams, die
Erweckung des Lazarus. Auf der unteren Abtheilung rechts von
unserer Gruppe: Noah im Kasten, Jonas aus dem Schiff in den
Rachen des Ungeheuers geworfen , Jonas unter der Kürbisstaude.
Unsere Abbildung ist den alten Katakombenwerken entnommen 1).
28.
Relief von der rechten Schmalseite eines Sarkophags in der
Kathedrale zu Tolentino. (Taf. IV.)
Auf der linken Seite sitzt Maria auf einem Faltstuhl und stützt
die Füsse auf einen Schemel. Sie ist mit Tunika, Stola und Kopf¬
tuch bekleidet. Auf ihrem Schoosse sitzt der mit Tunika bekleidete
Knabe mit lockigem Haar, den die Mutter mit den Armen um¬
spannt. Rechts stehen die drei Magier mit ihren Gaben. Sie haben
ausser der Tunika auch den Mantel. Den Hintergrund bildet krene-
lirtes Mauerwerk mit Thoren, die Stadt Bethlehem andeutend.
Die linke Schmalseite enthält die drei ebräischen Jünglinge vor
der Büste des Nabuchodonosor , während die Vorderseite den guten
Hirten zwischen Petrus und Paulus zeigt. Unsere Abbildung nach
Garrucci 2).
29.
Relief von einem Sarkophagdeckel, gefunden bei San Lorenzo
fuori le mura, jetzt im Lateranmuseum. (Taf. IV.)
Auf der rechten Seite sitzt Maria, mit Tunika, Stola und Kopf¬
tuch bekleidet, auf einem durchflochtenen Lehnstuhl und hält das
eingewickelte Kind in den Armen. Von links her schreiten die drei
Magier (auch hier den Mantel tragend) mit ihren Geschenken.
Links von der Gruppe Moses, das Gesetz von der Hand Gottes
aus den Wolken erhaltend; dann der Sünden fall. Rechts von der
Gruppe zunächst die Inschriftstafel, von Genien gehalten; dann Noah
im Kasten; das Schiff, aus welchem Jonas dem Ungeheuer in den
Rachen geworfen wird ; Jonas von dem Ungeheuer ans Land ge-
spieen; hierauf noch eine verstümmelte Figur. Unsere Abbildung
nach einer Photographie 3).
9 Bosio p. 93; Aringhi I, p. 325; Bottari T. 37; Garrucci T. 377, 1;
Scbultze Nr. 18.
2) Garrucci T. 303, 3; Schultze Nr. 25.
3) Bosio p. 411; Aringhi II, p. 143; Bottari T. 131; Garrucci T. 384, 6.
307
30.
Relief von einem Sarkophagdecke]. (Taf. IV.)
Ganz dieselben Gruppen, wie auf der vorhergehenden Nummer,
nur dass die Figur am rechten Ende hier noch vollständig erhalten
ist: Moses, das Wasser aus dem Felsen schlagend. Darum glaubt
Garrucci in seinem Text zu Tav. 384, 6, dass durch einen Irrthum
Severano’s dasselbe Monument zweimal in Bosio’s Werk gekommen
sei. Es müsste aber dann merkwürdig verzeichnet worden sein.
Wie die Abbildung zeigt, hat die uns zunächst interessirende
Gruppe wesentliche Verschiedenheiten. Maria sitzt ganz anders da,
der Stuhl ist ein anderer, die Magier sind ohne Kopfbedeckung und
ohne Mantel , der vorderste trägt eine zweihenkelige Vase u. s. w.
Unsere Abbildung ist den alten Katakomben werken entnommen 1).
31.
Relief von einem Sarkophag-Fragment , zu Ravello bei Amalfi
gefunden a. 1868. (Taf. IV.)
Rechts sitzt Maria, mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet,
auf einem Lehnstuhl mit Fussbänkchen. Mit der linken Hand hält
sie das in die Tunika gekleidete Kind auf dem Schooss, die rechte
Hand hat sie erhoben. Von links her nahen die Magier mit Kranz
u. s. w.
Links von der Gruppe Moses, das Wasser aus dem Felsen
schlagend; dann die Figur der betenden Frau, welche ohne Zweifel
das Gentrum der Darstellungen bildete.
Das Monument stammt nach Rossi aus dem vierten Jahrhundert.
Unsere Abbildung nach Garrucci 2).
32.
Relief von einem Sarkophage in der Kirche S. Domingo le Reya
zu Toledo. (Taf. IV.)
Auf der rechten Seite sitzt Maria in Tunika, Stola und Kopftuch,
auf einem Lehnstuhl, den linken Fuss auf einen Schemel stützend,
und trägt das eingewickelte Kind in den Armen. Von links kommen
die drei Magier, sie sind ohne Kopfbedeckung, haben aber den Mantel.
') Bosio p. 589; Aringhi If, p. 395; Bottari T. 193; Schultze Nr. 17.
2) Bossi, bullet. 1868, p. 94; Garrucci T. 398, 10; Schultze Nr. 29.
308
Links von der Gruppe der Sündenfall, dann, das Centrum der
Darstellungen bildend, ein junger Mann in Gebetstellung; weiterhin
die Brodvermehrung, das Opfer Abrahams und die Erweckung des
Lazarus. Unsere Abbildung nach Garrucci !).
33.
»Sarkophag-Relief. Gapitolinisches Museum. Rechts Maria auf
einem Lehnstuhle. Kleidung wie oben (d. h. Stola und Pallium,
letzteres zugleich als Kopftuch verwandt). Auf ihrem Schoosse, in
Tücher eingewickelt, der Knabe. Links, nach rechts schreitend,
drei Magier.«
Die Beschreibung dieses Monuments, das wir sonst nicht erwähnt
fanden, haben wir wörtlich aus Schultze * 2) entnommen.
34.
Relief von einem Sarkophagdeckel zu St. Gilles bei Nimes.
Fragment.
Enthielt einst auf der rechten Seite die Anbetung der Magier.
Jetzt sind nur noch ein paar verstümmelte Magierfiguren von dieser
Scene vorhanden.
Auf der linken Seite als Gegenbild die drei ebräischen Jüng¬
linge mit dem Stern, sich von der Büste Nabuchodonosors abkehrend 3).
Von dem Sarkophagrelief, welches Schultze unter Nr. 27 auf¬
führt, nehmen wir keine Notiz, da es über die von uns behandelte
Periode zu weit hinausfällt4). Dagegen ist noch ein
35.
Relief von einem Ambon zu Thessalonich aus dem vierten
Jahrhundert, wovon Rossi spricht, kurz zu erwähnen. Es zeigt auch
die Jungfrau mit dem Kinde und die Magier5).
Die nächstfolgenden Nummern zeigen eine Bereicherung der Scene
durch Beigabe der Reitthiere der Magier.
x) Garrucci T. 369, 4.
2) Nr. 24.
3) Rossi, bullet. 1866, p. 63, 64; Garrucci T. 385, 1.
4) Garrucci T. 311, 2.
5) Rossi, bullet. 1879, p. 35, Anm. 1.
309
36.
Relief von einem Sarkophag aus der Katakombe der heiligen
Agnes, jetzt im Lateranmuseum. (Taf. V.)
Links sitzt Maria, mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet,
auf einem Lehnstuhl. Auf dem Schoosse trägt sie den in die Tunika
gekleideten Knaben, welcher nach dem Kranze langt, den ihm der
vorderste Magier mit der linken Hand darreicht, während er mit
der rechten auf den über dem Haupte Mariens befindlichen Stern
hinzeigt. Die drei Magier schreiten mit ihren Kamelen von rechts
heran.
Rechts von der Gruppe Daniel zwischen den Löwen. Abbildung
nach Garrucci x).
37.
Relief von einem kleinen Sarkophage in der Sakristei von
S. Marcello in Rom. (Taf. V.)
Auf der linken Seite sitzt Maria mit dem eingewickelten Kinde
auf den Armen auf einem Lehnstuhl mit Fussbänkchen. Sie ist
mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet. Von rechts her schreiten
die drei Magier lebhaft hinter einander heran. Sie sind mit Tunika
und Ghlamys bekleidet und haben keine Kopfbedeckung. Im Hinter¬
grund sind zwischen ihnen die Köpfe zweier Kamele sichtbar.
Rechts von dieser Gruppe befindet sich der Sündenfall. Ab¬
bildung nach Garrucci* 2).
38.
Relief von einem Sarkophagdeckel in der Kathedrale zu Osimo.
(Taf. V.)
Auf der linken Seite sitzt Maria in Tunika, Stola und Kopftuch
gekleidet, auf einem geflochtenen Lehnsessel und stützt die Füsse
auf einen Schemel. Auf dem Schoosse hält sie das bekleidete Kind,
welches nach der Gabe des vordersten Magiers greift. Die drei
Magier, jeder mit einem Kamel am Zügel, kommen von rechts her.
Rechts von der Gruppe Moses, Wasser aus dem Felsen schlagend;
dann im Gentrum die Tafel für die Inschrift. Rechts hievon Noah
im Kasten, hierauf das Schiff, aus welchem Jonas dem Ungeheuer
9 Bosio p. 423; Aringhi T. II, p. 159; Bottari T. 133. Die Zeichnung hier
mangelhaft. Besser bei Garrucci, T. 398, 4; Schultze Nr. 11.
2) Garrucci T. 310, 3.
310
in den Rachen gestürzt wird, schliesslich Jonas von dem Ungeheuer
ans Land unter die Kürbisstaude gespieen. Abbildung nach Garrucci 1).
39.
Relief von einem Sarkophag aus dem Vaticanischen Coemeterium,
jetzt im Lateranmuseum. (Taf. V.)
Rechts sitzt Maria auf einem Lehnstuhl, mit Tunika, Stola und
Kopftuch bekleidet, die Füsse auf einen ' Schemel stützend, und hält
das mit Tunika bekleidete Kind auf dem Schoosse. Von links her
schreiten die drei Magier. Die rechte Hand des vordersten ist ab¬
gebrochen, in der linken hält er einen Kranz. Hinter dem ersten
und zweiten die Köpfe zweier Kamele sichtbar.
Links von der Gruppe Ezechiels Vision von der Wiederbelebung
der Todtengebeine 2). Unsere Abbildung ist den alten Katakomben¬
werken entnommen3).
40.
Relief von einem Sarkophag im Museum zu Syrakus, mit zwei
Reihen von Darstellungen über einander. Der Sarkophag wurde im
Jahre 1872 gefunden; er gehört nach Rossi dem vierten Jahrhundert
an. (Taf. V.)
In der Mitte der unteren Abtheilung sitzt Maria, mit Tunika.
Stola und Kopftuch bekleidet, rechts auf einem Lehnstuhl und hält
das bekleidete Kind auf dem Schoosse. Von links her kommen die
drei Magier. Im Hintergrund zwischen ihnen die Köpfe ihrer drei
Kamele.
Oberhalb unserer Gruppe, als Centrum der obern Reihe die
Rüsten des begrabenen Ehepaares in einer Muschel. Sonst enthält
die obere Abtheilung, von links angefangen, folgende Darstellungen:
die Verurtheilung des gefallenen ersten Menschenpaares zur Arbeit:
dem Petrus wird vom Herrn die dreimalige Verleugnung vorherge¬
sagt ; die Heilung der Rlutflüssigen ; Moses empfängt die Gesetz¬
tafeln; Abrahams Opfer; Heilung des Rlindgeborenen; Vermehrung
der Brode; Auferweckung des Jünglings von Nain. Auf der unteren
Abtheilung befinden sich links von unserer Gruppe : die drei ebräischen
0 Garrucci T. 384. 7.
2) Ezech. 37.
3) Bosio p. 95; Aringhi I, p. 327; Bottari T. 38; Garrucci T. 398, 3;
Schultze Nr. 12.
311
Jünglinge vor der Büste Nabuchodonosors und die Verwandlung des
Wassers in Wein; rechts der Sündenfall und der Einzug Christi in
Jerusalem. Unsere Abbildung nach Garrucci x).
41.
Relief von einem Sarkophagdeckel im Lateranmuseum. (Taf. V.)
Auf der rechten Seite sitzt Maria in Tunika, Stola und Kopf¬
tuch auf einem Lehnsessel und hält das Kind auf dem Schoosse, das
nach dem Kranze greift, den der vorderste Magier bringt. Ueber
dem Kopf Marias der Stern. Die Magier kommen von links, die
zwei hinteren mit ihren Kamelen.
Die linke Partie des Reliefs nimmt die Büste der Begrabenen
zwischen Genien ein. Abbildung nach Garrucci 2).
42.
»Sarkophag-Relief. Im Lateranmuseum.
Rechts Maria (Tunika, Stola, Kopftuch) auf einem durchflochtenen
Lehnstuhle (nach links). Auf ihrem Schoosse steht nach vorne ge¬
neigt das Kind, gewickelt. Links drei Magier in schreitender Be¬
wegung mit zwei Kamelen.«
Diese Beschreibung ist wörtlich aus Schultze entnommen 3). Das
Monument scheint identisch zu sein mit demjenigen, welches Garrucci
in dem Appendix zum 4. Bande unter Nr. 36 beschreibt, ohne eine
Abbildung beizugeben.
43.
»Sarkophag-Relief im Klosterhof von S. Paolo fuori le mura.
Fragment.
Dem vorigen ganz entsprechend.«
Wörtlich aus Schultze4).
44.
Relief im Lateranmuseum. Verdorbenes Fragment.
Maria sitzend, mit dem Kinde an der Brust. Die Magier mit
ihren Kamelen 5).
3 Rossi, bullet. 1872, p. 81 ff.; Garrucci T. 365, 1; Schultze Nr. 30.
2) Garrucci T. 385, 2.
3) Schultze Nr. 20.
4) Schultze Nr. 20. a.
5) Garrucci, Append. zum Bd. V, Nr. 53.
312
Eine weitere Variante bieten die folgenden Nummern. Die
Reitthiere der Magier sind weggelassen, dagegen ist eine männliche
Figur beigegeben, die bald für Joseph, bald für einen Propheten,
bald für den heiligen Geist gehalten wird.
45.
Relief von einem Sarkophag, gefunden 1838 bei der Confession in
San Paolo fuori le mura, jetzt im Lateranmuseum, mit zwei Reihen
von Darstellungen über einander. (Taf. V.)
In der untern Abtheilung auf der linken Seite sitzt Maria auf
einem durchflochtenen Lehnstuhl, die Füsse auf einem Schemel. Sie
ist mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet und hält das mit
Tunika bekleidete Kind, dessen Köpfchen fehlte, aber jetzt ersetzt
ist, auf dem Schoosse. Hinter ihrem Stuhle steht Joseph (nach
Garrucci’s Erklärung) oder der heilige Geist (nach Rossi). Von rechts
kommen die drei Magier herbei, deren vorderster mit der rechten
Hand auf den (in Gedanken zu ergänzenden) Stern zeigt, während
er mit der linken das Geschenk darreicht, nach welchem das Kind greift.
Die Darstellungen der oberen Reihe sind, von links angefangen,
folgende: Erschaffung der Eva durch die Trinität (oder Gott in Be¬
gleitung zweier Engel nach Schultze1); die Verurtheilung des ge¬
fallenen ersten Menschenpaares zur Arbeit; die Büsten des begrabenen
Ehepaars in einer Muschel als Centrum; die Verwandlung des Wassers
in Wein; die Brodvermehrung; die Auferweckung des Lazarus (frag¬
mentarisch). Die untere Reihe eröffnet unsere Gruppe, dann folgt
die Heilung des Blindgeborenen; Daniel zwischen den Löwen; die
Verleugnung des Herrn durch Petrus; die Gefangennehmung des
Moses oder Petrus; schliesslich: Moses Wasser aus dem Felsen
schlagend. Unsere Abbildung ist nach einer Photographie angefertigt 2).
40.
Relief von dem Deckel eines Sarkophags in S. Ambrogio in
Mailand. (Taf. V.)
Auf der rechten Seite auf einem Felsen sitzt Maria, mit Tunika,
Stola und Kopftuch bekleidet, nach links gewendet, das bekleidete
Kind, dem das Köpfchen fehlt, mit den Händen im Schoosse haltend.
3 A. a. 0. S. 150.
2) Rossi, bullet. 1865, p. 68 ff.; Garrucci, Tav. 365, 2; Schultze Nr. 16 (?)
313
Links im Hintergrund St. Joseph (nach Garrucci) oder ein Hirte
(nach Schultze). Von links her die drei Magier hinter einander.
Allen fehlen die Köpfe.
Das Centrum ist eingenommen von den Büsten des begrabenen
Ehepaars. Links hievon als Gegenstück unserer Gruppe die drei
ebräischen Jünglinge vor der Büste Nabuchodonosors ; über ihnen
ein Stern.
Der Sarkophag gehört dem vierten Jahrhundert an. Unsere
Abbildung nach Garrucci 1).
47.
Relief von einem Sarkophagdeckelfragment im Museum Kirche-
rianum zu Rom. (Taf. V.)
Rechts sitzt Maria auf einem Lehnstuhl mit dem eingewickelten
Kind in den Armen, dem die drei Magier, von links her schreitend,
die Geschenke bringen. Alle Gesichter sind abgebrochen. Links
von dieser Gruppe ein Mann in Tunika und Pallium, nach der
Gruppe gekehrt und nach ihr den Mittel- und den Zeigefinger der
rechten Hand ausstreckend. Garrucci erklärt die Figur für Jesaias,
Schultze2) für Joseph.
Weiterhin Büste einer Frau. Unsere Abbildung nach Garrucci 3).
48.
Relief von einem Sarkophag im Lateranmuseum. Fragment.
Auf einem verhüllten Lehnstuhle sitzt Maria, in den Mantel
gehüllt und stützt die Fiisse auf einen Schemel. Auf dem Schoosse
hält sie das Kind, das nach dem Geschenke greift, welches ein
Magier darbringt. Der Magier zeigt zugleich nach dem Sterne in
der Höhe. Hinter dem Sessel der Jungfrau steht Joseph, in Tunika
und Pallium gekleidet.
Diese Notiz ist dem Appendix zum 4. Bande Garrucci’s, Nr. 37
entnommen. Das Monument scheint identisch mit demjenigen, welches
Schultze unter Nr. 19 aufführt, obgleich die Beschreibung nicht ganz
stimmt. Mehr passte Schultze’s Beschreibung Nr. 23, allein hier
handelt es sich um ein Monument des Museum Kircherianum.
') Garrucci, T. 329, 1; Schultze Nr. 31.
2) Archäolog. Studien S. 259, 3.
3) Garrucci T. 398, 2.
314
49.
»Sarkophag-Relief. Im Museo Kircheriano. Fragment.
Maria nach rechts schauend, auf einem Lehnstuhle mit Suppe-
daneum. Kleidung: Stola und Pallium, letzteres zugleich als Kopf¬
tuch verwandt. Auf ihrem Schoosse, nach rechts blickend, in Tunika
der Knabe. Rechts ein Magier (die übrigen ausgebrochen). Hinter
dem Stuhle links Joseph, unbärtig.«
Wörtlich aus Schultze *).
50.
Relief von der rechten Schmalseite eines Sarkophags in der
Kirche des h. Trophimus zu Arles, mit zwei Reihen von Darstellungen
über einander. (Taf. VI.)
In der obern Abtheilung links sitzt Maria auf einem Felsen,
mit Tunika und Stola bekleidet, Kopf und Füsse bloss, nach rechts
gewendet, das bekleidete Kind auf dem Schoosse haltend, das mit
dem rechten Händchen nach aufwärts zeigt. Hinter ihr steht Joseph
oder ein Hirte, mit der Exomis (ärmelloses Unterkleid) bekleidet. Zu
ihren Füssen ruhen Ochs und Esel. Von rechts her kommen die
Magier. Der vorderste trägt mit der linken Hand einen Kranz auf
einer Platte, die rechte hat er erhoben.
Die untere (halb zerstörte) Partie dieser Schmalseite nimmt der
Einzug Christi in Jerusalem ein. Auf der andern Schmalseite bildet
das Opfer Kains und Abels, sowie die Verfluchung des Feigenbaums (?)
die obere Reihe, während unterhalb die drei ebräischen Jünglinge
vor der Rüste des Nabuchodonosor dargestellt sind. Auf der vor¬
deren Hauptseite des Sarkophags, wo manche Figuren halb zerstört
sind, lassen sich die Brodvermehrung, Petri Verleugnung, die Heilung
des Blinden, Moses Wasser aus dem Felsen schlagend, die betende
Frau, die Heilung der Blutflüssigen, das Wunder zu Kana noch leicht
erkennen; die übrigen Darstellungen sind schwer zu deuten. Ab¬
bildung nach Garrucci* 2).
Die letzte Nummer bringt, wie wir gesehen haben, ein neues
Element in die Gruppe, die Figuren von Ochs und Esel, und so mag
sie zu den folgenden Darstellungen hinüberleiten, auf welchen diese
Thiere immer ihre Stelle finden. Die Gruppirung ist verändert;
9 Schultze Nr. 23.
2) Garrucci T. 317, 2 — 4.
315
Maria hat nicht das Kind auf dem Schooss, sondern sitzt gewöhn¬
lich, wie erschöpft ausruhend, abseits, während das Kind eingewickelt
in einem Wiegenkorbe oder in der Krippe liegt und von den beiden
Thieren »angebetet« wird. Von einer andern Seite kommen die
Magier mit ihren Geschenken herbei, und gewöhnlich zeigt der eine
oder andere auf den Stern. Die Scene ist vervollständigt durch die
Gegenwart eines Hirten, der meist neben Maria steht, und so sind
eigentlich zwei Vorgänge aus der Geburtsgeschichte des Herrn in
eine Handlung verschmolzen: Die Anbetung der Hirten und die
Anbetung der Magier. Ochs und Esel verdanken ihre künstlerische
Verwendung entweder direkt den auf die Geburt Christi bezogenen
Stellen der Propheten Jesaias und Habakuk, oder, was wahrschein¬
licher ist, der auf dieselben gebauten apokryphen Anekdote, die wir
oben S. 240 beigebracht haben. Jedenfalls sind sie ein sehr alter
Bestandtheil der Composition, indem schon ein Marmorfragment, das
aus dem Gonsulatsjahr des Placidus und Romulus, also aus dem
Jahr 343 stammt, dieselben in Gesellschaft zweier Hirten neben dem
neugeborenen Heiland aufweist *). Auch die bis jetzt einzige be¬
kannte Darstellung der Krippe auf den Fresken der Katakomben,
in einer Grabkammer von St. Sebastian bei Rom, die auch noch
aus dem vierten Jahrhundert stammt, hat sie nicht vergessen* 2).
Darum sind auch diese »stummen« Verehrer des neugeborenen Hei¬
landes dem Prudentius geläufig, der in ihnen die Repräsentanten
des »ungelehrten Haufens« erkennt3); nicht minder ist Hieronymus
von ihrer Anwesenheit bei der Krippe überzeugt als Beweis der Er¬
füllung der genannten Prophezieen 4).
51.
Relief von dem Deckel eines Sarkophags, der »unter dem Pflaster
der Vatikanischen Basilika gefunden wurde, von dem man aber jetzt
nicht weiss, ob er noch existirt und wo er sich befindet«. So sagt
Garrucci. Schultze aber sagt: »Sarkophagrelief aus S. S. Pietro e
Marcellino. Jetzt im Lateranmuseum.« Sowohl Garrucci als Schultze
setzen bei, dass es sich um den Sarkophag handle, der bei Bottari T. 22
abgebildet sei. Einer von beiden muss sich also geirrt haben. (Taf. VI.)
0 Rossi, Inscript. Christ. Rom 1861, p. 51, Nr. 73.
2) Rossi, bullet. 1877, p. 141, Tav. II; 1878, p. 58.
3) Gathem. XI, 80 ff.
*) Hieron. ad Eustoch. ed. Vallarsi, T. I, co!. 698.
316
Auf der rechten Seite sitzt Maria, in Tunika, Stola und Kopf¬
tuch gehüllt, zwischen zwei Palmen auf einem Felsen und schaut
aus dem Bilde heraus. Die linke Hand liegt auf dem Felsen auf,
die rechte ruht unter der Brust. Links neben ihr steht ein Hirte,
der in der linken Hand den gebogenen Hirtenstab hält und die
rechte Hand gegen das Kind ausstreckt, welches eingewickelt in einem
Wiegenkorbe liegt. Links von dem Kinde stehen Ochs und Esel
nebeneinander, gegen das Kind gewendet. Im Hintergründe der
Stall. Von links her kommen die drei Magier. Der vorderste, der
sich nach seinen Genossen umschaut, trägt in der linken Hand einen
Kranz, in der rechten Hand einen Krug (goldene Geräthe?), der
hinterste zwei Vögel (nach Garrucci’s Erklärung: die Myrrhe in Form
von zwei Vögeln geknetet) auf einer Platte. Diese Composition nimmt
die eine Hälfte des Reliefs ein.
Als Gegenstück zeigt die linke Hälfte die Jünglinge im Feuerofen
und Nabuchodonosor auf dem Throne. Abbildung aus den alten
Katakombenwerken J).
52.
Relief von einem Sarkophagdeckelfragment , gefunden bei der
Kirche von S. Sebastian auf der appischen Strasse. (Taf. VI.)
Dieselbe Composition wie die vorige Nummer mit einigen Ab¬
weichungen.
Rechts sitzt Maria auf einem Felsen, mit Tunika, Stola und
Kopftuch bekleidet, und schaut aus dem Bilde heraus. Die rechte
Hand hält sie vor der Brust und lässt die linke auf dem Felsen
ruhen. Links neben ihr ein kahlköpfiger Flirte, die rechte Hand be¬
wundernd erhoben, in der linken den Hirtenstab haltend, gegen
Maria hinschauencl. Weiter links das eingewickelte Kind in einem
Wiegenkorbe, davor Ochs und Esel, im Hintergrund der Stall. Schliess¬
lich die drei Magier. Der vorderste trägt in der linken Hand einen
Kranz, in der rechten einen Krug, den er gegen den Stern hinauf¬
schwingt, der neben dem Stalldach angebracht ist. Er schaut sich
nach den Genossen um; der mittlere trägt Weihrauchkörner auf einer
Platte, der hinterste zwei Vögel. Abbildung nach Garrucci 2).
J) Bosio p. 63; Aringhi I, p. 295; Bottari T. 22; Garrucci T. 334, 2;
Schultze Nr. 10.
2) Bosio p. 289 ; Aringhi 1 , 617 ; Bottari T. 86 ; Garrucci T. 398 , 7 ;
Schultze Nr, 15.
317
53.
Relief von einem Sarkophagdeckel im Museum zu Syrakus.
Dieser Deckel befindet sich auf dem Sarkophag, der oben unter
N. 40 beschrieben ist, gehört aber nicht dazu. (Taf. VI.)
Wieder dieselbe Composition. Rechts Maria auf dem Felsen,
links davon der Hirte, dann das Kind mit Ochs und Esel vor
dem Stalle, schliesslich die drei Magier, deren vorderster, ohne sich
umzuschauen, mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den Stern
deutet.
Von dem Gegenstück dieser Composition, welches die linke
Hälfte des Reliefs einnimmt, wird unter N. 74 die Rede sein. Ab¬
bildung nach Garrucci *).
54.
Relief von einem Sarkophagdeckelfragment im Lateranmuseum.
(Taf. VI.)
Noch einmal dieselbe Composition. Zwischen Maria und dem
jugendlichen Hirten ein Baum. Der vorderste Magier deutet mit der
rechten Hand nach dem Stern und schaut sich nach seinen Ge¬
nossen um. Hinter dem letzten ist noch ein Kamel zu sehen. Ab¬
bildung nach einer Photographie 2).
55.
R.elief von dem Deckel eines Sarkophags in der Kathedrale zu
Ancona (mit Inschrift, die auf das Ende des vierten Jahrhunderts
hinweist). (Taf. VI.)
Auf der linken Seite sitzt Maria auf einem Felsen, mit Tunika,
Stola und Kopftuch bekleidet. Mit der linken Hand stützt sie das
Kinn. Rechts von ihr liegt das eingewickelte Kind in der Krippe,
darüber das Stalldach, unter welchem der Esel hervorschaut, während
der Ochse rechts von der Krippe steht. Hinter dem Ochsen ein
jugendlicher Hirte. Von rechts her kommen die drei Magier.
Rechts von unserer Gruppe die Inschrifttafel , dann (nach
Garrucci’s Deutung) Moses, die Gesetztafeln empfangend; Goliath und
David; die Taufe Christi und noch eine Figur. Unsere Abbildung
nach Garrucci 3).
3 Garrucci T. 365, 1; Schultze Nr. 30 a-
2) Garrucci T. 398, 5.
3) Garrucci T. 326, 1 ; Schultze Nr. 34.
318
56.
Relief von einem Sarkophag im Museum zu Arles. (Taf. VI.)
Die Vorderseite dieses Sarkophags ist in fünf Felder eingetheilt.
Das mittlere Feld hat zwei Abtheilungen, eine über der andern.
Auf der obern Abtheilung sitzt Maria links (wahrscheinlich) auf einem
Felsstück. Sie stützt das Kinn auf die rechte Hand. Ueber ihrem
Kopf den Stern. Rechts von Maria liegt das Kind eingewickelt in
einem Wiegenkorbe. Von rückwärts schaut Ochs und Esel unter
dem Stalldach hervor. Rechts neben dem Kinde ein jugendlicher
Hirte, in die Exomis gekleidet. Auf der untern Abtheilung sind die
drei Magier in lebhafter Bewegung, den Stern zeigend oder nach
ihm aufschauend dargestellt.
Dieses zweitheilige Mittelfeld ist von zwei Feldern mit Wellen¬
linien eingerahmt. Auf dem äussersten Felde links empfängt Moses
die Gesetzestafeln, auf dem letzten Feld rechts befindet sich Abrahams
Opfer. Unsere Abbildung nach Garrucci x).
Nun folgen noch zwei Compositionen, von denen jede nur einen
der beiden Vorgänge aus der Kindheitsgeschichte Christi, welche
die vorhergehenden vereinigt hatten, zur Anschauung bringt, die
erstere die Anbetung der Magier, die letztere die Anbetung der Hirten.
Sie haben aber mit den vorhergehenden Nummern das Gemeinsame,
dass auch bei ihnen Maria abseits sitzt und das Kind, im Wiegenkorbe
oder in der Krippe liegend, von Ochs und Esel angebetet wird.
57.
Relief von einem Sarkophagdeckel in der Krypta der St. Maximins¬
kirche zu St. Maximin in der Provence. (Taf. VI.)
Auf der rechten Seite sitzt Maria ohne Zweifel auf einem Fels¬
stück und stützt das Kinn mit der rechten Hand, während die linke
im Schoosse ruht. Sie ist mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet.
Links über ihrem Haupte der Stern. Links von ihr das eingewickelte
Kind in der Krippe, auf welches Ochse und Esel unter dem Stall¬
dach hervorschauen. Von links her kommen die Magier, über der
gewöhnlichen Kleidung den Mantel tragend. Der sich umschauende
vorderste trägt einen Kranz in der rechten Hand.
Als Gegenstück auf der linken Partie des Reliefs der Kinder¬
mord. Unsere Abbildung nach Garrucci * 2).
!) Garrucci T. 310, 4; Schultze Nr. 26.
2) Garrucci T. 334, 3.
319
58.
Relief von dem Deckel eines Sarkophags in cler Kathedrale zn
Mantua. (Taf. VI.)
Auf der linken Seite sitzt Maria, in Tunika, Stola und Kopftuch
gekleidet, auf einem verhüllten Lehnstuhl und stützt mit der linken
Hand das Kinn. Rechts von ihr liegt das Kind in der Krippe, da¬
neben Ochs und Esel, hinter denen ein Hirte in Exomis. Im Hinter¬
grund der Stall angedeutet. Ueber dem Kopf der Maria der Stern.
Unsere Abbildung nach Garrucci *).
Die figurenreichsten Compositionen, worin wieder beide Vor¬
gänge (Anbetung der Magier und Hirten) zur Darstellung gelangen,
sind durch die drei folgenden Nummern gegeben. Das Kind er¬
scheint hier zweimal in verschiedenen Stadien seiner Entwickelung;
bei der Anbetung der Magier schon aufrechtsitzend und bekleidet
auf dem Schooss seiner Mutter; bei der Anbetung der Hirten in
Windeln gewickelt in der Krippe oder im Wiegenkorbe.
59.
Relief von einem Sarkophagdeckel im Lateranmuseum. Dieser
Deckel befindet sich nicht ganz unversehrt dort. »Das Frag¬
ment von Sutri« 2) bildet einen Theil davon. Zu Bosio’s Zeiten,
der ihn in der »Kalixtuskatakombe« fand, war er noch ganz.
(Taf. VI.)
Auf der linken Seite sitzt Maria auf einem verhüllten Lehnstuhl.
Sie ist mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet und hält das be¬
kleidete Kind, dem jetzt der Kopf fehlt, auf dem Schooss. Hinter
dem Stuhl St. Joseph, der mit der rechten Hand die Stuhllehne ge¬
fasst hat, mit der linken seinen Mantel heranzieht. Von rechts
kommen die drei Magier mit ihren Kamelen. Der vorderste zeigt
mit der rechten Hand nach oben auf den (zu ergänzenden) Stern
und trägt in der linken Hand einen Kranz, der zweite trägt ein
paar Vögel, der dritte (Weihrauch-)Kugeln auf einer Platte. Weiter
rechts liegt das eingewickelte Kind auf der verhangenen Krippe,
hinter welcher Ochs und Esel hereinschauen. Zu den beiden Seiten
der Krippe steht je ein Hirte, mit der Exomis bekleidet.
Das Gegenstück auf der rechten Partie des Reliefs bilden zwei
9 Garrucci T. 320, 2.
2) Rossi, bullet. 1865, p. 27.
320
Scenen aus der Geschichte des Jonas. Unsere Abbildung ist den
alten Katakombenwerken entnommen *).
60.
Relief von einem Sarkophagdeckel im Lateranmuseum. (Taf. VI.)
Auf der linken Seite sitzt Maria, in Tunika, Stola und Kopftuch
gekleidet, auf einem Lehnstuhl und hält das in Tunika gekleidete
Kind auf dem Schoosse, welches nach dem von dem vordersten der
drei Magier dargereichten Kranze greift. Zwischen den Köpfen der
Magier sind die Köpfe ihrer Kamele sichtbar. Diese Scene ist rechts
durch eine Palme begrenzt. Dann folgt das eingewickelte Kind in
der Wiege unter einem Dache, von Ochs und Esel verehrt und von
einem Hirten angestaunt. Dann folgt wieder eine Palme.
Hierauf ein Mann mit erhobener rechter Hand, während die
linke eine Schriftrolle hält, nach Garrucci der Prophet Jesaias.
Weiterhin rechts, das Centrum des Reliefs bildend, Daniel
zwischen den Löwen; dann eine Frauengestalt in einem Buche lesend,
dabei der Name GRISPINA; hierauf zwei männliche Figuren; weiter
die Brodvermehrung; die Gefangennehmung Petri oder Mosis; zuletzt
Moses das Wasser aus dem Felsen schlagend. Abbildung nach einer
Photographie * 2).
61.
Sarkophagrelief im Lateranmuseum. (Taf. VII.)
Links Bäume. Die drei Magier, mit zwei Kamelen, schreiten,
ihre Geschenke tragend, nach rechts, der Mutter mit dem Kinde zu.
Maria sitzt mit dem eingewickelten Kinde in den Armen auf einem
durchflochtenen Lehnstuhl. Kleidung: Tunika, Stola, Kopftuch.
Hinter ihr nach rechts das Stalldach, unter welchem das Kind in
einem Wiegenkorbe, von Ochs und Esel angebetet. Daneben rechts
ein Hirte mit dem Stab in der rechten Hand, die linke erhebend;
schliesslich wieder Bäume. Abbildung nach einer Photographie.
Das Monument ist bei Garrucci nicht abgebildet. Vielleicht ist es
dasselbe, welches wir unter No. 42 besprochen haben. In Barbier
de Montault’s Katalog ist es kurz genannt 3).
6 Bosio p. 287; Aringhi I. p. 615; Bottari T. 85; Garrucci T. 380, 4;
Schultze Nr. 14 u. 32.
2) Garrucci T. 384, 5.
3) Les musees et galeries de Borne. (Rom, Spithöver 1870) p. 64: »adoration
des mages, creche.«
321
Die nächsten Nummern führen noch einige Sarkophagfragmente
vor, auf welchen einzelne Partieen von der Anbetung der Hirten und
Magier, oder von einer von beiden erhalten sind.
62.
Relief von einem Sarkophagdeckel im Lateranmuseum; Fragment.
Das eingewickelte Kind in der Wiege und der Kopf des Esels
unter dem Stalldach. Rechts davon der Stern und Maria in Tunika,
Stola und Kopftuch, das Kinn auf die rechte Hand gestützt 1).
63.
Relief von einem Sarkophag im Museum zu Arles. Fragment.
Zwei Abtheilungen, die eine unter der andern. Auf der obern
Abtheilung das Kind in Windeln in der Krippe, Ochs und Esel dabei
und links ein Hirte, rechts ein Fragment von der sitzenden Maria.
Auf der untern Abtheilung ein Magier und die Spur eines zweiten2 3).
64.
R.elief, gefunden in der Villa Pamphili. Fragment.
Maria sitzend, mit dem Kinde auf dem Schooss8).
65.
Relief in der Kirche S. Trophimus in Arles. Fragment.
Maria mit dem Kinde 4). Ist wohl identisch mit dem von Cahier
publicirten Fragment: Maria mit dem Kinde auf dem Schooss, auf
einem Felsen sitzend; hinter ihr ein Hirte (oder Joseph) in Exomis5).
66.
»Sarkophag-Relief. Lateran-Museum. Fragment.
Maria in Tunika und Stola auf einem Lehnstuhle. Der Kopf
ist abgestossen , ebenso derjenige des Knaben, der auf ihrem
Schoosse sitzt.«
Wörtlich aus Schultze 6 *).
6 Garrucci T. 398. 6; Schultze Nr. 33.
2) Garrucci T. 399, 1; Cahier, Nouveaux melanges etc. Paris 1875, p. 92.
3) Piossi, Imag. Text p. 6.
4) Rossi, Imag. Text p. 6, Anm. 3.
5) Nouveaux melanges etc. Paris 1875, p. 80.
6) Nr. 21.
Lehn er, Die Marienverehrnng.
21
322
67.
»Sarkophag-Relief. Im Lateran-Museum. Fragment.
Maria (Tunika, Stola, Schleier) auf einem Lehnstuhle. Der Kopf
des Knaben, welcher auf ihrem Schoosse sitzt, abgestossen.«
Wörtlich aus Schultze 1).
68.
Nun ist noch das Fragment einer Marmorvase mit Reliefs im
Museum Kircherianum zu erwähnen, welche Garrucci für ein Werk
des vierten Jahrhunderts zu halten geneigt ist. Auf der einen Seite
derselben sitzt Maria mit dem nackten Kinde an der Brust auf einem
Thronsessel mit Fussbänkchen inmitten von ursprünglich sechs
Magiern (nach Garrucci) oder Hirten (nach Schultze), von denen
aber nur noch vier sehr fragmentarisch sichtbar sind. Bei Maria
ist ebenfalls das Gesicht und ein Theil des rechten Armes abge¬
stossen, auch das Kind ist verstümmelt.
Das Gegenstück hiezu bildet auf der andern Seite der Vase
Christus thronend zwischen den Aposteln 2).
Ausser diesen beiden Lieblingsscenen aus dem Marienleben, der
Anbetung der Hirten und Magier, hat die altchristliche Skulptur auch
noch einige andere darzustellen unternommen, aber bei weitem nicht
so häufig; ja es sind uns nur ganz vereinzelte Specimina aufbewahrt
und bei einigen von diesen ist die Deutung noch keine ausgemachte
Sache. Mit Sicherheit lässt sich die nächste Nummer erklären.
69.
Relief von der rechten Schmalseite eines Sarkophags in Ravenna;
nach Schultze in San Francesco daselbst. Stammt aus dem Anfang
des fünften Jahrhunderts. (Taf. VII.)
Auf der linken Seite sitzt Maria, in Stola und Kopftuch gekleidet,
auf einem Sttihlchen ohne Lehne. In der erhobenen linken Fland
hält sie einen Spinnrocken, dessen unterer Theil abgebrochen ist.
Die rechte Fland ist ebenfalls abgebrochen. Vor ihr, gegen rechts,
steht ein Korb mit der purpurgefärbten Wolle. Rechts steht der
bekleidete geflügelte Engel, in der linken Fland einen Stab haltend;
die rechte Hand, die zur Begleitung der Anrede erhoben war, ist
9 Nr. 22.
2) Rossi, Imag. Text p. 12; Garrucci T. 427; Schultze a. a. 0. p. 283.
323
abgebrochen. Diess ist also ein Verkündigungsbild und zwar hat
sich der Künstler an die Erzählung des Protevangeliums gehalten.
(S. oben S. 229.)
Das Relief von der linken Schmalseite bringt die folgende
Nummer. Auf der vorderen Hauptseite thront Christus zwischen
Petrus und Paulus. Unsere Zeichnung ist nach einer Photographie
angefertigt x).
Weniger sicher ist die Auslegung der folgenden Nummer.
70.
Relief von der linken Schmalseite des in der vorhergehenden
Nummer genannten Sarkophags. (Taf. VII.)
Zwischen zwei Räumen gehen zwei Personen auf einander zu,
um sich die rechte Hand zu reichen, die bei beiden jetzt mehr oder
weniger zerstört ist. Auch die Gesichter sind zerstört. Die Kleidung
ist bei beiden ganz dieselbe : faltenreiche Untergewänder und Mäntel.
Mit der linken Hand nehmen beide das Gewand herauf. Die Be¬
wegung beider Figuren ist ebenfalls sehr ähnlich, doch thut sich die
Bewegung der rechts befindlichen durch etwas mehr Lebhaftigkeit
hervor. Sie scheint anzukommen , während die links befindliche
entgegenkommt. Wir denken daher bei dieser Darstellung an die
Heimsuchung der Elisabeth, denn beide Figuren scheinen uns weib¬
liche zu sein ; während Garrucci, nach der Photographie des Reliefs,
nach welcher auch wir unsere Abbildung geben, urtheilend, in einer
von den beiden Figuren eine männliche erkennt und datier hier die
Vermählung der h. Jungfrau mit Joseph sieht. Abbildung nach
Photographie* 2).
71.
Relief von einem Sarkophag im Museum zu Le Puy. Frag¬
ment. (Taf. VII.)
Links unter einem Thorbogen eine jugendliche männliche Gestalt
mit Nimbus, die rechte Hand segnend erhoben. Zu deren Füssen
ein bärtiger Mann schlafend. Rechts daneben eine jugendliche weib¬
liche Figur mit dem Schleier, die die linke Hand in die rechte eines
bärtigen Mannes legt. In der Mitte hinter den beiden eine nimbirte
jugendliche männliche Figur mit einer Rolle in der linken Hand.
9 Garrucci T. 344, 3; Schultze Nr. 28.
2) Garrucci T. 344, 2.
324
Garrucci sieht in der erstem Gruppe die Sendung des Engels an
den schlafenden Joseph, in der zweiten die Vermählung Mariens,
welcher ein Engel assistirt. Wir stimmen bei.
Weiter rechts noch drei Figuren mit zwei Bäumen im Hinter¬
grund. Garrucci hält diese Figuren für Christus mit den beiden Aposteln
bei Joh. I. 38, 39. Abbildung nach Garrucci a).
72.
Relief von einem Sarkophage im Museum zu Arles mit zwei
Reihen von Darstellungen über einander. (Taf. VII.)
Ein Mann (dessen Kopf ausgebrochen ist) , gekleidet in die
Paenula (Ueberkleid bei schlechtem Wetter und auf Reisen), hat mit
der rechten Hand den linken Arm eines Kindes gefasst, welches in
die Alicula (leichtes Oberkleid) gekleidet ist, und führt dasselbe einer
Frau zu, die die rechte Hand ihm entgegenstreckt. Rossi sieht
darin die heilige Familie oder vielmehr das Wiederfinden des zwölf¬
jährigen Jesus * 2).
Die übrigen Darstellungen sind, links von oben angefangen,
folgende: Daniels Urtheil; Abrahams Opfer; die Büsten des begrabenen
Ehepaars in einem Rund als Centrum der Darstellungen; Moses, das
Gesetz erhaltend; Susanna von den Alten belauscht; Händewaschung
Pilati. Auf der untern Abtheilung: die drei ebräischen Jünglinge
vor der Büste des Nabuchoclonosor ; Daniel zwischen den Löwen;
Pharaos Untergang im rothen Meere; die Rettung der Ebräer aus
demselben; schliesslich unsere Gruppe, die sich übrigens auch als
Theil der vorhergehenden Scene fassen liesse. Abbildung nach
Garrucci 3).
73.
Relief von einem Sarkophag, früher in der Kirche des heiligen
Franziskus, jetzt im Museum zu Perugia. Dieser Sarkophag ist nach
Rossi einer der besten und ältesten des vierten Jahrhunderts. (Taf. VII.)
Die Vorderseite dieses Sarkophags ist mit neun durch Säulen
getrennten Nischen gegliedert, unter welchen, theils einzeln, theils
zu zweien, zehn männliche und eine weibliche Figur sich befinden.
9 Garrucci T. 398, 1.
2) Imag. sei. Text p. 9.
3) Garrucci T. 366, 2; Cahier, nouveaux mölanges etc. Paris 1875, p. 93.
325
Unter der mittleren Nische sitzt der jugendliche Heiland auf
einem gepolsterten Thronsessel und stützt die nackten Füsse auf
einen Schemel. Er ist mit Tunika und Pallium bekleidet, hält in
der linken Hand eine Schriftrolle und hat die rechte lehrend erhoben.
Rechts hinter ihm ein bärtiger Mann. In der Nische links steht
eine weibliche Figur, mit Tunika, Stola und Kopftuch bekleidet, neben
ihr ein unbärtiger Mann. Die unter den übrigen Nischen stehenden,
theils bärtigen, theils unbärtigen Männer, hören aufmerksam oder
verwundert zu oder lesen in Schriftrollen nach. Rossi sieht in dem
jugendlichen Heiland den zwölfjährigen Jesus im Tempel und in der
weiblichen Figur seine Mutter. Garrucci erkennt in der Darstellung
den erwachsenen Christus, lehrend im Kreise der Apostel und hält
die weibliche Figur für eine Personifikation der Kirche. Wir neigen
mehr Rossi’s Erklärung zu. Abbildung nach Garrucci *).
74.
Relief von einem Sarkophagdeckel im Museum zu Syrakus
(Gegenstück zu Nr. 53). (Taf. VII.)
Eine verschleierte Frauengestalt sitzt auf einem Throne, umgeben
von vier ebenfalls verschleierten Frauen, wovon eine auf dem Boden
sitzt. Links davon führen zwrni unverschleierte Frauen eine dritte,
ebenfalls unverschleierte, herbei. Von den beiden Führerinnen hat
die eine irgend ein Geräthe oder Instrument in der Hand.
Le Blant* 2) hält die thronende Frau für Maria, welche, umgeben
vom Chore seliger Frauen und Jungfrauen, die ihr zugeführte Seele
der Verstorbenen empfängt. Garrucci hat eine allegorische Erklärung.
Die thronende Frau ist die römische Kirche, die unmittelbar bei ihr
sich befindenden sind die Patriarchalkirchen des Orients. Die herbei¬
geführte Jungfrau ist die Heidenkirche, welche von der Synagoge
(den beiden führenden Figuren) gefangen ist. Das Instrument, das
die eine trägt, sind Handschellen. Einfacher scheint uns Le Blant’s
Erklärung. Das betreffende Instrument bedeutete dann eher die
Handpauken, welche der h. Ambrosius ja der h. Jungfrau selber in
die Hand gibt, wenn sie reine, jungfräuliche Seelen im Himmel
’) Rossi, bullet. 1871, p. 127 und Tav. 8; Garrucci T. 321, 4; Martigny, dict.
»enfant Jesus«.
2) Revue archeol. Dec. 1877.
begrüsse (s. oben S. 197). Rossi zieht auch Le Blant’s Erklärung
vor1). Abbildung nach Garrucci 2).
75.
Relief von einem Sarkophag im Campo-Santo zu Pisa. (Taf. VII.)
Im Gentrum ist die un verschleierte Rüste der begrabenen Frau
in einem Runde. Links davon der gute Hirte mit Schafheerde.
Rechts davon acht unverschleierte Frauengestalten, die alle gegen
die Büste gekehrt sind, und von denen die zweite sich vorneigt und
mit der rechten Hand eine Bewegung der Bewillkommnung macht,
während sie mit der linken Hand das Gewand heraufzieht.
Le Blaut erkennt in dieser Darstellung die h. Jungfrau an der
Spitze des Chors der seligen Jungfrauen, die Seele der Verstorbenen
empfangend3). Diese Deutung, die uns sehr plausibel vorkommt,
wäre also eine weitere Illustration der ambrosianischen Stelle. Die
Zeichnung ist Rohault de Fleury’s Werk entnommen.
Als Anhängsel an Malerei und Skulptur sind nun noch zwei
in Marmorplatten gravirte Zeichnungen aufzuführen. Die erstere
Marmortafel, die einst das Grab einer Severa verschloss, gibt eine
ähnliche Composition, wie die Sarkophagreliefs Nr. 45 und ff; die
letztere, auf welcher Maria nach den Apokryphen als im Tempel
dienend erscheint, ist ein Unicum, wenn sie noch unserer Periode
zugerechnet werden darf. Das Ungeschick der Zeichnung sowohl als
die an das Romanische anklingende Sprache der Inschrift bewogen
manche Archäologen, das Monument dem sechsten Jahrhundert zu¬
zuschreiben, während andere keinen Anstand nehmen, es ins vierte
Jahrhundert zu setzen. Wir nehmen es mit allem Vorbehalt haupt¬
sächlich desswegen auf, weil es einzig in seiner Art ist und doch
auch von scharfen Kritikern wenigstens noch an das Ende unserer
Periode gerückt wird.
9 Bullet. 1877, p. 154.
2) Garrucci T. 365, 1 u. a.
3) A. a. 0. S. auch bei Rohault de Fleury »La Ste. vierge« T. II, p. 108;
Garrucci T. 359, 4; Diitschke (Antike Bildwerke in Oberitalien. I. Die antiken
Bildwerke des Campo Santo zu Pisa. Nr. 109) entscheidet sich nicht für die
christliche Provenienz des Sarkophags. Er glaubt ihn dem 2. Jahrhundert zu¬
schreiben zu dürfen. Im Nachtrag zum zweiten Hefte (Antike Bildwerke in
Florenz) S- 246 gibt er aber die Christlichkeit der Darstellung zu.
327
* 7(3.
Marmortafel aus der Katakombe der h. Priscilla, jetzt im Lateran¬
museum. (Taf. VIII.)
Darauf ist eingravirt: links die Büste einer Frau, daneben die
Inschrift: SEVERA IN DEO VI VAS; rechts: Maria auf einem
durchflochtenen Lehnstuhl sitzend, ohne Schleier, in die blosse Tunika
gekleidet, die nackten Füsse kreuzend. Auf ihrem Schoosse hält sie
das nackte Kind, das beide Händchen den von links her schreitenden
Magiern entgegenstreckt. Oben zwischen der Gruppe und dem
vordersten Magier der Stern. Hinter dem Stuhle der Maria steht
eine jugendliche männliche Gestalt, in die Tunika gekleidet, den
rechten Arm ausstreckend. Einige halten den jungen Mann für
Joseph, der auf die ankommenden Magier hinzeige, oder als Haus¬
vater schirmend die Hand über die Familie halte. Doch könnte die
Bewegung seiner rechten Hand, die über das Haupt Mariens hinweg
eher auf den Stern zu deuten scheint, auch den Propheten Jesaias
in ihm vermuthen lassen , wie auf dem ältesten Fresko ; freilich
stimmt die Kleidung nicht recht hiezu. Das Monument stammt
aus dem dritten Jahrhundert. Die Zeichnung entnehmen wir
Corblets Revue 1).
77.
Marmortafel in der Krypta von St. Maximin in der Provence.
(Taf. VIII.)
Darauf eingravirt eine stehende Mädchenfigur mit aufgelösten,
auf die Brust herabfallenden Haaren, die Arme zum Gebet aus¬
breitend. Ueber der Tunika, deren Aermel an der Handwurzel
sichtbar sind, trägt sie ein faltiges Obergewand mit sehr weiten
Aermeln. Die oben befindliche Inschrift bedeutet: Maria, die Jung¬
frau, Tempeldienerin zu Jerusalem. Le Blant und noch mehrere
schreiben das Monument dem vierten, spätestens dem fünften Jahr¬
hundert zu 2). Unsere Abbildung ist Corblets Revue entnommen.
fi D’Agincourt, sculpt. pl. VII, 6,7; Mai, script. vet. in fronte Tomi V;
Perret T. V, pl. 12; Corblet, revue T. XXI, p. 289; Schultze Nr. 35.
2) Macario, Hagioglypta, Paris 1856, p. 36; Corblet, Revue 1858, p. 236;
Roliault de Fleury, La Ste vierge, table 116. I, p. 51: Le Blant, Inscr. ehret, pl. 72;
Schultze Nr. 35. a.
328
Kleinkunst.
Auch die Kleinkunst der Zeit hat uns Mariendarstellungen hinter¬
lassen.
Am häufigsten begegnet uns die heilige Jungfrau auf den »Gold¬
gläsern«, d. h. den erhaltenen Böden von zerbrochenen Glasgefässen,
welche in Gold eingeritzte Zeichnungen aufweisen. Die Technik ist
diese: Es wurde ein dünnes Goldplättchen auf Glas aufgeklebt,
dann die Zeichnung eingekratzt, darüber wurde ein zweites Glas ge¬
legt und mit dem ersten zu einer festen Masse zusammengeschmolzen.
Diese »Goldgläser« wurden meist in den Katakomben Roms gefunden
und stammen grösstentheils aus dem vierten Jahrhundert. Ein
kleinerer Theil mag noch dem dritten angehören, ein anderer ist erst
im fünften Jahrhundert entstanden.
Auf diesen Goldgläsern erscheint Maria theils in Gesellschaft
anderer Heiliger, theils allein; aber stets ohne Kind, und mit Aus¬
nahme der letzten Nummer in der Stellung der »Betenden«.
Wir geben die nächstfolgenden Nummern in der Reihenfolge,
in welcher sie Garrucci aufführt, da uns diese Reihenfolge chrono¬
logisch richtig scheint. Die Zeichnungen der Goldgläser entnehmen
wir Garrucci’s Werk x).
78.
Goldglas, nach Bianchini * 2) in der Katakombe der heiligen Agnes
gefunden. (Taf. VIII.)
Maria steht mit zum Gebet ausgebreiteten, aber nicht hoch er¬
hobenen, Händen zwischen Petrus und Paulus. Sie hat eine ähnliche
Frisur, wie auf den Fresken No. 7—9 und ist ohne Schleier; sie ist
mit einem Collier geschmückt, trägt über der gegürteten Tunika den
Mantel und hat blosse Füsse. Im Felde, links und rechts von ihrem
Kopfe befinden sich zwei Buchrollen. Die dargestellten Personen
sind durch Beischriften bezeichnet : PAVLVS MARIA PETRVS3).
79.
Goldglas im Museo Borgiano di Propaganda. (Taf. VIII.)
Maria in Tunika und Pallium, das zugleich über den Hinterkopf
als Kopftuch genommen ist, steht mit zum Gebet hoch erhobenen
9 Garrucci hat sein früher erschienenes Werk »Vetri ornati etc.« in seine
grosse »Storia dell’ arte Christ.« aufgenommen, nach welch letzterer wir citiren.
2) Ad Anastas. biblioth. II, 247.
3j Perret, Catacombes Vol. III, PI. XIV; Garrucci T. 178, 6; Schultze Nr. 37.
329
Händen zwischen Petrus und Paulus, welche Piollen in den Händen
haben. Die Beischriften: PETRVS MARIA PAVLVS x).
80.
Goldglas in der Vatikanischen Bibliothek. (Taf. VIII.)
Maria mit Diadem auf dem Kopf (oder mit dem Nimbus?), mit
zurückgenommenen und im Nacken in Knoten geschlungenen Haaren,
in Tunika und Stola gekleidet, die Arme zum Gebete ausbreitend,
steht mit nackten Füssen zwischen zwei Bäumen. Hinter ihr zwei
Tauben, eine auf jeder Seite, die auf ihrer linken Seite befindliche
auf einer kannelirten Säule. Beischrift: MARIA.
Bäume und Tauben syinbolisiren das Paradies mit seinem ewigen
Frieden * 2j.
81.
Goldglas in der Vatikanischen Bibliothek. (Taf. VIII.)
Maria in der Gebetstellung zwischen zwei Bäumen. Sie trägt
über der langen Tunika eine zweite nur bis ans Knie reichende, ge¬
gürtete Tunika (xvnaeci.g) und darüber den Mantel. Sie ist mit dem
Nimbus ausgezeichnet. Im Felde über den Schultern zwei Rollen.
Statt MARIA lautet die Beischrift MARA 3).
82.
Goldglas. (Taf. VIII.)
Maria und die heilige Agnes stehen in der Stellung der Betenden
neben einander. Agnes steht auf der rechten Seite Mariens. Beide
sind mit Tunika und Pallium bekleidet und tragen die Haare ge¬
scheitelt und nach rückwärts genommen. Auf dem Scheitel ein
Diadem, oder eine herübergezogene Haarflechte. Die Inschriften
lauten: ANNE MARA 4).
83.
Goldglas im Museum zu Bologna. (Taf. VIII.)
Brustbilder der Maria und Agnes nebeneinander und einander
zugekehrt. Ausser der gewöhnlichen Kleidung trägt Maria eine Kapuze
9 Perret T. IV, PI. XXXII, 101; Garrucci T. 178, 7; Schultze Nr. 39.
2) Perret IV, PI. XXI, 1; Garrucci T. 178, 10; Schultze Nr. 36.
3) Perret IV, PI. XXI, 7; Garrucci T. 178, 11; Schultze Nr. 38.
4) Garrucci T. 191, 2; Schultze Nr. 40.
330
auf dem Kopf. Im Felde zwischen beiden Figuren befindet sich oben
das Monogramm Christi in einem Kreise, darunter eine Rolle. Die
Beischriften lauten: AGNES MARIA l).
Ausser diesen sechs Nummern, welchen die beigegebenen Namen
ihre Bedeutung zusichern , vermuthet Garrucci noch von einigen
andern Gläsern, dass sie ein Bild Mariens enthalten. Es sind diess
zunächst ein grösseres und ein kleineres Goldglas, worauf die »betende
Frau« zwischen zwei Bäumen erscheint. Die Figur auf dem grösseren
hat allerdings die grösste Aehnlichkeit mit der Marienfigur auf
No. 78, aber keinen Namen2). Dann findet er Maria auf einem
dritten, bedeutend grösseren Glas, auf welchem sechs verschiedene
Scenen um ein Rund gruppirt sind, welches die Büsten von Petrus
und Paulus aufweist. In der ersten Scene tritt Jesaias auf, die Ge¬
burt des Emmanuel aus der Jungfrau prophezeiend; die zweite Scene
wird durch die »betende Frau« zwischen zw7ei Bäumen gebildet; die
dritte Scene gibt das Martyrium des Propheten Jesaias; die vierte
Moses mit der ehernen Schlange; die fünfte Moses, Wasser aus dem
Felsen schlagend (fragmentarisch): die sechste endlich die drei Jüng¬
linge im Feuerofen. Die »betende Frau« wäre Maria. Rossi stimmt
dieser Erklärung Garrucci’s bei 3).
Den Goldgläsern sehliessen sich noch einige andere Produkte
der Kleinkunst an. Zunächst ein
Geschnittener Stein auf der Nationalbibliothek in Paris; Medaillen-
kabinet No. 1332. Soll vor dem Jahre 340 entstanden sein. (Taf. VII.)
Zwei Frauen sind im Begriff sich zu umarmen. Zwischen ihnen
befindet sich unten ein Halbmond, in der Mitte ein Stern, oben ein
Kreuzchen oder ein vierblätteriges Blümchen. Rohault de Fleury,
dem wir die Zeichnung entnehmen, erklärt die Darstellung als Mariä
Heimsuchung 4 * *).
Dann eine
0 Garrucci T. 191, 8; Schullze Nr. 41.
2) Garrucci T. 178, 8 und 12.
3) Garrucci T. 171, 3; Rossi, Iinag. sei. p. 8.
4) La Sainte vierge T. I, p. 100, PI 17. Auf eine Nachfrage in Paris wegen
der Umschrift erhielten wir die Auskunft, dass dieselbe in der Pehlwi-Sprache
abgefasst, aber im Katalog nicht übersetzt sei.
331
85.
Bronzemedaille in der Vatikanischen Bibliothek. (Taf. VIII.)
Links sitzt Maria in Tunika mit kurzen Aermeln , Stola und
Kopftuch gekleidet auf einem Lehnstuhl und hält das nackte Kind
auf dein Schooss. Ueber dem Köpfchen desselben ist der Stern an¬
gebracht. Von rechts her kommen die drei Magier. Die Medaille
stammt aus dem vierten Jahrhundert. Unsere Zeichnung ist Rohault
de Fleury entnommen x).
86.
Eine ähnliche Medaille erwarb Le Blant in Rom und publizirte
sie im Jahr 1859 * 2). Sie zeigt nur geringe Abweichungen von der
vorigen. Rohault de Fleury gibt die Mutter mit dem Kinde auf der¬
selben Platte wieder, wie die vorhergehende Medaille.
Schliesslich ist noch ein
87.
Viereckiges Elfenbeintäfelchen zu erwähnen , welches im Jahre
1862 im Kensington-Museum zu London zu sehen war und welches
Rossi für ein Werk des vierten Jahrhunderts zu halten geneigt ist.
Darauf en relief:
Maria mit dem Kinde und den drei Magiern 3).
Die Elfenbeinplastik hat ohne Zweifel in sehr früher Zeit Maria
öfters zum Vorwurf genommen. Doch wagen wir keines der uns
bekannten Kunstwerke unserer Periode zu vindiziren. Aber er¬
innern wenigstens wollen wir an einige Elfenbeingefässe in vater¬
ländischen Sammlungen , von denen vielleicht das eine oder andere
noch dem fünften Jahrhundert angehört, z. B. die Pyxen von Werden 4)
und Hannover 5).
Wir haben mit dem Obigen uns bestrebt, Alles zusammenzu¬
stellen, was wir von Mariendarstellungen auftreiben konnten, welche
vor dem Concil von Ephesus oder auch noch ungefähr um die Zeit
dieses Concils, das ja erst im Jahr 433 zum eigentlichen Abschluss
9 Garrucci T. 435, 7; Rohault de Fleury T. I. p. 158, table XXXIV.
2) Bull. arch. de l’Athen. franq. 1859, tab. I, 3; Rossi, Imag. sei. p. 6.
3) Rossi, Imag. sei. p. 6. Trotz Nachfrage in London war von dem Verbleib
des Täfelchens nichts zu erfahren.
4) E. aus’m Weerth, Kunstdenkmäler, Taf. XXIX, 6.
s) Hahn, fünf Elfenbeingefässe u. s. w. Hannover 1862. Pyxis, Nr. 2.
332
kam , entstanden sein dürften. Wir machen aber damit einerseits
keineswegs den Anspruch auf absolute Vollständigkeit. Andererseits
lassen wir die Möglichkeit offen, dass einige von den verzeichneten
Darstellungen — vielleicht etliche Reliefs, vielleicht ein paar Gold¬
gläser, sowie das in Stein gravirte Bild von St. Maximin — etwas
später fallen könnten. Auch wollen wir noch einmal zusammen¬
fassend erwähnen, dass eine Anzahl der aufgeführten Nummern
strittig ist. Die Mutter mit dem Kinde No. 3, das »Verkündigungs¬
bild« No. 4, die betende Frau mit dem Kinde No. 18, Maria beim
Weinwunder No. 19, Mariä Heimsuchung No. 70, Maria, den zwölf¬
jährigen Jesus findend No. 72 und 73, Maria im Himmel No. 74
und 75, vielleicht auch die Heimsuchung No. 84 — alle diese Dar¬
stellungen werden, wie wir bei den meisten schon bemerkt haben,
von Andern anders gedeutet; wir aber haben diese Coinpositionen
aufgenommen, weil uns ihre Beziehung auf Maria als die wahrschein¬
lichere vorkommt. Sollte nun aber auch auf einen Theil der auf¬
genommenen Coinpositionen zu verzichten, sollte gar die eine oder
die andere irrthümlicher Weise zweimal aufgezählt worden sein, es
bleiben immerhin genug übrig , um den Beweis zu liefern , dass die
Kunst sich vom zweiten Jahrhundert ab nicht minder mit Maria be¬
schäftigte als die Poesie 2).
Wenn wir nun diese Darstellungen etwas näher betrachten, so
finden wir, dass sie sich im Vergleich mit der Poesie in einem ziem¬
lich engen Kreise bewegen.
Am häufigsten und auch am frühesten begegnet uns Maria als
Mutter mit dem Kinde. Den Grund, dass diese Darstellung schon
zum Schmuck des Grabes verwendet wurde, brauchen wir nach unsern
früheren Ausführungen kaum anzugeben. Wir wollen nur an das
Wort des Archelaus erinnern: »alle unsere Hoffnung beruht auf der
Geburt der seligen Maria.« Dieses eine Wort sagt Alles. Die
Menschwerdung Gottes, die Grundbedingung der Erlösung und damit
der Auferstehung und ewigen Seligkeit, am Grabe eines theuren Ent¬
schlafenen in einem gefälligen Bilde angebracht, musste offenbar ein
’) Durch eine Complication von Umständen waren wir verhindert, unsere
früheren gelegentlichen Anschauungen zu wiederholen und zu ergänzen.
Auch Correspondenz löste manches Räthsel nicht. Wir würden daher für jede,
öffentliche oder private Berichtigung oder Ergänzung des voranstehenden Ver¬
zeichnisses sehr dankbar sein.
333
recht hoffnungsreicher und trostvoller Anblick sein. Indem wir also
die Versinnlichung der Idee der Menschwerdung in dem Bilde der
Mutter mit dem Kinde sehen, müssen wir der Mutter hiebei auch
diejenige Stellung einräumen , welche ihr bei diesem Mysterium von
dem Zeitbewusstsein angewiesen wurde; mit andern Worten, wir
haben ihre Darstellung im Bilde immer als Wiederschein der Phasen
zu betrachten , welche sie in der Lehrentwickelung durchmachte.
Der Christ des fünften Jahrhunderts z. B. hiess dasselbe Bild die
Gottesgebärerin, welches von dem Christen des zweiten Jahrhunderts
einfach Mutter Jesu genannt wurde. Es ist darum bei der Gruppe
zwar das Kind natürlich immer die Hauptsache, die Mutter geht
aber dabei nicht leer aus. Das sagt unter Andern Prudentius, der
die Magier nicht bloss vor dem Kinde, sondern auch »vor Mariens
Füssen den Nacken beugen« und den »verehrten Schooss der Mutter«
vom Stern beleuchtet sein lässt (s. oben S. 264) und das sagen uns
die Darstellungen selbst, welche Maria meist auf einem thronartigen
Sessel, oft. mit einem Fussbänkchen versehen, zur Anschauung
bringen.
Die »Mutter mit dem Kinde« kommt, mit einer einzigen Aus¬
nahme, nicht isolirt, als Composition für sich vor, denn die plastischen
Fragmente, welche bloss diese Gruppe, und auch sie meist ver¬
stümmelt aufweisen, rühren wohl alle von Epiphanienbildern her;
die Gruppe ist Th eil einer Composition.
Ein Prophet steht dabei und demonstrirt in ihr die Erfüllung
seiner Weissagung.
Oder die Magier nähern sich, ihre Huldigung darbringend. Diese
Composition ist die häufigste. Schon die dramatische Lebendigkeit
der Erzählung bei Matthäus musste zur bildlichen Darstellung der
Scene reizen, wenn auch die Künstler sich nicht stricte an den
evangelischen Text hielten. Bei Matthäus (II, 11) »gingen (die
Magier) in das Haus, fanden das Kind mit Maria, seiner Mutter,
fielen nieder und beteten es an, öffneten ihre Schätze und reichten
ihm Geschenke: Gold, Weihrauch und Myrrhe«. Die Künstler lassen
die Magier nicht »niederfallen«, sondern unmittelbar von der Reise
kommend, oft noch das Reitthier mit sich führend, stehend oder
schreitend, ihre Geschenke darbringen, so dass man auf den Gedanken
geräth, sie seien eher den xipokryphen gefolgt, welche von dem
Niederfallen auch nichts wissen. Es mögen übrigens für den Er¬
finder des Typus auch bloss künstlerische Gründe vorgewaltet haben
334
und seine Nachfolger hielten sich dann, nachdem einmal das gläubige
Volk die heilige Scene so zu sehen sich gewöhnt hatte, an das
Hergebrachte.
Die Darstellung hat aber nicht bloss einen einfach historischen,
sondern vorzugsweise einen symbolischen Sinn.
Sie bedeutet die erste Offenbarung der Menschwerdung Gottes
— sammt ihren Gonsequenzen für das Heil der Menschheit — an
die Heidenwelt. In diesem Sinne wurde die Anbetung der Magier
an dem alten Epiphanienfeste mitgefeiert, wie wir oben dargelegt
haben, und bildete schon frühe in der abendländischen Kirche den
Hauptgegenstand dieses Festes. Es ist hier nicht der Ort, den
etwaigen Zusammenhang der alten Kunstdarstellungen mit den alten
Kirchenfesten näher zu untersuchen, wir wollen nur im Vorbeigehen
darauf aufmerksam machen, dass das häufige Vorkommen von den
Begebenheiten im Leben Christi, welche ursprünglich am Epiphanien¬
feste zusammengefeiert wurden, — Geburt, Anbetung der Magier,
das Weinwunder, die Speisung der Fünftausend — vielleicht unter
Anderem auch dadurch sich erklären lässt, dass diese Begebenheiten
den Künstlern sowohl als den Auftraggebern durch die Predigten
an diesem alten Festtage sich besonders eingeprägt haben dürften.
Vielleicht ist von diesen Kunstdarstellungen aus auch ein Schluss
auf das Alter des Festes zu machen. Doch das nur nebenbei.
An einen Zusammenhang mit dem alten Epiphanienfeste denkt
man unwillkürlich hauptsächlich dann, wenn die Darstellungen der
Geburt oder vielmehr der Anbetung der Hirten mit der Anbetung
der Magier in einer und derselben Composition vereinigt sind. Das
Kind kommt hiebei entweder zweimal vor. Dann liegt es einge¬
wickelt als neugebornes Kind in der Krippe oder dem Wiegenkorbe
auf der einen Seite der Composition und wird hier von den Flirten
nebst Ochs und Esel »angebetet«, während es an einer andern Stelle
der Composition schon etwas herangewachsen in der gewohnten
Weise auf dem Schoosse der Mutter sitzt und die Huldigung der
Magier empfängt. Oder es kommt bloss einmal vor, als Wiegenkind,
während dann die Mutter gleichsam erschöpft ausruhend auf einem
Felsen sitzt. Diese Pose der Mutter könnten die Künstler gewählt
haben, um die unmittelbaren Folgen einer Niederkunft auszudrücken.
Da aber kaum eine dieser Darstellungen hinter die zweite Hälfte
des vierten Jahrhunderts zurückgeht, sondern wohl alle der Zeit
angehören, in welcher die realistische Auffassung des Wesens der
heiligen Jungfrau schon so ziemlich allgemein der idealistischen das
Feld geräumt hatte, so dürfte die Haltung Mariens richtiger so ge¬
deutet werden, dass damit die Zeit des Vorgangs, die Nacht habe
charakterisirt werden wollen. Hiefür spricht auch der Umstand,
dass Maria in mehreren Compositionen das Kinn gemächlich auf
eine Hand stützt x).
Das Zusammenrücken beider Vorgänge, die sowohl in dem
Evangelium, als in den Apokryphen durch kürzere oder längere
Intervalle getrennt sind, in eine Äomposition, Hesse sich, wie gesagt,
ausserordentlich bequem damit erklären, dass die Künstler von dem
Feste beeinflusst waren, das beide Vorgänge ursprünglich zusammen
feierte. Doch ist damit nicht ausgeschlossen, dass vorzugsweise die
Idee, welche der Darstellung beider Vorgänge eigentlich gleicherweise
zu Grunde liegt, die Manifestation der Menschwerdung
Gottes die Künstler bestimmt hat, gleich beide Adressen, an welche
diese Manifestation gerichtet war, das Judenthum und das Heiden¬
thum, mit einander vorzuführen, wobei dann das Judenthum durch
die Hirten repräsentirt wäre. Uebrigens haben wir gesehen, dass
die Anbetung der Hirten nicht durchaus mit der Anbetung der
Magier verbunden wird; wenigstens einmal kommt die erstere
sicher allein vor (s. Nr. 58).
Tiefer in die Epiphaniendarstellungen uns einzulassen, liegt
ausserhalb unseres Zweckes. Es war uns nur darum zu thun, nach¬
zusehen, welche Figur Maria in denselben macht. Wir finden sie
also hiebei immer in unmittelbarer Verbindung mit dem Kinde. Sie
trägt es auf dem Schooss oder im Arme; oder dasselbe liegt neben
ihr in der Krippe. Nur einmal, in Sta. Maria Maggiore sitzt es
neben ihr auf einem Throne. Diese Varianten alteriren den Grund¬
gedanken nicht. Ueberall steht offenbar die Beziehung auf das Kind
obenan, wenn auch die Mutter dabei nicht in den Hintergrund
gedrängt wird.
Ebenso zeigen uns zwei andere Scenen, die aber gegenüber den
Epiphanienbildern in verschwindender Anzahl Vorkommen, Maria in
mütterlicher Thätigkeit. Das eine Mal bringt sie ihr Kind im Tempel
dar, das andere Mal findet sie den zwölfjährigen Knaben daselbst.
Beide Scenen sind in je einem Exemplar, das aber zum Schmuck
i) So deutet die Pose z. B. Graf Grimouard de Saint Laurent in der Revue
de hart chretien, Tome XXX, p. 121.
33(3
der Kirche, nicht des Grabes dient, gesichert. Von der zweiten, der
Auffindung, gibt das Grab vielleicht auch ein paar Beispiele.
(S. Nr. 72 u. 73.)
In unmittelbarer Verbindung mit dem erwachsenen Sohne
tritt Maria beim Wein wunder auf. Einmal ist diess inschriftlich
bestätigt (Nr. 20), ein zweites Mal für uns wenigstens sehr wahr¬
scheinlich (Nr. 19).
Hiemit ist der Kreis der Darstellungen erschöpft, in welchen
Maria neben oder mit ihrem Sohi^e figurirt.
Ohne den Sohn erscheint Maria zunächst in solchen Scenen,
welche Begebenheiten ihres Lebens darstellen, die vor die Geburt
des Kindes fallen. Es sind diess die Verkündigung, Vermäh¬
lung, Heimsuchung. Die Darstellung der beiden letzten Scenen
ist keine ganz ausgemachte Sache, ob auch uns wenigstens nament¬
lich die zwei Reliefs Nr. 70 u. 71 kaum eine andere Deutung zuzu¬
lassen scheinen. Das Vermählungsbild wäre dann entweder unter
dem Einfluss der Apokryphen entstanden, welche den Vermählungs¬
akt erzählen , oder aber nach dem Bericht des Matthäus. Der
Künstler hätte eben den Engel, der den Joseph im Traum aufgeklärt
hatte, als Vermittler für den Akt des »Zusichnehmens« , d. h. der
Vermählung nach ebräischer Sitte, beibehalten. Der 24. Vers des
1. Kapitels »Als nun Joseph vom Schlafe aufstand, that er, wie
ihm der Engel des Herrn befahl, und nahm sein Weib zu
sich« wäre einfach in Marmor ausgehauen.
Die Darstellung der Verkündigung ist durch die Nummern
21 u. 69 bezeugt. Doch nahmen wir keinen Anstand auch das
Fresko in St. Priscilla (Nr. 4) für ein Verkündigungsbild zu halten.
Dass Verkündigungsbilder vor dem Mosaik in Sta. Maria Maggiore
und dem Sarkophag von Bavenna existirten, geht, wie wir gesehen
haben, aus Prudentius hervor. Wir halten nemlich die Vierzeilen
des Buchs Dittocbäon mit Brockhaus und seinen Vorgängern für
poetische Erklärungen bestehender Bilder, die also spätestens in
die ersten Jahre des fünften Jahrhunderts fallen können. Wer weiss
aber, ob Prudentius, der fleissige Besucher der Katakomben, nicht
auch das Bild in St. Priscilla gesehen hat; denn vorderhand ist
keine Spur eines andern Verkündigungsbildes bis zu seinem Tode
nachweisbar.
Ohne den Sohn erscheint Maria vorzugsweise, wenn sie in der
Gebetstellung, als »Orans« auftritt. Fünf Goldgläser und die Gra-
337
virung von St. Maxirnin zeigen sie als solche mit ihrem Namen
versehen. Denn der Name MARA, der zweimal vorkommt, ist
allgemein als Schreibfehler erkannt.
Diese Bilder haben einen doppelten Sinn. Entweder wollen sie
Maria als andächtige Erdenbewohnerin aufführen, wie die genannte
Gravirung und vielleicht auch das eine oder andere Goldglas, auf
welchem sie nicht allein erscheint. Oder sie zeigen Maria als
Himmelsbewohnerin (Bäume und Tauben zu ihren Seiten symboli-
siren das Paradies) , als Beterin im Himmel , als Fürbitterin , was
nach unsern früheren Ausführungen ganz in der Ordnung ist. Als
solche hat sie ein- oder zweimal den Nimbus, die Auszeichnung der
Himmelsbewohner, wie die Engel in Sta. Maria Alaggiore und auf
dem Sarkophag von Le Puy (wo er ihr versagt ist, weil hier Be¬
gebenheiten aus ihrem Erdenleben illustrirt werden). Die beiden
Goldgläser, welche den Nimbus zeigen, sind die ältesten Kunst¬
produkte, die der heiligen Jungfrau diese Auszeichnung ertheilen und
gewähren aus diesem Grunde ein eigenes Interesse, werden aber
auch desshalb von Schultze in die zweite Hälfte des fünften Jahr¬
hunderts gesetzt.
Von obigen Darstellungen der Maria als Orans wird ein Rück¬
schluss auf die vielen gemalten und gemeisselten Orantenfiguren in
den Grabkammern und auf den Sarkophagen gemacht. Man hält
viele derselben ebenfalls für Marienbilder. Und zwar meist auf
einem Umweg. Man glaubt nemlich, dass manche dieser Oranten
die Kirche symbolisiren und weil, wie wir gesehen haben, Maria
häufig mit der Kirche zusammengestellt, ja als Repräsentantin der¬
selben aufgestellt wird (am ausdrücklichsten bei Sedulius S. 266), so
sieht man in ihnen Maria als Symbol der Kirche. Nun beweisen
zwar die Mosaiken in Sta. Sabina auf dem Aventin, aus der Zeit
des Pabstes Cölestin (422 — 432), dass die Kirche unter dem Bilde
einer Frau dargestellt wird. Zwei Matronengestalten in klassischer
Gewandung, jede mit einem Buch in der linken Hand und die rechte
segnend oder lehrend darüber gehalten, sind durch die Unterschriften,
die eine als Kirche aus dem Judenthum (ecclesia ex circumcisione),
die andere als Kirche aus dem Heidenthum (ecclesia ex gentibus)
beglaubigt. Ja, in dem noch älteren Mosaik der Apsis von Sta.
Pudenziana auf dem Esquilin (es stammt aus dem Ende des vierten
Jahrhunderts) sind die beiden Frauengestalten, welche mit Kränzen
Lehner, Die Marienverehrung. 22
338
in den Händen hinter den Aposteln Petrus und Paulus stehen,
offenbar ebenfalls als die Kirche aus dem Judenthum und die Kirche
aus dem Heidenthum aufzufassen. Allein alle diese Frauengestalten
sind nicht in der Gebetstellung und können daher nicht beweisen,
dass eine betend e Frau, eine Orans, die Kirche bedeute. Neuestens
hat Abbe Davin manche solcher Oranten, welche Andere bald für
Maria, bald für die Kirche, bald für beides hielten, für eine Dar¬
stellung der Susanna in Anspruch genommen x). Kurz es ist noch
nicht gelungen, auch nur eine einzige solche Figur mit völliger
Sicherheit als Darstellung Mariä zu erweisen. Dessenungeachtet
stellen wir nicht in Abrede, dass manche Orans auf Fresken und
Pieliefs Maria zu bedeuten habe. Denn wir sehen nicht ein, warum
dieser Typus hauptsächlich auf die gleichzeitigen Goldgläser beschränkt
gewesen sein soll; nur getrauen wir uns nicht, so genau wir alle
publicirten (auch mehrere im Original) darauf angesehen haben,
eine bestimmte als solche zu bezeichnen und haben desswegen
auch bei der Aufzählung der Marienbilder keine Rücksicht hierauf
genommen.
Als Himmelsbewohnerin und zwar speciell schon in der
Funktion der künftigen »Jungfrauenkönigin« würde schliesslich Maria
auf dem Sarkophagdeckel von Syrakus, sowie auf dem Sarkophag
von Pisa (Nr. 74 u. 75) auftreten, wenn unsere Deutung allgemeine
Zustimmung erführe. Dass diese Deutung nicht grundlos ist, haben
wir dargethan.
In dieser Weise also hat die Kunst unserer Periode an der
Marienverehrung Theil genommen. Mit einem Beispiel hat sie
Maria in ihrem früheren, mit wenigen in ihrem späteren Jugendleben
heimgesucht, mit den meisten in ihrem mütterlichen Verhältniss, mit
etlichen im Himmel. Am frühesten tritt sie als Mutter auf, hierauf
folgen einige Begebenheiten , die zu diesem ihrem Beruf in naher
Beziehung stehen, gleichzeitig oder vielleicht etwas später zeigt
sie sich als Selige, am spätesten wohl in ihrem vorbereitenden
Jugendleben.
Unverkennbar ist ein Anlauf genommen zu der cyklischen Dar¬
stellung des »Marienlebens«, welche das Mittelalter sich so häufig
3 In seinen zahlreichen Artikeln über die »Capella greca« in den letzten
Bänden der Revue de l’art chretien von Corblet.
339
zur Aufgabe gemacht hat. Einzelne Scenen sind schon zusammen¬
gerückt, zwei auf mehreren Sarkophagen, mindestens vier in Sta.
Maria Maggiore. Auch vorbildliche Beziehungen zwischen alttesta-
mentlichen Figuren oder Scenen und Maria lassen sich ahnen, wie
zwischen Eva und Maria, zwischen den drei Knaben im Feuerofen
und dem Epiphanienbilde. Doch ist noch kaum eine Spur von jener
systematischen Anordnung vorhanden, in welcher das Mittelalter
alttestamentliche Geschichten oder prophetisch genommene Stellen
mit Maria in künstlerische Parallele brachte. Wir haben bei der
Aufzählung der Marienbilder womöglich immer auch die andern
Scenen kurz angegeben, welche namentlich mit den Epiphaniendar¬
stellungen auf einem und demselben Kunstwerke zusammengestellt
sind. Man wird sich überzeugt haben , dass die meisten dieser
Zusammenstellungen den Eindruck der Zufälligkeit machen. Es
kommt Einem so vor, als ob die Künstler mit einem bestimmten
Vorrath von Scenen, von denen jede einzelne gewiss ihre tiefe Be¬
deutung hat, ziemlich willkürlich umgegangen seien und dieselben
zur Abwechslung bald in dieser, bald in jener Folge aneinander¬
gereiht haben, indem sie sich nur hin und wieder von künstlerischen
Rücksichten bestimmen liessen. Immerhin hat der Versuch, aus der
Zusammenstellung solcher Scenen in einem und demselben Kunst¬
werke einen einheitlich durchgeführten Grundgedanken oder eine
planmässig zusammenhängende Gedankenreihe zu entwickeln, einen
grossen Reiz, wie denn z. B. Rossi in dem Bildercyklus des
Sarkophags von San Paolo fuori le mura ein »Epos der christ¬
lichen Lehre« erblickt x). Für uns kommt hiebei nur die Beziehung
der ersten Stammmutter Eva auf die zweite Stammmutter Maria in
Betracht und diese wenigstens ist ungesucht, weil im allgemeinen
Bewusstsein begründet.
Von den vielen alttestamentlichen Vorbildern und naturgeschicht¬
lichen Symbolen, welche die Kirchenväter insbesondere für die immer¬
jungfräuliche Mutterschaft gefunden und womit auch die Dichter
ihre Gesänge schon auszuschmücken angefangen haben , hat die
altchristliche Kunst noch keinen Gebrauch gemacht. Diess Alles ist
dem Mittelalter Vorbehalten.
Und nun schliesslich die Figur der heiligen Jungfrau an und
h Bullet. 1865, p. 70.
340
für sich. Wie haben die Künstler dieselbe gestaltet? Liegt ein
Porträt zu Grunde, oder schufen sie ein Phantasiebild? Und wenn
letzteres, schufen sie dieses Phantasiebild ganz neu aus dem christ¬
lichen Geiste heraus oder lehnten sie sich an Vorlagen aus dem
Heidenthum an ? Ist endlich ein künstlerischer Fortschritt bemerkbar,
der der progressiven Idealisirung des Marienbildes im Geiste und
Herzen der Gläubigen entspräche?
Was die Frage nach einem Porträt anbelangt, so muss sie
verneint werden. Die Kirchenväter wissen von der Gestalt der
heiligen Jungfrau so wenig, als von ihren früheren oder späteren
Lebensumständen und ihrem Ende. Deutlich sagt diess der heilige
Augustin: »wir wissen nichts von der Gestalt der Jungfrau Maria« *).
Auch die Poesie sagt nichts von ihrer äusseren Erscheinung. — Die
»vom heiligen Lukas gemalten« Bilder sind Produkte der byzan¬
tinischen Kunst.
Wir haben es also mit einem Phantasiegebilde zu thun. Und
da standen allerdings für die beiden Haupttypen — die Mutter mit
dem Kinde und die Orans — zahlreiche Vorlagen aus der heidnischen
Kunst zu Gebote. In Betreff des erstem Typus erinnern wir bei¬
spielsweise nur an die Menge aus Kreta stammender Terrakotten
im Museo Campana, welche die thronende Rhea mit dem kleinen
Jupiter auf den Knieen vorstellen. Wenn man den heidnischen
Ursprung dieser Gruppen nicht wüsste, so liessen sie sich ohne
Anstand für Madonnen nehmen. Ebenso kommt die Orans auf
heidnischen Kunstwerken nicht selten vor. Die Künstler könnten
daher ganz gut formell an solche Gestaltungen angeknüpft haben.
Denn daran ist nicht zu denken, dass sie etwa die neue wahre Rhea
oder Isis mit dem neuen wahren Jupiter oder Horus zu bilden im
Sinne hatten, mit andern Worten, dass sie sich in einen bewussten
polemischen Gegensatz zur Götzenbildnerei setzten. Die altchristlichen
Künstler machten erstlich keine Kultbilder, und dann war Maria
kein Analogon zu einer antiken Göttin, so wenig für sie, als für
alle andern Christen. Man braucht aber nicht einmal ein formelles
Anlehnen an ähnliche heidnische Bildungen anzunehmen. Es kann
doch einer lebendigen und im Anfang noch blühenden Kunst nicht
schwer geworden sein, ein junges Weib mit einem Kinde auf dem
3 De trinit. VIII, 5.
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Arm oder Schooss, oder mit aufgehobenen Händen, die man selber
täglich nach altchristlichem Brauche zum Gebete ausbreitete, ohne
bestimmte Vorlage herzustellen. Dass dann solche Kunstleistungen
mit andern, älteren oder gleichzeitigen von ähnlicher Form, wenn
auch von verschiedener Bedeutung, eine gewisse äussere Ueberein-
stimmung zeigten, war weder Verdienst noch Schuld der Künstler,
sondern des Stils, überhaupt des Kunstvermögens der Zeit, das die
christlichen Künstler in demselben Banne hielt, wie ihre heidnischen
Kollegen. Die christlichen Künstler producirten aus christlichem
Geiste heraus, aber mit ererbten heidnischen Mitteln. Das Marien¬
bild ist ein christliches Phantasiegebilde.
Sagt nun dieses Gebilde in Farbe oder Stein u. s. w. all
das, was die Lehrentwickelung nach und nach unter dem Namen
Mariens verstand, was die Poesie schon in schöne Worte ge¬
kleidet hat?
Der Versuch ist gemacht. Ein jugendliches Weib mit dem
Ausdruck einer gewissen milden Hoheit, einer Art demuthsvollen
Würde, mit anmuthiger Haltung und Bewegung darzustellen , ist
offenbar die Absicht der Künstler. Und dieses Ziel ist auch bis zu
einem gewissen Grade erreicht, namentlich in den ältesten Bildern,
als die Kunst noch auf einer gewissen Höhe stand. Auch bei den
spätem Bildern lässt sich das Bestreben noch erkennen, doch er¬
heben sich die meisten nicht über das Niveau gewöhnlicher handwerk¬
licher Leistungen, sie gehen mit der ganzen Kunst abwärts. Man
behilft sich mit Aeusserlichkeiten, bekleidet die Figur mit Schmuck,
zeichnet sie durch den Nimbus aus und hüllt sie in prachtvolles Ge¬
wand, wie in Sta. Maria Maggiore, woran übrigens die glänzende
Technik des Mosaiks sowie die späteren Restaurationen auch ihren
Antheil haben mögen.
Ueber den ersten Versuch also kommt die altchristliche Kunst
nicht hinaus.
Und mit Versuchen müht sich auch das Mittelalter ab. Die
byzantinische Kunst freilich kommt bald ans Ziel. Ihre Madonnen
erscheinen häufig in derselben Haltung, wie das Bild von San Agnese;
aber sowohl dieser Typus, als alle andern erstarren in hieratischer
Gebundenheit. Im Abendlande gelingt es, bald die eine, bald die
andere Seite des Wesens der h. Jungfrau, bald die irdische, bald
die himmlische glaubhaft darzustellen. Doch um das Geheimniss
dieses Wesens zur Anschauung zu bringen, braucht die mittelalter-
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liehe Kunst immer noch einen reichen äusserliehen, symbolischen und
typologischen Apparat.
Das Wunderweib, das über dem Naturgesetze steht, das von
der Sünde unberührt ist und doch mit dem ganzen Glück und Wehe
der Menschheit zusammenhängt, in einem überzeugenden Bilde dar¬
zustellen, ist der Triumph der Renaissance und ist vielleicht im
ganzen Verlauf der Kunstgeschichte kein zweites Mal so gelungen,
wie in der Sixtina des Raphael.
Inhalt
Vorwort .
Einleitung .
Jungfrau .
Mutter .
Josephs Weib .
Immerwährende Jungfrau .
Das geistige Wesen Mariens
Antheil am Erlösungswerke
Verehrung .
Poesie .
Kunst .
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